In den letzten Monaten habe ich den einen oder anderen Artikel über die Menschen gelesen, die bei verschiedenen Vereinen für die Stadionmusik verantwortlich zeichnen. Die Stadion-DJs (ich weiß nicht, ob sie mit dieser Bezeichnung einverstanden wären) werden dabei zumeist sehr liebevoll dargestellt, vielleicht schwingt auch ein wenig Neid mit, ihre kreative, teilweise subtile und weitgehend unabhängige Musikauswahl wird gewürdigt.
Über den VfB Stuttgart habe ich einen solchen Text noch nicht gelesen. Dabei schien man in dieser Saison durchaus auf einem Weg zu sein, den ich ein Stück weit mitgehen konnte. Dieser Eindruck hat sich am Samstag nach dem den Klassenerhalt bringenden Spiel gegen Hannover 96 rasch verflüchtigt.
Hey, das geht ab. Wir feiern die ganze Nacht. Na bravo. Die ganze Nacht feiern wir jenen Klassenerhalt, von dem Fredi Bobic völlig zurecht sagte, dass er kein Grund zum Feiern sei. Dabei will ich gar nicht in Abrede stellen, dass man, wenn die Ewartungshaltung nur weit genug gesenkt ist, natürlich alles feiern kann. Ich selbst habe nach dem Spiel auch noch das eine oder andere Erleichterungsgetränk zu mir genommen, und ich gönne den Beteiligten durchaus, dass sie nach einer sehr schwierigen Saison tatsächlich feiern, das Schlimmste abgewendet zu haben.
Aber muss man das in die Welt hinaus schreien? Vor allem aber: muss man das so in die Welt hinaus schreien? Mit einem Extended Ballermann Party Medley Mix? Darf man die einheimischen Zuschauer durch ein Fegefeuer der Peinlichkeiten schicken? Was sollen die Gäste aus Hannover denken? Insbesondere darüber, dass gar nicht so wenige VfB-Fans mitgesungen haben?
Vielleicht liege ich aber völlig falsch. Möglicherweise hat sich der Musikant vielmehr eine Gehaltserhöhung verdient, indem er unmittelbar nach Spielschluss, und damit auch in jener Phase, in der Teile der Cannstatter Kurve mit einem Spruchband zum Ausdruck brachten, dass mit dem Klassenerhalt keineswegs der Zeitpunkt für eitel Sonnenschein gekommen sei, anhaltenden und nicht nur die Ohren betäubenden Lärm produzierte. Wer will schon im Zeitpunkt des sportlichen Triumphes das Risiko eingehen, das Fernsehen, oder gar die Haupttribüne, könnte falsche Signale aufnehmen?
Signale, die damit zu tun haben könnten, dass die Anhänger gar nicht so glücklich darüber sind, dass “ihr” Verein in Gutsherrenart geführt wird. Oder damit, wie der Aufsichtsrat auf Kritik reagiert. Es verlangt schon ein gehöriges Maß an Chuzpe, auf mehrere voneinander unabhängige Demokratisierungsansätze aus dem Mitgliederkreis zu reagieren, indem man jemanden aus den eigenen Reihen als Statthalter installiert. Entschuldigung, installieren will.
Ich kenne Herrn Mäuser nicht, vielleicht ist er überragend qualifiziert, trotz der kolportierten Nähe zu Herrn Professor Hundt. Aber ich möchte nicht, dass er der neue Präsident wird. Eben wegen dieser Nähe zum Aufsichtsratsvorsitzenden. Dem Vernehmen nach soll der Herr Professor ja auch Gespräche mit der Opposition geführt haben, mit der Aktion VfB 2011 und mit Björn Seemann. Nach reiflicher Überlegung scheint er dann doch zu dem Schluss gekommen zu sein, dass sein Kandidat am besten geeignet ist. Nun ja.
Wenn mir nun jemand entgegnen möchte, dass Fußballvereine Wirtschaftsakteure seine und keine basisdemokratischen Kaffeekränzchen, so gebe ich ihm recht. Ihr auch. Ich befürworte entscheidungsfähige und entscheidungsstarke Führungsgremien, möchte eine kompetente sportliche Leitung mit einem Plan, der auch gerne mal im Widerspruch zu den Wünschen der Fans stehen darf, wenn es das große Ganze erfordert. Ich bin bereit, der Führung zu vertrauen, dass sie ihr Geld verdient und mit meinem Geld im Sinne des Vereins verantwortungsvoll umgeht. Aber so ein kleines bisschen Demokratie wäre halt doch ganz schön, nicht wahr? Dieses Gefühl, dass den Mitgliedern Optionen präsentiert und vielleicht sogar zur Wahl gestellt werden, wäre irgendwie – hilfreich.
Oh, eigentlich wollte ich gar nicht über die grundsätzlichen Probleme beim VfB schreiben. Ich weiß gar nicht, wie das geschehen konnte. Vielleicht hängt es ja damit zusammen, dass Herrn Professor Hundt nachgesagt wird, er hege gewisse Sympathien für Herrn Daum und hätte ihn im Herbst gerne beim VfB untergebracht. Wer weiß, wenn man damals schon einen anderen Präsidenten gehabt hätte, wär’s vielleicht realisierbar gewesen.
Zum Spiel selbst gibt’s aus meiner Sicht nicht viel zu sagen. Außer vielleicht, dass Shinji Okazaki seinem Denkgefängnis entfliehen konnte. Oder dass Martin Harnik selbst als Verstolperer noch Assists zustande bringt. Dass der vergessen geglaubte No-Look-Diagonalpass ins Niemandsland doch noch nicht ausgerottet ist (in der Hoffnung, dass er keine taktische Maßgabe des Trainers war, wofür angesichts der Häufung manches spräche). Dass Sven Ulreich am 33. Spieltag das taktische Mittel “Abwurf” für sich entdeckte. Dass sich der Ehrenpräsident nicht die Ehre gab, verdiente Mitarbeiter zu verabschieden. Egal. Das Spiel war nicht gut, in der ersten Halbzeit sogar richtig schlecht, phasenweise spielte auch Not gegen Elend. Wie dem auch sei: Klassenerhalt. Wir feiern die ganze Nacht.
Am kommenden Samstag geht’s also für den VfB selbst um nichts mehr, für den Gegner durchaus. Der eine oder andere Fan spekuliert darauf, nachdem es schon nicht geklappt hatte, den Kampf um Platz 3 zu Ungunsten der Bayern zu beeinflusssen, ihnen wenigstens Platz 2 zu verwehren. Mir ist das zwar egal, aber ich kann die innneren Kämpfe vieler Fans in diesen Tagen verstehen. Schließlich habe ich vor einigen Wochen mit einem hoffnungslosen Optimisten gewettet, dass es dem VfB nicht gelingen werde, den SC Freiburg noch zu überholen. Nun muss ich also abwägen, ob ich lieber Platz 7 oder ein Abendessen will. Oder, um das Ganze weniger auf mich selbst als vielmehr auf nicht wenige Fußballfans zu beziehen: ist es mir wichtig, dass der VfB die TSG Hoffenheim noch überholt, wenn diese dafür gegen Wolfsburg verlieren müsste? Konfliktreich, so ein letzter Spieltag. Von den Trainerentlassungsdilemmata der Herren Holzhäuser und Keller gar nicht zu reden.
À propos Trainerentlassungen: ich könnte nächste Saison ohne. 30 Punkte reichen zwar nicht ganz an die Serien der vorigen Spielzeiten hin, aber von 12 auf mindestens 42 ist ein Wort (ja, mehrere), das Respekt und eine faire Chance verdient. Auch für den Sportdirektor, wie ich finde. Meinetwegen mit Vorstandsmitglied Hansi Müller, von dem ich nicht weiß, wie intensiv er sich in den letzten Jahren mit dem Fußballgeschäft auseinandergesetzt hat. Bei Guido Buchwald ist mir das egal. Er hat in Degerloch etwas aufgebaut und ich gönne ihm von Herzen, zu gegebener Zeit auch die Früchte seiner Arbeit vor Ort ernten zu dürfen.
Zum Schluss noch ein persönlicher Wunsch.