Im Sommer 2006 verließ Christian Tiffert nach 6 Jahren, 136 Spielen und 9 Toren den VfB Stuttgart, und irgendwie wirkte das Ganze, wie soll ich sagen, unvollendet. Tiffert war außerordentlich begabt, was er gelegentlich auch eindrucksvoll unter Beweis stellte. Er war 2004 Kapitän der U21 und wurde recht hoch gehandelt, als es darum ging, wer von den Junioren noch auf den “echten” EM-Zug aufspringen würde. Beim VfB war er indes weit davon entfernt, zum Führungsspieler aufzusteigen, Verantwortung zu übernehmen – zu klar schien das Bild des etwas schlampigen und nicht immer zu 100 Prozent engagierten, naja, Genies, das viel zu wenig aus seinen Möglichkeiten machte. Der Wechsel zu Red Bull Salzburg passte dann auch ins Bild desjenigen, der den Weg des geringsten Widerstands wählt.
Sein Nachfolger im rechten Mittelfeld des VfB hieß Roberto Hilbert, und wenn ich ehrlich bin, denke ich manchmal, dass einigen Zuschauern in den letzten vier Jahren entgangen ist, dass derjenige, der die rechte Außenbahn beackert, gar nicht mehr Tiffert heißt. Die Schmähungen wurden der Einfachheit halber kurzerhand beibehalten und fortgesetzt. Man meckerte über ungenaue Zuspiele, erfolglose Dribblings und schlechte Flanken, ohne gleichzeitig die tolle Arbeit im Dienst der Mannschaft zu würdigen. Mittlerweile nimmt die Position im rechten Mittelfeld übrigens Timo Gebhart ein. Hochbegabt, schlampig. Vielleicht passen die immer gleichen Verunglimpfungen jetzt wieder besser.
Hilbert war anders als Gebhart und Tiffert. Er ist wohl nicht ganz so hoch veranlagt wie sie, aber bei ihm trifft zumindest das Verb “beackern” uneingeschränkt zu: sein Einsatz ist stets vorbildlich, er geht voran, gibt nicht auf und setzt auch in scheinbar ausweglosen Situationen nach. Den Grund für seine selbstlose Spielweise fanden die Medien übrigens auch recht rasch heraus: Hilbert hatte auch im echten Leben Verwantwortung übernommen. Mit 22 war er Vater einer 13-jährigen Stieftochter (und einer 2-jährigen Sohnes). Was natürlich alles erklärte. Auch den Kosenamen, den ihm einige Fans angedeihen ließen, entlehnt von seiner Stieftochter: Shakira.
Voller Verantwortungsgefühl kam Hilbert also im Sommer 2006, obwohl von einigen Bundesligisten umworben, als relativ unbeschriebenes Blatt aus Fürth nach Stuttgart und setzte sich sofort durch. In seiner ersten Bundesligasaison bestritt er als einziger VfB-Spieler alle 34 Partien, 20 davon über die volle Distanz, und war mit 7 Treffern der drittbeste Torschütze – 4 seiner 6 Rückrundentreffer bedeuteten jeweils das 1:0. Am Ende stand die deutsche Meisterschaft und Hilbert war Nationalspieler.
Neben seiner – zumindest auf dem Platz, außerhalb kann ich es nicht beurteilen – vorbildlichen Berufseinstellung war es sein Umgang mit den Fans, der ihn mir besonders sympathisch machte. Er war immer als erster in der Kurve, stimmte in die Fangesänge ein an, und auch wenn das furchtbar übertrieben war, erwischte ich mich einige Male bei dem Gedanken, dass er eigentlich mehr Fan als Spieler sei. Nicht ganz von ungefähr dürfte es auch kommen, dass er sehr hoch gehandelt wurde, als es darum ging, die Frage zu beantworten, die BILD nach der Meisterschaft stellte:
“VfB-Wappen als Intim-Rasur
Welcher Meister trägt das drunter?“
Nach der Meistersaison ging es nicht nur für den VfB erst einmal bergab, sondern auch für Hilbert. Zwar bestritt er auch in der Saison 2007/08 32 (2008/09: 31, 2009/10: 23) Spiele; seine Defizite, die in der Euphorie der Meistersaison ein wenig untergegangen waren, traten indes immer wieder deutlich zutage: immer seltener konnte er sich im Dribbling durchsetzen (als Stuttgarter, der den schnellen Aufstieg und die anschließenden Rückschritte von Andreas Hinkel im Stadion verfolgt hatte, erlebte man ein Déjà-vu), wenn er doch einmal zum Flanken kam, fühlte man sich an Christian Ziege zu seinen schlechteren Zeiten erinnert, und seine Fehlerquote beim Passspiel war teilweise furchtbar hoch – wenn man ehrlich ist, handelt es sich dabei um Fertigkeiten, die für einen offensiven Mittelfeldspieler nicht ganz irrelevant sind.
Ich hatte ja in den letzten Jahren immer mal wieder gehofft, dass sich ein Trainer finden würde, der Hilbert dabei hülfe, sich die taktischen Mittel zu erarbeiten, die es braucht, um ein guter Außenverteidiger zu werden. Zum einen hätte ich mir einen Mann mit seinem Biss und seinem Tempo dort sehr gut vorstellen können, zum anderen herrschte auf dieser Position in den letzten Jahren (und herrscht bis heute) beim VfB kein Überangebot an guten Spielern. Vergebens.
Unter Christian Gross, auch das wird häufig verkannt, kam Shakira in der Rückrunde der abgelaufenen Saison in 16 von 17 Spielen zum Einsatz, davon immerhin acht mal in der Startelf. Häufig wurde er zudem auf der linken Außenbahn eingewechselt, wo er sich überraschend gut schlug. Gegen Wolfsburg erzielte er den Führungs-, in Nürnberg kurz vor Schluss den für den weiteren Saisonverlauf enorm wichtigen Siegtreffer. Auf der ungewohnten Seite gelangen ihm plötzlich wieder Dribblings, gelegentlich flankte er mit dem schwachen Fuß sehr anständig, und phasenweise war er gar erste Wahl für Ecken und Freistoßflanken (zugegeben: Hleb hatte die Latte sehr niedrig gelegt).
Letztlich reichte es dennoch nicht, den Verein von einer Vertragsverlängerung zu überzeugen, zumindest nicht zu Hilberts bzw. für ihn akzeptablen Konditionen. Und ein wenig schwingt da bei mir der Verdacht mit, dass man ihn möglicherweise gehalten hätte, wenn nicht bei Cacau eine ordentliche Dreingabe nötig geworden wäre.
Schade.