Gesetzt

“Der Ton ist gesetzt”, hatte ich gesagt, und vermutlich frug sich mein Nachbar genau wie ich, was das denn nun für eine komische Formulierung sei, irgendein halbgarer Anglizismus vielleicht, den wir jedoch nicht zuordnen konnten?

Immerhin: er verstand mich. Das Spiel des VfB gegen Augsburg hatte gerade begonnen, vom Anstoß weg wurde Timo Baumgartl angespielt, die Ballannahme fiel schludrig aus, bzw. fand überhaupt nicht statt, Baumgartl wurde angelaufen, geriet unter Druck und schlug den Ball diagonal, ach was, quer ins Aus. Klasse Beginn.

Der Ton war gesetzt, und hätte man das Spiel in diesem Moment zu den Akten gelegt, wäre der Nachmittag ein wesentlich vergnügterer gewesen.

Er hatte ja schon verspätet begonnen, der Fußballnachmittag. Verständlicherweise. Kam ja wirklich überraschend, dass die Sicherheitsmaßnahmen erhöht wurden, nachdem die Fußballwelt in den Tagen zuvor aus den Angeln gehoben worden war.

“Was hat sich denn geändert durch Paris?”, mag man fragen, und ich möchte das gar nicht als zynisch abtun. Zynisch deshalb, weil unstrittig ist, dass Paris für viele Menschen furchtbar viel verändert hat. Vielmehr ist die Frage insofern berechtigt, als wir alle immer wussten, dass große Sportereignisse und damit, zumindest in Europa, zuvorderst Fußballspiele ein Ziel wären, das, sollten Terroristen es ins Auge fassen, größtmögliche Aufmerksamkeit und leider auch eine ebensolche Zahl an Opfern und Betroffenen verspräche.

Gerne wäre ich in der vergangenen Woche in der Lage gewesen, meine Gedanken rund um Paris, rund um Hannover und weit darüber hinaus zu ordnen und zu Papier zu bringen, doch leider war und ist das nicht der Fall. Es hat mich mitgenommen, ich habe Angst, nicht um meine Unversehrtheit, wenn ich zu einem Fußballspiel gehe oder in ein Flugzeug nach wohin auch immer steige, aber ich habe Angst vor dem, was da kommen mag.

Ja, vermutlich ist die Welt sehr wohl aus den Angeln gehoben worden, und mit ihr die des Fußballs. Und ja, es klingt unangemessen und schrecklich banal, gleich wieder den Bogen zu jenen schlagen zu wollen, die nicht auf die Idee gekommen sind, dass man an so einem Wochenende schon mal ein paar Minuten früher zum Stadion gehen könnte, wenn man trotz zu erwartender intensiverer und entsprechend zeitaufwändigerer Sicherheitskontrollen zum Anpfiff auf seinem Platz sitzen oder stehen möchte. Unwichtig. Ich versteh’s halt nicht.

Dass man ihn nach einer knappen Dreiviertelstunde am liebsten schon wieder verlassen hätte, steht auf einem anderen Blatt und war beim dank dieser klugen Menschen reichlich verspäteten Anpfiff noch nicht abzusehen. Beim Anpfiff, wohlgemerkt. Nach Baumgartls erstem Ballkontakt schon eher. Der Ton war gesetzt, und sie hielten ihn. Konsequent.

Selten habe ich eine Mannschaft gesehen, die von Beginn in einer solchen Art und Weise nicht auf dem Platz war, und ich schreibe nur deshalb “selten”, weil “nie” so arg absolut klingt. Es war verheerend, und mehr Worte möchte ich über das Spiel selbst eigentlich nicht mehr verlieren.

Bemerkenswert war allerdings, wie wenig dieses Spiel, ohne darauf konkret eingehen zu wollen, Sie wissen schon, wie wenig also dieses Spiel noch mit dem zu tun hatte, was Alexander Zorniger vor einigen Wochen propagiert und was die Mannschaft damals auch gezeigt hatte.

Und wie ich noch so sinniere, ob es wohl der Trainer war, der so sehr von seinem System abgerückt ist, dass nur noch das Schlechteste verschiedener Welten übriggeblieben ist, oder ob die Mannschaft ihm schlichtweg nicht mehr gefolgt ist, verkündet der Verein, die Ära Zorniger sei Geschichte.

Er tut das weniger blumig und in den üblichen knappen Worten, während gut informierte Quellen bereits Jürgen Kramny als Interimstrainer verkünden. Jenen Kramny, der manchem noch vor wenigen Wochen in der dritten Liga als angezählt galt. Was mich ehrlich gesagt nicht sonderlich störte. Faszinierend, dieses Fußballgeschäft. Zumindest kann Herr Kramny mich nicht negativ überraschen.

Und was ist mit Herrn Zorniger? Nun, ich habe aus meinem Herzen nie eine Mördergrube gemacht. Sein Auftreten war mir vor seiner Stuttgarter Zeit unangenehm aufgefallen, was er in der Folge einerseits bestätigte. Andererseits fand ich Gefallen an seiner klaren Kante und, ja, auch an seiner Verbohrtheit – dass er sich dabei allerdings stets auf einem sehr schmalen Grat bewegte und des Öfteren abglitt, konnte nicht überraschen.

Ob er letztlich an besagter Verbohrtheit scheiterte oder daran, dass er eben nicht verbohrt genug war, konsequent an seinem Spiel festzuhalten, daran scheinen sich die Geister zu scheiden. Ich selbst habe, rein auf das Sportliche bezogen, durchaus Sympathien für letztere These, schließlich erinnerte der Fußball seiner Mannschaft zuletzt, wie oben angedeutet, nur noch in Auszügen an Zorniger in Reinkultur. Aber ich räume gerne ein, dass dieser Analyseansatz zum einen ein arg verkürzter ist, was per se nicht schlimm ist, läuft ja in die gegenteilige Richtung ganz ähnlich, und dass er zum anderen ein übertrieben wohlmeinender wäre.

Wir wissen alle, dass er sich im Ton vergriffen hat, dass er zu forsch war, zu besserwisserisch, und vermutlich haben wir auch alle zwischendurch an Herrn Professor Rangnicks Sportstudio-Premiere gedacht, wohl wissend, dass jener damals in der hiesigen Fußball-Lehre tatsächlich eher die Avantgarde darstellte, während Zornigers Ansatz zwar ein sehr konsequenter und, davon bin ich weiterhin überzeugt, potenziell erfolgreicher ist; neu ist er indes nicht.

Dass er zudem eine Reihe handwerklicher Fehler begangen hat, meinetwegen auch nur nicht verhinderte, dass seine Spieler handwerkliche Fehler begingen, was dann wiederum doch ein handwerklicher Fehler des Trainers wäre, liegt zudem, genau, auf der Hand. Gegen die Bayern war er blauäugig, in Leverkusen vielleicht tollkühn, im Umgang mit Adam Hlousek vermessen, wie er insgesamt bei der Einschätzung dessen, was seine Spieler können und was nicht, möglicherweise etwas zu optimistisch war, und beim Einüben defensiver Abläufe agierte er mindestens glücklos, vielleicht schludrig, vielleicht eben doch handwerklich unsauber.

Ja, man mag die Liste gerne verlängern. Und natürlich in die Diskussion über den Anteil der Spieler und des Vorstands an der Misere einsteigen. Ein weites Feld.

Dass Alexander Zorniger nun gehen musste, konnte nicht mehr überraschen. Zu erschütternd war das Auftreten am Samstag, zu spärlich die Argumente, oder auch nur die Strohhalme, an denen man sich nach so einem Spiel, über das hier bekanntlich nicht weiter geredet werden soll, festklammern kann, zu ratlos wohl auch der Trainer selbst.

Sehen Sie, da wäre sie gewesen, die Chance, die Trennung als “alternativlos” zu bezeichnen. Ich habe sie verpasst, und wenn ich ehrlich bin, hätte ich mir gewünscht, dass es deutlich mehr Leuten so ergangen wäre. Dass sie die Chance hätten verstreichen lassen. Wenn ich Ihnen, liebe Kommentierende, in aller Bescheidenheit einen Hinweis geben darf: Es gibt immer eine Alternative. Auch in der Wortwahl, auch zu einer wohlfeilen Pointe. Aber, zugegeben: Den Ton hatte Herr Zorniger wohl selbst gesetzt.

Zurück zum Sport. Ich hatte gehofft, hatte mir gewünscht, dass er zumindest eine Halbserie lang Zeit bekommen würde, und ich gehe auch davon aus, dass er sie bekommen hätte, wenn man weiterhin wenigstens Chancen kreiert und, und das meine ich durchaus positiv, ein Spektakel veranstaltet hätte. Wenn allerdings ein Vollgastrainer seine Mannschaft nur noch zu einem derart leblosen Auftritt animieren kann, werden nicht nur die Argumente, sondern in der Folge auch die Fürsprecher knapp.

Tja. Tschüss, Herr Zorniger. Ich wünsche Ihnen noch mindestens eine weitere Chance und bin gespannt, was sie dann draus machen.

Und dann komme ich doch noch einmal auf jenes Spiel zurück. Und die Fans. Die machen sollen, was sie wollen. Haben Eintritt bezahlt, sollen brüllen, schimpfen, lachen, weinen, still sein, konzentriert das Spiel verfolgen, meinetwegen auch alle paar Minuten zum Bierstand gehen, wenn sie mich dabei nicht ständig aus meiner Konzentration reißen.

Letztlich soll auch jeder für sich entscheiden, ob er Häme für einen guten Ratgeber, Hohn und Spott für eine sinnvolle Ausdrucksweise seiner Gefühlswelt hält. Ich persönlich halte nicht sonderlich viel davon, will aber nicht bestreiten, dass das samstägliche Spiel geeignet war, besondere Reaktionen hervorzurufen.

Wenn Menschen, die andere eine halbe Stunde lang lautstark, öffentlich und explizit verhöhnt haben, dann allerdings meinen, sich echauffieren zu sollen, weil die so Verhöhnten augenscheinlich wenig Interesse verspürten, hernach den Dialog mit den Verhöhnenden zu suchen, dann wäre es schon interessant zu wissen, wie die Gedankenwelt dieser Leute funktioniert. Des Erkenntnisgewinns wegen.

 

Dr große Graba

Tja. Hätte Arianit Ferati in der 69. Minute das Tor getroffen, dann hätten nach dem Abpfiff wohl die anderen triumphiert. Also jene, die wie ich große Stücke auf den Fußball halten, den Alexander Zorniger spielen lässt, und die sich eindrucksvoll bestätigt gesehen hätten von einer aus der Not geborenen Mannschaft, die in Leverkusen sehr ansehnlichen, vielleicht auch begeisternden – ich möchte mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, mein Bild ruckelte oft und war ziemlich körnig – Sport gezeigt und den Gegner waidwund geschossenspielt hatten.

Dass Ferati die Sache nicht zu Ende gebracht hat, kann man niemandem leichter verzeihen als dem jungen Kerl. Kann vermutlich auch der Trainer, der Ferati meines Erachtens keineswegs, wie vereinzelt zu hören war, abgestraft und ihm die Höchststrafe verpasst hat, indem er ihn eine halbe Stunde nach seiner Einwechslung wieder auswechselte.

Vielmehr hatte er einen gehörigen Anteil an der besten Phase des VfB, als er wie erhofft das Offensivspiel belebte, und an der zwischenzeitlichen vermeintlich klaren Führung; in einer komplett neuen Spielsituation waren dann wieder ganz andere Qualitäten gefordert, die recht weit entfernt waren von Feratis Kernkompetenzen. Das weiß er, das wissen wir, und das hätte sich der Trainer meinetwegen schon einen Tick früher denken können. So wie Huub Stevens in Paderborn, mit Maxim in der Ferati-Rolle. Die Älteren werden sich erinnern.

Zurück auf Los. Hätte hätte Fahrradkette. Ferati traf nicht, das Schicksal nahm seinen Lauf, insbesondere in Person von Karim Bellarabi, und der VfB hatte ihm nichts entgegenzusetzen. Nicht Przemysław Tytoń, der ihm nicht einmal den linken Fuß entgegenhalten konnte, auch kein Feldspieler, und auch nicht der Trainer. Und so konnten also die anderen “Seht Ihr!” sagen.

Jene, die gerne wieder einmal einen Trainer zum Teufel oder auch nur nach Mutlangen schicken würden, mindestens, vielleicht gleich noch einen Sportvorstand dazu, ein Präsident wäre auch noch in der Verlosung, und unter dem Brennglas sogenannter sozialer Medien konnte ich mich nach Spielende des Eindrucks nicht erwehren, dass manch eine(r) eine gewisse Freude am Rechthaben verspürte. Ob er oder sie nun recht hat oder nicht.

Das macht keinen Spaß. In dieser Klarheit habe ich die Frontenbildung innerhalb der Anhängerschaft selten erlebt. Und es ist ja nicht so, dass der VfB in den vergangenen Jahren nicht bereits das eine oder andere Beziehungsdrama zwischen Trainer und Anhängerschaft erlebt hätte, in verschiedensten Facetten. Aber stets, so zumindest mein Eindruck, verschoben sich die Gewichte nach und nach, ausgehend von einem gewissen Grundvertrauen und auf Basis mehr oder weniger ausgeprägter Anfangserfolge, zu Ungunsten des Trainers, ehe schließlich die Waage kippte und der Daumen nach unten ging.

Heuer ist das anders. Die mehr oder weniger ausgeprägten Anfangserfolge stellten sich gar nicht erst ein, zumindest nicht, als es zählte; gleichzeitig waren es nicht zuletzt die brotlosen Duftmarken im Vorfeld, die zu einer raschen Zweiteilung der Anhänger führte: pro oder contra Zorniger, mitunter im Verbund mit Herrn Dutt. Gerne genommen dann auch das ganz große Rad, was angesichts der angesprochenen Entwicklungen vergangener Jahre nicht verwundert. Gleichzeitig kann man sich fragen, ob die Personalie Zorniger damit nicht ein bisschen überladen wird – wohl wissend, dass daran wiederum Robin Dutt seinen Anteil hat.

Die Positionen waren also früh eingenommen und haben sich zwischenzeitlich vielerorts verfestigt. In meinem Kopf hat sich das Bild vom großen Graben breitgemacht, dabei habe ich keine Ahnung von Asterix. Ich selbst bekannte mich schon vor Wochen zu einem gewissen Trotz, der seither eher nicht geringer geworden sein dürfte, und möglicherweise ist das Bild auf der, Verzeihung, Gegenseite ein recht ähnliches.

Und so wird derjenige, der Herrn Zorniger lieber gestern als heute gekündigt sähe, ebenso wenig gelten lassen, dass die Mannschaft gestern über weite Strecken einen ganz hervorragenden Eindruck hinterlassen hat und an bitteren Fehlern gescheitert ist, individuell wie kollektiv, wie ich geneigt bin, von meiner Überzeugung, dass der VfB zornigerscher Prägung, mit all seinen Defiziten, die Kurve bekommen und uns noch viel Freude machen werde, abzugehen.

Gewiss, der eine oder die andere mag nun gekippt sein, so wie im gegenteiligen Fall der Vertrauensvorschuss für den Trainer bei manchem Fan vermutlich wieder knapp in den positiven Bereich gerutscht wäre, aber insgesamt wirkt es doch so, als seien die Fronten, man möge mir den Begriff verzeihen, ebenso klar wie verhärtet. Und unvorhersehbar – gestern ertappte ich mich schon bei einem absurden Quervergleich zu Stuttgart 21.

Keine Sorge, mir ist schon klar, dass wir uns da in unterschiedlichen Welten bewegen; die deutlichen Positionierungen, die quer durch das eigene Umfeld a priori nur schwer vorherzusehen sind, brauchen sich indes vor den Diskussionen, die man vor wenigen Jahren auf jeder Party, in jeder Kneipe, bei jedem beruflichen Stelldichein führte, weder in ihrer Entschlossenheit noch in ihrer Verbohrtheit zu verstecken. Selbst in Sachen Omnipräsenz sind wir auf einem “guten” Weg.

Ja, natürlich gibt es auch Grauzonen. Und ja, auch ich nehme für mich in Anspruch, wie für viele andere, ein vernunftbegabtes Wesen zu sein, das seine Position abwägt, hinterfragt und möglicherweise irgendwann, digital betrachtet, ins Gegenteil verkehrt. Selbstverständlich sehe ich die Defizite im Spiel des VfB, oder zumindest jenen Teil, der sich meinem Sachverstand erschließt, natürlich wünsche ich mir manches anders, nicht zuletzt im zählbaren Bereich, und dass ich an Herrn Zornigers Auftreten das eine oder andere auszusetzen haben, habe ich des Öfteren zum Ausdruck gebracht.

Und doch bin ich im Kern erst einmal auf der Seite des Trainers, und ich werde den Teufel tun, diese Position nach einem Spiel, in dem der Beinahe-Absteiger beim Champions-League-Teilnehmer phasenweise groß aufspielt und, davon bin ich überzeugt, nach knapp siebzig Minuten um Zentimeter an einem deutlichen Sieg vorbeizielt, den Stab über diese Mannschaft und ihren Trainer zu brechen.

Ja, ich weiß, genau daran liegt ein Problem: dass es oft so läuft. Dass man nicht mehr von Zufällen und Pech sprechen kann, zumindest nicht ausschließlich, vielleicht nicht einmal primär. Ich habe Verständnis für jeden, bei dem diese Argumente irgendwann überwiegen und der eine Veränderung vorzöge. Eher weniger Verständnis habe ich indes für diejenigen, die den Schuldigen identifiziert und das Urteil gesprochen haben – und für die gegenteilige Meinung wenig bis kein Verständnis aufbringen, aber so ist das wohl manchmal, wenn man es mit Menschen zu tun hat.

Letztlich ist unsere Meinung ja ohnehin irrelevant. Letztlich geht es darum, was die Entscheidungsträger denken, letztlich sind sie es, die den Stab gegebenenfalls brechen, auch wenn ich eben in einem Anflug von Größenwahn anderes andeutete. Und, so ehrlich bin ich gern: das ist auch gut so. Und nein, ich werde mich jetzt nicht an einer Diskussion über die Vereins-Entwicklung (sic!) beteiligen.

So werde ich also auch weiterhin von Spiel zu Spiel denken, die Leistungen der Mannschaft und, eher mittelbar, des Trainers beobachten, meine Meinung hinterfragen. Und wenn dann irgendwann alles gut wird, im Idealfall mit Alexander Zorniger, werde ich mich redlich bemühen, etwaige Triumphposen stecken zu lassen, und jeden VfB-Fan, der mir im Wege steht, umarmen. Ehrlich. Bis dahin, oder bis zum Beweis des Gegenteils, werde ich erst einmal meine Filter optimieren. Und mir vielleicht das nach dem Ingolstadt-Spiel angedachte T-Shirt drucken lassen:

Ari&
Titti&
Mili&
Ruppi.

Fragen Sie nicht. Gerade wegen Ari.

Warm ums Herz

Herzzerreißend”, las ich irgendwo, und ja, das trifft es wohl ziemlich gut, auch mit dem nötigen Pathos. Meine Wahl fiele eher auf “erwärmend”. “Begeisternd” wäre vielleicht etwas hoch gegriffen. Zwischendurch, gewiss, da war ich begeistert, immer wieder, kurzzeitig. Bis zum Torabschluss, genauer gesagt.

Nun will ich gar nicht behaupten, verwirrend durchdachte Kombinationen gesehen zu haben, gestern, gegen Schalke, Kombinationen, die dann regelmäßig in eigentlich nicht zu verpassende Torgelegenheiten gemündet seien, die wiederum auf unerklärliche Art und Weise vergeben wurden. 

Vielmehr entstanden die Torgelegenheiten, wie es eben so ist beim VfB zornigerscher Prägung, mal aus dem Nichts, mal nach Schema F, auch mal eher zufällig, vertikal durch die Mitte, diagonal über außen, das Tempo deutlich höher als die Präzision. Und so waren es auch gar nicht so sehr die einzelnen Chancen, die mich fassungslos zurückließen, sondern vielmehr deren Vielzahl und die im Kopf wider besseres Wissen erfolgte Kumulation der jeweiligen Torerfolgswahrscheinlichkeiten. Sechs Dreiviertelchancen, manche etwas drunter, einzelne deutlich drüber, sollten halt viereinhalb Tore ergeben. Oder so.

Bei Fouls geht das schließlich auch. Seit einiger Zeit sieht man Schiedsrichtern regelmäßig dabei zu, wie sie vermeintlich den Spielern, tatsächlich aber in erster Linie allen anderen, etwas weiter entfernt stehenden, Beteiligten in Grundschülermanier an den Fingern vorzählen, wie viele Vergehen derjenige bereits begangen habe, und begründen so die nun folgende persönliche Strafe, die allein das jüngste Foul sonst nicht rechtfertigen würde:

“Vier Fouls – gelb!
Nochmal vier von dem Kaliber, dann gehen Sie duschen!”

Hoffentlich lesen Collinas Erben das nicht.
Aber so ein Pendant für Torchancen, das wär’s gewesen:

“Ginczek, sie haben’s vorhin allein vor dem Tor verkackt, der Klein auch, der junge Baumgartl gar doppelt und das skurril, und jetzt schießen Sie auch noch dem Hüter aus kürzester Distanz ins Gesicht? Irgendwann ist es wirklich genug – also: 1:1, und nun gehen Sie mir aus den Augen!”

Hätte ich genommen, ehrlich. Ausnahmsweise. Dass dann auch noch das 2:1 gefallen wäre, versteht sich von selbst.

Ja, Schnapsidee. Und Fahrradkette. Dennoch, und trotz herzzerreißender Niederlage: erwärmend. Es hat Spaß gemacht, dem VfB zuzuschauen. Der einen Gegner in die eigene Hälfte drängte und dennoch (ja, dennoch) zu klaren, erspielten Chancen kam. Hat man nicht so oft gesehen in den letzten Jahren. Und der gleichzeitig zwar einige rasche Gegenangriffe zuließ, zum Teil auf erschreckende Weise selbst einleitete (here’s looking at you, Serey Dié), diesen aber auch eine Rückwärtsbewegung entgegensetzen konnte, die ihren Namen verdient hatte. Und in Toni Sunjic einen sehr aufmerksamen Mann an der Seite von Timo Baumgartl.

Emotional erwärmt hat mich zudem nicht zuletzt das Spiel von Timo Werner. Nicht dass er der herausragende Mann auf dem Feld gewesen wäre, keineswegs, aber er war Teil des Spiels. Er war sehr agil, brachte sich ein, spielte selbstverständlich, schnell und direkt, wollte selten mit dem Kopf durch die Wand. Von den schlampigen Ballannahmen und unerklärlichen Abspielfehlern der letzten Wochen und Monate, nach denen man regelmäßig auf den Platz laufen und ihn einerseits in den Arm nehmen, andererseits kräftig durchschütteln wollte, war kaum etwas zu sehen; stattdessen erahnte man jene Dynamik und jenen Zug zum Tor, die ihn zu einem ganz heißen Scheiß gemacht haben. Wenn jetzt noch ein bisschen mehr Selbstvertrauen dazu kommt, bin ich sehr optimistisch.

Dass das nicht so einfach ist mit dem Selbstvertrauen, weiß ich auch. Und dass es nicht nur für Werner gilt. Schon klar. Schön, dass zumindest der Trainer genug davon hat und die Mannschaft nach der zurückhaltenden Vorstellung in Berlin wieder konsequenter nach vorne gehen ließ.

Klar zählen am Ende die Ergebnisse, und nur diese. Natürlich ist die Konstellation nun auf dem Papier noch ein bisschen schwieriger als gestern, als ich kurz vor dem Spiel eine trotzige Solidaritätsadresse an Alexander Zorniger schickte, und zweifelsohne werden die Timbersportler ihre Säge so langsam auf Touren bringen. Umso bemerkenswerter die gestrige Stimmung rund um den VfB, die nach dem Spiel im Applaus der Fans Ausdruck fand, oder in den quasi in Echtzeit formulierten Schuldzuweisungen der Vertikalpassgeber, oder aber bereits zur Pause im Twitteraccount von Herrn @Das_Mietmaul:

War noch was? Ein Badge am Ärmel? Ich sah es nicht, ehrlich gesagt, war zu weit entfernt. Bis lange nach dem Spiel wusste ich nicht einmal, ob sich die Kurve zur BILD-Aktion geäußert hatte – ich stand wie immer dahinter. Aber ich hatte einen starken Verdacht, der dann erfreulicherweise auch bestätigt wurde. Besten Dank an die Kurve!

Am Mittwoch geht’s weiter. Klar wäre es an der Zeit, mal zu punkten. Und wenn nicht: Tro-tro-trotrotro-trotzkopf! 

Trotzkopf

Na, Anja Schüte, irgendjemand? Genau, Roland Kaiser. Promi Big Brother, wenn ich recht informiert bin. Zärtliche Cousinen, wie man mir sagte. Und vor allem: der Trotzkopf. Hab ich natürlich nicht gesehen, noch viel weniger als die Cousinen, war dann ja doch eher was für Mädchen. Aber meine Cousine, die fuhr total drauf ab. Wir trafen uns irgendwo, familienmäßig, dürfte ein Sonntag gewesen sein, und sie hat so lange auf ihre Eltern eingewirkt, bis sie tatsächlich nachgaben und mit ihr nach Hause gingen. Trotzkopf halt.

Ich hab’s selbst wirklich nicht gesehen, keine Folge, aber der Titel blieb im Kopf, Anja Schüte auch, und in den vergangenen Tagen dachte ich oft daran. Wegen Alexander Zorniger? Nein, eigentlich nicht. Meinetwegen eher. Je öfter ich las oder hörte, dass sich der VfB auf dem Holzweg befinde, alles ändern müsse, die Stevens-Taktik oder gar Stevens selbst reaktivieren solle, zumindest aber den Trainer, diesen blutigen Anfänger an die Hand nehmen möge, desto entschiedener war meine Überzeugung, auch die mir selbst eingeredete, dass der Weg genau der richtige ist.

Gewiss, der Trainer tritt sehr gewöhnungsbedürftig auf, und ich selbst sagte schon vor Wochen, ach: Monaten, dass ich ihn sein selbstgerechtes Auftreten nicht sonderlich schätze, vorsichtig ausgedrückt. Und dass die von Robin Dutt ausgestrahlte Ruhe nicht in jedem Fall meine Zustimmung findet, ist unbestritten – dass in den Tagen nach der Freigabe von Antonio Rüdiger nicht umgehend der Nachfolger präsentiert wurde, kreide ich ihm an. Was ihm egal sein wird.

Und dennoch: ich glaube an die beiden. Bin überzeugt, dass sie die Kurve bekommen, und mit ihnen die Mannschaft. Neulich frug mich jemand, der sich nicht so intensiv mit dem VfB befasst, ob er es denn hinbekomme, und wenn ja, mit oder ohne Zorniger? “Ja”, antwortete ich, ohne zu zögern, “und ja, mit Zorniger. Sie sollten ihn nur nicht kastrieren”.

Bildhafte Sprache, nicht wahr? Oder gar BILD-hafte? Möglicherweise. Aber ja, ich bin tatsächlich der Überzeugung, dass, wenn man Zornigers Weg weitergeht, etwas Gutes herauskommt. Den Anfang davon werde ich mir in knapp zwei Stunden im Neckarstadion ansehen.

Mag sein, dass mir dieser Text nachher aufs Brot geschmiert wird. Dann habe ich eben Pech gehabt. Und singe weiterhin “Ich bin ein Trotzkopf, Tro-tro-trotrotro-trotzkopf” – auf die Melodie von “Popstar”, die Älteren werden sich erinnern.

Niederlage am grünen Tisch

Guten Abend. Der Urlaub ist vorbei. Vielleicht erzähle ich demnächst auch noch ein bisschen was darüber, wenn es die Zeit zulässt. Zunächst aber möchte ich ein paar Sätze über Tischkicker verlieren. Der wichtigste vorab: ich bin kein guter. Tischkicker, meine ich. Und diese Selbsteinschätzung enthält nicht einmal einen Hauch von Koketterie.

Früher, als ich noch sehr klein war, gab es bei bei Oma und Opa einen. Tischkicker, meine ich, erneut. Er stand im Schopf, im Schuppen, der längst zum Partyraum meiner noch recht jugendlichen Onkels umfunktioniert worden war, und da es sich um einen Gastronomietisch handelte, finanzierte er wohl so manches Fest. Ich konnte damals kaum auf das Spielfeld sehen, von Anschauungsunterricht kann also keine Rede sein.

Jahre später sollte sich noch einmal eine Episode ereignen, zu deren Hauptakteuren mein Cousin und ich, der eingemottete Tisch und das dort verbliebene Restgeld, ein bisschen Werkzeug sowie ziemlich viele Produkte aus dem Hause Schöller zählten, aber ich erinnere mich nicht so genau, und überhaupt wollte ich ja über heute reden, und das Tischkickerintermezzo mit meiner Tochter, das die Rast auf dem Heimweg aus südlicheren Gefilden ein bisschen in die Länge zog.

Wie ich bereits sagte, sind meine Qualitäten als Tischkicker eher überschaubarer Natur. Weder kann ich behände den Ball innerhalb der Mittelfeldreihe kreisen lassen, noch den Gegner mit verwirrenden Kombinationen der noch immer drei Stürmer zur Verzweiflung bringen, noch ansatzlos, präzise oder auch nur scharf schießen. Meine Verteidiger sind steif und langsam, der Torwart die klassische Bahnschranke – die noch nicht einmal fällt. Dass es im Duell mit meiner fünfjährigen Gegnerin dennoch zum Sieg hätte reichen können, lag lediglich an einer gewissen körperlichen Überlegenheit.

Wie wir so spielten, erinnerte ich mich unwillkürlich an meine eigenen ersten Versuche am Tisch, und insbesondere an den wenige Jahre älteren Onkel, der mir eingebläut hatte, die linke Hand stets beim Torwart zu belassen. Ganz davon abgesehen, dass meine linke Hand wahrlich nicht zu mehr taugt als zu ein paar hektischen Sprints des Hüters entlang der Torraumlinie, erschien mir diese Strategie stets logisch, und ich habe sie bis heute beibehalten.

Und unversehens war ich gedanklich bei Alexander Zorniger angelangt. Von Tischkickern ist der Weg zum Fußball möglicherweise noch ein wenig kürzer als bei anderen Ausgangsthemen, und schätzungsweise hätte es auch eine weniger verwinkelte Überleitung getan, doch wie dem auch immer sei: ich vermute schlichtweg, dass Herr Zorniger einer konservativen Aufstellung mit festem Torwart nur sehr wenig abgewinnen kann. Und vermute weiter, dass er von Verlustängsten reden würde, die zwar verständlich seien, letztlich aber hinderlich.

Vielmehr müsse man den Ball mit den acht offensiven Akteuren jagen, die Verteidiger zustellen, das Mittelfeld erst recht, lange Bälle des Torwarts provozieren, Banden- und in der Folge Fehlpässe erzwingen, um dann auf kurzem Weg und ohne großes Brimborium einzulochen. Allein: ich loche nicht verlässlich genug ein. Auf Rechtsaußen habe ich technische Mängel, links treffe ich das Tor nicht, und aus der Mittelfeldreihe ist der Weg zum Tor dann doch so weit, dass der gegnerische Torwart gelegentlich mal einen Ball hält.

Und so bleibe ich bei meinem klassischen Muster, mit festem Torwart, lasse meine Tochter dann doch mitunter etwas entspannter aufbauen, als ich das idealtypisch vielleicht tun sollte, und wie es der Teufel will, dreht ihre Sturmreihe nach einem angeschnittenen Bandenpass frei, der Rechtsaußen schlägt ein Luftloch, und sein bisher nicht als abschlussstark aufgefallenes linkes Pendant vollendet.

Sie ahnen, was passiert: ich spiele weiterhin gar nicht so schlecht, kombiniere nicht nur für meine Verhältnisse, sondern auch ganz objektiv sehr passabel, erziele auch ganz hübsche Tore, ohne aber den Sieg rechnerisch zu sichern. Dann fällt eines meiner Männchen aus, ein anderes wird eher notdürftig ersetzt, und mit dem Mut zur Vorwärtsverteidigung ist es dann so eine Sache. Selbst gegen eine Fünfjährige.

Irgendwann macht dann ihr abgeblättertes Männchen mit der rostigen Feder den vorletzten Ball rein, nachdem ich meine Verteidigungsreihe wieder mal viel zu schnell und unüberlegt in Position fliegen ließ. Und über den letzten Ball sollte ich wohl den Mantel des Schweigens hüllen. Eigentlich.

Gewiss, man kann sich fragen, ob das so in Ordnung ist, wenn sie meine Sturmreihe in der Entstehung einfach festhält, aber seien wir ehrlich: zum einen hätte die ohnehin nichts dran ändern können noch wollen, zum anderen hatte ich noch genügend Männlein hinter dem Ball. Aber keines, das dem Rostmännchen gewachsen gewesen wäre, und erst recht keines, das sich dem improvisierten Mittelangreifer in den Weg gestellt hätte.

Ein bisschen ärgerlich war es schon, der Tochter hernach den überschwänglichen Jubel gönnen zu müssen, aber das ist ein anderes Thema. Wir setzten die Heimfahrt dann schweigend fort, beschleunigten ein bisschen, um vielleicht doch noch rechtzeitig (halb-)heimatliche Gefilde zu erreichen. Rechtzeitig? Sie wissen schon: Bundesliga. Der VfB in Hamburg. Mit besagtem Herrn Zorniger an der Seitenlinie.

Und in der Tat: es gelang. Zudem hatte sich vor Ort eine neue Sky-Kneipe etabliert, nachdem mein letzter Kneipenbesuch in der Gegend eine bittere Gastronomieerfahrung und ein ebensolches Spiel mit sich gebracht hatte: damals, als man Salomon Kalou für die Lösung Berliner Sturmprobleme hielt und als Carlos Gruezo nach einem Kurzeinsatz als Sündenbock herhalten musste.

Fünf Minuten vor dem Anpfiff erreichte ich die neue Kneipe; die Familie, inklusive siegreicher Tochter, war bei der Familie geblieben. Bis auf meinen Sohn. Mit dem ich nun also vor der als Raucherlokal deklarierten Lokalität stand, zu der Kinder keinen Zutritt haben. Retrospektiv könnte man sagen, dass mir das Schicksal genügend Signale gesandt hatte, dass es eine bessere Idee sei, den Rest des Tages essend oder im Bett zu verbringen.

Dummerweise verstand indes mein empathischer Sohn meine emphatischen Blicke und erklärte seinen Verzicht auf das Spiel und die langwierige Suche nach alternativen Bezahlfernsehenslokalitäten. Ich solle ihn doch nach Hause fahren, er werde dann mit seinem Opa (einem HSV-Fan) die Sportschau ansehen.

Und so sah ich das Spiel ab der zehnten Minute, weiß aber leider nicht mehr allzu viel darüber. Außer, dass mir dieser Zorniger-Fußball per se viel Freude bereitet. Ärger auch, klar, aber ich leichtgläubiges Ding bin sehr gewillt, die Schwächen zwar als systemimmanent, nicht aber als nicht beherrschbar zu betrachten. Schließlich habe ich einige meiner bittersten Tischkickerlehrstunden von Menschen erhalten, die konsequent nach vorne gingen.

Allerdings, und das gebe ich unumwunden zu, habe ich große Angst davor, dass Bayer Leverkusen noch einmal sehr viel Geld für Daniel Didavi bieten könnte, das die hiesige sportliche Leitung schwach werden lässt. Zumal mein in den vergangenen Monaten aufgebautes Grundvertrauen in Robin Dutt in der vergangenen Woche einen Dämpfer erhielt: ich war überzeugt, dass er, so man Antonio Rüdiger tatsächlich abgeben sollte, binnen zweier Tage den längst bekannten Nachfolger präsentieren würde. Tja.