Das große Ganze

Es war gerade mal eine halbe Stunde gespielt zwischen dem VfB Stuttgart und den Gästen aus Hoffenheim, als es zum Schwur kam. Der VfB führte, hatte also in der virtuellen Tabelle gerade Rang sieben erklommen, der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zur Teilnahme an der Qualifikation zum Europapokal berechtigt, als das vertraute Geräusch ertönte, das einen Treffer auf einem der anderen Plätze ankündigt, derer es in diesem Fall reichlich gab. Also anderer Plätze, vorletzter Spieltag, Sie wissen schon. Ob viele Tore fielen, weiß ich jetzt gar nicht so recht.

Beim VfB Stuttgart hält man es in solchen Fällen für eine gute Idee, sei es, um die Spannung zu erhöhen, sei es, um die Sponsoren angemessen ausführlich ins Bild zu rücken, sei es, um die Zuschauer etwas länger vom Geschehen auf dem Rasen abzulenken, in mehreren Schritten vorzugehen und zunächst nur die Wappen der beiden Vereine einzublenden, ehe man nach einem imaginären Trommelwirbel den aktuellen, neuen Spielstand anzeigt. Im vorliegenden Fall erschienen die Wappen der Eintracht aus Frankfurt und des Hamburger SV auf der Tafel, es ging also um das Spiel des unmittelbaren Tabellennachbarn, mithin des Wettbewerbers um den oben angesprochenen Qualifikationsplatz für den Europapokal.

Mir war klar, dass ein nennenswerter Anteil der Stuttgarter Anhänger zwar kurz zuvor minutenlang das Hohelied auf den Europapokal! Europapokal! gesungen hatte, der mit einer Qualifikation einhergehenden zusätzlichen Belastung indes eher zurückhaltend gegenüberstand. Einerseits. Andererseits ging es ja um einen besseren Tabellenplatz, und wie oft haben wir gelesen, und welcher Fußballfan wäre heutzutage dafür nicht empfänglich, dass jede Platzierung, um die man besser abschneidet, bares Geld wert sei, und so wäre selbstverständlich ein Tor gegen die Eintracht, und jetzt kulminiert der Trommelwirbel, und zack:

1:0. Für Frankfurt. Nicht mehr Geld. Kein Europapokal. Und: Jubel. Nicht überall, aber doch verbreitet. Ok, kein europapokalberauschter Abstiegskampf, vielleicht. Trotzdem. Was ist da los?

Nun, der gemeinen Leserin brauche ich nichts vorzumachen, natürlich kennt sie längst den Grund: Es geht um etwas Größeres, da kann so ein mickriges Plätzchen in der Tabelle nicht gegen anstinken, es geht um nicht mehr und nicht weniger als – einige Umstehende lassen keinen Zweifel daran – den Abstieg des HSV. Das große Ganze. Und ja, das ist quasi ein Zitat.

Kurz bin ich fast geneigt, jenen HSV-Fans Abbitte zu leisten, denen ich im Lauf der Jahre einen ausgeprägten Verfolgungswahn unterstellt hatte ob ihrer Überzeugung, alle wollten dem HSV nur Schlechtes, kann dann aber doch nicht so weit gehen. Aber fasziniert, ja, das bin ich. Siebter oder Achter, Sechster oder vielleicht auch noch Neunter, ach, das ist doch einerlei, Hauptsache, der HSV geht endlich runter! Nun denn, jeder so, wie er mag. Mit besten Grüßen an Udo Jürgens.

Tatsächlich gewann Frankfurt am Ende, der VfB auch, Neunter wird man also nicht mehr, und Platz sechs ist in der Theorie auch noch drin, und ich kann kaum nicht adäquat in Worte fassen, welchen Spaß mir dieses Spiel bereitet hat. Gegen eine Mannschaft aus Hoffenheim, die phasenweise sehr eindrucksvoll darlegte, wieso sie in der Tabelle da steht, wo sie steht, nämlich ziemlich weit vorne, und weshalb sie speziell in den letzten Wochen verdammt viele Punkte geholt hatte.

Eine Mannschaft, die nach zwanzig Minuten mit etwas mehr Glück und ohne Übertreibung 4:0 hätte führen können, wenn jenes Glück nicht vielmehr auf Seiten der Stuttgarter gewesen wäre. Dann ging der VfB in Führung, eher gekonnt als glücklich, und fortan brauchte er zunächst einmal gar kein Glück mehr, später nochmal ein bisschen, aber nie mehr so wie zu Beginn, und irgendwie wirkte dann auch das durchaus gekonnt.

Kann man anders sehen, wie ich der einen oder anderen Äußerung nach dem Spiel entnahm, von B-Noten gar nicht zu reden, aber eigentlich geht’s ja auch mir eher so ums große Ganze. Den Fußball im Allgemeinen, die Bundesliga im Besonderen, und ja, das mag schon damit zu tun haben, dass die Ergebnisse des VfB seit Wochen so irrelevant waren wie seit Jahren nicht. Das Thema Abstieg war durch, unabhängig von rechnerischen Spitzfindigkeiten, und so nahm ich die sonstigen Schlagzeilen rund um die Liga möglicherweise etwas intensiver wahr. Von denen wir alle wissen, dass sie sehr ungleich verteilt waren, und zwar zugunsten der, Trommelwirbel, Schiedsrichter.

Das lag an vielerlei Dingen und Akteuren. An den Medien, klar, an Spielern und Trainern, am vielerorts und in diesem Text der Einfachheit halber auch hier gerne mal so genannten Videobeweis per se, am DFB und dem IFAB, am einen oder anderen Videoassistenten (w/m), an der Sportgerichtsbarkeit, an technischen Unzulänglichkeiten und ein bisschen auch an den Schiedsrichtern selbst.

Der VAR. Es ist ja fast alles über ihn geschrieben, im Guten wie – deutlich häufiger – im Schlechten, wie es halt so ist. Vor einigen Wochen schrieb ich bei Twitter folgendes:

In Teilen hatte ich das fast wortgleich auch schon ein Dreivierteljahr zuvor geschrieben, und so gilt es auch weiterhin. Klar kann man entgegnen, dass er keinen Spaß zu machen braucht, dass – wie ein sehr geschätzter Mittwitternder bemerkte – der “Kringel am Strafraum, der 9,15-Abstand vom Elferpunkt markiert”, auch keinen Spaß macht. Stimmt. Aber er verdirbt ihn mir auch nicht. Beim Videobeweis ist das manchmal anders. Wenn ich im Stadion nicht weiß, was los ist, wenn ich vor dem Fernseher über die Auslegung des berühmten klaren Fehlers oder die den Videoassistenten gesetzten Grenzen sinniere, wenn vermeintliche Experten ohne jene Ahnung über den Videobeweis fachfremdsimpeln, was natürlich nicht in erster Linie dessen Schuld ist, wenn Twitter oder dessen Pendant fern der Tastatur anlässlich einer VAR-beeinflussten Entscheidung durchdreht, und nicht zuletzt dann, wenn diejenigen, die sachlich und mit der sprichwörtlichen Engelsgeduld zu erklären versuchen, wieso eine Entscheidung so getroffen worden sein könnte, wie sie eben getroffen wurde, in gänzlich inakzeptabler Art und Weise attackiert werden. Ja, natürlich schaue ich Euch an, @collinaserben. Und die anderen, also die mit der vergessenen Kinderstube.

Einiges von dem, was ich grade ansprach, hat nur mittelbar mit dem Videobeweis zu tun. Natürlich würde ich diese Aspekte nicht als Argument gegen den VAR-Einsatz anführen. Und doch sind es auch diese Begleiterscheinungen, die eben dazu führen, dass er mir keinen Spaß macht.

Ob er den Schiedsrichtern Spaß macht? Ich weiß es nicht. Was ich zu wissen glaube, ist, dass er die Schiris mit ganz neuen Herausforderungen konfrontiert hat, auf die sie nach meiner Wahrnehmung nicht hinreichend vorbereitet waren. Die neue Komplexität der Entscheidungsfindung dürfte zumindest ihren Anteil daran gehabt haben, dass erfahrene Schiedsrichter ganz grundlegende Dinge falsch gemacht haben, Dinge, tatsächliche Regelverstöße, von denen ich glaube, dass sie ihnen ohne Videobeweis nie unterlaufen wären.

Wie zu Saisonbeginn in Dortmund, als mit Dr. Felix Brych am Bildschirm und Patrick Ittrich auf dem Feld wahrlich keine Grünschnäbel am Werk waren und doch Grundregeln des Spiels verletzten, indem sie ein Tor nachträglich anerkannten, obwohl die Situation zuvor abgepfiffen worden war. Dass dem nicht so sein darf, weiß Patrick Ittrich mit Sicherheit auch zu Zeiten, zu denen man normalerweise Olaf Thon für einen Elfmeter aufweckt.

Genau wie sich Guido Winkmann zweifellos darüber im Klaren ist, dass er keine Entscheidung mehr revidieren kann, nachdem er das Spielfeld zur Pause verlassen hat. Wenn, ja wenn er sich nicht in einer Situation befände, die in all seinen Jahren als Schiedsrichter so nicht vorkommen konnte und auf die er vermutlich nicht adäquat vorbereitet werden konnte.

Ich hätte es sehr gerne gesehen, wenn einer der beiden in den genannten Fällen benachteiligten Vereine, der 1. FC Köln oder der SC Freiburg, die jeweilige Situation sportgerichtlich hätte klären lassen. Aus dem niederen Beweggrund, dass ich dem DFB eine krachende Niederlage von Herzen gegönnt hätte, und aus der etwas konstruktiveren Überlegung heraus, dass die öffentlich notwendige Einsicht in die eigene Fehlbarkeit den Verband auf dem Weg zu einem weniger selbstgefälligen Duktus hätte unterstützen können.

Ja, zur Kommunikation im Kontext des Videobeweises ist im Grunde alles gesagt. Transparenz, zudem Transparenz, dazu ein bisschen Transparenz, gerne ergänzt um etwas mehr Demut und etwas weniger “Ich erklär’s mal”. Und vielleicht, ganz vielleicht, das wäre der Punkt, der mir beim Thema Sportgerichtsbarkeit einfällt, wäre ein bisschen mehr Anstand nicht schlecht. Für die Chuzpe, mit der man unmittelbar nach dem Winkmann-Steinhaus-Elfmeter gegen Freiburg das Vorgehen des Schiedsrichters als regelgerecht darstellte, und das spätere partielle Zurückrudern, wohlgemerkt nach Ablauf der Einspruchsfrist, suche ich seit Wochen nach Worten. Bis dato schwanke ich noch immer zwischen schäbig und infam.

Da überrascht es dann auch gar nicht mehr, wenn sich in einer nicht annähernd so gravierenden Angelegenheit, dem Platzverweis von Santiago Ascacíbar gegen Hoffenheim und der folgenden Geldstrafe ob seines Verhaltens beim Verlassen des Spielfelds, der VfB Stuttgart bemüßigt fühlt, dem Verband leidlich verklausuliert Drohgebärden zu unterstellen: “… weil uns von Seiten des DFB explizit mitgeteilt wurde, dass ‘in einer eventuellen mündlichen Verhandlung die Frage einer zusätzlichen Sperre zu erörtern sei’.”

Und dann war da ja noch die Causa Petersen. Oder die Causa Stieler, wenn man so möchte. Ein Novum in vielerlei Hinsicht. Was mir, der ich gedanklich in meiner Welt als langjähriger Spieler und so gut wie nie Schiedsrichter verhaftet bin, enorm gut gefallen hat, war die Entscheidung, die Aussagen des Schiedsrichters nicht mehr als sakrosankt hinzunehmen, sondern auf Basis anderer Quellen und Indizien einfach mal zu sagen, dass der Spieler recht hatte. Oder ihm zumindest nicht guten Gewissens eine Lüge unterstellt werden konnte. Dass ich letztere für wahrscheinlich halte, steht auf einem anderen Blatt.

Wenn dann in ein paar Jahren herauskommen sollte, dass die rasch herbeikonstruierten Fälle, in denen Spieler künftig nicht nur, wie es seit Jahrzehnten allerorten auf Fußballplätzen geschieht, dem Schiedsrichter ostentativ den Rücken zukehren, wenn sie verwarnt werden, sondern in denen sie damit, oder gar mit aktivem Wegrennen, tatsächlich eine regelgerechte Verwarnung umgehen können, seit diesem Vorfall exponentiell (oder auch nur linear) angestiegen sein werden, überdenke ich meine Position. Bis dahin aber freue ich mich einfach darüber, dass sich auch einmal ein Spieler erfolgreich zur Wehr setzen konnte. Und ja, ich denke in diesem Moment auch an kolportierte Beleidigungen von Schiedsrichtern gegenüber Spielern, gegen die es keine Handhabe gab.

Weiter oben sprach ich von Argumenten gegen den VAR, die man vorbringen könne oder auch nicht. Das ist natürlich völlig irrelevant. Das Thema Argumente ist durch, seitdem das IFAB die Testphase für beendet erklärt und ihn in die offiziellen Regeln aufgenommen hat. Zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht einmal das grundlegende Handwerkszeug für einen der typischsten und im Grundsatz mit am besten für den VAR-Einsatz geeigneten Anwendungsfälle vorliegt: die zu trauriger Berühmtheit gekommenen kalibrierten Linien für Abseitsentscheidungen. Deren Verfügbarkeit den einen Videoassistenten anficht, den anderen nicht. Oder den einen mal nicht und mal schon, es menschelt, natürlich.

Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie das IFAB, das in der Vergangenheit nicht immer dafür bekannt war, Entscheidungen übers Knie zu brechen, dem man mitunter gar unterstellte, eben nicht mit der Realität Schritt zu halten, diese Entscheidung treffen konnte. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Testphase auszudehnen und sich das Ganze noch etwas länger anzusehen, dann auch inklusive Handwerkszeug, ehe man Nägel mit Köpfen macht. Dass man dem entgegnen kann, die Entscheidung sei ohnehin von Anfang an klar gewesen, die Evaluierung nicht mehr als ein Feigenblatt, ist mir klar.

Ganz subjektiv kommt erschwerend hinzu, dass ich mich nun in der unglücklichen Situation befinde, die Uefa, die sich dem Einsatz des VAR in der Champions League weiterhin verwehrt, in diesem Kontext als Inbegriff rationalen Handelns betrachten zu müssen, als diejenigen, die erst das ganze, funktionierende Bild vor Augen haben wollen, ehe sie die Spieler und Schiedsrichter damit konfrontieren. Irgendwo in meiner Erinnerung tauchen Fragmente aus jener Zeit auf, als Supermärkte begannen, mit Scannerkassen zu experimentieren, und dabei zunächst manches schiefging. Bei allen, außer bei denen, die sich auf den Tag vorbereiteten, an dem die Technik ausgereift und verlässlich sein würde, und vielleicht bereitet mir der Gedanke an die Champions League als den Aldi unter den Fußballwettbewerben ein gewisses Vergnügen.

Oh, wo ich grade dabei bin: das IFAB und die Schiedsrichter. In den letzten Jahren hat ein Begriff Eingang in den Fußball-Diskurs gefunden, den die meisten von uns ohne Collinas Erben nie kennengelernt hätten: die Taktik des Schiedsrichters. Ein Begriff, über den man zunächst stolpert, der aber sehr wohl sinnvoll erscheint, bzw. die Idee dahinter. Es ist legitim, dass sich die Schiedsrichterin das Leben, zumindest aber das Spiel, nicht unnötig schwer macht, indem sie ihre Spielräume beispielsweise durch einen früh im Spiel zwar möglichen, aber für den Fortgang der Partie sehr herausfordernd gesetzten Ton zu sehr einschränkt. Was ich sagen will: Es ist aus meiner Sicht ok, sich selbst keine Steine in den Weg zu legen, wo sie nicht notwendig sind.

Ob das IFAB das im Sinne der Schiedsrichter auch so sieht, weiß ich nicht. Kürzlich las ich von folgender Klarstellung durch das Gremium: “Bei der Beurteilung einer Abseitsstellung ist der erste Kontakt beim Spielen oder Berühren des Balls entscheidend.” Mal ganz davon abgesehen, dass diese Differenzierung für die meisten Beobachter wie Kai aus der Kiste gekommen sein dürfte: Warum? Warum so schwierig, so uneindeutig?

Es kommt nicht von ungefähr, dass – so ich Collias Erben recht verstanden habe – Dr. Markus Merk einer der ersten war, der auf Situationen hinwies, in denen der Ball vergleichsweise lange berührt wird, so zum Beispiel, wenn die Spielerin den Fuß auf den Ball stellt und ihn dann in einer fließenden Bewegung mit der Sohle weiterleitet. Wird dem Videoassistenten dann die – nicht erwünschte – detektivische Arbeit zufallen, zu prüfen, ob es sich wirklich nur um eine Ballberührung handelte oder ob der Kontakt möglicherweise im Zuge der Aktion kurzzeitig abgebrochen war, sodass der erste Kontakt beim tatsächlichen Spielen des Balles in Wahrheit erst viel später eintrat?

Wäre es nicht klug gewesen, hier aus taktischen Erwägungen den wesentlich eindeutiger zu bestimmenden Moment als entscheidend zu betrachten, nämlich den, in dem der Fuß den Ball zuletzt berührt, letzterer ersteren also verlassen hat, unabhängig davon, wie lange der Kontakt dauerte? Ich könnte dem einiges abgewinnen, aber vielleicht ist das auch viel zu einfach gedacht.

Ach, genug. Ich wünsche mir, dass in den nächsten Tagen, wenn die Entscheidung über die Abschlusstabelle der Bundesliga gefallen sein wird, die Schiedsrichter im Allgemeinen und ihre Videoassistenten im Speziellen in der Öffentlichkeit nur eine Nebenrolle spielen werden, mal abgesehen von den allfälligen Verschwörungstheoretikern welcher Couleur auch immer und von den sonstigen üblichen Verdächtigen.

Und ich freue mich, den Spieltag entspannt verfolgen zu können. Ohne irgendeinen höheren Zweck, den ich gerne verwirklicht sähe. Wenn der Hamburger SV absteigen sollte, dann wird er es sich ebenso erarbeitet haben wie jeder andere mögliche Absteiger. Ich hätte sicherlich meine Schwierigkeiten, mich daran zu gewöhnen.

Was ich allerdings nicht erleben möchte, ist eine verlorene Relegation des Bundesligisten, der dann wegen einer verweigerten Kieler Lizenz oben bliebe. Auch wenn es zum Beispiel ganz hübsch in das gängige HSV-Narrativ passen würde.

Mors, Mors

Im Frühjahr 2015 erhielt ich eine E-Mail, in der mich jemand frug, ob ich einen Text zu einem Buch beitragen wolle, einem Buch über Fußball. Und Sprache. Begriffe der Fußballrhetorik. Ich wolle gern, antwortete ich, so ich denn in der Lage sei, einen hinreichend guten und dem Verständnis der Herausgeber entsprechenden Text zu verfassen. 

Wir mailten noch ein paar Mal hin und her, irgendwann hatte ich dann eine Version, mit der ich zwar nicht uneingeschränkt glücklich war, die ich aber nach meiner Einschätzung aus der Hand geben konnte, ohne mich zu blamieren. Also gab ich sie weiter, durchaus damit rechnend, eine mehr oder weniger freundliche Absage zu erhalten – die das seitens der Herausgeber aufgezeigte Prozedere auch vorsah. Allein: sie kam nicht.

Keine Absage. Auch keine Zusage. Keine Bitte um Geduld. Ich habe nie mehr etwas von der betreffenden Person gehört. Auch eine zumindest nicht unfreundliche Nachfrage meinerseits Monate später rief keine Reaktion hervor, und nach und nach verschwand der Vorgang in einer selten besuchten Sektion meines Gedächtnisses.

Und so war ich dann doch überrascht, als mich kürzlich jemand auf eben dieses Buch hinwies, das Anfang des Jahres offenbar tatsächlich erschienen ist. Ohne meinen Text, vermutlich. Völlig in Ordnung. Nur die Kommunikation, die war eher so mittel.

Da mein Text aber noch immer hier rumliegt, und weil sich in diesem Blog ohnehin viel zu selten etwas tut, nun, Sie wissen schon. Hier also ein Text aus dem Jahr 2015, dem man sein Alter an der einen oder anderen Stelle auch anmerkt, allein schon von den Namen her.

 

Wasserträger

Wasserträger. Ein Begriff, der uns beim Fußball – spielend wie schauend – seit Jahrzehnten begegnet. Begegnete, muss man heute vielleicht korrekter sagen. Vergangenheit. Abgeschlossen. Oder können Sie sich noch an Ihre letzte Begegnung mit dieser Spezies erinnern? Sprachen die Béla Réthys dieser Welt, oder zumindest unserer Fernsehlandschaft, in diesem Jahrtausend schon einmal vom selbstlosen Einsatz oder den unterschätzten Qualitäten eines Wasserträgers?

Und wenn ja: wie hieß er? Denn ist es nicht so, dass die meisten von uns, je nach Alter und fußballerischer Sozialisierung, diesen Begriff mit mindestens einem konkreten Spieler in Verbindung bringen? Herbert Wimmer zählt zu den üblichen Verdächtigen, gilt vielleicht gar als Hauptverdächtiger, Heinz Simmet war sein Pendant auf der anderen Seite des Netzer-Overath-Grabens. Spätere Exponenten heißen Wolfgang Dremmler, Steffen Freund, Claude Makélélé, Rolf Aldag oder Thomas Häßler.

“Moment!”, höre ich Sie sagen, und ja, Sie haben recht, doppelt: Häßler? Der Thomas Häßler? Der mit dem Zauberfuß? Ein Mann für die großen Momente als Wasserträger? Ja, in der Tat. Damals, in Dortmund, als Trainernovize Michael Skibbe dem nicht allzu wohlgelittenen Weltmeister immerhin Talent bescheinigte und Schnappschüsse des eine Wasserkiste tragenden Häßler mit der passenden Bildunterschrift versehen wurden. Vom Weltmeister zum Wasserträger, oder Variationen davon. Das Ausmaß des entstandenen Spotts, aber auch der von Häßler empfundenen Kränkung, wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die mediale Berichterstattung, sondern auch auf die Wertschätzung, die dem gemeinen Wasserträger in aller Regel zuteilwurde.

Und, gewiss: Auch Rolf Aldag passt nicht recht in die Reihe. Ein Wasserträger war er schon, par excellence und im Wortsinn sogar, nur nicht beim Fußball. Aldag fuhr Rad, wir erinnern uns, und trug seinen Teil dazu bei, dass der eine oder andere unter uns bis heute davon ausgeht, der Fußballbegriff des Wasserträgers habe seinen Ursprung im Radsport. Dort leisten die etwas weniger begabten Athleten Zubringerdienste für ihren Kapitän – darunter ganz konkret auch das Herantragen von Wasserflaschen –, auf dass jener, von derlei profanen Tätigkeiten befreit, explizit für die ganz großen Momente sorgen möge. Eine Erwartungshaltung, der Exponenten wie Ullrich oder Indurain, aber auch Netzer oder Zidane dann ja durchaus gerecht wurden.

Gut möglich, dass der Wasserträger tatsächlich aus dem Radsport herübergeschwappt ist, doch de facto ist der Begriff wesentlich älter als, sagen wir, die Tour de France – Wikipedia spricht von einem historischen Dienstleistungsberuf, seine Vertreter werden gelegentlich als niedere Arbeiter beschrieben. Zahllose religiöse Texte in diesem unserem Internet verweisen zudem auf die Hochzeit von Kana und das “Wunder der Verwandlung”, das die ungebildeten Wasserträger nicht sehen, nicht begreifen. Oder anders, heruntergebrochen und adaptiert: Wie sollte ein schnöder Wasserträger jene Wunder durchschauen, die beispielsweise eine deutsche Lichtgestalt oder ein niederländischer König auf der Höhe ihrer jeweiligen Schaffenskraft uns allen, Gläubigen wie Ungläubigen, auf dem Feld, den Rängen oder an den Bildschirmen schenkten?

Den Kontrast zu ihrer Kunst bildet das Wassertragen: eine profane Dienstleistung sei es, mitunter auch eine Zuarbeit. Aber, zweifellos, eine wichtige. Historisch gesehen, als sich das Wasser noch nicht selbstverständlich aus dem Hahn ergoss und lebensechte Wasserträger Abhilfe schafften – in Hamburg denkt man womöglich an Hans Hummel –, aber auch in unserem übertragenen Kontext, wiewohl weniger existenziell, im Peloton oder auf dem Fußballplatz – in Hamburg denkt man vielleicht an Jürgen Groh oder Wolfgang Rolff.

Womit wir beim heutigen Wasserträgerdilemma angekommen wären: Da, wo früher Namen wie Rolff, Groh oder Eilts standen, lesen wir heute Modrić, Alcántara, Busquets oder Touré. Oder, um auf der heimischen Scholle zu bleiben, Lahm, Gündoğan oder
Schweinsteiger. Wasserträger klingen anders, nicht wahr?

Natürlich ist das eine Zuspitzung, gewiss besetzen die genannten Spieler unterschiedliche Positionen und Räume auf dem Feld, und vor allem: auf unterschiedliche Art und Weise. Das Spiel hat sich gewandelt, die Rollen ebenso, die Anforderungen erst recht. Oder anders: Wenn Andrea Pirlo oder Xabi Alonso in einem taktischen Schema just dort verortet werden, wo sich klassische Wasserträger gemeinhin tummelten, dann liegt der spontane Quervergleich zu Guido Buchwald nur wenigen Beobachtern auf der Zunge.

Die Aufgaben, die ein “defensiver” Mittelfeldspieler heute erfüllt, haben zwar noch eine nennenswerte Schnittmenge mit dem Selbstverständnis von, sagen wir, Jens Jeremies; dass sie aber weit darüber hinausgehen, dürfte als Binsenweisheit durchgehen. Und dass mit den sportlichen Veränderungen auch ein sprachlicher Wandel einherging, wird ebenfalls niemanden überraschen.

Gut möglich, dass sich schon Jeremies nicht als “Wasserträger” bezeichnet hätte. Ging mir selbst ja auch so, einem um viele Größenordnungen unbegabteren Fußballspieler als Jens Jeremies, als ich Mitte der Neunziger “vor der Abwehr” spielte: Natürlich war ich ein Dienstleister für die Mannschaft, keine Frage, aber doch kein reiner Zuarbeiter für den großen Helden und seine strahlenden Auftritte, wo denken Sie hin?! Zumal wir damals alle unter dem Eindruck von Matthias Sammer standen, dem Libero vor der Abwehr, der erste Schritte unternahm, den deutschen Fußball wieder auf die Höhe der Zeit zu heben. Und dabei, wenn man so will, die Wasserträgerposition gleich mit vereinnahmte.

Der Wasserträger hat sich überlebt. Dass es ihn im heutigen Sprachgebrauch kaum mehr gibt, mag dem ehrenwerten namensgebenden Beruf nicht gerecht werden, dem Selbstverständnis des gemeinen Sechsers indes sehr wohl: Vermutlich sieht er sich, um noch einmal eine Anleihe beim Radsport zu nehmen, vielmehr als Edelhelfer. Mindestens.

Und das zu Recht. Es reicht nicht mehr, das Wasser zu reichen. Im Idealfall ist der Edelhelfer in der Lage, es auch gleich zu Wein zu verwandeln, zumindest aber sollte er in der Lage sein, es einzugießen und mundgerecht zu servieren.

Das Wunder der Verwandlung mag mitunter noch immer den einstigen Helden, den Nachfahren des Spielmachers klassischer Prägung, den Zehnern obliegen. So sie denn noch mitspielen dürfen. De facto müssen sie in zunehmendem und beträchtlichem Maße bereit sein, ihr Wasser selbst zu tragen. Und es gegebenenfalls zu teilen oder gar weiterzugeben. Wie einst Thomas Häßler.

Frenchy

Herr F. war ein freundlicher Mann. Vermutlich ist er es noch immer. Damals war er mein Chef. Er schätzte mich und meine Arbeit, auch wenn er mir (und vielen anderen) regelmäßig Gelegenheit gab, just daran zu zweifeln. Sagen wir es, wie es ist: Er war ein Trampel. Seine geheime Superkraft bestand darin, selbst ein noch so ernst gemeintes Kompliment so verpacken zu können, dass es sich wie ein übler Diss, zumindest aber vergiftet anhörte. Ohne dass er es gewollt oder bemerkt hätte.

Oder seine Sitzungsführung, insbesondere bei konträren Meinungen. Selten habe ich jemanden wie ihn erlebt, dem es ohne jede Anstrengung gelang, alle Seiten zu verprellen, unabhängig davon, ob man letztlich eine gute Lösung gefunden hatte oder nicht. Und ohne dass er es gewollt oder bemerkt hätte.

Oder nehmen wir seine Scherze. Sie bedienten keinen -ismus, waren nicht frauen- oder fremdenfeindlich, häufig sogar nett gemeint, und doch so oft schlichtweg gedankenlos. Immer auf der Suche nach dem nächsten Fettnäpfchen, ohne je eines zu erkennen, weder davor noch danach. Und: Sie waren nicht witzig. Oder aber: Sie waren witzig, aber er trug sie so vor, dass niemand darüber lachen mochte. Ein Jammer.

Oder anders: Sie erinnern sich an Lieutenant Hauk? Adrian Cronauers, nun, Vertretung? Seinen ersten Auftritt on air, den seine Soldaten zuvor verzweifelt zu verhindern versucht hatten? Lieutenant Steve, Frenchy? Oh, oh, oh, Frenchy? Wie er sich, als dann das erste Musikstück läuft, zurücklehnt, die Arme selbstbewusst verschränkt und die fassungslosen Soldaten mit herausforderndem Blick anspricht: “I think some apologies are in order.

You get the picture.

In meinem Kopf sagt Lieutenant Hauk dieser Tage etwas ganz Anderes. “Mit welcher Ruhe und Klarheit wir im Klub Entscheidungen getroffen haben, das war beeindruckend.”

Und dann würden die Apologies eintrudeln. Vom kritischen Teil der VfB-Fans, der auch langsam anfängt zu überlegen und umschwenkt. Schließlich hat der neue VfB-Trainer, den Michael Reschke verpflichtet hat, aus seinen ersten drei Spielen sieben Punkte geholt.

Das ist aller Ehren wert. Und es wäre eine wunderbare Gelegenheit für Herrn Reschke, im Stillen die Hände zu reiben und sich einmal kurz auf die Schulter zu klopfen, dem Trainer sowieso, und dann wieder an die Arbeit zu gehen. Dass damit der Wunsch nach mehr Anerkennung oder zumindest weniger Feindseligkeit seitens eines Teils der VfB-Anhänger eingehen darf, ist unstrittig. Klar kann man sich das wünschen. Natürlich arbeitet es sich leichter, wenn einem diejenigen, von denen man sich Unterstützung erhofft, etwas mehr zutrauen.

Andreas Beck kann bestimmt ein Lied davon singen. Er ist kein Dummkopf, kein als Söldner verschrieener Abzocker, kein Blender, der nur in den sozialen Netzwerken glänzt, ist gar einer, dem man einst manche Träne nachweinte, kurz: keiner, der so recht zum Feindbild taugt. Gewiss, er brennt auf dem Platz kein Offensivfeuerwerk ab, spielt zu viele Fehlpässe, regt unsere Phantasie nicht an. Vor allem aber ist er, wenn nicht das, dann doch ein Gesicht der, falls man so sagen will, Ära Reschke.

Und dieser Herr Reschke ist, Verzeihung, Herr F., ein Trampel. Ein Mann, der es in Stuttgart von Anfang an geschafft hat, Leute vor den Kopf zu stoßen, die ihm gerne wohlgesinnt begegnen würden, es aber nicht mehr hinbekommen, zum Teil sicherlich auch nicht hinbekommen wollen. Weil er sie beispielsweise ohne einen Anflug von Souveränität als ahnungslose Vollidioten bezeichnet hat, oder eben weil er sich nach drei relativ erfolgreichen Spielen hinstellt und von der eigenen beeindruckenden Entscheidungsfindung schwadroniert. Zu einem Zeitpunkt, da nichts gewonnen ist, da man ein paar Pünktchen oberhalb der roten Linie steht, mit der Aussicht, bereits kurz vor Schluss voraussichtlich ein gewisses Polster zu benötigen. Wie kommt man auf so eine Idee?

Im Fachmagazin Kicker wird die von ihm geäußerte Hoffnung auf umschwenkende Fans als Aufruf zur Versöhnung gedeutet. Ich halte das, wie oben angedeutet, nicht für abwegig. Wäre doch schön für ihn, mehr Vertrauen, mehr Anerkennung, mehr Unterstützung zu genießen. Für den Trainer auch, klar. Wenn er es einem nur nicht so schwer machen würde. Nicht der Trainer, der schlägt sich nicht nur auf bzw. neben dem Platz wacker, sondern auch in seiner medialen Darstellung.

Oder können Sie sich vorstellen, dass Tayfun Korkut nach dem Spiel öffentlich die beeindruckende Klarheit seiner Entscheidungen zu Aufstellung, Taktik und Auswechslungen hervorhebt? Oder irgendein anderer Trainer? Ein Sportdirektor? Zumindest nicht viele, vermute ich?

Michael Reschke ist da offenbar anders. Und ich fürchte, er weiß es nicht. Vielleicht hoffe ich es auch. Da muss ich noch drüber nachdenken.

tmi

Das ist ja mal ne Überraschung: Noch nicht mal Mitte Februar, und schon ist die Advents-Startseite im Blog der ganz gewöhnlichen Aneinanderreihung von Beiträgen gewichen. Mein ganz persönlicher Blog-Knutstag, sozusagen. Advents-Kehraus.

Kehraus. Und schon sind wir gedanklich bei Hannes Wolf. Und wären womöglich viel lieber bei Michael Reschke und Wolfgang Dietrich. Aschermittwoch steht ja quasi vor der Tür. Oje, ich schweife schon wieder ab. Lange nichts mehr hier reingeschrieben, nech? Nun denn, vielleicht hilft es ja, mir einfach selbst ein paar Stichwörter (hier: Namen) zu geben und ein paar lose Gedanken dazu zu formulieren. Nun denn:

Hannes Wolf

Ein Jammer! Und damit meine ich zunächst einmal nicht sein, wenn man den Vereinsgranden glauben darf, jämmerliches Erscheinungsbild als Trainer, der die Mannschaft nicht mehr erreicht und es nur noch einmal versuchen würde, wenn die Vereinsführung explizit darum bäte. Oder so ähnlich.

Aber nein, ein Jammer, dass es nicht gelungen ist, mit diesem intelligenten, sympathischen jungen Mann eine dauerhaftere Erfolgsgeschichte zu schreiben. Eine Träumerei, Sie erinnern sich. Es sollte nicht sein, und ich würde gerne den bösen Leuten aus dem Vorstand die Alleinschuld geben, denen der unerfahrene, dummerweise aber erfolgreiche und noch dazu beliebte Trainer stets ein bisschen suspekt gewesen ist, allein: Ich kann es nicht.

Viel eher gehe ich davon aus, erwarte es gar, dass sich die Herren in verantwortlicher Position spätestens seit der zweiten Hälfte der Vorrunde hin und wieder Fragen zur sportlichen Entwicklung gestellt haben, zur geringen Torgefahr, zu den Defiziten im Offensivspiel, zu mancher taktischen Anpassung im laufenden Spiel. Da konnte man durchaus Aspekte und Argumente finden, die die Position des Trainers nicht eben gestärkt haben. Ob man diesen Argumenten dann folgt oder nicht, ob man dem Trainer dann zusätzliches Personal an die Hand gibt, und wenn ja, welches, darüber kann man zweifellos diskutieren.

Ob ich mir das anders gewünscht hätte? Natürlich. Ob ich Hannes Wolf für eine wohltuende Erscheinung in Bad Cannstatt gehalten habe? Unbedingt! Ob er hinterrücks und bösartig gemeuchelt wurde? Tendenziell nicht. Ob die Vereinsführung den möglicherweise – eine Bestätigung seitens Wolf selbst habe ich bisher nicht vernommen – zweifelnden jungen Trainer hätte stützen und zum Weitermachen drängen sollen? Ich weiß es nicht. Das lässt sich aus der Entfernung nicht einschätzen. Ich war nicht dabei, weiß nicht, ob sich Wolf tatsächlich zweifelnd geäußert hat und wenn ja, wie, in welchem Tonfall, mit welcher Körpersprache, Sie wissen schon.

Fakt ist: Er ist weg, genau wie Jan Schindelmeiser, genau wie Simon Terodde, und glücklich macht mich das alles nicht. Und natürlich wünsche ich ihm alles Gute und eine großartige Karriere.

Tayfun Korkut

Ich habe es bedauert, als er damals den VfB verlassen hat, zu einer Zeit, als ich noch mit einer gewissen Regelmäßigkeit zu den Spielen der U19 des VfB ging, die noch dazu häufig gute Ergebnisse und nicht selten sehenswerte Leistungen brachten. Die bekannte Entwicklung späterer Jahre liegt gewiss nicht daran, dass man damals Korkut ziehen ließ; meine Sympathie für ihn habe ich mir indes über die Jahre bewahrt und freute mich für ihn, als er als Cheftrainer in der Bundesliga anheuerte, mit zunächst gutem, später nachlassendem Erfolg.

Irgendwann nahm ich ihn dann eher als Ritter von der traurigen Gestalt wahr, eine Rolle, die er angesichts der Umstände des Trainerwechsels beim VfB nicht unmittelbar ablegen konnte: Er war ganz offensichtlich nicht die erste Wahl, sein Name weckte im Umfeld nicht die geringste Euphorie, sondern verstärkte im Gegenteil die aus der Entlassung herüber genommene Abwehrhaltung, und dass seine ersten medialen Auftritte im Vergleich zum rhetorischen Sonntagskind Hannes Wolf tendenziell verblassten, dürfte auch kaum jemand bestreiten.

Unabhängig davon habe ich mir, was selten genug vorkommt, das Video der Spieltags-PK vor seinem Debüt in Wolfsburg angesehen. Kein Auftritt, mit dem er uns alle in seinen Bann gezogen hat, gewiss, aber ein grundsolides, an der Sache orientiertes Auftreten, in dem er die eine oder andere Klippe erfolgreich umschiffte und die von den Medienvertretern erhofften Vergleiche zum Vorgänger vermied, oder dort, wo man einen Vergleich hineinlesen konnte, sich eben diesen verbat. Sehr interessant diesbezüglich folgende Ausführungen, auch und gerade, zumindest in meinem Kopf, vor dem Hintergrund mancher Diskussion um Handball-Bundestrainer Christian Prokop und dessen Arbeitsweise bei der zurückliegenden Europameisterschaft:

Wichtig, das kann ich sagen, ist, dass ich nicht zu viel Informationen an die Mannschaft weitergeben werde, versuchen werde, sehr, sehr viel zu sieben, also das heißt zu komprimieren, mit wenig Informationen sie auf den Platz zu schicken, weil einfach ich auch aus eigener Erfahrung gesehen habe, dass, wenn Druck da ist, dass zu viel Informationen auch wieder Verwirrung auslösen können.[…] Aber das hat nichts mit meinem Vorgänger, und auch nichts mit der Art und Weise, wie mein Vorgänger war, zu tun.”

 

Michael Reschke

Der Mann, der Jan Schindelmeiser abgelöst, Hannes Wolf weggeschickt und Tayfun Korkut geholt hat. Und dann haben wir noch nicht einmal über Spieler gesprochen. Noch Fragen?

Ok, im Ernst: Es fällt nicht ganz leicht, ihn zu mögen. Das liegt zum Teil an einigen der ex- oder implizit genannten Personalien, zu einem nicht unerheblichen Teil zudem an seinem Auftreten in der Öffentlichkeit, das im einen oder anderen Fall an den sprichwörtlichen Besucher eines Porzellanladens erinnert. Aktuell befindet er sich nach meiner Kenntnis auf medialer Schadensbegrenzungstour, und möglicherweise schlagen die PR-Verantwortlichen des Vereins, ganz oben angefangen, drei Kreuze, wenn der Schaden hernach zumindest nicht größer geworden ist.

Ich will nicht weiter auf den Trainerwechsel eingehen, ein paar Punkte habe ich oben angesprochen, aber was mich in den letzten Tagen tatsächlich irritiert hat, war der sogenannte Deadline Day. Seit Jahren wünschte ich mir, das Ende einer Transferperiode einmal völlig entspannt begleiten zu können, weil beim VfB diesbezüglich schlichtweg nichts zu erwarten ist. Nun, neulich war es so weit, und irgendwie hatte mir das anders ausgemalt. Keine Baustellen im Kader, so hatte ich es mir erhofft, weder auf den immer schwierigen Außenverteidigerpositionen noch im offensiven Kreativbereich, wo ebenfalls beinahe traditionell Bedarf besteht, keine akuten Lücken aufgrund bitterer Verletzungen, eher so dieses “Macht Ihr anderen ruhig mal, an der Mercedesstraße ist man bestens aufgestellt.”

Nun, ganz so war’s nicht, ehrlich gesagt. Vielmehr konnte ich nicht glauben, dass gerade angesichts der unmittelbar zurückliegenden verheerenden Auftritte in Mainz und gegen Schalke kein hinreichend dringender Handlungsbedarf gesehen wurde. Aber vielleicht wollte man dem neuen Trainer auch erst etwas Zeit geben, sich seinen Kader genauer anzusehen, was weiß denn ich?

 

Mario Gómez 

Klar freue ich mich. Kurz nach seinem Abschied gen München hatte ich ein “Bloggerinterview” gegeben, das der Betreiber des gastgebenden Blogs damals mit meinem Zitat “Gómez war eine Naturgewalt” überschrieben hatte, und ja, das traf meine Einschätzung ziemlich gut. Ich wünschte, er hätte in der Nationalmannschaft etwas mehr Fortune gehabt, auch etwas weniger Scholl, aber natürlich hatte auch er seinen Anteil an diesem Los. Meine Freude über seine Rückkehr war und ist enorm, wenn auch mit mehr als einem Wermutstropfen versehen, den der Abschied von Simon Terodde hineingegossen hat, aber wer braucht schon drei Ochsen?

Wenn ich aber ehrlich bin: Die Naturgewalt ist er bisher nicht wieder. Immer wieder ertappe ich mich dabei, von ihm Durchbrüche wie von jenem jungen Mann zu erwarten, dessen athletische Möglichkeiten grenzenlos schienen, und bin dann kurz enttäuscht, um wenige Sekunden später wieder festzustellen, dass er anderswo ein deutlich versierterer Fußballspieler geworden ist. Solange er trotzdem trifft, will ich mal nichts dagegen sagen.

Berkay Özcan

Ich habe ein bisschen Sorge, dass er ein Verlierer des Trainerwechsels sein könnte. Gewiss, es ist erst eine Partie gespielt, und ja, wir müssten dann auch über Chadrac Akolo reden. Bei Özcan schmerzte es mich ein bisschen mehr. Weil er aus der Region ist, Sie verstehen schon. Ernsthaft: Ich sähe ihn mittelfristig gern in zentraler Position beim VfB, vielleicht gar auf der Sechs, entsprechende taktische Fortschritte unterstellt. Im Moment allerdings sehe ich nicht recht, wo in Korkuts Elf sein Platz sein könnte. Vielleicht kann ich es auch nachvollziehen, wenn er im Abstiegskampf öfter mal außen vor bleibt. In der Hoffnung, und das kann ich nun wahrlich nicht einschätzen, dass der Trainer diese Sache gut moderiert. Wir haben nicht so viele Leute mit seinem Talent bei unserem Verein. Wie er den Ball behauptet mit seinen 19 Jahren. Wie er den Ball – manchmal, und viel zu selten – schnell macht. Und wie er arbeitet. Gefällt mir.

Erik Thommy

Eckstöße, halleluja! Möge es keine Eintagsfliege gewesen sein. Wenn das Herrn Reschkes Plan war: Chapeau! Aber Josip Brekalo vermisse ich trotzdem.

Wolfgang Dietrich

Vor ein paar Wochen habe ich ihn als Redner in einem völlig anderen Kontext erlebt. Was nicht bedeutet, dass er über etwas anderes gesprochen hätte, nein, da ging es schon um den VfB. Vielmehr stand der Rest der Veranstaltung unter einem ganz anderen Motto. Zahlreiche Referentinnen und Referenten trugen zu zahlreichen Facetten eines Gesamtthemas vor, waren häufig bestens vorbereitet und noch dazu wirklich gute Redner/-innen, die Themen waren spannend. Der VfB-Vortrag wirkte angeflanscht, Herr Dietrich hatte keine ausgearbeitet Präsentation im Gepäck, gab aber ein paar Einblicke in das Innenleben des Vereins und ging auf mediale Herausforderungen ein, plauderte über diesen oder jenen Transfer, ohne allzu viel Verve oder Esprit. Dem Publikum, das einem ganz anderen Lebensbereich zuzuordnen ist, war es egal. Es hing an seinen Lippen, applaudierte laut und lange, und die Selfiequote – der Präsident und ich! – beim anschließenden gemeinsamen Imbiss war bemerkenswert hoch. Der Mann ist wichtig. Dass ihn das nicht stört, mag ich ihm per se nicht verübeln. Da gibt es anderes.

Dennis Aogo

Instagram! Spielerfrauen-TV! Was weiß ich was alles! Außerdem Reschkerampe, Alibi-Fußball, you name it. Ok, sein Alibi-Fußball, der stört mich wirklich. Die Auswahl an Gelegenheiten, in denen der gemeine Zuschauer (hier: ich) die Chance wittert, den Raum sieht, in den er, Aogo, hineinsprinten könnte, um Gefahr über die linke Bahn zu erzeugen, oder wenigstens die gegnerische Defensive zu irgendeiner Art von Bewegung zu zwingen, die anderswo Möglichkeiten eröffnen könnte, und in denen er dann doch lieber stehen bleibt und absichert, oder, so er selbst den Ball am Fuß hat, ihn elegant mit der Sohle zurückzieht und nach hinten abdreht, das aber in einer lässigen Art und Weise, die früher auf dem Schulhof oder im Freibad bewundernde Blicke mit sich gebracht hätte, ist reichhaltig. Man könnte ein hübsches Youtube-Video damit füllen.

Er geht nicht ins Risiko. Vielleicht weiß er, dass er nicht schnell genug zurückliefe. Oder zumindest nicht oft. Und vielleicht ist das besser als ein Linksverteidiger, der zu oft ins Risiko geht. Vielleicht hat Hannes Wolf deshalb häufig – zu meinem Missfallen – auf Aogo statt Insua gesetzt, oder Aogo und Insua: Eben weil Aogo solide spielt, in der Regel verlässlich. Und auch, wenn er nicht gerade Elfmeter verursacht, immer wieder mal in brenzligen Situationen zur Stelle ist.

Eventuell teile ich diese Meinung nicht mit allzu vielen Menschen. Zumindest nicht mit VfB-Fans, scheint mir. Oder auch den Eindruck, dass seine Partie in Wolfsburg so schlecht nicht war. Er ist insgesamt nicht sonderlich beliebt, was an ihm ebenso liegen mag wie daran, dass er als Paradebeispiel eines Reschke-Transfers gilt, neben Andreas Beck, der aber eben nicht so auftritt wie Aogo und keine unverschämten Interviews gibt. Wie gestern, als er folgendermaßen zitiert wurde:

“Der Trainer hat nicht versucht, uns mit Informationen zu überfrachten. Das war der richtige Weg. Man merkt, dass er erfahren ist.“

Der Aufruhr war groß, was für eine Frechheit! Übles Nachtreten! Und natürlich lassen die Witze über seine geistigen Möglichkeiten nicht auf sich warten. Kann man natürlich mal machen. Oder man fragt sich, woher so eine Aussage kommen mag. Wie sollte er überhaupt auf so etwas kommen, mit seinen eingeschränkten geistigen Möglichkeiten? Vielleicht hat er es ja einfach nur jemandem nachgeplappert?

Am Ende gar dem Trainer? Wollte er sich bei ihm lieb Kind machen? Oder ihm einfach nur recht geben? Fand er vielleicht, dass die Strategie aufgegangen sei? Ich weiß es nicht. Ja, ich habe gezuckt ob des zweiten Satzes, dieses “Man merkt, dass er erfahren ist.” Fand ich nicht nett Hannes Wolf gegenüber. Mittlerweile glaube ich nicht mal mehr, dass dieser Satz ein Seitenhieb gegen Wolf sein sollte. Der erste sowieso nicht.
Aber ich bin halt auch eher so der leichtgläubige Typ.

Benjamin Pavard

Träumchen. Großartige Entwicklung. Aber wem sage ich das? Wäre schon schön, ihn noch ein Weilchen hier zu sehen. Auch nach Holger Badstubers abzusehendem Abgang. Der, also Badstuber, aufpassen muss, dass sein zur Schau getragenes Selbstbild ihm nicht irgendwann auf die Füße fällt.

No rage, no running. But still …

Öhm? Englisch? Und überhaupt? Running? Rage? Nee, nee. Nur eine Reverenz.

Das ging dann ja doch ein bisschen rasch, irgendwie. Der Advent kam, mit ihm wieder mal ein Kalender und ganz nebenbei ein neues Blog. Der Name ist geblieben, die alten Texte sind es auch, die Blogroll ist verschollen, kommt aber bestimmt wieder. Die Adresse hat sich ein bisschen verändert, die Optik deutlich, ohne dass ich so genau sagen könnte, was weshalb wie aussieht und wie es sich wie ändern ließe.

Der Adventskalender hat mir auch in diesem Jahr großen Spaß bereitet. Dies gilt  erfreulicherweise auch für eine in ihrer Größe nicht so genau einzuschätzende Gruppe, die vermutlich eine gewisse Affinität für sportgeschichtliche Ausflüge oder für Reimereien oder für Rätsel oder für Teile davon oder auch für alles miteinander eint. Ich war versucht, von einem Nischenpublikum zu reden, was aber selbstredend völliger Unsinn ist: Sie sind alles andere als ein bloßes Publikum, sondern vielmehr ganz entscheidender Bestandteil der “Show”, also dessen, woran ich so große Freude hatte.

Und weil eben dieser Adventskalender dann doch nicht nur eine gewisse Aufmerksamkeit inhaltlicher Art erfahren, sondern zudem einige Leute hierher geführt hat, die sich zuvor selten bis gar nicht in mein Blog verirrt hatten, spielten der Umzug und das neue Äußere kaum eine Rolle. Geschickt eingefädelt, so wurde ich weder in Diskussionen über Schriftgrößen und -farben verwickelt, noch musste ich mir Antworten auf die Frage nach dem Warum aus den Fingern saugen.

Doch wie das halt so ist: Die Frage stellte sich trotzdem. Will sagen: Ich stellte sie. Wieso bin ich mit meinem darbenden Blog umgezogen, weshalb habe ich mich gar im Rahmen meiner Möglichkeiten mit gestalterischen Fragen befasst, warum den Aufwand betrieben? Für ein Blog, das – so ehrlich muss man mit Blick auf das abgelaufene Jahr sein, so gnadenlos ehrlich sind die fabulösen Herren vom Vertikalpass dankenswerterweise auch gewesen – kaum mehr als einen Adventskalenderblogger beherbergt?

Nun, ich weiß es nicht. Vielleicht war es das Bestreben, dann doch wenigstens dem Adventskalender ein neues Kleid zu kredenzen, vielleicht der Wunsch, in höherem Maße Herr über die eigenen Daten (hier: Texte) zu sein, ganz sicher steckt zum Teil das Ansinnen dahinter, die hinter meinem Rücken außerhalb meiner Kontrolle durch WordPress platzierte Werbung loszuwerden, und vielleicht, ganz vielleicht ist es einfach nur ein letztes Aufbäumen. Sie kennen das: Die Beziehung siecht so ein bisschen dahin: Heiraten? Kind? Neues Kleid? Ok, Letzteres.

Vielleicht, ganz vielleicht wird dieses Blog ja doch noch einmal regelmäßiger befüllt. Vielleicht werden ja auch diese (oder gar jene) Fünfzeiler irgendwie eingegliedert, das neue Gewand ist schließlich recht großzügig geschnitten. Modular, quasi. Und möglicherweise geht’s einfach öfter mal wieder um was anderes. Nicht nur um den VfB Fußball Fünfzeiler und Sonette, sondern einfach um Dinge, die mir grade so im Kopf rumschwirren, die ich, hüstel, angedacht habe, ohne weitergekommen zu sein, Sie wissen schon, damals. Der Herr @_catenaccio macht das übrigens auch grade, gefällt mir. Und ich habe auch noch im Ohr, wie er mir vor einiger Zeit sagte, besser: schrieb, dass mein Blog seinem Namen früher auch mehr Ehre gemacht habe, oder so ähnlich. Und das wesentlich freundlicher, als es in meinen Worten klingen mag.

Ganz aktuell schwirrt mir zum Beispiel die Frage im Kopf herum, ob ich schon heute wieder anfangen soll zu twittern, oder erst morgen, oder in ein paar Tagen. Grade im Advent war es doch ein bisschen viel, und so zog ich mich unmittelbar nach Weihnachten erst einmal zurück – aus meiner besten, schnellsten, wichtigsten Informations- und häufig auch Inspirationsquelle. Ok, gelegentlich schaute ich rein, still, mehr oder weniger, mit gelegentlichen Herzchen als Lesenszeichen.

Dass der Beginn der Abstinenz just mit dem Start der Abstimmung über den Austragungsort des diesjährigen #tkdingens (mir geht der andere Begriff so schwer über die Finger) zusammenfiel, war eher kein Zufall. Den sich über Monate in Zyklen aufschaukelnden Wahlkampf empfand ich im besten Fall als ermüdend, in jedem als unnötig. Aber ich mag ja auch den Vergabeprozess vergleichbarer Großereignisse nicht, man denke an (nicht nur Fußball-) Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele und ihre Anforderungskataloge.

Dass ich dann auch nicht abgestimmt habe, mag mich bei Trainer Baade und dem Team des @tkschlaendle ein wenig in Misskredit bringen, aber nun gut. Meinetwegen könnte man den nächsten Austragungsort während des sonntäglichen #tkdingens-Katerfrühstücks über einer Deutschlandkarte auspendeln, oder das Los ebenda zwischen all jenen Orten entscheiden lassen, die Interesse signalisiert haben. Und wenn das Ergebnis lautete, dass wir zweieinhalb Tage lang in einer schäbigen Eckkneipe in Itzehoe, in Königsmünster oder Berlin miteinander reden sollen, hätte ich halt dort meinen Spaß mit vielen wunderbaren Leuten aus meiner Timeline, oder auch noch nicht aus meiner Timeline. Nun aber: München. Schön.

Einige wenige Male hatte ich in den letzten Tagen schon die Hand am Tweet. Die Gründe und Anlässe waren sehr unterschiedlicher Art, und in einem Fall schickte ich dann zumindest eine Direktnachricht, weil ich mich nicht nur dringend irgendwie artikulieren musste, sondern auch noch Verständnis ernten wollte, was im Kreis der mit mir Urlaubenden wesentlich ausführlicherer Erläuterungen als jener vier Worte bedurft hätte, die den Kern meiner Nachricht an @sport_thies ausmachten: “Ashton Eaton? Ashton Eaton!”

Womit ich doch schon wieder beim Adventskalender wäre. Weil Herr Thies dort stellenweise versagt hat. Weil ich mich dort etwas intensiver mit dem Mehrkampf befasst hatte, einige werden sich erinnern: André Niklaus, Bryan Clay und Sabine Braun versteckten sich hinter je einem halben Türchen, Sabine Everts, Torsten Voss und Christian Schenk waren ebenfalls in der engeren Wahl gewesen. Und natürlich sah ich mir ein paar andere große Athletinnen und Athleten an, Daley Thompson natürlich, Jackie Joyner-Kersee, Dan O’Brien, Erki Nool, Ghada Shouaa, die Tschechen um die Jahrtausendwende, die begeisternde Carolina Klüft.

Und am Ende blieb immer die Selbstverständlichkeit, die von Ashton Eaton ausgeht, jene Selbstverständlichkeit, mit der er ein gutes halbes Jahrzehnt lang wahrlich alles gewann, die Leichtigkeit, die Abwesenheit prätentiösen Gehabes – auch wenn diese, um der Wahrheit die Ehre zu geben, im Mehrkampf gewiss kein Alleinstellungsmerkmal ist. Ich wollte, dass das immer so weitergeht. Verlässlichkeit, Sie wissen schon. Küchenpsychologie, Ihr Einsatz! Und überhaupt: 45.00 über die 400! In einem Zehnkampf! Der letzte deutsche Spezialist unter 45 war Ingo Schultz, danach müssen wir in die 80er zurück, zu Schönlebe, Skamrahl, Weber et al.

Verzeihung, ich ließ mich ein bisschen mitreißen. Der Urlaub wirkt nach. Schön war’s. Wenig Schnee, viel Familie, auch viel leichte Lektüre. Erstmals las ich ein Buch von Sebastian Fitzek, einen geschenkten Gaul, sozusagen. Es mag an dem speziellen Werk gelegen haben, sein jüngstes, wenn ich nicht irre, aber aus eigenem Antrieb werde ich in absehbarer Zeit eher keines erwerben. Ein paar andere Sachen waren nicht der Rede wert; eine Menge Freude hatte ich indes zu meiner nennenswerten Überraschung mit und an Marc Hofmanns “Alles kann warten”, das eigentlich ziemlich viele Komponenten enthält, die mich im Regelfall abschrecken (Männer, die nicht erwachsen werden wollen; die Beschreibung ihrer Vertrautheit, die eigentlich nur im echten Leben funktioniert; fortwährende Musikzitate; etc. …), und wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich möchte mich zügig dem jüngsten Werk von Adrian McKinty widmen, das seit einigen Tagen unberührt auf meinen Lesegerät bereitliegt.