SIP #GPdlVSC –
Stuttgarter Kandidatenkür

Andernorts ist man schon weiter. Bei den Drittligisten läuft bereits das Halbfinale, auch zahlreiche (alle?) Zweit- und Erstligisten haben ihre Auswahl abgeschlossen. Aber gut, so ist das eben in Zeiten der Pandemie. Und im Föderalismus! In Europa! Ein jeder Regionalentscheid läuft nach eigenen Regeln und eigenem Zeitplan ab. Oder Verfügbarkeit der Programmdirektion. Technischen Möglichkeiten. Was auch immer, wie auch immer.

Vor einiger Zeit hatte ich um die Benennung von Kandidaten gebeten, SIP #GPdlVSC, Sie wissen schon, und nicht ganz überraschend war das Feedback im Blog überschaubar. Hinu kamen einige Benennungen bei Twitter, zudem im persönlichen Gespräch, was natürlich in Sachen Transparenz optimierungswürdig ist, aber nun gut, Pandemie, Föderalismus, Europa, Sie kennen das.

Nachfolgend also die gesammelten Werke, die in einer früheren Version mit hübsch eingebetteten Videos daherkamen, von denen sich aber nicht alle in eingebetteter Version abspielen ließen, und so gibt’s im Sinne der Chancengleichheit eben nur eine popelige Linkliste, was aber insofern irrelevant sein dürfte, als die geschätzten Lesenden ohnehin alle Kandidaten im Ohr haben, aus der täglichen persönlichen Playlist heraus.

  1. Das VfB-Lied
  2. Furchtlos und Troy
  3. Ein Stern (der über Stuttgart steht)
  4. Furchtlos und Treu
  5. Wenn Du mich fragst, wer Meister wird
  6. Stuttgart kommt
  7. Für immer VfB
  8. Rot wia Bluat, weiß wia Schnee

Die Reihenfolge ist eine rein zufällig entstandene, die jeweiligen Interpreten sind in der Regel den Videos zu entnehmen.

Nicht zur Wahl steht dieses Meisterwerk, mangels Vollständigkeit, mangels Video, mangels Hymnencharakter. Zudem sind vorgeschlagene Gesänge auf einzelne Spieler herausgefallen, schweren Herzens.

Nachfolgend also das Abstimmungswerkzeug, die Reihenfolge entspricht der obigen.
Bitte nur einmal abstimmen, Tricksereien mögen zu anhaltendem Juckreiz zwischen den Schulterblättern führen. Die Abstimmung läuft bis zum 7. September, 12 Uhr. MESZ.

 

Nächstes Jahr wieder!

 

In eigener Sache (I):
Natürlich kann niemand diesen Wettbewerb ernsthaft gewinnen wollen!

In eigener Sache (II):
Falls es technische Probleme geben sollte – dieses Blog ist schließlich ein bisschen eingerostet – bitte ich um einen freundlichen Hinweis bei Twitter (@heinzkamke) oder per Mail (blog @ heinzkamke .de).

In eigener Sache (III):
Wir haben jetzt ein Ergebnis.

SIP #GPdlVSC

Wie absurd! Da tut sich in diesem einstmals recht rege betriebenen Blog jahrelang überhaupt nichts, wenn man vom Special-Interest-Produkt (SIP) “Adventskalender” absieht, und dann kommt der Hausherr einfach so Mitte August mit einem Text um die Ecke, aber nicht etwa, um irgendwelche klugen, zusammengeklauten Gedanken über Fußball und Corona und die Gesellschaft, oder auch nur über den VfB Stuttgart, in die Welt zu tragen, nein, vielmehr geriert er sich als Handlanger eines noch spezielleren SIP: des #GPdlVSC.

GPwas? Ach, fragen Sie nicht! Es hat etwas mit Sankt Pauli zu tun. Dem Millernton. Der übrigens ebenfalls ein adventliches SIP am Start hat, aber das tut heute nichts zur Sache. Wo aber auch, und damit kommen wir zum aktuellen Thema, ein paar Herren am Ruder sind, von denen mindestens einer (Here’s looking at You, Maik!) für seinen, wie soll ich sagen, exquisiten Musikgeschmack bekannt ist.

Und weil man dortzustadte selten klein denkt, dreht man eben am ganz großen Rad und hat so ungefähr die ganze fußballnahe Welt dazu eingeladen, sich mit ihren Hymnen zu beteiligen, am Grand Prix de la Vereinslieder Song Contest #GPdlVSC.

Ja, der Name kann durchaus als Sinnbild verstanden werden für das ganze Konstrukt. Kompletter Unfug, wenn Sie mich fragen. Aber mich fragt ja keiner. Also, außer besagtem Maik. Der mit seinem Team regionale, ähem, Multiplikatoren braucht für sein SIP. Multiplikatoren wie zum Beispiel ein brach liegendes Blog, dessen Reichweite kaum noch messbar ist.

Dieser Maik hat mich also gefragt, ob ich für die Fanmusik beim VfB Stuttgart so ungefähr den Part übernehmen könne, den Barbara Schöneberger beim Contest formerly known as Grand Prix Eurovision de la Chanson Européenne für das deutsche Liedgut innehat.

Besagter Part besteht in unseren Fall in allererster Linie in der regionalen Vorentscheidung. Also in der Auswahl einer Komposition, die im Namen des VfB Stuttgart der Fans einzelner Anhänger des VfB Stuttgart ins Rennen um den #GPdlVSC gehen soll.

Hierfür bedarf es eines zweistufigen Verfahrens, das wie folgt ablaufen soll:
Zunächst darf ich alle Interessierten bitten, in den Kommentaren mögliche Kandidaten zu benennen. Dies sollte insofern ein Leichtes sein, als wir hier in Stuttgart auf gewisse Vorerfahrungen mit Song-Contests zurückgreifen können (Puh).

Gerne zitiere ich an dieser Stelle die Spielleiter vom Millernton:

“Wir hoffen hier natürlich auf die ein oder andere Überraschung, denn beispielsweise beim FC Bayern kann doch wohl bitteschön niemand ernsthaft „Stern des Südens“ bevorzugen, wenn es auch „Tage voller Sonne“ gibt?! Und auch beim FCSP wird es wohl eher nicht „Das Herz von St.Pauli“ werden, unser Favorit wäre ja wahlweise L.A.K. oder ein gewisser Herr Uhlmann, aber auch diese Entscheidung haben wir an ein anderes Medium delegiert, wir wollen ja möglichst unparteiisch sein.”

Überhaupt kann es nicht schaden, deren Ausführungen zum Wettbewerb durchzulesen.

Im zweiten Schritt, der um den 25. August herum beginnen soll, sofern sich der Hausherr bis dahin überlegt hat, wie er es technisch bewerkstelligen will und kann, ist dann wiederum die VfB-affine Lesendenschaft aufgefordert, unter den eingegangenen Vorschlägen, so denn welche eingegangen sind, einen Favoriten auszuwählen.

VfB-Affinität ist insofern ein Kriterium, als wir ja keine Verhältnisse wie beim #ESC mit seinen gekaperten Abstimmungen gutheißen können, ganz zu schweigen von einer Didi-Hamann-Bridge. Auch wenn derlei letztlich nicht zu vermeiden ist. Zumindest aber nimmt sich der Hausherr das Recht heraus, etwaige Vorschläge aus dem Fanmilieu möglicherweise konkurrierender Vereine gar nicht erst zur Abstimmung zuzulassen.

Aber wie gesagt: Das ist erst der zweite Schritt. Zunächst würde ich mich über Vorschläge in den Kommentaren freuen, nach Möglichkeit mit Link, um die jeweilige Einreichung anhören oder auch anschauen zu können.

In eigener Sache (I):
Falls es technische Probleme geben sollte – dieses Blog ist schließlich ein bisschen eingerostet – bitte ich um einen freundlichen Hinweis bei Twitter (@heinzkamke) oder per Mail (blog @ heinzkamke .de).

In eigener Sache (II):
Natürlich kann niemand diesen Wettbewerb ernsthaft gewinnen wollen!

 

Mors, Mors

Im Frühjahr 2015 erhielt ich eine E-Mail, in der mich jemand frug, ob ich einen Text zu einem Buch beitragen wolle, einem Buch über Fußball. Und Sprache. Begriffe der Fußballrhetorik. Ich wolle gern, antwortete ich, so ich denn in der Lage sei, einen hinreichend guten und dem Verständnis der Herausgeber entsprechenden Text zu verfassen. 

Wir mailten noch ein paar Mal hin und her, irgendwann hatte ich dann eine Version, mit der ich zwar nicht uneingeschränkt glücklich war, die ich aber nach meiner Einschätzung aus der Hand geben konnte, ohne mich zu blamieren. Also gab ich sie weiter, durchaus damit rechnend, eine mehr oder weniger freundliche Absage zu erhalten – die das seitens der Herausgeber aufgezeigte Prozedere auch vorsah. Allein: sie kam nicht.

Keine Absage. Auch keine Zusage. Keine Bitte um Geduld. Ich habe nie mehr etwas von der betreffenden Person gehört. Auch eine zumindest nicht unfreundliche Nachfrage meinerseits Monate später rief keine Reaktion hervor, und nach und nach verschwand der Vorgang in einer selten besuchten Sektion meines Gedächtnisses.

Und so war ich dann doch überrascht, als mich kürzlich jemand auf eben dieses Buch hinwies, das Anfang des Jahres offenbar tatsächlich erschienen ist. Ohne meinen Text, vermutlich. Völlig in Ordnung. Nur die Kommunikation, die war eher so mittel.

Da mein Text aber noch immer hier rumliegt, und weil sich in diesem Blog ohnehin viel zu selten etwas tut, nun, Sie wissen schon. Hier also ein Text aus dem Jahr 2015, dem man sein Alter an der einen oder anderen Stelle auch anmerkt, allein schon von den Namen her.

 

Wasserträger

Wasserträger. Ein Begriff, der uns beim Fußball – spielend wie schauend – seit Jahrzehnten begegnet. Begegnete, muss man heute vielleicht korrekter sagen. Vergangenheit. Abgeschlossen. Oder können Sie sich noch an Ihre letzte Begegnung mit dieser Spezies erinnern? Sprachen die Béla Réthys dieser Welt, oder zumindest unserer Fernsehlandschaft, in diesem Jahrtausend schon einmal vom selbstlosen Einsatz oder den unterschätzten Qualitäten eines Wasserträgers?

Und wenn ja: wie hieß er? Denn ist es nicht so, dass die meisten von uns, je nach Alter und fußballerischer Sozialisierung, diesen Begriff mit mindestens einem konkreten Spieler in Verbindung bringen? Herbert Wimmer zählt zu den üblichen Verdächtigen, gilt vielleicht gar als Hauptverdächtiger, Heinz Simmet war sein Pendant auf der anderen Seite des Netzer-Overath-Grabens. Spätere Exponenten heißen Wolfgang Dremmler, Steffen Freund, Claude Makélélé, Rolf Aldag oder Thomas Häßler.

“Moment!”, höre ich Sie sagen, und ja, Sie haben recht, doppelt: Häßler? Der Thomas Häßler? Der mit dem Zauberfuß? Ein Mann für die großen Momente als Wasserträger? Ja, in der Tat. Damals, in Dortmund, als Trainernovize Michael Skibbe dem nicht allzu wohlgelittenen Weltmeister immerhin Talent bescheinigte und Schnappschüsse des eine Wasserkiste tragenden Häßler mit der passenden Bildunterschrift versehen wurden. Vom Weltmeister zum Wasserträger, oder Variationen davon. Das Ausmaß des entstandenen Spotts, aber auch der von Häßler empfundenen Kränkung, wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die mediale Berichterstattung, sondern auch auf die Wertschätzung, die dem gemeinen Wasserträger in aller Regel zuteilwurde.

Und, gewiss: Auch Rolf Aldag passt nicht recht in die Reihe. Ein Wasserträger war er schon, par excellence und im Wortsinn sogar, nur nicht beim Fußball. Aldag fuhr Rad, wir erinnern uns, und trug seinen Teil dazu bei, dass der eine oder andere unter uns bis heute davon ausgeht, der Fußballbegriff des Wasserträgers habe seinen Ursprung im Radsport. Dort leisten die etwas weniger begabten Athleten Zubringerdienste für ihren Kapitän – darunter ganz konkret auch das Herantragen von Wasserflaschen –, auf dass jener, von derlei profanen Tätigkeiten befreit, explizit für die ganz großen Momente sorgen möge. Eine Erwartungshaltung, der Exponenten wie Ullrich oder Indurain, aber auch Netzer oder Zidane dann ja durchaus gerecht wurden.

Gut möglich, dass der Wasserträger tatsächlich aus dem Radsport herübergeschwappt ist, doch de facto ist der Begriff wesentlich älter als, sagen wir, die Tour de France – Wikipedia spricht von einem historischen Dienstleistungsberuf, seine Vertreter werden gelegentlich als niedere Arbeiter beschrieben. Zahllose religiöse Texte in diesem unserem Internet verweisen zudem auf die Hochzeit von Kana und das “Wunder der Verwandlung”, das die ungebildeten Wasserträger nicht sehen, nicht begreifen. Oder anders, heruntergebrochen und adaptiert: Wie sollte ein schnöder Wasserträger jene Wunder durchschauen, die beispielsweise eine deutsche Lichtgestalt oder ein niederländischer König auf der Höhe ihrer jeweiligen Schaffenskraft uns allen, Gläubigen wie Ungläubigen, auf dem Feld, den Rängen oder an den Bildschirmen schenkten?

Den Kontrast zu ihrer Kunst bildet das Wassertragen: eine profane Dienstleistung sei es, mitunter auch eine Zuarbeit. Aber, zweifellos, eine wichtige. Historisch gesehen, als sich das Wasser noch nicht selbstverständlich aus dem Hahn ergoss und lebensechte Wasserträger Abhilfe schafften – in Hamburg denkt man womöglich an Hans Hummel –, aber auch in unserem übertragenen Kontext, wiewohl weniger existenziell, im Peloton oder auf dem Fußballplatz – in Hamburg denkt man vielleicht an Jürgen Groh oder Wolfgang Rolff.

Womit wir beim heutigen Wasserträgerdilemma angekommen wären: Da, wo früher Namen wie Rolff, Groh oder Eilts standen, lesen wir heute Modrić, Alcántara, Busquets oder Touré. Oder, um auf der heimischen Scholle zu bleiben, Lahm, Gündoğan oder
Schweinsteiger. Wasserträger klingen anders, nicht wahr?

Natürlich ist das eine Zuspitzung, gewiss besetzen die genannten Spieler unterschiedliche Positionen und Räume auf dem Feld, und vor allem: auf unterschiedliche Art und Weise. Das Spiel hat sich gewandelt, die Rollen ebenso, die Anforderungen erst recht. Oder anders: Wenn Andrea Pirlo oder Xabi Alonso in einem taktischen Schema just dort verortet werden, wo sich klassische Wasserträger gemeinhin tummelten, dann liegt der spontane Quervergleich zu Guido Buchwald nur wenigen Beobachtern auf der Zunge.

Die Aufgaben, die ein “defensiver” Mittelfeldspieler heute erfüllt, haben zwar noch eine nennenswerte Schnittmenge mit dem Selbstverständnis von, sagen wir, Jens Jeremies; dass sie aber weit darüber hinausgehen, dürfte als Binsenweisheit durchgehen. Und dass mit den sportlichen Veränderungen auch ein sprachlicher Wandel einherging, wird ebenfalls niemanden überraschen.

Gut möglich, dass sich schon Jeremies nicht als “Wasserträger” bezeichnet hätte. Ging mir selbst ja auch so, einem um viele Größenordnungen unbegabteren Fußballspieler als Jens Jeremies, als ich Mitte der Neunziger “vor der Abwehr” spielte: Natürlich war ich ein Dienstleister für die Mannschaft, keine Frage, aber doch kein reiner Zuarbeiter für den großen Helden und seine strahlenden Auftritte, wo denken Sie hin?! Zumal wir damals alle unter dem Eindruck von Matthias Sammer standen, dem Libero vor der Abwehr, der erste Schritte unternahm, den deutschen Fußball wieder auf die Höhe der Zeit zu heben. Und dabei, wenn man so will, die Wasserträgerposition gleich mit vereinnahmte.

Der Wasserträger hat sich überlebt. Dass es ihn im heutigen Sprachgebrauch kaum mehr gibt, mag dem ehrenwerten namensgebenden Beruf nicht gerecht werden, dem Selbstverständnis des gemeinen Sechsers indes sehr wohl: Vermutlich sieht er sich, um noch einmal eine Anleihe beim Radsport zu nehmen, vielmehr als Edelhelfer. Mindestens.

Und das zu Recht. Es reicht nicht mehr, das Wasser zu reichen. Im Idealfall ist der Edelhelfer in der Lage, es auch gleich zu Wein zu verwandeln, zumindest aber sollte er in der Lage sein, es einzugießen und mundgerecht zu servieren.

Das Wunder der Verwandlung mag mitunter noch immer den einstigen Helden, den Nachfahren des Spielmachers klassischer Prägung, den Zehnern obliegen. So sie denn noch mitspielen dürfen. De facto müssen sie in zunehmendem und beträchtlichem Maße bereit sein, ihr Wasser selbst zu tragen. Und es gegebenenfalls zu teilen oder gar weiterzugeben. Wie einst Thomas Häßler.

“Videobeweis, Videobeweis!”

Den Zusammenprall zwischen Koen Casteels und Christian Gentner konnte ich aus meinem Blickwinkel nur schlecht erkennen, die Heftigkeit und den Ort des Kontakts lediglich erahnen. Was ich sehen konnte, war eine sehr rasche und dringliche Reaktion von Casteels, als er einen ersten Eindruck von der Schwere der Verletzung gewonnen hatte, seinen Schrecken, sein Bemühen um eine rasche Unterbrechung und Behandlung. Ich sah Spieler beider Farben, die ihn, von seinen Aktivitäten aufgeschreckt, darin unterstützten und sah letztlich zwei Mitglieder des medizinischen Teams des VfB, die die Erlaubnis, den Platz zu betreten, nicht abzuwarten schienen, sondern eigenmächtig zu Gentner eilten, und ein bisschen dachte ich dabei an Rugby, der Behandlung während des Spiels wegen, und was das doch in mancherlei Hinsicht für ein kluger Sport sei.

Was ich nicht sah: einen Schiedsrichter, hier Guido Winkmann, der auf die Situation reagierte. Oder einen Assistenten. Einen vierten Offiziellen. Oder irgendeinen Hinweis darauf, dass der Videoassistent schnellen Handlungsbedarf signalisiert haben könnte, worauf der Schiedsrichter dann reagiert hätte. Natürlich lässt sich das im Nachhinein leicht sagen. Es war nicht auszuschließen, dass Gentner nur simulierte, man führte ja, und dass Casteels aus irgendeinem Grund darauf hereingefallen sei, und hätte der Schiedsrichter dann den Konter unterbrochen, wäre er in Erklärungsnot geraten. Mag sein. Ändert in meinen Augen nichts daran, dass das Schiedsrichterteam, und ich glaube sagen zu können, dass ich derlei selten leichtfertig behaupte, dass also Herr Winkmann und seine Gehilfen in dieser Situation schlichtweg versagt haben und ihrer Verantwortung für die Gesundheit der Spieler nicht gerecht geworden sind.

Was ich auch nicht gesehen habe: Die große Wolfsburger Ausgleichschance kurz vor Schluss. Meine Augen waren bei Dr. Raymond Best (der bei Sport im Dritten zum Entsetzen meiner Frau wie Chandler ausgesprochen wurde, nicht wie Steylaerts oder Ceulemans), der noch einmal zurück zur Bank spurtete, nachdem Christian Gentner bereits auf der Trage das Stadion verlassen hatte. Kaum einen Blick hatte ich mehr für das Spiel, zu bedrohlich erschien mir das Ganze, zu geschäftig die Sanitäter, zu ernst wirkten einzelne Akteure, zu lebhaft waren die Bilder in meinem Kopf, davon ausgehend, dass es ja nur um Gentners Kopf oder die (Hals-)Wirbelsäule gehen konnte.

Offensichtlich war ich damit nicht ganz allein. Ein Herr im Nachbarblock, den ich seit längerem im Verdacht habe, der klügste Mann der Kurve zu sein, hing ebenfalls noch länger bei der Gentner-Szene fest. Wenn auch aus anderem Grund. “Videobeweis! Videobeweis!” krakeelte er, garniert mit einigen Beleidigungen für Schiedsrichter und Verband, sowohl während der Behandlungspause als auch nach der Spielfortsetzung, und speziell in der ersten Phase, als im Grunde alles die Luft anhielt, dachte ich ganz kurz, dass ich mich gerne einmal mit ihm über seine Prioritäten unterhalten würde, über Elfmeter, gelbe und rote Karten und möglicherweise lebensbedrohliche Verletzungen, was sie dann offenbar und glücklicherweise nicht waren, und ziemlich rasch wähnte ich mich wieder im Neckarstadion des Jahres 2006, als dem augenscheinlich schwer verletzten Bremer Torhüter Andreas Reinke nach einem unglücklichen Zusammenprall mit Martin Stranzl ein choreografiertes “Steh auf, Du Sau!” zugerufen wurde, für das ich mich, wiewohl nicht beteiligt, so geschämt habe wie niemals sonst in einem Fußballstadion.

Ich kam dann übrigens rasch wieder ab von dem Gedanken, mich mit ihm unterhalten zu wollen. Aber ja, so’n bisschen Empathie, das wär was. Völlig unabhängig von Schiedsrichterentscheidungen, von Vereinszugehörigkeiten und Animositäten. Aber ich schweife ab.

Das Spiel hatte übrigens Spaß gemacht. Santiago Ascacíbar spielte sich nicht ganz unerwartet in die Herzen der Stuttgarter Fans, Anastasios Donis begann wie einst Julian Green mit viel Zug nach innen, beweis dann aber, dass er im Gegensatz zu Green auch willens und in der Lage ist, außen vorbei zu gehen, Chadrac Akolo machte mit einer großartigen Aktion die ungelenken Vorläufer der ersten halben Stunde vergessen, und hinten hielt Benjamin Pavard den Laden zusammen. Ein andermal mehr.

Zidane schweigt, Rebiger nicht

Sie kennen das, nicht wahr? Man möchte noch schnell was schreiben, und eigentlich auch noch was zweites, ganz anderes, und ständig kommt was dazwischen, aber es ist einem ja wirklich ein Anliegen, beides, vielleicht könnte man das ja in einen Topf, Sie wissen schon, und eine hübsche Überschrift hat man ja auch schon, geklaut natürlich, aber schön, doch sie deckt den zweiten Teil nicht ab, und überhaupt passen die Inhalte ja eh nicht recht zusammen, aber, puh, gleich zwei Sachen veröffentlichen, muss ja auch nicht sein, ne, und, dann, tja, ach egal.

Vor ein paar Tagen hatte ich das Vergnügen, ein elektronisches Buch zu lesen. Der geschätzte Frédéric Valin (“Wäre ihr Spielstil eine Sprache, es gäbe keine Relativsätze, Adjektive nur an Sonntagen.” Über wen er das gesagt hat, in seiner EM-Vorschau? Schlagen Sie nach!) hat mir dieses Buch an die Hand gegeben, elektronisch, wie gesagt, aus der Elektrobibliothek, und ich wusste zwar ungefähr, worum es gehen und dass es mich interessieren, nicht aber, dass er mich bereits mit dem Titel komplett für das Büchlein einnehmen würde. Dieser Titel lautet eben, Sie mögen es geahnt haben, “Zidane schweigt”, auch wenn er, Zidane, wie auch im Text zur Sprache kommt, sich in mindestens einem Fall dann doch nicht daran halten konnte und reden musste, und vielleicht sollte ich hinzufügen, dass der Diminutiv “Büchlein” einzig und allein darauf hinweisen soll, dass es sich, wäre das Buch ein physisches, um einen eher dünnen, rasch zu lesenden Band handelt, keineswegs aber um leichte, gar seichte Kost.

Gut zu lesen sind seine Texte ohnehin, wenn man seinen Stil mag, und ich gebe zu, dass mir kaum Gründe einfielen, ihn nicht zu mögen. Inhaltlich sieht das schon ein bisschen anders aus, also zumindest dann, wenn man wie ich große Stücke auf Mario Gomez hält, aber das soll an dieser Stelle nichts zur Sache tun, denn in besagtem Buch geht es zwar auch um Fußball, ganz intensiv um Fußball, aber zum einen nur bedingt um deutschen Fußball und zum anderen auch weit darüber hinaus um eine politische und vor allem gesellschaftliche Komponente, die dem Autor ganz offensichtlich am Herzen liegt.

Frédéric Valin, der Name lässt es erahnen, ist nach eigenen Angaben “sehr französisch sozialisiert”, und so befasst er sich in “Zidane schweigt” mit dem französischen Fußball der letzten Jahrzehnte und in besonderem Maße seit 1998, seit jenem Sieg, den der Klappentext als “Beweis für ein Gelingen des Multikulturalismus in Frankreich” anführt und der auch den Ausgangspunkt des Textes darstellt. Frédéric begleitet diese französische Nationalmannschaft durch die folgenden Jahre bis hin zum Kulminationspunkt in Knysna, einem Ort, der im französischen Fußball einen Klang hat wie hierzulande Gijón oder Córdoba, tatsächlich aber weit über den sportlichen Aspekt hinausreicht – anders als die beiden genannten Tiefpunkte deutscher Fußballhistorie bezieht sich Knysna nicht auf ein konkretes Fußballspiel, sondern auf die verheerenden, großteils fußballfremden Geschehnisse im französischen Quartier während der WM 2010. Und nein, den Schlucksee akzeptiere ich nicht als Vergleich.

Knysna, so der Autor, war für die extreme Rechte, und damit sind wir also deutlich im politischen Bereich “ein Geschenk des Himmels”. Sie konnte die dortigen Vorgänge in ihrem Sinne deuten und auch rasch die öffentliche Wahrnehmung dominieren, in Frédérics Worten zeigten “die Medien ein Zerrbild einer Gesellschaft, die – so die Moral von Knysna – nicht funktionieren kann: eine voller Einwanderer, unterentwickelten Schulabbrechern, Leuten, die in den Straßenschluchten der Banlieues abhängen.”

Dieser Weg, von 1998 bis 2010, von ganz oben in einer keineswegs linearen Bewegung nach ziemlich weit unten, steht im Zentrum des Buches, mit viel Fußball, aber auch mit vielen gesellschaftlichen und politischen Betrachtungen, die deutlich weiter zurückreichen, zu Mitterrand, zu Tapie, und natürlich zum Aufstieg Jean-Marie Le Pens und seines Front National, und von dort dann wieder chronologisch nach vorne zur Ankunft von dessen Tochter in der Mitte der Gesellschaft.

Ich glaube, mich im französischen Fußball der letzten zwanzig Jahre ganz gut auszukennen, und auch gesellschaftspolitische Entwicklungen bei unseren Nachbarn verfolge ich stets interessiert. Dass dennoch mit der Zeit manches verloren geht, liegt auf der Hand, und auch vor diesem Hintergrund war es sehr aufschlussreich, sowohl sportliche als auch gesellschaftliche als auch politische Ereignisse nochmals vor Augen geführt, erläutert und eingeordnet zu bekommen. Dabei laufen die einzelnen Ebenen mitunter nebeneinander her, mit gelegentlich recht abrupten Themen- und Schauplatzwechseln, die einem Thriller zur Ehre gereichen würden; zum Teil werden aber auch von Anfang an die Querverbindungen zwischen Fußball bzw. ganz konkret der französischen Nationalmannschaft und der französischen Gesellschaft hergestellt. Besonders deutlich werden sie meines Erachtens etwa ab der Hälfte des Buches, wenn es verstärkt auf Knysna zusteuert und wenn der Autor, und damit der Leser, vielleicht auch schlichtweg von den Grundlagen profitiert, die im ersten Teil gelegt wurden.

Das Buch “Zidane schweigt” von Frédéric Valin ist im Verbrecher Verlag erschienen, und das, wie bereits erwähnt, ausschließlich elektronisch im Rahmen der neuen “Edition Elektrobibliothek” des Verlags. In dieser Reihe sollen künftig Romane, Erzählungen und Essais lebender Autorinnen und Autoren in ausschließlich elektronischer Form veröffentlicht werden. Ich habe keine Beziehung zu dem Verlag, bin aber Frédéric Valin bereits begegnet und schätze sein Werk sehr.

Eine andere Person, deren Werk ich sehr schätze, ist Herr Rebiger. Oder @rebiger, bei Twitter. Dieser Herr Rebiger hat sich zu meiner großen Freude und analog zur Weltmeisterschaft 2014 bereit erklärt, wiederum gemeinsam mit mir und interessierten Gästen das Turnier in Fünfzeilern zu begleiten: in der Doppelfünf.

Wir sind mit einer kurzen Historie der Europameisterschaften eingestiegen, haben dies und jenes kommentiert und zuletzt eine kurze Prognose zu den einzelnen Gruppen vorgelegt. Nun wird es Zeit, dass es losgeht, und wenn alles nach Plan läuft, sollte in den nächsten Wochen, Ausnahmen bestätigen die Regel, jedes Spiel der EM von mindestens zwei Leuten in je fünf Zeilen kommentiert werden. Vielleicht möchte ja jemand mal reinschauen und am liebsten auch noch mitreimen. Bei Twitter gibt’s uns unter @doppelfuenf2016.

Hier ein kleiner Vorgeschmack, ein Outtake sozusagen, der in der historischen Betrachtung einen Tick zu spät kam und unveröffentlicht blieb (die Sprachwahl ist hier dem Veranstaltungsort geschuldet, stellt aber eher die Ausnahme dar):

1996
Thanks to Shearer, they seemed on their way,
but Germany’s Kuntz countered: Nay.
Darren Anderton missed
So football (the twist!)
had come home, but the cup didn’t stay.