Dr große Graba

Tja. Hätte Arianit Ferati in der 69. Minute das Tor getroffen, dann hätten nach dem Abpfiff wohl die anderen triumphiert. Also jene, die wie ich große Stücke auf den Fußball halten, den Alexander Zorniger spielen lässt, und die sich eindrucksvoll bestätigt gesehen hätten von einer aus der Not geborenen Mannschaft, die in Leverkusen sehr ansehnlichen, vielleicht auch begeisternden – ich möchte mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, mein Bild ruckelte oft und war ziemlich körnig – Sport gezeigt und den Gegner waidwund geschossenspielt hatten.

Dass Ferati die Sache nicht zu Ende gebracht hat, kann man niemandem leichter verzeihen als dem jungen Kerl. Kann vermutlich auch der Trainer, der Ferati meines Erachtens keineswegs, wie vereinzelt zu hören war, abgestraft und ihm die Höchststrafe verpasst hat, indem er ihn eine halbe Stunde nach seiner Einwechslung wieder auswechselte.

Vielmehr hatte er einen gehörigen Anteil an der besten Phase des VfB, als er wie erhofft das Offensivspiel belebte, und an der zwischenzeitlichen vermeintlich klaren Führung; in einer komplett neuen Spielsituation waren dann wieder ganz andere Qualitäten gefordert, die recht weit entfernt waren von Feratis Kernkompetenzen. Das weiß er, das wissen wir, und das hätte sich der Trainer meinetwegen schon einen Tick früher denken können. So wie Huub Stevens in Paderborn, mit Maxim in der Ferati-Rolle. Die Älteren werden sich erinnern.

Zurück auf Los. Hätte hätte Fahrradkette. Ferati traf nicht, das Schicksal nahm seinen Lauf, insbesondere in Person von Karim Bellarabi, und der VfB hatte ihm nichts entgegenzusetzen. Nicht Przemysław Tytoń, der ihm nicht einmal den linken Fuß entgegenhalten konnte, auch kein Feldspieler, und auch nicht der Trainer. Und so konnten also die anderen “Seht Ihr!” sagen.

Jene, die gerne wieder einmal einen Trainer zum Teufel oder auch nur nach Mutlangen schicken würden, mindestens, vielleicht gleich noch einen Sportvorstand dazu, ein Präsident wäre auch noch in der Verlosung, und unter dem Brennglas sogenannter sozialer Medien konnte ich mich nach Spielende des Eindrucks nicht erwehren, dass manch eine(r) eine gewisse Freude am Rechthaben verspürte. Ob er oder sie nun recht hat oder nicht.

Das macht keinen Spaß. In dieser Klarheit habe ich die Frontenbildung innerhalb der Anhängerschaft selten erlebt. Und es ist ja nicht so, dass der VfB in den vergangenen Jahren nicht bereits das eine oder andere Beziehungsdrama zwischen Trainer und Anhängerschaft erlebt hätte, in verschiedensten Facetten. Aber stets, so zumindest mein Eindruck, verschoben sich die Gewichte nach und nach, ausgehend von einem gewissen Grundvertrauen und auf Basis mehr oder weniger ausgeprägter Anfangserfolge, zu Ungunsten des Trainers, ehe schließlich die Waage kippte und der Daumen nach unten ging.

Heuer ist das anders. Die mehr oder weniger ausgeprägten Anfangserfolge stellten sich gar nicht erst ein, zumindest nicht, als es zählte; gleichzeitig waren es nicht zuletzt die brotlosen Duftmarken im Vorfeld, die zu einer raschen Zweiteilung der Anhänger führte: pro oder contra Zorniger, mitunter im Verbund mit Herrn Dutt. Gerne genommen dann auch das ganz große Rad, was angesichts der angesprochenen Entwicklungen vergangener Jahre nicht verwundert. Gleichzeitig kann man sich fragen, ob die Personalie Zorniger damit nicht ein bisschen überladen wird – wohl wissend, dass daran wiederum Robin Dutt seinen Anteil hat.

Die Positionen waren also früh eingenommen und haben sich zwischenzeitlich vielerorts verfestigt. In meinem Kopf hat sich das Bild vom großen Graben breitgemacht, dabei habe ich keine Ahnung von Asterix. Ich selbst bekannte mich schon vor Wochen zu einem gewissen Trotz, der seither eher nicht geringer geworden sein dürfte, und möglicherweise ist das Bild auf der, Verzeihung, Gegenseite ein recht ähnliches.

Und so wird derjenige, der Herrn Zorniger lieber gestern als heute gekündigt sähe, ebenso wenig gelten lassen, dass die Mannschaft gestern über weite Strecken einen ganz hervorragenden Eindruck hinterlassen hat und an bitteren Fehlern gescheitert ist, individuell wie kollektiv, wie ich geneigt bin, von meiner Überzeugung, dass der VfB zornigerscher Prägung, mit all seinen Defiziten, die Kurve bekommen und uns noch viel Freude machen werde, abzugehen.

Gewiss, der eine oder die andere mag nun gekippt sein, so wie im gegenteiligen Fall der Vertrauensvorschuss für den Trainer bei manchem Fan vermutlich wieder knapp in den positiven Bereich gerutscht wäre, aber insgesamt wirkt es doch so, als seien die Fronten, man möge mir den Begriff verzeihen, ebenso klar wie verhärtet. Und unvorhersehbar – gestern ertappte ich mich schon bei einem absurden Quervergleich zu Stuttgart 21.

Keine Sorge, mir ist schon klar, dass wir uns da in unterschiedlichen Welten bewegen; die deutlichen Positionierungen, die quer durch das eigene Umfeld a priori nur schwer vorherzusehen sind, brauchen sich indes vor den Diskussionen, die man vor wenigen Jahren auf jeder Party, in jeder Kneipe, bei jedem beruflichen Stelldichein führte, weder in ihrer Entschlossenheit noch in ihrer Verbohrtheit zu verstecken. Selbst in Sachen Omnipräsenz sind wir auf einem “guten” Weg.

Ja, natürlich gibt es auch Grauzonen. Und ja, auch ich nehme für mich in Anspruch, wie für viele andere, ein vernunftbegabtes Wesen zu sein, das seine Position abwägt, hinterfragt und möglicherweise irgendwann, digital betrachtet, ins Gegenteil verkehrt. Selbstverständlich sehe ich die Defizite im Spiel des VfB, oder zumindest jenen Teil, der sich meinem Sachverstand erschließt, natürlich wünsche ich mir manches anders, nicht zuletzt im zählbaren Bereich, und dass ich an Herrn Zornigers Auftreten das eine oder andere auszusetzen haben, habe ich des Öfteren zum Ausdruck gebracht.

Und doch bin ich im Kern erst einmal auf der Seite des Trainers, und ich werde den Teufel tun, diese Position nach einem Spiel, in dem der Beinahe-Absteiger beim Champions-League-Teilnehmer phasenweise groß aufspielt und, davon bin ich überzeugt, nach knapp siebzig Minuten um Zentimeter an einem deutlichen Sieg vorbeizielt, den Stab über diese Mannschaft und ihren Trainer zu brechen.

Ja, ich weiß, genau daran liegt ein Problem: dass es oft so läuft. Dass man nicht mehr von Zufällen und Pech sprechen kann, zumindest nicht ausschließlich, vielleicht nicht einmal primär. Ich habe Verständnis für jeden, bei dem diese Argumente irgendwann überwiegen und der eine Veränderung vorzöge. Eher weniger Verständnis habe ich indes für diejenigen, die den Schuldigen identifiziert und das Urteil gesprochen haben – und für die gegenteilige Meinung wenig bis kein Verständnis aufbringen, aber so ist das wohl manchmal, wenn man es mit Menschen zu tun hat.

Letztlich ist unsere Meinung ja ohnehin irrelevant. Letztlich geht es darum, was die Entscheidungsträger denken, letztlich sind sie es, die den Stab gegebenenfalls brechen, auch wenn ich eben in einem Anflug von Größenwahn anderes andeutete. Und, so ehrlich bin ich gern: das ist auch gut so. Und nein, ich werde mich jetzt nicht an einer Diskussion über die Vereins-Entwicklung (sic!) beteiligen.

So werde ich also auch weiterhin von Spiel zu Spiel denken, die Leistungen der Mannschaft und, eher mittelbar, des Trainers beobachten, meine Meinung hinterfragen. Und wenn dann irgendwann alles gut wird, im Idealfall mit Alexander Zorniger, werde ich mich redlich bemühen, etwaige Triumphposen stecken zu lassen, und jeden VfB-Fan, der mir im Wege steht, umarmen. Ehrlich. Bis dahin, oder bis zum Beweis des Gegenteils, werde ich erst einmal meine Filter optimieren. Und mir vielleicht das nach dem Ingolstadt-Spiel angedachte T-Shirt drucken lassen:

Ari&
Titti&
Mili&
Ruppi.

Fragen Sie nicht. Gerade wegen Ari.