Wie gedruckt

Am Mittwoch verlor der VfB gegen den FC Bayern München. In letzter Sekunde, nach eigener Führung, zum wiederholten Male, ich war vor Ort. Am Donnerstag fiel mir dann zufällig ein Stapel Zeitungen in die Hände. Gerne hätte ich ein bisschen was über das Spiel gelesen. War aber nüscht, Redaktionsschluss und so. Blöd, ne?

Noch blöder ist nur, wenn dieses Phänomen auch bei elektronischen Publikationen auftritt. Wenn ein Blogbetreiber am Sonntag einen tags zuvor zu Ende geschriebenen Text (na ja, “Ende” – aufgehört halt, mangels Stringenz) veröffentlicht, der das nicht gesehene Samstagsspiel völlig außer acht lässt, jenes vom Mittwoch aber aufgreift. Tja. Wer möchte, kann ja mit dem Text einfach einen Fisch einwickeln.

Dass sich der gemeine Fußballfan mit der Zeit verändert, drückt sich beispielsweise beim erwarteten, vielleicht auch notwendigen Komfort aus, in aller Regel auch beim zur Verfügung stehenden Budget, und dass der gemeine Fan gerne mal in der Wortfamilie bleibt und die zunehmende Gesetztheit zunehmend mit Sitzen in Verbindung bringt, ist auch keine besonders originelle Erkenntnis.

Allem Anschein (konkreter: meiner Stadionposition) nach bin ich und habe ich mich noch nicht so recht gesetzt; gleichwohl hat sich auch meine Kurvenlage im Lauf der Jahre verändert. Das hat zum Teil zweifellos mit sich wandelnden Ansprüchen zu tun, vor allem aber damit, dass die besagten Veränderungen aufgrund der hiesigen Stadionumbauten der vergangenen Jahre von außen angestoßen wurden. Wir alle kamen so nicht umhin, mehrfach über unser Selbstbild als Fan und die damit einhergehende Platzwahl nachzudenken, und ja, ich bin ganz zufrieden.

Die Gruppe der Umstehenden ist in den wesentlichen Teilen konstant geblieben, die eine oder andere Veränderung an den Rändern ist kein Fehler, und doch denkt man manchmal mit einem Empfinden, das ich, wenn auch nicht als Wehmut, so doch als Nostalgie beschreiben würde, an ein paar Jahre zurückliegende Stehplätze und Menschen zurück, gerade an Tagen wie dem vergangenen Mittwoch.

Einige Jahre lang stand eine oder zwei Reihen hinter uns, meist leicht versetzt, ein meinungsstarker junger Mann, nicht ohne Sachverstand, der nach meiner Wahrnehmung beim Grundkurs Diplomatie gefehlt hatte, bei der Political Correctness möglicherweise auch, was nicht in jedem Kontext ein Fehler sein muss, in manchem aber zweifellos einer war.

Eines Tages tippte er uns vor einem Spiel von hinten an, und offenkundig erschien ihm die Ankündigung, die er zu machen hatte, von Belang: „Jungs“, sagte er, und wir alle wissen, dass sich erwachsene Männer tatsächlich gar nicht so selten so anreden, genau wie erwachsene Frauen mitunter mit „[ihren] Mädels“ ausgehen, „Jungs, ich muss Euch warnen: heute werdet Ihr mich nicht wiedererkennen. Es geht gegen die Bayern!“ Vermutlich wählte er tatsächlich eine andere Bezeichnung als „Bayern“, oder zumindest eine ergänzende, aber das sei nur am Rande erwähnt.

Die Quintessenz lautete jedenfalls, dass ein an normalen Spieltagen regelmäßig aufbrausender, die Spieler beider Mannschaften beleidigender und auch im Umgang mit anderen (Heim-)Fans nicht in jedem Fall und jeder Hinsicht zimperlicher Zuschauer in Aussicht stellte, an diesem Tag, da es gegen das Böse schlechthin ging, während des Spiels unter Umständen etwas energischer aufzutreten als sonst, und dass man ihm das bitte nicht übel nehmen solle, weil … ach, egal.

Ist ja legitim, gegen einzelne Vereine eine besonders ausgeprägte Abneigung zu hegen, ohne dass das einer besonderen Begründung bedürfte. Dass er damit im Umfeld des VfB keine Minderheitenmeinung vertritt, ließ sich am Mittwoch wieder einmal erahnen. So informierte mich auch mein Nebenmann, in aller Regel ein Muster an fußballspezifischer Besonnenheit, irgendwann im Lauf des Spiels, dass er meine Objektivität nicht teilen könne, wenn es gegen den FC Bayern gehe. Was völlig in Ordnung ist.

Objektivität? Hm. Wahrscheinlich. Es hilft ja nichts: ich kann nicht aus meiner Haut. Natürlich bin ich in hohem Maße parteiisch, natürlich ist es mir völlig egal, ob der VfB seine Siege gegen die Münchner aus einer spielerischen Überlegenheit heraus oder durch reinen Dusel erzielt. Ein irreguläres Tor? Nehm’ ich mit Handkuss. Aggressive Spielweise? Her damit, sollen sie sich halt beklagen, ich zähle mich da zum Team Weinzierl. (Den Verweis auf die Herren Hleb und Hargreaves mögen sich interessierte Kreise denken.)

Also: nein, nicht neutral. Aber: ja, relativ objektiv. Gerade – und damit haben Collinas Erben rein gar nichts zu tun – mit Blick auf den Schiedsrichter. Bei dem es sich noch dazu um einen der besten seiner Zunft handelte, gegenwärtig möglicherweise gar den Besten. Über dessen Ansetzung ich mich schon vorab freute und mich dann nach wenigen Minuten bestätigt sah:

Mario Götze ging an der seitlichen Strafraumgrenze im Duell mit Antonio Rüdiger zu Boden, und die erwarteten Reaktionen traten ein. Götze sah erwartungsfroh zu Herrn Gräfe, die Gästefans wollten einen Elfmeter, während Teile der VfB-Anhängerschaft um mich herum ihre Götze-Einschätzungen bestätigt sahen und Schwalbengelb wollten. Gräfe ging souverän, man möchte sagen: ungerührt über beides hinweg und setzte somit sehr früh einen passenden Rahmen für ein schönes Fußballspiel mit Zweikämpfen, Aggressivität, einfach einer gewissen Körperlichkeit.

Dass der VfB am Ende fünf gelbe Karten gesehen hatte und der Gast nur deren drei, gibt das Härteverhältnis aus meiner Sicht ganz passend wieder, auch wenn möglicherweise mitlesende Gästeanhängende an dieser Stelle die für mich selbst in Anspruch genommene Objektivität in Zweifel ziehen. Wie es im Übrigen auch einheimische Fans taten, als ich beispielsweise die gelben Karten für Leitner und Rüdiger nicht nur verbal verteilte, ehe Gräfe am Ort des Geschehens eintraf, sondern sie auch explizit als angemessen bis hin zu zwingend einordnete.

Sicher, dass Gräfe nach dem Verzicht auf einen Elfmeterpfiff, als Werner Rafinha an den Arm geköpft hatte, beim VfB-Anhang einen etwas schwereren Stand hatte, ist nur zu gut zu verstehen, und ich gebe zu, wäre es nicht Gräfe gewesen, sondern [hier bitte einen aus mindestens einer guten Handvoll Schiedsrichternamen nach persönlichem Gusto einsetzen], hätte ich in besagter Szene mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht dahingehend argumentiert, dass der Schiedsrichter zwölf Meter vom Ort des Geschehens entfernt gewesen sei und ich hundertzwanzig.

Aber da stand eben Manuel Gräfe, und so konnte ich mir nicht vorstellen, dass der Mann mit der Pfeife den für mich zu erahnenden, für einige Umstehende, die in ihrer Kindheit deutlich mehr Karotten gegessen haben mussten als ich, deutlich zu erkennenden und auch in seiner Entstehung und Motivation unzweifelhaften Hand- bzw. Armkontakt übersehen hatte. Vielmehr hatte er ihn wohl anders eingeordnet, und obwohl er auf der Payroll der Fußballmafia DFB steht, wollte mir nicht recht in den Sinn, dass diese Einordnung der Identität der beteiligten Akteure und Mannschaften geschuldet gewesen sein könnte.

Natürlich kann man das auch anders sehen. Das gilt, wenn man will, für die Sache mit dem Bayern-Bonus, gewiss; vor allem aber ist die Sichtweise, dass Gräfe einen vielleicht vorhandenen Ermessensspielraum in die aus Stuttgarter Sicht ungünstige Richtung ausgenutzt hat, eine sehr legitime. Dass er beim Führungstreffer des VfB eher keinen Ermessensspielraum hatte und ihn dennoch zugunsten des VfB nutzte: geschenkt.

Was ich aber wirklich nicht so recht begreife, sind die mit zunehmender Spieldauer zunehmenden Kommentare, dass man doch so schlecht wie der gar nicht pfeifen könne, dass er ständig gegen den VfB pfeife, dass er eben ein typischer Bayern-Schiri sei,kurz: dass er schuld sei am (zu jenem Zeitpunkt noch einfachen) Punktverlust.

Oder doch, sorry: ich begreife es schon. Geht mir manchmal auch so, dass ich mich in sowas reinsteigere, dem Schiri alles (so’n bisschen halt, glaubt mir ja sonst eh keiner) Böse wünsche und so weiter. Und möglicherweise können andere Leute das dann genauso wenig nachvollziehen wie ich am Mittwoch.

Wie auch immer: verloren. Auf bittere Art und Weise. Und sich dann auch noch diesen – inhaltlich durchaus begründeten – Münchner Überschwang ob des ausnehmend sehenswerten Siegtores anhören und nachlesen zu müssen. Nicht schön. Vor allem, weil es ja anders hätte laufen können. Ibisevic, Werner, Harnik, sie alle hätten das Spiel deutlicher in die gewünschte Richtung kippen lassen können, doch es gelang nicht.

Kann passieren, eigentlich. Und doch ärgere ich mich noch heute, über Mohammed Abdellaoue, der im Münchner Strafraum derart viel Zeit und Muße hatte, den vielleicht entscheidenden Querpass zu setzen, dass er sich wohl in einem Spiel gegen einen der Zahlreichen weniger ernst zunehmenden Gegner wähnte und dann auch nur das entsprechende Maß an Konzentration aufwandte.

Zynisch? Ja, ein bisschen. Mit Scheuklappen auf eine Szene fokussiert? Ja, vielleicht auch. Ist halt manchmal so. Gelegentlich muss, und ich meine: muss, es eben mehr sein. Das war so eine Szene.

Bei Sven Ulreich war es mehr, keine Frage. Mehr als eine Szene, mehr als ein willkürlich entstehendes Gefühl. Es ist kein Geheminis, dass ich seit langem zu denjenigen zähle, die ihn recht kritisch sehen und das mit hoher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin tun werde. Aber die Fußabwehr gegen Thiago war außergewöhnlich, und insgesamt strahlte er wesentlich mehr Souveränität aus als zuletzt.

Vor allem aber, und das kommt auch für mich wahrhaft unerwartet, ziehe ich meinen Hut und verneige mich tief ob jenes Abschlags, den er aus der Hüfte und auf Hüfthöhe auf Martin Harnik schlug und damit den wohl besten Stuttgarter Konter seit der Kombination Lehmann-Träsch-Hilbert beim 4:1 gegen Werder Bremen im Jahr 2008 einleitete. Unglücklicherweise fehlte diesmal der erfolgreiche Torabschluss.

Aber irgendwann klappt er, ganz bestimmt. Und dann verliert man auch nicht mehr kurz vor Schluss, erst recht nicht nach eigener Führung. Vielleicht schon am Samstag in Leverkusen. Öhm. Zeitung von gestern.

Betriebswirtschaftliche Anreizproblematik

Man möge sich, so man möchte, vielleicht einmal vorstellen, dass es am letzten Spieltag der laufenden Bundesliga-Spielzeit noch um etwas geht, und zwar für Eintracht Frankfurt und den FC Augsburg, die an diesem 10. Mai aufeinandertreffen, in Augsburg. Um uns nicht mit allzu großen Umwälzungen in der Tabelle belasten zu müssen, gehen wir davon aus, dass Augsburg noch auf den Einzug in den Uefa-Cup, oder was aus ihm geworden ist, hoffen kann, während Frankfurt noch Punkte braucht, um den Abstieg auszuschließen. Stellen wir uns weiter vor, dass es auch für den VfB Stuttgart noch um etwas geht, sei es das eine oder das andere.

Und dann ruft Europameister Fredi Bobic Welt- und Europameister Stefan Reuter an, um ihm eine Prämie anzubieten, wenn der FCA in besagtem letztem Spiel einen bestimmten Spieler einsetzt. Ob der Spieler einen Augsburger Sieg wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher machen sollte und würde, sei einmal dahingestellt.

Abwegig, nicht wahr? Der Aufschrei wäre groß. Der Fußball ist sensibilisiert für solche Themen, zu Recht natürlich. Ob es so weit gehen muss, dass – wie im vergangenen Herbst in Sachsen-Anhalt geschehen – ein Landesligaschiedsrichter suspendiert wird, weil er an einem nicht mit monetären Anreizen versehenen Tippspiel teilnimmt, in dem auch eigene Spiele vorkommen, ist einerseits diskutabel. Andererseits war es eben ein sehr unbedachtes Verhalten des jungen Mannes, und in manchen Bereichen kann es vielleicht nicht schaden, den Anfängen zu wehren.

Ich selbst tue mich ein bisschen schwer damit, dass die Verbände auch versprochene Siegprämien von Seiten Dritter unter Manipulation subsumieren und sanktionieren. Wohlgemerkt: bei Prämien für Niederlagen zögerte ich nicht. Aber auch hier: die Anfänge. Und der Einfluss von außen. Überhaupt, von außen: 50+1, Sie wissen schon. Dritteigentümerschaften an Spieler-Transferrechten. Manches mehr. Der Fußball schützt sich gegen die Einflussnahme Dritter, oder will seine Vereine schützen. Großes Fass, dickes Brett. Plötzlich sind wir bei der FIFA, auch bei der Frage, wem der Fußball gehöre, bei Verbänden und Hartplatzhelden – man könnte in viele Richtungen abzweigen.

Ein anderes Mal, vielleicht. Ich beschäftige mich lieber kurz mit Podcasts. Kommt jetzt eventuell etwas abrupt, ist aber so.

Dass ich recht spät einen Zugang zu Podcasts gefunden habe, äußerte ich hier bereits, und die geneigte Leserin kann das entweder technisch verstehen oder auf meine Präferenzen beziehen, oder auch auf eine Mischung aus beidem – recht hat sie auf jeden Fall. Oder er.

So mag es nicht überraschen, dass die Zahl der von mir gehörten Podcasts nach wie vor überschaubar ist. Wirklich regelmäßig höre ich nur Collinas Erben, wie verschiedentlich ausführlich dargelegt, etwas weniger regelmäßig ein paar vereinsbezogene Angebote, uneingeschränkt regelmäßig die nicht explizit fußballbezogenen Spezialexpertengespräche bei “Was wichtig ist” (Kunststück, bei bisher genau zwei Ausgaben) und – ebenso regelmäßig, aber deutlich häufiger, der Erscheinungsfrequenz geschuldet – “Football Weekly” des Guardian.

Schon klar, dass ich hinsichtlich Football Weekly keine Eulen in die werte Athener Leserschaft zu tragen brauche, und vielleicht sollte ich auch nicht weiter darauf eingehen, dass ich Barry Glendenning bei meinen ersten Hörversuchen für einen mittelwitzigen älteren Herrn mit Säuferstimme hielt, dessen Mitwirkungsberechtigung irgendwelche Senioritätsgründe haben musste. Immerhin: die Dinge ändern sich.

Mittlerweile bin ich stets ein bisschen enttäuscht, wenn er nicht dabei ist – auch seinem Humor geschuldet, ja, aber eben auch seinem Wissen, seiner Kompetenz, seinen Nachfragen. Ähnliches könnte man wohl über die meisten anderen Mitwirkenden sagen, aber aus irgendeinem Grund gelten meine Sympathien in besonderem Maße ihm, und so achte ich bei den Premier-League-Ergebnissen inzwischen stets auf Sunderland. So kann’s gehen.

Irgendwann im November sprach man bei Football Weekly über Gerard Deulofeu, bzw. konkret über die Modalitäten des Leihgeschäfts zwischen dem FC Barcelona und dem Everton FC, die dem Vernehmen nach vorsehen, dass sich die Leihgebühr, crikey!, mit jedem Spiel reduziere, das Deulofeu für Everton bestreite. Vielleicht hänge es auch noch davon ab, wie lang der jeweilige Einsatz dauere bzw. ob der Spieler in der Startelf stehe, so genau erinnere ich mich nicht.

Mich irritierte diese Regelung ein bisschen und ich frug bei Twitter herum, ob derlei üblich sei, auch in Deutschland, und las aus den Antworten heraus, dass ich offensichtlich nicht besonders gut informiert war. Zwar bezog sich nach meiner Erinnerung niemand auf offizielle Aussagen; gleichwohl legen die teils überzeugten, teils nur ahnenden Antworten sowie die Anzahl sofort präsenter Beispielfälle nahe, dass etwas dran ist.

Zu den Genannten zählten unter anderen die Herren Didavi, Füllkrug, Schieber und Alaba, im Web fanden sich ad hoc auch de Bruyne und Nordtveit sowie einige mehr. Der Austausch driftete dann, nicht ganz überraschend, zu den Rückkaufoptionen ab, die sozusagen das neue Leihen sind, mich aber im aktuellen Kontext nicht so sehr interessierten.

Kontext? Welcher Kontext? Nun, vielleicht kehre ich doch noch einmal nach Augsburg zurück. Wo Raphael Holzhauser vom VfB auf Leihbasis spielt, und wo man sich erzählt, die Leihgebühr verringere sich mit jedem Einsatz, wo also der FCA faktisch Geld sparen, oder anders: eine Prämie erhalten würde, setzte er Holzhauser gegen Frankfurt ein. Ob er einen Augsburger Sieg wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher machen sollte und würde, sei einmal dahingestellt.

Möglicherweise stimmt diese Prämisse gar nicht, möglicherweise enthält Holzhausers Leihvertrag keine solche Klausel, möglicherweise mangelt es also meinem mehr oder weniger kunstvoll aufgebauten Spannungsbogen nicht nur an Spannung, sondern ist er noch nicht mal ein Bogen, der wieder zur Sehne zurückfindet, und möglicherweise verirre ich mich auch furchtbar in meinen Bildern.

Was indes kaum bestritten werden dürfte: im Fußball werden Leihverträge geschlossen, die die genannten Verabredungen in der einen oder anderen Form enthalten. Ob dies auch bei Leihen innerhalb einer Liga Usus ist, kann ich nicht mit Gewissheit sagen; es gibt entsprechende Meldungen, die aber auch nur Gerüchte sein mögen.

Bei mir bleibt auf jeden Fall ein nicht näher bestimmtes ungutes Gefühl hängen, ein Jucken, eine Irritation, wenn auch in etwas seriöserer Form, als mein Tweet von vor einigen Wochen, und dort insbesondere, aber nicht nur, der zweite Satz, nahelegt:

Natürlich gehe ich davon aus, dass Markus Weinzierl, so die Klausel bestünde, seine Aufstellung weder im letzten noch in irgendeinem anderen Saisonspiel davon abhängig machen würde, ob er dem Verein damit 10.000 Euro oder welchen Betrag auch immer einsparen könnte, dass er sich also nicht von seinem Controller die Aufstellung diktieren lassen würde.

Es ist nur so, dass die Möglichkeit solcher Rabatte nicht so recht in das Bild passt, das die Fußballfamilie mir spätestens seit 2009 vermittelt, vermitteln will – und an dem ich mit Blick auf Manipulationsthemen auch der Tendenz nach nichts auszusetzen habe. Unabhängig davon, dass ich das Ausloben einer Siegprämie durch Dritte per se nicht für geeignet halte, die Integrität des sportlichen Wettbewerbs zu unterlaufen.

Bei Alex Hleb war die Korrelation übrigens eine andere: Wolfsburgs Leihgebühr an Barcelona soll pro Einsatz fällig geworden sein, in nicht unerheblicher Höhe. Die betriebswirtschaftliche Anreizproblematik bleibt dabei allerdings bestehen, unabhängig vom Vorzeichen der Einsatzprämie. So weit die Theorie.

Ca-Cau! Ca-Cau! Ca-Cau!

In den Fußballstadien der Republik, und zumindest teilweise auch weit darüber hinaus, fällt es gelegentlich nicht allzu schwer, ein aus den Fußgängerzonen der industrialisierten Welt, teilweise auch darüber hinaus, bekanntes Phänomen wiederzufinden: überschaubare Differenzierung.

So wie man allerorten H&M, Zara, Pimkie oder Foot Locker findet, so stößt man auch in viel zu vielen Stadien auf “You’ll never walk alone”, auf “Steht auf, wenn Ihr irgendwas seid” sowieso, und wenn doch mal jemand einen originellen neuen Gesang kreiert (gerne: aus der weiten Welt importiert), brauchen die Adaptionen nicht lange, um die Runde zu machen. Auch wenn ich mir mitunter etwas mehr Vielfalt wünschen würde, beklage ich das gar nicht so sehr. Hat ja auch einen Wiedererkennungswert. Und das eine oder andere Stadionding hab ich irgendwie lieb gewonnen, auch wenn es mir mitunter völlig unerklärlich ist. Die Sache mit den Aufstellungen zum Beispiel, so abgedroschen sie sein mag,  gehört für mich dazu. Das mit den Vor- und den Nachnamen meine ich. Meintewegen sogar in Einzelfällen um ein “Fußballgott” ergänzt.

Eine Herausforderung für den gemeinen Stadionsprecher stellen dabei Brasilianer dar. Oder andere Künstler, denen der Vorname abhanden gekommen ist. Oder auch der Nachname, oder beide, weiß man ja nicht immer so genau. Christian Pitschmann, der in Stuttgart die Vornamen rufen darf, hat sich in der Vergangenheit meist damit beholfen, im Stile eines Anheizers im Boxring die Rückennummer etwas in die Länge zu ziehen “(mit der Nummer Achtzeeeeeehn”) und dann darauf zu hoffen, dass die Menge mit “Cacau!” kontert. Am Samstag allerdings – nicht bei der Aufstellung, sondern später, nach Cacaus Toren – gingen die Gäule ein wenig mit ihm durch:

“Torschütze ist mit der Nummer 18 unser Ca!”

Und tatsächlich, da war es:

“Cau!”

Gleich noch einmal, weil’s so schön war:

“Ca!” – “Cau!”

Und nochmal:

“Ca!” – “Cau!”

Fühlt sich ja für mich ein wenig an wie “Hiphip!” – “Hurra!” oder “Zickezacke Zickezacke” – “Hoi! Hoi! Hoi!” (Und nein, ich will keine Hitlerjugenddebatte anzetteln). Aber egal.

Jener Ca-Cau also, den Herr Pitschmann zurecht bejubelte und bejubeln ließ, hatte zuvor, eher überraschend, ein großartiges Spiel gezeigt. Überraschend zum einen deshalb, weil weder die zurückliegenden Leistungen noch seine gesundheitlichen Probleme – weiche Leiste, Sie wissen schon – eine solche Steigerung erwarten ließen, zum anderen, weil gar keine Vertragsgespräche anstehen.

Wie auch immer: Ca-Cau zeigte sich von der ersten Minute an beweglich, engagiert, entschlossen und überhaupt nicht eigensinnig. Er erzielte das frühe Führungstor, war stets anspielbar, ging weite Wege, und belohnte sich am Ende auch noch mit dem 3:0. Schöne Geschichte, das. Wenn die Medien darauf verzichtet hätten, seine selbstlose Selbstaufopferung in den Fokus der Berichterstattung zu stellen, hätt’s zumindest mir noch mehr Spaß gemacht.

Großartig, diese erste halbe Stunde. Dass Hajnal und Kuzmanovic das Spiel verstanden haben und gelegentlich die Situation so schnell erfassen, dass sie das Spiel mit einem nicht einmal spektakulären Pass unglaublich schnell machen können, wusste man. Dass sie es in dieser Häufung auch umsetzen, war neu. Und plötzlich eröffnen sich Möglichkeiten. Durch die Mitte, wenn’s sein muss. Über Boulahrouz, auch wenn er für meine Begriffe mitunter zu früh flankte. Und vor allem über Molinaro, der zwar keinen Hleb, aber eben Kuzmanovic, Hajnal, Träsch und Ca-Cau gefunden hat. Wohingegen das Zusammenspiel mit Okazaki nach wie vor hinten und vorne nicht funktioniert. Wörtlich gesprochen.

Nicht zuletzt deshalb dürfte der Trainer am Samstag Boka gebracht haben. Was kein Fehler war. Ohne einen kausalen Zusammenhang herstellen zu wollen, fiel doch auf, dass der VfB nach einer guten Stunde das Heft wieder etwas fester in die Hand nahm. Alles andere wäre allerdings auch eher enttäuschend gewesen gegen einen HSV, dem man in keiner Phase anmerkte, dass es für ihn noch um die Uefa-Cup-Qualifikation ging. Vor dem Spiel hatte@tinneffs ausgerechnet und in seinem Blog dargestellt, dass für den HSV theoretisch noch alles drin sei: von Rang 3 bis Platz 15. Nun, an Rang 3 zeigten sie kein Interesse, und ob sie sich überhaupt nennenswert für Fußball interessierten, durfte man durchaus bezweifeln. Was vielleicht an der starken Anfangsphase des VfB lag, vielleicht aber auch auf jeden Fall so gekommen wäre.

Ähnlich offen bleibt die Antwort auf die Frage, ob Serdar Tasci alles so souverän und elegant im Griff hatte, weil der Hamburger Sturm nichts auf die Reihe brachte, oder ob der Hamburger Sturm nichts auf die Reihe brachte, weil Serdar Tasci alles so souverän und elegant im Griff hatte. Ich neige ja zu letzterem: sehr starker Auftritt von Tasci. Genau wie von Christian Träsch, der sein Minikrise vermittels doppelter Laufarbeit abgeschüttelt hat.

Genug der Lobeshymnen. Oder anders: angesichts der Leistung des HSV ist es bemerkenswert, dass dennoch auch noch eine Hymne auf Sven Ulreich gesungen werden muss, der wenig zu tun hatte, der aber in jener einen Situation, auf die es eben ankam, verhinderte, dass ein Spiel, das man deutlich gewinnen musste, plötzlich unentschieden stand. Völlig unnötig, eigentlich.

Zum Schluss muss ich noch etwas gestehen, das regelmäßige LeserInnen irritieren könnte: ich habe Gentner gefordert. Nun ja, vielleicht ist “gefordert” ein etwas zu starker Ausdruck. In einer halbwegs realistischen Darstellung war es etwa folgendermaßen: “Ca-Cau wirkt nicht mehr spritzig, der hat sich verausgabt. Labbadia sollte wechseln. Aber wen kann er bringen? Puh. Naja, dann halt Gentner, der sollte zumindest den Ball und damit die knappe Führung halten können.” Mein Wunsch war Herrn Labbadia (der ja gerne mal wegen seiner Einwechslungen kritisiert wird, auch von mir) Befehl, zumindest so halb. Gentner traf mit dem ersten Ballkontakt, mir war es fast peinlich, Cacau aber war noch immer auf dem Platz und sollte mich kurz darauf Fehleinschätzungen strafen. Was aber keinen interessierte, weil mein Nebenmann etwas stärker im Fokus stand, nachdem er Gentners Einwechslung lautstark und eindeutig kommentiert hatte:

“Nein. Nein. Nein! Nein! NEIN! NEIN!”

Immerhin besaß er die Größe, Gentners Treffer entspannt zu kommentieren:

“Ich sag doch immer, dass der Gentner spielen muss.”

3:0 gegen den HSV also. Fast wollte man glauben, das Thema Abstieg damit ad acta legen zu können.

Im gefühl des fast sicheren nichtabstiegs brennt das osterfeuer gleich viel freundlicher irgendwie.Sat Apr 23 20:06:16 via twicca

Wäre aber schade gewesen für all diejenigen, die sich an der Stuttgarter Zweitligakampagne zu erfreuen, sodass sie dank Kölner Schützenhilfe auch weiterhin “Niemals Zweite Liga!” skandieren dürfen, in der Hoffnung, dass es nicht doch noch nach hinten los gehe.

Gefällt mir eigentlich, das Szenario: gegen Hannover den Klassenerhalt sichern und dann ein paar Wechselgesänge anstimmen.

“Nieder!” – “Meier!”
“Haj! – “Nal!”
“Pitsch! – “Mann!

Bleibt zu hoffen, dass Funk oder Bah nicht zum Einsatz kommen.

Standardfloskeln

Endlich habe ich wieder einmal ein VfB-Spiel anschauen können, nachdem ich von den Partien in Chemnitz und gegen St. Pauli so gut wie nichts gesehen hatte. Soviel zum Positiven.

Ok, war vielleicht auch nicht anders zu erwarten. Schließlich hatte die Stuttgarter Zeitung schon morgens über die aktuellen Problemfelder der Mannschaft informiert.

Über Zdravko Kuzmanovics “Gehabe” bei Freistößen, beispielsweise, und darüber, dass “die Qualität seiner Freistöße mit der Show davor nur selten mithalten” könne. Interessante Sichtweise, wenn man sich mit einem Verein beschäftigt, der in Sachen Freistöße noch immer dem frühen Balakov nachtrauert, bei dem der letzte vor Kuzmanovic direkt verwandelte Freistoß vermutlich der von Toni da Silva im DFB-Pokal-Halbfinale 2007 war [Korrektur: Hitzlsperger traf zuletzt im Mai 2009, zudem gab es noch mindestens drei weitere] und wo Kuzmanovic nach nicht einmal einem Drittel der laufenden Saison drei direkte Freistoßtore in Pflichtspielen zu verbuchen hat. Da ist es mir – das mag an meiner Oberflächlichkeit liegen – eigentlich ziemlich egal, was er vor dem Schuss tut. Und wie er hinterher jubelt. Aber meine Psychologiekenntnisse sind bestenfalls rudimentär. Vielleicht spaltet ein gemeinsamer, noch dazu eingeübter Torjubel zweier Spieler ja tatsächlich die Gruppe und verstärkt die Isolation von Ersatzkapitän Cacau. Vermutlich haben die Experten recht. Das Spiel in Wolfsburg hat sie zumindest nicht widerlegt.

Auf die schlechte Kommunikation und das nicht funktionierende Team wurden wir ebenfalls hingewiesen. Es mag durchaus sein, dass die Mannschaft interne Reibereien hat, auch Martin Harnik hat sich gestern bei Sport im Dritten nicht gegen die Andeutung gewehrt. Das jedoch daran festzumachen, dass in Chemnitz Ciprian Marica zum Elfmeter antrat, “obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits ziemlich klar war, dass er an diesem Tag kein Glück haben würde” und dass es “in einem funktionierenden Team […] Spieler gegeben [hätte], die Marica zumindest auf die Gefahren bei diesem Strafstoß hingewiesen hätten”, finde ich, nun ja, ungewöhnlich.

“Elfmeter? Ich mach ihn rein!”
“Bist Du sicher, Cipi?
“Klar bin ich sicher. Ich bin Stürmer!”
“Dann lass mich Dich wenigstens kurz auf die Gefahren hinweisen. Bist Du Dir darüber im Klaren, dass Du auch scheitern könntest, gerade heute, wo Du ohnehin keinen Ball triffst? Dann scheiden wir möglicherweise aus, der Trainer muss gehen und Du sitzt am Wochenende nur auf der Bank.”

Entschuldigung, da ging wohl was mit mir durch.

Zurück zum Wolfsburg-Spiel. Mit einer gewissen Berechtigung wies der Sky-Reporter verschiedentlich darauf hin, dass der VfB von Verletzungen geplagt sei, dass 8-10 Spieler fehlten. Ich nickte wissend, um mich dann zu fragen, wie vielen der 10 ich zutrauen würde, der Mannschaft zu einem Leistungssprung zu verhelfen. Dem gesperrten Delpierre. Und, äh, keinem. Ok, anders gefragt: wie viele von den 10 ich bei völliger Fitness in der Startelf hätte sehen wollen. Didavi. Und, hm, Audel. Ach nee, gleiche Position.

Tja. Wie bereits verschiedentlich gesagt: der VfB hat einen soliden Bundesligakader mit braven Bundesligaspielern. Spieler von internationalem Format, wie man sie im Vorjahr mit Khedira, Lehmann (ja, ja) und gelegentlich Hleb hatte, sind gegenwärtig eher spärlich gesät. Extrem spärlich.

Wenn also die Individualisten fehlen, trifft es sich ja ganz gut, dass der Trainer in verschiedenen Medien dahingehend zitiert wird, dass man für taktische Einheiten gegenwärtig “keine Zeit” habe. Ist ja auch nicht nötig, schließlich sei man gegen Wolfsburg, so Trainer Keller, gut gestanden und habe nur wenig zugelassen. Nur die Standards, an denen müsse man wohl noch arbeiten. Ganz ehrlich: ich habe diese Trennung noch nie verstanden. Wenn ich im “normalen” Spiel ganz gut verteidige, bei jedem einzelnen Eckball und jeder Freistoßflanke jedoch ein Gegentor in der Luft liegt, dann habe ich einfach nicht gut verteidigt. Standardsitauationen sind Teil des Spiels. Integraler Bestandteil. Für viele Mannschaften eines der wichtigsten taktischen Mittel. Zum Beispiel für Mannschaften, die einen Spieler wie Diego in ihren Reihen haben, der mit ruhenden Bällen durchaus etwas anzufangen weiß. Da könnte man sich vielleicht drauf vorbereiten. Und bitte nicht hinterher sagen, dass man doch bis auf die Standards ganz gut ausgesehen habe.

Ach, egal. Ich bin sauer. Schon wieder. Und unstrukturiert. Und kann gar nicht all die Dinge aufzählen, über die ich mich ärgere. Egal, ob es Celozzis unsinnige Halbfeldflanken sind, Molinaros(!) unsinnige Halbfeldflanken, Gentners Alibispielweise, Cacaus Aufstellung als Stoßstürmer, Boulahrouz’ Kerze, Kuzmanovics Handlungsgeschwindigkeit, Harniks überhasteter Abschluss, Ulreichs… Halt, Schweigegelübde! Undsoweiter undsoweiter.

Aber natürlich wendet sich alles zum Guten – vielleicht noch nicht gegen Getafe, aber am Sonntag gegen Werder.

Mach's gut, Shakira!

Im Sommer 2006 verließ Christian Tiffert nach 6 Jahren, 136 Spielen und 9 Toren den VfB Stuttgart, und irgendwie wirkte das Ganze, wie soll ich sagen, unvollendet. Tiffert war außerordentlich begabt, was er gelegentlich auch eindrucksvoll unter Beweis stellte. Er war 2004 Kapitän der U21 und wurde recht hoch gehandelt, als es darum ging, wer von den Junioren noch auf den “echten” EM-Zug aufspringen würde. Beim VfB war er indes weit davon entfernt, zum Führungsspieler aufzusteigen, Verantwortung zu übernehmen – zu klar schien das Bild des etwas schlampigen und nicht immer zu 100 Prozent engagierten, naja, Genies, das viel zu wenig aus seinen Möglichkeiten machte. Der Wechsel zu Red Bull Salzburg passte dann auch ins Bild desjenigen, der den Weg des geringsten Widerstands wählt.

Sein Nachfolger im rechten Mittelfeld des VfB hieß Roberto Hilbert, und wenn ich ehrlich bin, denke ich manchmal, dass einigen Zuschauern in den letzten vier Jahren entgangen ist, dass derjenige, der die rechte Außenbahn beackert, gar nicht mehr Tiffert heißt. Die Schmähungen wurden der Einfachheit halber kurzerhand beibehalten und fortgesetzt. Man meckerte über ungenaue Zuspiele, erfolglose Dribblings und schlechte Flanken, ohne gleichzeitig die tolle Arbeit im Dienst der Mannschaft zu würdigen. Mittlerweile nimmt die Position im rechten Mittelfeld übrigens Timo Gebhart ein. Hochbegabt, schlampig. Vielleicht passen die immer gleichen Verunglimpfungen jetzt wieder besser.

Hilbert war anders als Gebhart und Tiffert. Er ist wohl nicht ganz so hoch veranlagt wie sie, aber bei ihm trifft zumindest das Verb “beackern” uneingeschränkt zu: sein Einsatz ist stets vorbildlich, er geht voran, gibt nicht auf und setzt auch in scheinbar ausweglosen Situationen nach. Den Grund für seine selbstlose Spielweise fanden die Medien übrigens auch recht rasch heraus: Hilbert hatte auch im echten Leben Verwantwortung übernommen. Mit 22 war er Vater einer 13-jährigen Stieftochter (und einer 2-jährigen Sohnes). Was natürlich alles erklärte. Auch den Kosenamen, den ihm einige Fans angedeihen ließen, entlehnt von seiner Stieftochter: Shakira.

Voller Verantwortungsgefühl kam Hilbert also im Sommer 2006, obwohl von einigen Bundesligisten umworben, als relativ unbeschriebenes Blatt aus Fürth nach Stuttgart und setzte sich sofort durch. In seiner ersten Bundesligasaison bestritt er als einziger VfB-Spieler alle 34 Partien, 20 davon über die volle Distanz, und war mit 7 Treffern der drittbeste Torschütze – 4 seiner 6 Rückrundentreffer bedeuteten jeweils das 1:0. Am Ende stand die deutsche Meisterschaft und Hilbert war Nationalspieler.

Neben seiner – zumindest auf dem Platz, außerhalb kann ich es nicht beurteilen – vorbildlichen Berufseinstellung war es sein Umgang mit den Fans, der ihn mir besonders sympathisch machte. Er war immer als erster in der Kurve, stimmte in die Fangesänge ein an, und auch wenn das furchtbar übertrieben war, erwischte ich mich einige Male bei dem Gedanken, dass er eigentlich mehr Fan als Spieler sei. Nicht ganz von ungefähr dürfte es auch kommen, dass er sehr hoch gehandelt wurde, als es darum ging, die Frage zu beantworten, die BILD nach der Meisterschaft stellte:

VfB-Wappen als Intim-Rasur
Welcher Meister trägt das drunter?

Nach der Meistersaison ging es nicht nur für den VfB erst einmal bergab, sondern auch für Hilbert. Zwar bestritt er auch in der Saison 2007/08 32 (2008/09: 31, 2009/10: 23) Spiele; seine Defizite, die in der Euphorie der Meistersaison ein wenig untergegangen waren, traten indes immer wieder deutlich zutage: immer seltener konnte er sich im Dribbling durchsetzen (als Stuttgarter, der den schnellen Aufstieg und die anschließenden Rückschritte von Andreas Hinkel im Stadion verfolgt hatte, erlebte man ein Déjà-vu), wenn er doch einmal zum Flanken kam, fühlte man sich an Christian Ziege zu seinen schlechteren Zeiten erinnert, und seine Fehlerquote beim Passspiel war teilweise furchtbar hoch – wenn man ehrlich ist, handelt es sich dabei um Fertigkeiten, die für einen offensiven Mittelfeldspieler nicht ganz irrelevant sind.

Ich hatte ja in den letzten Jahren immer mal wieder gehofft, dass sich ein Trainer finden würde, der Hilbert dabei hülfe, sich die taktischen Mittel zu erarbeiten, die es braucht, um ein guter Außenverteidiger zu werden. Zum einen hätte ich mir einen Mann mit seinem Biss und seinem Tempo dort sehr gut vorstellen können, zum anderen herrschte auf dieser Position in den letzten Jahren (und herrscht bis heute) beim VfB kein Überangebot an guten Spielern. Vergebens.

Unter Christian Gross, auch das wird häufig verkannt, kam Shakira in der Rückrunde der abgelaufenen Saison in 16 von 17 Spielen zum Einsatz, davon immerhin acht mal in der Startelf. Häufig wurde er zudem auf der linken Außenbahn eingewechselt, wo er sich überraschend gut schlug. Gegen Wolfsburg erzielte er den Führungs-, in Nürnberg kurz vor Schluss den für den weiteren Saisonverlauf enorm wichtigen Siegtreffer. Auf der ungewohnten Seite gelangen ihm plötzlich wieder Dribblings, gelegentlich flankte er mit dem schwachen Fuß sehr anständig, und phasenweise war er gar erste Wahl für Ecken und Freistoßflanken (zugegeben: Hleb hatte die Latte sehr niedrig gelegt).

Letztlich reichte es dennoch nicht, den Verein von einer Vertragsverlängerung zu überzeugen, zumindest nicht zu Hilberts bzw. für ihn akzeptablen Konditionen. Und ein wenig schwingt da bei mir der Verdacht mit, dass man ihn möglicherweise gehalten hätte, wenn nicht bei Cacau eine ordentliche Dreingabe nötig geworden wäre.

Schade.