dingens

“Wahnsinn, diese Harmonie!”, sagte entrückt der nonkonformistische Anwalt, neben dem Kamke irgendwann eher zufällig stand. “Die kennen sich doch alle gar nicht”, fuhr der Mann fort, während Kamke gleichzeitig die deutlich unterschiedliche fußballspezifische Herkunft und Sozialisation ansprach, die einer derart rührenden Verbrüderung doch eigentlich entgegenstehen sollte. Ungeachtet dieser offenkundig unterschiedlichen Schwerpunkte stimmten Kamke und der Anwalt einander kurz zu und gingen ihrer Wege, noch nicht ahnend, dass sie am Ende der beinahe zweieinhalb Tage feststellen und zumindest einseitig bedauern würden, sich wieder einmal kaum miteinander unterhalten zu haben.

Die Reue war indes von kurzer Dauer. Gewiss, schön wär’s gewesen, aber so sei es nun mal, wie Kamke auch mit jener Dame erörtert hatte, deren Axt ein Ruf wie Donnerhall vorauseilte und die doch nur das ganze Wochenende über entweder selig lächelnd oder in inniger Umarmung mit vermeintlich wildfremden Menschen, oder aber, dritte Möglichkeit, in der Schnittmenge anzutreffen war: “Es liegt halt in der Natur der Sache. Unvermittelt gerät man aus einem sehr aufschlussreichen Dialog in eine andere, überaus erquickliche Unterhaltung hinein, die man dann nur …” “ … wegen eines total interessanten dritten Gesprächs wieder verlässt”, wie eine weitere Dame ergänzte, die als “Frau des Schiedsrichters” zu bezeichnen Kamke sich wohlweislich verkniff, der eigenen Identität wegen, “aber ziemlich eindeutig in der Aussage wäre es schon”, dachte der Gemahl von Frau Kamke bei sich, ließ die Sache auf sich beruhen und wandte sich einem weiteren hinreißenden Gespräch zu.

Früher hatte Kamke ja geglaubt, er komme des Fußballs wegen. Oder es zumindest so dargestellt, wenn man ihn frug, was es denn mit diesem Wochenende auf sich habe, diesem #tkdingens, dessen offiziellen Namen er nach wie vor nur unter Protest und körperlichen Schmerzen auszusprechen bereit war. Was ja auch stimmte – natürlich kam er des Fußballs wegen. Des Fußballturniers, der #coupedamour, deren oder dessen offiziellen Namen er nach wie vor noch nicht einmal unter Protest und körperlichen Schmerzen auszusprechen bereit war.

Und doch war es noch nicht einmal die halbe Wahrheit. Zum einen kam er in der Tat auch des anderen Fußballs wegen, jenes sogenannten großen Fußballs, der ihn überhaupt erst mit diesen ganzen Internetleuten zusammengeführt hatte. Die dann wiederum, seien wir ehrlich, den Hauptgrund darstellten. “Hand aufs Herz”, sagte Kamke zu sich selbst, “mit wem haste denn da wirklich über Fußball geredet, und wie lange?” Kamke fühlte sich ertappt. Beim Schiedsrichterquiz habe er sich ein paarmal gemeldet, brachte er vor, zudem irgendwann kurz über die Paranoia der HSV-Fans gelästert, aber das sei ja eher ein Hobby. Ach, und die Fachsimpelei über die Aufstellung an der Stadiondecke nicht zu vergessen!

Zum anderen, und nun hörte er sich selbst sehr deutlich “Jetzt mal Butter bei die Fische!” sagen, räumte er, leise und von sich selbst abgewandt nuschelnd, ein, dass es wohl doch “wgn dr Mnschn” sei. Doch so leicht ließ Kamke ihn nicht aus der Nummer heraus. Deutlicher solle er reden, lauter, verständlicher, ausführlicher sei auch nicht schlecht. “Na gut”, entgegnete er noch leicht zögernd, um sich dann doch auf den Tisch zu stellen und “Oh Captain, mein Captain!” zu rufen etwas deutlicher zu äußern:

“Es geht um die Leute, und nur um die Leute. Die fußballaffin sind, klar, und verrückt genug, wegen ein paar anderer fußballaffiner Leute durch die ganze Republik zu fahren, im Einzelfall sogar darüber hinaus bis zum #tkaustria. Vielleicht hilft die Gewissheit, in etwaigen unangenehmen Gesprächspausen jederzeit nahtlos zu Gijón, dem Meister der Herzen, Daniel Simmes’ Tor des Jahres oder Rivelinos Freistoß gegen die DDR übergehen zu können, allein: Es ist nicht nötig. Da trifft man Menschen, die man seit Jahren kennt, oder auch erst seit ein paar Wochen, und es tut nichts zur Sache, wie virtuell oder wie physisch dieses Kennen ist, und man redet über Gott (selten) und die Welt (schon eher), über sportliche Rivalitäten und Stalker, Tennis und Darts, Freude und Traurigkeit, über Jobs und [hier was mit hihi einsetzen] oder das Leben an sich. Das ist der #tkdingens, und ja, gekickt wird auch, und das ist ganz wunderbar, aber ein bisschen ist es auch egal, also zumindest das Ergebnis, und es ist erst recht egal, wo das Ganze stattfindet.”

Das gehe jetzt ein bisschen weit, sagte Kamke zu sich selbst, also erstens sein leicht schmieriger Tonfall, zweitens sein ach so hehrer olympischer Gedanke, und drittens und vor allem die Geringschätzung der Gastgeber. “Geringschätzung?!” entgegnete Kamke, “Welche Geringschätzung?” Au contraire!” (Seine Frankophilie trug er wie so oft auf der Zunge.) “Die Münchner haben das ganz wunderbar gemacht! Das Stadion war toll, bisschen später essen vielleicht, aber gut und egal, das Rahmenprogramm sei ebenfalls ganz wunderbar gewesen, hörte ich, und die #coupedamour war ja eh ein Träumchen. Guter Platz, das kann man ja ruhig mal zugeben, Duschen für sieben Spieler, und die Sache mit den gelosten Teams hat ja auch mehr als ordentlich funktioniert. Was ich nur sagen wollte und seit Monaten, ja Jahren, sage: Am Ende ist es völlig egal, wo das Ganze stattfindet. Der Ablauf ist dann vielleicht nicht immer und überall so perfekt wie in München oder Hamburg oder Köln, wobei ich das noch nicht einmal glaube, dieses Twitter kann verdammt viel und findet überall verdammt gute Leute. Ein Fußballplatz wird sich finden, ein Ort zum Feiern auch, Fernverkehrsanbindung wäre ganz hilfreich. Wäre schön, wenn der Ort für 2018 in diesem Geiste gefunden oder ausgewürfelt würde.”

Das habe er doch alles schon mal gesagt, also das mit der Ortsfindung, und es sei jetzt auch mal gut damit, hielt er sich selbst entgegen, und überhaupt solle er jetzt nicht länger um das verkackte Finale herumschleichen, das sei ja wohl ziemlich erbärmlich gewesen. Ob sie denn überhaupt einen Torschuss abgegeben hätten? “Nun”, relativierte Kamke, nicht ganz frei von einem gewissen Team- und Vaterstolz, “zunächst einmal haben wir das ja schon ganz ok gemacht bis dahin. Im Finale hat uns dann halt unser Gründungsmitglied, der Mars, an allen Ecken und Enden gefehlt, gerade mit seiner Schnelligkeit hätte er Löcher in die gegnerische Abwehr um den grätschenden Rebellen gerissen und …”

“Papperlapapp!”, gestand er sich selbst ein und bemühte noch nicht einmal mehr die vorab gestreute prophylaktische Verletzung als Ausrede: “Chapeau! MvJ ist MVP, wiewohl natürlich nur so gut wie die Mannschaft, die ihn dazu machte. Aber zwei Siege bei zwei Teilnahmen sind schon ein ziemliches Brett!” Er freue sich jedoch vor allem, so Kamke abschließend, dass auch in diesem Jahr wieder eine ganze Reihe erstmaliger Mitkicker am Start gewesen sei und setze darauf, dass diejenigen Debütanten, die nach dem ersten Spiel Forfait erklären mussten, ihre Vorbereitung für das kommende Jahr weiter optimierten.

Seine eigene Vorbereitung gelte indes primär dem #tkdingens: Es könne ja wohl nicht angehen, dass er am Ende der Tage feststellen müsse, mit viel zu vielen Leuten nur wenige Worte, wenn überhaupt, gewechselt zu haben. Nächstes Jahr werde das alles anders, versuchte er sich einzureden, und gluckste dabei hysterisch.

Quervergleiche

Allzu viele Länderspiele habe ich in meinem bisherigen Leben nicht gesehen. Also vor Ort, im Stadion. Immerhin, ein EM-Finale (verloren) und ein WM-Halbfinale (gewonnen, von Frankreich) waren dabei. Ein paar Qualifikationsspiele, darunter eines im Handball, einige wenige Freundschaftsspiele, mehr nicht.

Mein allererstes Länderspiel sah ich erst spät, im März 1995, im Stadion an der Lansdowne Road in Dublin. Irland empfing Frankreich und war dabei ziemlich chancenlos, was meinem irischen Umfeld zwar nicht so recht gefiel, letztlich aber gar nicht so viel mehr als eine Randnotiz blieb. Auf französischer Seite blieb mir in erster Linie der auffallend agile Émile Ntamack in Erinnerung, der einen Versuch legte und zwei Kicks verwertete – die beiden einzigen seiner Länderspielkarriere, wie ich den unendlichen Weiten des Internets entnommen habe.

Genau: ich war beim Rugby, hatte viel Spaß und wenig Ahnung, und genoss die Atmosphäre. Und ja, ich zog schon damals den Quervergleich zum Fußball, ungefragt, quasi. Man sang, feuerte an, war friedlich – sowohl im Stadion als auch hinterher beim gemeinsamen Feiern. Klingt wie aus einer klischeebeladenen Sportsendungsfilmchen über Irland, oder Rugby, oder beides, und entsprach damals exakt meiner Wahrnehmung.

Den Großteil des Abends verbrachten wir im Jurys Hotel, wo eine ziemlich große franko-irische Party stattfand, deren Hauptattraktion in meiner spärlichen Erinnerung darin bestand, dass ein französisches Mitglied unserer Gruppe Éric Cantona täuschend ähnlich sah und sich regelmäßig leicht alkoholisierte Iren huldigend zu seinen Füßen warfen. Anhänger von Crystal Palace waren wohl nicht zugegen.

Zu jener Zeit hatte ich mich, man muss es wohl so sagen, vom Fußball ein bisschen entfremdet, nicht vom ehrlichen eigenen Fußball, wie ihn Martin Harnik so gerne erlebt, sondern vom anderen, großen. Die WM 1994 mag ihren Teil dazu beigetragen haben, andere Sorgen und Freuden junger Leute übten zudem Einfluss auf die Prioritäten aus – eine dieser Freuden war es schließlich auch gewesen, die mich damals hin und wieder gen Irland reisen ließ.

Und in meiner selbstgewählten Distanz war ich gewiss auch ein bisschen empfänglicher für die schönen Seiten des Rugbysports, Sie wissen schon, die Körperlichkeit, die rohe Fairness, der ausgeprägte Teamgedanke, der Respekt für die Schiedsrichter, … ach nein, vergessen Sie Letzteres, das nahm ich damals im Grunde gar nicht wahr.

Ob ich schon Fan gewesen sei, bevor Rugby cool war? Nun, zum einen war es immer cool, mancherorts, was eine billige Antwort ist. Zum anderen: nein. Klar, ich hielt mich fortan stets ein bisschen informiert, verfolgte die Turniere, und wenn mal was im Fernsehen kam, zu erträglichen Uhrzeiten, dann hab ich’s mir auch angesehen. So oft wie in diesem Jahr dürfte ich indes noch nie geschaut haben. Gemeinsam mit meinem Sohn, der eine gewisse Begeisterung entwickelt hat. Ohne dass ich ihn gleich im Verein angemeldet hätte. Aber ein Fan? Nein, das wäre übertrieben. Dafür kenne ich nicht mal die Regeln gut genug.

Wie auch immer: schön war sie, die WM. Und hübsch, wie sie auf Twitter begleitet wurde, offensichtlich von Menschen mit sehr unterschiedlich detailliertem Vorwissen. Regelfragen spielten eine Rolle, natürlich, die medizinische Betreuung während des Spiels, gelegentlich optische Aspekte, dann die Anlaufrituale der Kicker, … ok, das war ich, und nicht bei Twitter, sondern bei den Fünfzeilern:

Ein Anlauf-Ästhet aus Funchal
habe gestisch und mimisch nen Knall?
Guckst Du Rugby, mein Digga!
Ow’n Farrell und Dan Biggar!
CR Sieben? Ein harmloser Fall.

Womit wir erneut bei einem zentralen Element der Rugbybeobachtung wären: dem Fußball-Vergleich. Den ich damals, 1995, auch zog, ich hatte es angedeutet. Der nicht überraschen kann in einem vom Fußball geprägten und mit Rugby noch ein bisschen fremdelnden Umfeld, das manches noch einordnen muss.

Aber ganz ehrlich: beim zehnten Loblied auf den respektvollen Umgang mit den Schiedsrichtern wurde ich ganz allmählich porös, beim siebzehnten Hinweis auf die zum Glück fehlende Schwalben(un)kultur standen meine Ohren längst auf Durchzug, und der Begriff “Videobeweis” blieb bei Twitter schon ziemlich früh in meinem Filter hängen.

Gewiss, es ist vernünftig, sich anzusehen, was in anderen Sportarten vielleicht besser läuft, unabhängig von Bernhard Peters. Ich bin weit davon entfernt, ein Plädoyer für Schwalben oder Rudelbildungen zu halten. Aber manchmal nervt der ständige Querverweis, in seiner Häufigkeit, in seiner Penetranz. Den geschätzten Herrn @nedfuller hat es möglicherweise auch genervt, wenn auch mit anderer Schlussfolgerung:

Fairness. Sportsgeist. Super. Sieht man beim Rugby, und ja, es gefällt. Wieso ich dann nicht mehr Fußball schauen sollte, erschließt sich mir nicht. Da bin ich gerne inkonsistent. Wie in vielen anderen Lebensbereichen auch. Rugby ist großartig. Fußball ist anders. Regeltechnisch, meinetwegen auch moralisch. Fußball ist großartig.

Und so war es mir eine große Freude, am Tag nach dem WM-Finale ins Fußballstadion zu gehen, mich über Fouls, Schwalben und Zeitspiel zu echauffieren, den Schiedsrichter in seiner Kartenvergabe für einseitig zu halten und dies auch kundzutun, und fast hatte ich ein bisschen Mitleid mit Darmstadts Luca Caldirola, den beim Torjubel ob seines vor der Linie abgewehrten Kopfballs erst nach einigen Sekunden die Erkenntnis ereilte, dass diese verdammte Torlinientechnik jeden Versuch, die Entscheidung des Schiedsrichters zu beeinflussen, obsolet machte.

Ansonsten bot das Spiel zunächst einmal das, was man erwarten durfte: einen Sieg gegen den Aufsteiger aus Darmstadt. Einen Torwart, der wieder einmal einen Elfmeter verursachte und sich außerhalb des Strafraums in Platzverweisgefahr begab. Vor Ersterem schützte ihn rückwirkend der Linienrichter, vor Letzterem die Kombination aus Körperbeherrschung und einem Vernunftschub. Und so wurde er in der zweiten Halbzeit zu dem Mann, der den Sieg in bemerkenswerter Weise festhielt. So kann’s gehen.

Erwarten durfte man auch die Rückkehr der beiden planmäßigen Sechser, die auch mal Achter sein mögen, der Herren Gentner und Dié. Doch Daniel Schwaab streckte den Kopf heraus und rief “Ich bin schon daa-ha!” So kann’s gehen. Also suchten sich die beiden neue Betätigungsfelder, etwas weiter außen, was insbesondere Serey Dié nicht sonderlich gut bekam (drüben beim Vertikalpass sahen sie eher Gentner in einer zu schwachen Rolle). Mir war er viel zu weit rechts, mal beim Verteidiger, mal als verkappter Außenstürmer, aber mit viel zu wenig Einfluss auf das Spiel und seiner Stärken in der Balleroberung beraubt. Vom erneuten Platzverweiswunschverdacht gar nicht zu reden. Das war nix. Also das andere nix, nicht gar nix. Aber nicht das, was ich von ihm erwarte.

Der Gedanke, dass sich Daniel Schwaab auf der Sechs festgespielt haben könnte, zählt nicht zu meinen liebsten. Auch wenn er sich gegen Darmstadt solide zeigte. Vermutlich wird der Trainer aber zumindest am Samstag in München noch daran festhalten. Und nein, ich wünsche mir nicht, dass er auf bittere Weise vorgeführt wird.

Vielmehr hoffe ich, dass Timo Werner und Filip Kostić nach diesem Spiel einen prominenteren Platz auf dem Münchner Einkaufszettel einnehmen werden. Was ein zweischneidiger Gedanke ist. Weiterhin wage ich zu hoffen, dass man hernach von einer erfolgreichen “Reifeprüfung” der Innenverteidigung sprechen wird. Dass Insúa seine Leistungen bestätigt, Klein aber nicht. Dass Tytoń und Dié durchspielen dürfen, Werner aber in der 88. mit Sprechchören der Fans und Kusshänden des Trainers verabschiedet wird.

Und dass dem Schiedsrichter respektvoll begegnet wird, selbstredend.

Reminiszenz. Ein Kommentar.

Die rührenden Fußballkulturattachés des “Spielbeobachter” haben mal wieder einen rausgehauen. Ich sag’s, wie’s ist: da krieg ich Plaque. Einen verklärend verklärten Friedefreudeeierkuchentext über damals™ bieten sie uns, so’n Interview mit nem Mitläufer, der irgendwo mitgespielt hat. Der Name wird gar nicht so recht genannt, könnte sein, dass das der Mars ist, ich weiß es nicht so genau. Weiß das vielleicht einer von Euch, ist das der Mars, ja? Na ja, wie auch immer, dieser Typ schwelgt halt so’n bisschen in Erinnerungen von irgendeinem Tunier (ja, so schreibt er das, scheint irgendwie so’n Running Gag zu sein, den wahrscheinlich mal wieder nur die eingeweihte Generation versteht und sich dabei wahnsinnig elitär vorkommt), das er mal gewonnen hat. Kann ich hier eigentlich irgendwo Formatierungen vornehmen? Ziemlich beweihräuchernd (Wunderelf!), das Ganze, mit passender Bildungsbürgerüberschrift, aber das nur am Rande, und dann hängt der Typ auch noch voll die Bescheidenheit raus, er sei nur ein Mitläufer gewesen und so, total Eckel-Style, aber das erste Tor, das habe er schon geschossen, dabei weiß sogar ich, dass das wirklich historische erste Tor der Gunnar geschossen hat, aber na ja, er hat ja sonst nichts. Freut sich halt, wenn alle fünf Jahre wieder irgendein Fußballkulturmagazinredakteur vorbeikommt und nach seinen fünf Sekunden Ruhm fragt. Die anderen, dieser Reese, von dem er da immer spricht, und der Collina – geile Story übrigens, der hat dann ‘n bisschen Fitness trainiert und wurde ein total bekannter Schiedsrichter, und der Reese war sein Manager, oder so –, die haben da keinen Bock drauf, sind nicht so subtil mediengeil, glaube ich. Dabei waren die die, die das Ganze ins Rollen gebracht haben. Waren wohl auch für die Outifts zuständig, ja, so annikekrahnmäßig, ja, Annike mit langem i, genau, war total oversized, das Ganze. Ob ich mich informiert habe, oder woher ich das alles weiß? Ja, ich habe mich informiert, wurde ja alles geperiscoped, damals, so neugierig hat er mich dann doch gemacht, dieser Typ, von dem ich glaube, dass er der Mars ist (ist er doch, oder?), und ey: das war so’n totales Spaßtunier (siehste, jetzt schreib ich auch schon tunier), kurz ‘n bisschen gehyped, aber eigentlich doch eher Low Key, bolzplatzmäßig, und dann kamen die an mit ihren schnieken Trikots, aber passte vielleicht ganz gut zu ihrem Namen: Reesenball Felge, oder Felgen, die sind sich da nicht so ganz einig, glaube ich. Die Reminiszenz (ja, das Wort hab auch ich schon mal gehört) an die damaligen Brausekicker in Verbindung mit nem Kultvereinskickerkosenamen hatte was, das geb ich ja zu. Für einheitliche Hosen hat’s dann schon nicht mehr gereicht, der Mann, der vielleicht der Mars ist, spielte gar in geliehener Ausrüstung, was das klickjagende Magazin in seiner Tränendrüsenstory unerklärlicherweise außen vor ließ. Wobei die ja ohnehin einiges weggelassen haben. Wo kann ich denn wenigstens Absätze einfügen? Wer sich die Aufnahmen genau ansieht, insbesondere die zugegebenermaßen ziemlich lässigen, über dunkle Kanäle aufgetriebenen Fotos der damals außerhalb der Szene noch nicht so bekannten Frau @rudelbildung, erkennt schnell, dass da ja doch einiges im Argen lag. Die ganze geile Pyroscheiße, die der Typ (Ist das echt der Mars?) so nebenbei als nette Spielerei abtut, der Hass auf den Rängen, die Pöbeleien – gewiss, man muss diesen Ralle nicht unbedingt mögen, auch wenn vieles dafür  spricht, vom selbstgefälligen Kamke gar nicht zu reden, aber was da auf die Spieler einprasselte, ist mit “menschenverachtend” nur unzureichend beschrieben. Früher war gar nicht alles gut. Na ja, immerhin hat die Felge den Gegendenmodernenfußballtypen, aus Hamburg, glaube ich, mit seiner Jubelpose dann wenigstens mal kurzzeitig zum Schweigen gebracht. Aber lässig waren sie schon, die Pyromanenden, und überhaupt: Riesenpublikum! Seine Mitspieler brachte der Felgenmann übrigens auch zum Verstummen, als er, Verklärung my ass, eine wahrhaft ansehnliche Kerze schlug, um sie dann sogleich mit dem Hinterkopf ans eigene Lattenkreuz zu nageln. Was sie zudem unter den Tisch kehrten, unsere puristischen Fußballjournalismusästheten, war das  Bohei, das um das Tunier herum aufgezogen wurde. Hier eine Lesung, da eine Cocktailverkostung, dort ein Vortrag,  dazwischen Networking, Food & Beverages, und das kann mir keiner erzählen, dass das alles nur dieser eine Typ, dieser Dominik, den ich auf der Veranstaltungswebsite mit Stefanraabhumornamen fand, auf die Beine gestellt hat, und ja, ich bin neidisch, weil das alles wohl wirklich ziemlich geil war, aber lasst mich. Da will ich dann doch lieber noch kurz was zu Jay-Jay sagen, dem Benjamin der Reesenball Felgen. Der hat sich auch irgendwo im Netz zum Tunier geäußert, wohltuend, geradezu. Da sind keine Schnörkel drin, da schaut keiner “in die Ferne den Erinnerungen hinterher” (Alter!), da steckt auch keine falsche Bescheidenheit drin. Er war der Kapitän, er war es gewohnt zu gewinnen, und seine Mannschaft hat geliefert. Der Reese, der Collina, der Ralle, der Abstauber, der Nember – der teamintern, wie man hört, gerne mal völlig zu Unrecht als Facility Manager verunglimpft wurde – dann Teqqy de Beer im Tor, schließlich Istdasdermars und besagter Kamke. Bemerkenswert natürlich auch der Kontrast zwischen dem getragenen, fast melancholischen Interview mit dem (gepeppten?) Mars auf der einen und den ausgelassenen zeitgenössischen Aufnahmen auf der anderen Seite. Collina im harten, genussvollen Clinch mit dem Torwart der Gegenseite, Reinsch oder so ähnlich heißt er, einige andere auf bedrückenden Bildern, die deren Probleme offenbaren, sich überhaupt auf den Beinen zu halten, dazu Collina und Kamke beim achtstündigen erfolglosen Lattenschießen – hätten sie besser mal Arne mit dazu genommen –, dann Jay-Jay, klar, beim nachgerade historischen (Mist, jetzt haben sie mich) Abklatschen, dazu natürlich Schwalbenmars und Reeses Unbeherrschtheiten. Im Umgang mit Schiedsrichtern sei er halt nicht so geübt gewesen, hieß es. Ach ja, die Schiris. In mindestens zwei Spielen trugen sie Trikots in Mannschaftsfarben, auch so eine Sache, die der Spielbeobachter in seinem rosaroten Rückblick schlichtweg ignoriert, und gegen Flitzer ließen sie die nötige Härte vermissen. Immerhin: ihre eigentliche Aufgabe erledigten sie souverän, trotz gelegentlicher kniffliger Situationen aus den Graubereichen des Regelwerks. Ich denke an mannschaftsübergreifende Verbrüderungsszenen, fortgesetzte Beinschüsse von diesem Reinschtypen, und nicht zuletzt an Fouls mit Verletzungsfolge, die allerdings von Pfosten und Kunstrasen begangen wurden. Chapeau an die vergleichsweise unparteiische Troika! Ich hab dann noch ein bisschen recherchiert, wie das mit dem Tunier weiterging. Handelte sich schließlich um einen Wanderpokal, von dem man zwar weiß, dass Wolfgang Jay-Jay Schäfer die Nacht mit ihm verbrachte, der dann aber nie mehr in den Internetzen auftauchte. Gerüchten zufolge wurde er im Jahr darauf mal noch in Itzehoe gesichtet, doch verlässliche Aussagen liegen nicht vor. Das wäre doch mal ne Sache gewesen, die die süßen Spielbeobachter-Schreiberlinge ihren Gast hätten fragen können, anstatt ständig nur drauf rumzureiten, ob das denn wirklich der Mars sei. Wie, ob ich den Link zum Text habe? Zu diesem verklärenden, in Engelbert’scher Weichzeichneroptik gehaltenen Rührstück? Nicht Euer Ernst, oder? Aber ok, wie Ihr wollt, macht Euch halt einfach ein eigenes Bild, und zugegeben, ich meine, was man dem Spielbeobachter lassen muss, ist, dass die schon sehr geil schreiben dort. Ermittler-Style, haben die einen gesagt, ich kann das nicht so ganz nachvollziehen, habe eigentlich nur einen – sehr aktuellen und absolut großartigen – Ermittler-Text vor Augen, der i
n diesem Spielbeobachter-Style gehalten ist, aber ist ja auch egal. Schaut’s Euch mal an, nehmt ihm die Bescheidenheitsnummer einfach nicht ab, habt die Verklärungsmasche im Hinterkopf und den Spaß im Vordergrund. Was er noch dazu wirklich gut kann: Absätze und so. Kann man hier eigentlich auch Absätze, vielleicht mit html oder so? Vielleicht könnte der Admin ja bei Gelegenheit? Wenn Ihr aber wissen wollt, wie’s wirklich war, dann lest schlichtweg bei Kapitän Jay-Jay nach, ja? Oder das Interview mit diesem Ralle, der wohl schon ein ziemlich dufter Typ ist – haben auch die anderen Reesenballer so erzählt, hörte ich. Aber genug geredet. Plaque wegputzen, weitermachen.

Urlaubsgeblubber

Es ist Sonntag, der 24. Mai, ich sitze in einem Zug der Bayerischen Oberlandbahn und habe gerade ein paar Zeitungen und Onlineportale durchstöbert. Die Stippvisite in der Hauptstadt des Freistaats war lang genug, um den einen oder anderen freudetrunkenen jungen Mann in rotem Trikot und mit gut geölter Stimme am Hauptbahnhof deutlich zu vernehmen, aber auch kurz genug, um die Stadt rechtzeitig vor den angekündigten Feierlichkeiten, über deren vermutete Intensität viel zu viel zu lesen ist, wieder zu verlassen.

Die Twitter-Timeline verlinkt Videos mit Christian Streich, deren Wortlaut ich weitestgehend bereits aus den Zeitungen kenne, und spricht von “Pipi in den Augen”. Es ist eine glückliche Fügung, dass die Netzabdeckung grade ziemlich bescheiden ist und ich nicht in die Verlegenheit kommen kann, im Zug mitzuheulen. Ganz davon abgesehen, dass meine bauliche Nähe zum Wasser nicht zwingend an bestimmte Personen gebunden ist und wohl auch bei mir weniger sympathischen Akteuren zum Ausbruch kommen könnte, geht mir Streichs Traurigkeit sehr nahe.

Ja, ich schätze und bewundere ihn. Manchmal rege ich mich auch über ihn auf, seine Verschwörungstheorien sind so volkstümlich wie ermüdend, seine Schiedsrichterkritik zu offensichtlich von hinten durch die Brust ins Auge, um noch in das gerne vermittelte Bild des sympathischen Underdogs zu passen. Des Vereins, wohlgemerkt, nichts Streichs selbst. Mag sein, dass auch er gelegentlich der Versuchung erliegt, Erwartungen erfüllen zu sollen, noch einmal einen Tick kauziger wirken zu müssen. Oder zu wollen. Von einem vermittelten, vielleicht gar inszenierten Bild zu reden, käme mir bei ihm indes nicht in den Sinn.

Im Gegenteil: ich hege keinerlei Zweifel daran, dass er bei all dem, was er tut, in Interviews, in Presekonferenzen, am Spielfeldrand sowieso, meinetwegen auch in den letzten Spielminuten auf der Tribüne, sehr nah bei sich selbst ist. Er glaubt wirklich, dass sich die bösen Mächte des Fußballs, zu denen eben manchmal auch, zumindest für ein paar Minuten, die Schiedsrichter zählen, hin und wieder gegen seine Buben verschworen haben, und dass es seine ureigene Aufgabe ist, ihnen entgegenzutreten.

Er ist aufrichtig fassungslos, wenn alle nur über den vermeintlich den Wettbewerb verzerrenden Gegner reden, statt über die Leistung seiner Mannschaft. Und ich wage zu vermuten, was ein wenig dem Pathos des Augenblicks geschuldet sein mag, dass ihn die Zweifel an der Integrität seines Gegenüber stärker treffen als die implizite Geringschätzung seiner Arbeit.

Ja, der Freiburger Abstieg hat mich auf dem falschen Fuß erwischt. Ich finde, dass der Sportclub, nicht nur in der Person von Herrn Streich, der Liga gut zu Gesicht steht, und bin einigermaßen perplex, dass sie ihre gute Ausgangslage am letzten Spieltag mit einer allem Anschein nach mittelprächtigen Leistung aus der Hand gegeben haben, zu deren tiefstem Tiefpunkt sich ein geradezu groteskes Eigentor, Verzeihung, aufschwang.

Mir ist schon klar, dass, wer nach 34 Spieltagen auf einem Abstiegsplatz steht, dort auch hingehört, schließlich trage ich diese Überzeugung fast mantraartig vor mir her; doch ich hielt es schlichtweg nicht mehr für denkbar, dass Freiburg dort hingehören könnte. Tja. Es wären bis zuletzt Konstellationen vorstellbar gewesen, die ich weniger bedauert hätte.

Recht hübsch finde ich in diesem Zusammenhang Christoph Kramers Bonmot, wonach sich Glück und Pech im Fußball ausgleichen, nur in Freiburg nicht. Nicht dass ich seine Aussage unterschreiben würde, aber ich finde sie sympathisch. Und es spricht für Herrn Kramer, wie in meinen Augen überhaupt nach wie vor vieles für Herrn Kramer spricht, auch wenn die öffentliche Meinung da heute eine etwas andere sein mag als noch vor einem Jahr, dass er sich als quasi Unbeteiligter so äußert.

Überhaupt finde ich, dass sich der eine oder andere Protagonist am gestrigen Tag in angenehmer Art und Weise geäußert hat. Sei es beispielsweise Michael Frontzeck, nicht unbedingt einer meiner Lieblinge, der behut- und einfühlsam über den Abstieg des Gegners aus Freiburg sprach, oder sei es auch Christian Gentner, der sich in Paderborn angesichts der Konstellation vor Ort in angemessener, reflektierter Zurückhaltung übte. Gewiss: in Paderborn können sie sich weder von dieser Zurückhaltung etwas kaufen noch davon, dass man landauf, landab Sympathien für sie hegt und ihnen – jetzt, da die eigene Mannschaft gerettet ist und nichts mehr geschehen kann – den Klassenerhalt schon irgendwie gegönnt hätte, beispielsweise anstelle des gemeinsamen Tabellennachbarn.

So aber scheint denkbar, dass der SC Paderborn langfristig nur eine nette, sehr lesenswerte Fußnote in der Bundesligachronik bleiben wird, eine hübsche kleine Geschichte eines hübschen kleinen Vereins, der das Pech hat, seine sehr anständigen 31 Punkte in einem Jahr gesammelt zu haben, in dem sie nicht einmal zu Platz 17 reichten, geschweige denn – wie im Jahr zuvor – zum direkten Klassenerhalt.

In jenem Jahr qualifizierte man sich mit 27 Punkten für die Relegation. Heuer sammelte der Hamburger SV sage und schreibe acht Punkte mehr – und darf sie dennoch erneut bestreiten. Und ja, “dürfen” erscheint mir als das passende Hilfsverb, denn trotz einer letztlich beachtlichen Punktzahl unter dem möglichen Retter Bruno Labbadia sprach vor dem letzten Spieltag außer der bedenklichen Figur, die ihr Gegner zuletzt abgegeben hatte, nicht sonderlich viel für den HSV. Zu viele Akteure mussten andernorts mitspielen, zu präsent war mein Eindruck, dass auch der HSV zuletzt eine bedenkliche Figur abgegeben hatte. Wir werden sehen, wie sie sich nun gegen einen Zweitligisten schlagen, der den aus der letztjährigen Relegation nach meinem Dafürhalten deutlich in den Schatten stellt. Aber nach meinem Dafürhalten konnte Freiburg ja auch nicht mehr absteigen.

Die aufmerksame Leserin wird festgestellt haben, dass zwischenzeitlich ein paar Stunden ins Land gezogen sind. Die Zweitligasaison ist abgeschlossen, Auf- und Absteiger stehen ebenso fest wie die Relegationsteilnehmer. Schön, dass die zweite Liga auch in den nächsten zwölf Monaten in meinem Aufmerksamkeitsspektrum eher am Rande platziert sein wird, möglichst auch ganz am Ende dieser Zeitspanne, wenn sich erste und zweite Liga wieder auf den Austausch von Körperflüssigkeiten zwei oder drei Mannschaften vorbereiten. So gern ich Huub Stevens mag, und so dankbar ich ihm auch bin: ich müsste ihn, dessen neuerlicher Abgang eben kommuniziert wurde, so schnell nicht mehr beim VfB sehen.

Möglicherweise habe ich jetzt irgendwas übersprungen. Genau: Klassenerhalt! 2:1 in Paderborn. Mein üblicher Stadionbegleiter mag die Dinge ein bisschen zugespitzt haben, als er die These vertrat, dass, wer in Paderborn nicht gewinnen könne, in der Bundesliga auch nichts verloren habe. Für den VfB war die Lage indes auf eben diese Formel zu bringen gewesen, cum grano salis. Das verbleibende Salzkorn in Form eines Unentschiedens in Verbindung mit günstigen Entwicklungen auf anderen Plätzen wurde im Verlauf des Spieltags dann tatsächlich weggewischt: nur ein Sieg konnte helfen.

Doch vor den Sieg hatte der Herr oder sonst jemand manche Herausforderung gestellt, in meinem Fall nicht zuletzt die Notwendigkeit, am Pfingstsamstag rechtzeitig vor Spielbeginn die bayerische Provinz zu erreichen und dort eine Möglichkeit ausfindig zu machen, das Spiel zu sehen. Nicht die Konferenz, schon gar nicht das Spiel des Platzhirschen, sondern Paderborn gegen den VfB. In Bayern. In einer Gegend, wo, glaubt man der Weisheit des weltweiten Netzes, in den letzten Jahren zahlreiche Gastronomiebetriebe ihre Sky-Abos aus Kostengründen gekündigt haben. Ob sie de facto weiterbetrieben werden, nur eben ohne Gastrolizenz, vermag ich nicht zu beurteilen. Steht ja nicht im Netz, sowas. Oder nur in Ecken, in denen ich mich nicht auskenne.

Blieb die Frage, ob und wie ich das Spiel sehen würde. Nichts leichter als das, sagte Frederick, komm mit! Und ich folgte ihm. Er führte mich zu seinem Sky-Receiver, sagte “Sky go” und gab mir seine Zugangsdaten. “Damit Du keine tausend Tode sterben musst, Piggeldy”, erläuterte Frederick, um dann verschwörerisch zu ergänzen: “Sag’s einfach nicht weiter!” Ich dankte herzlich, ging nicht mit ihm nach Hause, lernte im Schnellverfahren, was Silverlight ist und wie man nicht für das eigene Tablet freigegebene Apps dennoch installiert, fluchte gelegentlich über die Internetverbindung, ohne so recht zu wissen, ob es denn tatsächlich an der Bandbreite liege oder doch eher an Sky go, was ich aber angesichts des geschenkten Gauls so nicht sagen wollte, und war in allererster Linie selig, den Großteil des Spiels sehen zu können, Aussetzer hin, Zeitverzug her, vom frühen Rückstand gar nicht zu reden.

Immerhin: die Sache mit dem frühen Rückstand hatte man im Rahmen des Stevens’schen Masterplans bereits in der Vorwoche geübt, spielte entspannt weiter, mehr oder weniger, und auch Daniel Didavi erfüllte erneut die ihm zugedachte ausgleichende Rolle. Gewiss, von den Herren Harnik und Ginczek hätte man sich einen früheren Führungstreffer vorstellen können, auch vom Kapitän, aber insgesamt war das schon ziemlich in Ordnung. Überzeugt, meines Erachtens, von der eigenen Stärke, und nicht zuletzt deshalb auch so überzeugend wie in den vergangenen Wochen, in denen die Sichtweise, dass sich der VfB im letzten Viertel der Saison zum stärksten, auch spielstärksten, Abstiegskandidaten entwickelt habe, zunehmend Anhänger fand und zuletzt fast als konsensual durchging. Was natürlich alles nichts nützt, wenn der Siegtreffer nicht fällt. Oder man sich, das Ziel vor Augen, mit unvermittelt wackligen Knien doch noch auf die Fresse legt.

Aber da hatte der Herr Ginczek zum Glück was dagegen. Und Herr Maxim, mit einer der effektivsten Stippvisiten, die wir in jüngerer Zeit von einem Ein- und Auswechselspieler gesehen haben: rein, Siegtor aufgelegt, raus. Bisschen abgekotzt, beim Abpfiff aber schon wieder vorne dabei. Guter Mann. Zu gut, vermutlich, um nur Didavis Backup bzw. de facto Ergänzungsspieler zu sein. Was für eine Offensivabteilung, in der Alexandru Maxim und Timo Werner pro Spiel in Summe auf zwanzig Minuten Spielzeit kommen, ohne dass das als Fehlleistung des Trainers anzusehen wäre!

Ja, der VfB und sein Offensivfeuerwerk. Unter Huub Stevens. Schöne Geschichte, nicht wahr? Und mit zwei Jungspunden in der Innenverteidigung, die den alten Schorsch, als es dann drauf ankam, zum Zuschauer machten. Unter Huub Stevens. Schöne Geschichte, nicht wahr? Mit den Herren Ginczek und Kostic in Heldenrollen, zwei Bobic-Verpflichtungen. Schöne Geschichte.

So viele Geschichten, so ein großer Spaß – es ist lange her, dass mir der VfB fußballerisch so viel Freude bereitet hat wie in diesen letzten Wochen, am Ende einer verheerenden Saison, in deren Verlauf es vermutlich eine ganz glückliche Fügung war, dass sich meine Dauerkarte, betriebswirtschaftlich betrachtet, nicht so recht gelohnt hat und ich vieles verpasste. Hätte ich von den ersten 15 Heimspielen 13 gesehen, wer weiß, ob ich mir diese letzten beiden noch angetan hätte, die so viel Spaß machten?

Auf den Spaßtrainer Stevens folgt nun also – ja, der Text reift schon ein Weilchen, die Familie verlangt im Urlaub zu Recht und meiner großen Freude viel Zeit und Aufmerksamkeit, mittlerweile schreiben wir Dienstag, nein, Mittwoch – zu jedermanns Überraschung Alexander Zorniger. Den ich, zugegeben, nicht sonderlich sympathisch finde, aber ich will gerne einräumen, und dies auch Robin Dutt zugestehen, dass meine auf wenigen Interviews beruhenden Eindrücke in dieser Frage nur von untergeordneter Relevanz sind. Zumal ich nicht ausschließen möchte, dass mit jedem gewonnenen Punkt ein gewisser Sympathiegewinn einhergehen könnte. Wir werden sehen.

Und natürlich werden wir auch sehen, ob Robin Dutt, im Verein mit Bernd Wahler, einer nahezu schonungslos vorgetragenen Analyse auch die entsprechenden Taten (vulgo: Ergebnisse) folgen lassen kann. Die großen örtlichen Medien stellen in diesen Tagen bereits ihre Weitsicht unter Beweis und gleichzeitig sicher, dass die potenzielle duttsche Fallhöhe in allen Köpfen ankommt. Pflichtbewusst.

Robin Dutt sprach in der Pressekonferenz aus, was viele von uns seit Jahren beklagen, sehr pointiert, sehr direkt, sehr treffend und durchaus eloquent. Vermutlich eloquenter, treffender, direkter und pointierter, als die meisten von uns dazu in der Lage gewesen wären. Ganz nebenbei hat seine Sicht der Dinge, anders als die unsrige, unmittelbare Relevanz, Nachrichtenwert und Konsequenzen. Ob sie in dieser Form für die Öffentlichkeit bestimmt sein musste, lässt sich zweifellos kontrovers diskutieren. Mir hat’s gefallen, aber natürlich kann man Stilfragen stellen, wenn Leuten, die nicht mehr in der Verantwortung stehen, in dieser Deutlichkeit an den Karren gefahren wird.

Aber ehrlich gesagt interessiert mich der Blick nach vorne nun weitaus mehr. Allein die Menge der unmittelbar nach dem letzten und mit reichlich Unsicherheit behafteten Spieltag verkündeten Personalien ist, wiewohl hübsch choreographiert, bemerkenswert und erst einmal ein beachtlicher Arbeitsnachweis. Ob es die richtigen Personalien sind, wird die Zeit zeigen. Nicht nur beim Cheftrainer, wo in den meisten Fällen nur bedingt vorhergesehen werden kann, ob es passen wird.

Ich habe keine Ahnung, ob Philipp Laux ein guter Psychologe ist, und kenne die Arbeit der neuen Nachwuchstrainer noch ein bisschen weniger gut als die des neuen Linksverteidigers. Mein Verhältnis zu Guido Buchwald ist ein schwieriges – immerhin dürfte ein Scout kein Aufsichtsrat werden können -, aber als Asienspezialist wird er nicht so verkehrt sein. Über Achim Cast, also noch einen Blauen, höre ich Gutes, wenn auch von Leuten, die ihn privat kennen, während ich Günther Schäfer eher nicht in einer Rolle gesehen hätte, deren Funktionsbezeichnung den Begriff Manager enthält. (Ja, mir fielen auch lustige ein, die aber leider mein Humorzentrum nicht ganz erreichen.)

Abwarten. Ach, und: doch, ich weiß, wie er heißt. Philip Heise.

Oh, gerade stolpere ich noch über eine kleine Notiz, die ich hier wohl am Sonntag anlegte. Sie wissen schon, als der VfB die Klasse gehalten hatte und dieser Text begann. “Abwarten”, stand da, gefolgt von “Morgen Ginczek, Rüdiger, Maxim weg? Kostic?” Immerhin: drei Tage sind schon um, und keines dieser unangenehmen Einzelszenarien ist bis dato eingetreten, auch wenn die Causa Rüdiger verloren scheint, vom kumulierten Gesamtszenario gar nicht zu reden. Ach was, nicht einmal zu denken.

Doch in der Tat: es bleibt abzuwarten, was die Transferperiode noch so bringt. Die frühlingshafte Frische der Stuttgarter Offensive blieb kaum jemandem verborgen, und es hätte mich nicht gewundert, wenn bereits am Tag nach dem letzten Spieltag im einen oder anderen Fall Vollzug gemeldet worden wäre. But just because you’re paranoid doesn’t mean they’re not out to get you, wie wir alle wissen, und wer kann schon beurteilen, ob der eine oder andere Klub nicht einfach nur noch das Pokalfinale abwarten will, ganz zu schweigen von den verbleibenden gut drei Transfermonaten. Schrecklicher Gedanke.

Die Hände! Zum Himmel!

Nun ist dieses Jahr also auch schon wieder zwei Wochen alt, und im Blog ist immer noch Heiligabend. In meinem Kopf übrigens noch nicht mal das, fußballseitig, da ist eher 0:0 gegen Paderborn. Dass der VfB einen neuen Sportdirektor bekommen hat, war nicht zu überlesen; ansonsten war meine Weihnachtszeit angenehm fußballfrei, gedanklich, und ja, natürlich handelte es sich um Selbstschutz. Wer war nochmal dieser VfB?

Ganz allmählich stieg ich dann im neuen Jahr wieder ein und gebe auch gerne zu, den vielgeschmähten DFB-FIFA-Film gesehen zu haben, glücklicherweise weitgehend twitterfrei, und ja, er hat mir ein bisschen Freude bereitet. Erinnerungen getriggert, Sie wissen schon.

Erinnerungen rief bei manchen BeobachterInnen auch der bestürzende Tod von Junior Malanda hervor, des jungen Mannes also, “der das leere Tor nicht getroffen hat”, wie ich bei einem beruflichen Termin aufschnappte. Ich verstehe so etwas nicht, wirklich so gar nicht, aber ich habe zugegebenermaßen auch keine Lust, den Leuten dann einfach in die Fresse zu hauen. Doch, Lust schon, aber zum einen könnte ich es eh nicht, zum anderen wäre es wahrlich kein angemessenes Verhalten im Angesicht eines ums Leben gekommenen jungen Mannes, der die Welt erst noch erobern wollte.

Ich weiß nicht, wie ich nun wieder zum Fußball zurückkehren soll, ohne mir schäbig vorzukommen. Ok, mein Problem. Einige längere Autofahrten, die zu Jahresbeginn als Nebeneffekt unschöner Krankenbesuche nötig waren, gaben mir die Gelegenheit, mich fußballmäßig wieder ein bisschen einzuhören, in den Fußball aus England und Spanien, wo nicht nur geredet, sondern auch gespielt wurde, aber auch, meiner frühen Weihnachtsruhe geschuldet, noch einmal in den letzten Hinrundenspieltag.

Der Rasenfunk hatte sich bereits in die Winterpause verabschiedet, aber die Erben ließen sich nicht keine verfrühte Urlaubsstimmung nachsagen. Der hier außerordentlich geschätzte Schiiiedsrichterpodcast blickte kurz vor Weihnachten noch einmal auf die jüngsten Entscheidungen, auf die Lex Feuerherdt, auf Zicke Neuendorf und manches mehr. Darunter auch einige Äußerungen von Markus Gisdol im Rahmen einer Pressekonferenz, in der er, dem Zusammenschnitt zufolge, die Schiedsrichter und explizit deren Assistenten zunächst über den grünen Klee lobte, ehe er im weiteren Verlauf ähnlich deutliche kritische Worte für das Gebaren mancher vierter Offizieller fand, was in einem lauten Kopfschütteln ob der Aufforderung gipfelte, er möge die Hände unten lassen.

Die Erben begrüßten, nicht ganz überraschend, Gisdols Lob für die Zunft uneingeschränkt, und, ebenfalls nicht ganz überraschend, die Kritik nur so halb. Sie sprachen über Kommunikationsdefizite zwischen Trainern und Schiedsrichtern, die hier bitte als partes pro toto für die vier Teammitglieder verstanden werden mögen, vielleicht auch zwischen Schiedsrichtern und Trainern. Sie griffen auch Gisdols Verzicht auf eine Pauschalkritik der vierten Offiziellen auf und wollten die Aussage zum Handhebeverbot so nicht stehen lassen, sondern auf aufwieglerische Handgesten beschränkt wissen.

Und hier komme ich ins Spiel. Ich habe mich nämlich auch schon aufwieglerischer Hand- und Armgesten schuldig gemacht, weiß also, worum es geht. Ist ein paar Tage her, aber aufwiegeln konnte ich auch schon in jungen Jahren. Mitte der Neunziger, um etwas genauer zu sein, als Twen, wie man damals vielleicht noch sagte.

Als Twen fuhr ich in einem Renault 5 nach Irland. Ich mag schon einmal davon geschrieben haben, dass mein Auto zuvor irgendeinem Drogenbaron gehört haben musste, so oft wie ich auf dieser Fahrt angehalten und kontrolliert wurde. Von besagtem Irlandaufenthalt habe ich auf jeden Fall schon geschrieben – und mag die Geschichte von Tom Hanks, der Schwester und mir heute noch, aber das nur am Rande.

Der Weg dorthin führte mich durch Frankreich, in Le Havre sollte es auf die Fähre gehen, und wie das in Frankreich eben so ist, wurde die Fahrt gelegentlich durch erzwungene Pausen an den Mautstationen unterbrochen. Die Pausen waren in der Regel kurz, es war nicht allzu viel los, mein Zeitbudget bis zum Fährhafen reichlich bemessen. Rückblickend kann ich sagen, dass ich die damaligen Münzfangnetze – vermutlich gibt es sie auch heute noch, für all die Sonderlinge, die nicht zu Maut-Kartenzahlern geworden sind – eigentlich recht gern mochte. Sie erinnerten mich immer an den Weltspartag. Aber sie funktionierten nicht immer.

Und so ergab es sich auch auf jener Fahrt, dass der eine oder andere Péage-Aufenthalt einen Moment länger dauerte. So auch noch einmal kurz vor dem Ziel: das Gerät zickte ein wenig, die Schranke öffnete sich zunächst nicht, auch etwas länger nicht. Mein Zeitbudget war nach wie vor reichlich, meine Nervosität gering. Ich war guter Dinge, auch ohne die Hilfe jenes offiziell aussehenden Herrn, der sich von der Seite näherte, über kurz oder lang weiterfahren zu können – und in der Tat, just als er das Auto erreichte, öffnete sich die Schranke. Ich dankte ihm freundlich, aber es habe sich ja nun erledigt.

Er sah das anders. Ich solle doch bitte gleich rechts ranfahren – was ich zunächst nicht recht verstand, und was vor allem gar nicht so einfach ist, wenn man sich ziemlich weit links eingeordnet hat und senkrecht zur Fahrtrichtung etwa zehn Fahrspuren auf einmal wechseln soll, während hinter jeder Schranke aufbruchwillige Autobahnnutzer mit dem Gaspedal spielen. Ok, erwischt, ich übertreibe. Das mit dem Gaspedal stimmt nicht. Und vielleicht querte ich auch nicht ganz orthogonal.

Doch zurück zur eigentlichen, bisher noch gar nicht formulierten Frage: Polizei- oder meinetwegen auch Zoll- oder sonstige Kontrollen an der Mautstation? Einfach so? Hatte ich noch nie gesehen, geschweige denn selbst erlebt. Ob es doch am Drogenauto lag? Ich weiß es nicht, und werde es auch nicht mehr erfahren.

Was ich aber weiß: plötzlich stand ein halbes Dutzend uniformierter Männer um mein Auto herum. Aussteigen solle ich, und meine Papiere zeigen. Den Kofferraum öffnen. Und mich durchsuchen lassen. Mein Gewissen war rein, und so ließ ich es zwar zähneknirschend, aber doch noch relativ gelassen– zumal es bekanntlich nicht die erste Kontrolle auf dieser Fahrt war, meine Unbescholtenheit also hinreichend gesichert schien – über mich ergehen.

Ich war bestrebt, das Procedere möglichst rasch hinter mich zu bringen, und so erleichterte ich den Beamten ihre Arbeit, so gut es eben ging. Sie durchsuchten mich gründlich, und um ihnen den Zugang zu den Taschen meiner Jeans zu vereinfachen, hob ich meine Arme in die Höhe – was zwar nicht in aufwieglerischer Absicht geschah, wohl aber das Missfallen meiner Freunde und Helfer hervorrief. Ich solle doch bitte meine Hände wieder herunternehmen und kein Aufsehen erregen.

Sechs Beamte stehen also unmittelbar hinter einer mindestens zehnspurigen Mautstation am Fahrbahnrand um ein ausländisches Auto bzw. dessen Fahrer herum und durchsuchen beides, um dann besagten Fahrer dazu anzuhalten, doch bitte kein Aufsehen zu erregen. Das Leben ist immer wieder für eine Überraschung gut.

Vermutlich war es rückblickend eine recht kluge Entscheidung, meine eben ausgeführte Bewertung der Situation in etwas diplomatischeren Worten zum Ausdruck zu bringen.

Die Herren fanden nichts, ich durfte weiterfahren, kam rechtzeitig zum Hafen, wurde in der Fährschlange als einziger Reisender weit und breit erneut intensiv kontrolliert, inklusive Kofferraum und so weiter, ehe man mich Stunden später bei der Ankunft in Rosslare erneut herauszog. Tja. Ich konnte glaubhaft versichern, dass von mir keine Gefahr ausgehe, wie zahlreiche vorhergehende Kontrollen ergeben hätten, und durfte weiterfahren.

Mit Markus Gisdol hat das vermutlich nichts zu tun.