TK-Zeug

Niemand liest Blogs. Schon gar keine Blogs, die 11 Monate im Jahr so still ruhen wie der sprichwörtliche See. Und so könnte man als Betreiber eines solchen Blogs aus guten Gründen zu dem Schluss kommen, es doch lieber sein zu lassen. Nicht das Blog an sich, oder das meinetwegen auch, wenn man möchte, viel unmittelbarer aber die Umsetzung des Gedankens, mitten in der Brachphase einfach mal ein paar Sätze in eben dieses Blog zu schreiben, bloß weil einem grade danach ist. Weil man das Gefühl hat, etwas nach außen tragen zu wollen, was einem, ich kann es nicht anders sagen – und ja, das mag mehr über meine sprachlichen Limitierungen aussagen als über die Empfindung selbst – also: etwas nach außen tragen zu wollen, was mir das Herz erfüllt.

Und so tut man es halt, anstatt es sein zu lassen.

Ich war beim #tkdingens. Andere nennen ihn #tkschland, meinetwegen, ich selbst fremdle nach wie vor, Sie wissen schon, hab da immer diesen Herrn mit dem schwarz-rot-goldenen Fischerhut vor Augen, aber ich schweife schon wieder ab. Es scheint gute Gründe dafür zu geben, dass dieses Internettagebuch brachliegt, der Besitzer mäandert heute wie damals, anstatt einfach mal zum Punkt zu kommen.

Zurück auf Los. Ich war beim #tkdingens. In Hannover. Eine halbe Republik entfernt. Stundenlange Zugfahrten bei ankündigungsgemäß außergewöhnlich hoher Auslastung und Rekordtemperaturen, um was nochmal zu tun? Genau: Um diese Leute aus dem Internet zu treffen. Ausm Twitter, um exakt zu sein. Fußballmenschen. In den Farben getrennt, Sie kennen das.

Ja, es sind in den vergangenen Jahren, vor allem in den ersten, so um 2015 herum, als noch Menschen Blogs lasen, mehr als genug Texte über den #tkdingens geschrieben worden. Von Leuten, die da hingegangen sind, mal euphorisch, mal skeptisch, seltener auch von Menschen, die da nicht hingegangen sind, mal energisch, mal tastend. Die, die nicht hingegangen waren, hielten sich in der Regel eher kürzer, zumeist in 140 oder 280 Zeichen, auf das übermäßige, selbstreferenzielle Getwittere der dem #tkdingens beiwohnenden Leute, gelegentlich auf deren dokumentiertes Tun reagierend.

Fair enough. Ist ne Menge, geht einem womöglich auf die Nerven, gerade dann, wenn es einen nicht interessiert, wenn man es vielleicht auch explizit für eine doofe Idee hält, für Selbstdarstellung, Spam sowieso. Geht mir auch gerne mal so, wenn “die alle” über American Football twittern. Oder vielleicht eine Marketingveranstaltung eines Technologiekonzerns. Eine aktuelle Serie, ein Doppelpass. Die jüngste Provokation einer Partei jenseits des rechten Rands unserer Verfassung. Manchmal auch diesseits. „Geht weg! Ich will das nicht in meiner Timeline!“ brülle ich dann, in Kapitälchen. Kapitalen. Vielleicht.

Meiner Wahrnehmung nach hat das nachgelassen. Das Naserümpfen über den #tkdingens und seine Teilnehmenden. Vielleicht sind die #tkdingens-Leute mittlerweile weniger penetrant, womöglich auch nur hashtagdisziplinierter, eventuell interessiert sich einfach kaum mehr jemand für das, was auf Twitter gerade so abgeht, zumindest aber für den #tkdingens, möglicherweise bin ich auch bei einschlägigen Personen geblockt, unter Umständen täuscht schlichtweg meine Wahrnehmung, und ganz sicher ist es so, dass etwaige Kommentierungen außerhalb der dem #tkdingens zugewandten Blase meinem Interesse in der Regel gezielt entgehen.

Könnense vielleicht mal zum Punkt kommen, Kamke? Ohne Komma, ohne Semikolon, ganz sicher ohne Gedankenstrich? Danke. #tkdingens. Hundertundeinpaar Menschen ausm Twitter in Hannover. Freitag bis Sonntag, die meisten. Und mein Herz geht auf. Es läuft über. Echt jetzt. Zu relativ später Stunde stand ich beispielsweise, aber nicht nur, am Samstagabend mit einer der Redaktion bekannten Twitterata (öhm?) am Rande einer kaum klebrigen Tanzfläche, über die Großartigkeit der Veranstaltung sinnierend, über die völlig unwahrscheinliche und ebenso wahre Zuneigung zwischen Menschen unterschiedlichsten Alles, und feierte den #tkdingens.

Feierte die Location, die Hannoveraner Orgacrew, sowieso, fantastisch, und ganz selbstverständlich wissen diese Organisator*innen genau wie ich und wie wir alle, dass es, Verzeihung, nur bedingt an ihnen lag. So wie es zuvor die Leute in Köln, Hamburg, München, Dortmund, Bremen und Stuttgart wussten. Sie alle haben das ganz wunderbar gemacht, mit viel Herzblut, weil es ihnen wichtig war und ist, aber sie wissen auch alle: Die brauchen nicht viel. Die sind sich selbst genug. Das eine oder andere Getränk wäre ganz gut, gelegentlich Nahrung. Kultur ist ganz schön, Kicken auch, aber wenn nicht, na und? Als vor ein paar Jahren mal die Diskussion um den nächsten Veranstaltungsort ein bisschen anstrengend zu werden drohte, schrieb ich hier in dieses Internettagebuch sinngemäß, dass man auch mit verbundenen Augen einen Punkt auf der Deutschlandkarte (oder Oostende, klar) auswählen und dort dann für eine gewisse Grundlogistik sorgen könnte und alles fein wäre.

Das würde ich noch heute genau so unterschreiben. Ohne kleinreden zu wollen, dass ich die Holztribüne bei Arminia Hannover fest in mein Herz geschlossen habe. Und ja, natürlich will ich kicken. Aber da findet man ja an jedem beliebigen Ort in Deutschland eine Möglichkeit in, na ja, Gehdistanz. Durchaus einräumend, dass der oder dem durchschnittlichen #tkdingens-Teilnehmenden die Distanzen von Jahr zu Jahr schwerer fallen dürften. Wir werden ja auch nicht jünger.

Oder doch? Die jungen Stuttgarter*innen machen mich glücklich. Letztes Jahr Heimspiel, klar, das ist einfach. Dank aufgewärmter Kugeln einer glücklichen Fügung im Auslosungsprozess durften sie damals als Gruppe bei der #coupedamour reüssieren, wobei sie wie einige andere mit dem Tuniernamen(sic!) noch fremdeln und gelegentlich irgendwas von Hass faseln. Aber wer hat nicht jene Zweifel im Ohr, die bei der Frage mitschwangen, wie viele von ihnen wohl im Jahr darauf nach [Fantasiename eines als klein und unbedeutend wahrgenommenen Veranstaltungsortes abseits der Ballungsräume] reisen würden, um zur Titelverteidigung anzutreten? Nun denn: 19. 19 Teilnehmende aus Stuttgart! On a cold, wet wednesday night in Stoke.

In Hamburg waren Jasmin und ich zu zweit. In Hannover: 19. Paul Hardcastle hätte seine Freude. Und wenn wir Martin und mich mal rausrechnen, hatte die Stuttgarter Bubble vermutlich ein Durchschnittsalter jenseits (aus meiner Sicht) der 25. Oder so ähnlich. Not your Ernst! Und wie gut sie, auch außerhalb der Schaltjahre, zu besagten Ernsten, Gerds, Marsen, Probeks oder Heinzen (weibliche mitgemeint) dieser unserer Community passen!

Wie wir jedes Jahr bedauern, wer alles aus terminlichen Gründen nicht kann! Zu Recht bedauern, natürlich. Ich fange nicht an, aufzuzählen, wer alles gefehlt hat in Hannover, weil ich ja doch einige vergäße. Und dann? Kommen andere. Die vielleicht letztes Jahr nicht konnten. Oder noch nie dabei waren. Wie die jungen Stuttgarter*innen letztes Jahr, wie der großartige Herr Paredize (von dem ich immer noch nicht weiß, wieso er dieses Jahr den aktiven Sportpart ausgelassen hat sorry), der damals einfach mal auf Verdacht kam, weil ihn die ganzen Tweets rund um diesen #tkdingens so neugierig gemacht hatten und der seither zu seinen führenden Apologeten zählt, wie die jungen Frauen aus Berlin, die dieses Jahr zum ersten Mal dabei waren, und viele andere.

Überhaupt, Frauen. Nein, ich werde jetzt nicht davon anfangen, dass da ja auch ganz viele Frauen am Start sind, obwohl doch Fußball eigentlich gar nicht so typisch bla, bla, bla. Über den Punkt sind wir längst hinaus. Gesellschaftlich vielleicht auch irgendwann, mag sein; beim #tkdingens verstehen wir bereits die Frage nicht. Aber eben auch sonst, die Frauen. Und die Männer. Die wunderbare KaiserKaro brachte eines kurz nach ihrer Heimkehr aufm Twitter aufn Punkt: „3 min in Hamburg und schon der erste Catcall. Kann ich nochmal den #tkschland sehen?“

Ja, vielleicht überhöhe ich. Natürlich ist der #tkdingens nicht der einzige Safe Space unter den Veranstaltungen dieser Größenordnung, es gibt zweifellos unzählige solcher Runden, und vielleicht interpretiere ich viel zu viel in ihren Tweet. Was ich aber jederzeit behaupten würde: Wie respektvoll, herzlich, liebevoll die Leute in diesem Setting Jahr für Jahr miteinander umgehen, ist mehr als bemerkenswert. Ist das, was den #tkdingens ausmacht. Immer.

Ob ich endlich mal etwas zu sagen habe? Nein, eigentlich nicht. Ich habe nur dieses überquellende Herz, das Glück eines hinter mir liegenden Wochenendes, das mir ausschließlich positive Schwingungen mit auf den Weg gibt, die Freude darüber, Leute wiedergetroffen zu haben, mit denen ich zu jedem Zeitpunkt ohne Aufwärmphase dort anknüpfen kann, wo wir vor acht Wochen, sechs Monaten oder zwei Jahren aufgehört hatten, und gleichzeitig mit neuen Leuten gesprochen, gekickt, gejubelt zu haben.
Zugegeben: Letzteres ließe sich intensivieren. Nicht das mit dem Jubeln. Bzw. das auch, aber jetzt geht’s um das mit den neuen Leuten. Da ist man dann mitunter doch schnell dabei, erst einmal intensiv mit den Leuten zu kommunizieren, die man ja auch nur ein- bis dreimal im Jahr sieht, ehe man in die Neuteilnehmendenansprache geht.

Glücklicherweise hatte ich einmal mehr den Eindruck, dass niemand lange allein blieb – wie ich jetzt darauf komme, dass nebenbei phasenweise intensiv getindert bzw. tinderberaten wurde, weiß niemand. Näheres womöglich irgendwann bei @nocntxtkschland. Und ganz ernsthaft: Falls jemand da war, erstmals womöglich, und es scheiße fand, am Rand zu stehen – das tut mir sehr leid, und sicher nicht nur mir. Gebt gern Bescheid, wenn das so gewesen sein sollte. Ich bitte um Verzeihung und gelobe für nächstes Jahr Besserung.

Fußball. Wurde auch gespielt, ich erwähnte es. Coupe d’Amour. Das Tunier. Bei paarunddreißig Grad dankenswerterweise nicht auf Kunstrasen, sondern auf dem naturbelassenen Oberligageläuf von Arminia Hannover (Allez les Bleus! Verts! Was auch immer.), mit dem grandiosen Debüt von Puschi, die nicht nur Rookie of the Year, sondern hochverdient auch zur MVP gewählt und vom fachkundigen Publikum frenetisch gefeiert wurde. Daniel zog mit seinem dritten Titel mit Marko und Mirco gleich und hat gut unterrichteten Quellen zufolge bereits angekündigt, sich für den vierten Titel ins Trainingslager begeben zu wollen.

Pokalfee Kaesi überzeugt auf ganzer Linie, wobei man nicht im Detail weiß, was Menschen im weiteren Verlauf in besagten Pokal reinschieden. Miguel hatte die Akteur*innen (womöglich kann ich das Sternchen weglassen?) nicht gut genug im Griff, um auf persönliche Strafen verzichten zu können, Marsi knipste, wie Marsi eben knipst, Clemens gelang es nicht, den Ball ins Tor zu pusten, und Dr. Hüttl wurde fotografisch dann doch nur so halb verewigt.

Apropos fotografisch. Chronist Sven hat wieder einen fantastischen Job gemacht. „Job“. Vielen Dank dafür! Und an die Organisator*innen. Und alle.

Gerade saß ein kleines Teufelchen auf meiner Schulter und wollte mir „Herzensmenschen“ oder sowas Ähnliches einflüstern. Puh. Kurve gekriegt.

So. Gut jetzt. Genug gelabert. Zug kommt bald an. War schön mit Euch.
Und natürlich sollt Ihr alle verlieren.

[Zurück in die Brache. Wir lesen uns womöglich im Advent.]