Wohlwollend neutrale Illusion

So richtig neutral bin ich ja eigentlich nicht. Sicher, ich bemühe mich, Fußballspiele objektiv zu betrachten, oder ich rede mir ein, mich darum zu bemühen. Tatsächlich weiß ich, wenn ich denn mal ehrlich zu mir selbst bin, dass mich ein Spiel nur dann wirklich fesseln kann, wenn ich zumindest ein kleines bisschen mit einer Mannschaft fiebere. Dass sich das bei zwei Teams, die mir im Grunde eher egal sind, auch mal während des Spiels ändern kann, steht auf einem anderen Blatt. Kurz: analytisch-neutral ist meine Sehweise eher nicht. Vor allem dann nicht, wenn der VfB Stuttgart involviert ist. Dann versuche ich zwar immer noch, das Spiel halbwegs objektiv zu verfolgen, aber es gelingt nur bedingt. So wird es sich demnach auch mit der neuen Saison verhalten, die der VfB selbstverständlich ganz entscheidend mitgestalten wird.

Neue Saison? Genau, neue Saison. Nächste Woche geht’s los, oder vielleicht schon morgen, mit dem DFB-Pokal. Schließlich hat Fredi Bobic den Pokalsieg als Saisonziel ausgegeben. Meine persönlichen Erwartungen an den VfB 2011/12 sind, was messbare Größen anbelangt, tendenziell bescheiden. Mir würde es reichen, wenn der VfB nie in Verbindung mit dem Wort Abstiegsangst genannt würde. Das dürfte bedeuten, dass man sich immer um Rang 10 herum oder noch etwas weiter oben bewegt. Mehr braucht es für mich gar nicht zu sein, nach der abgelaufenen Katastrophensaison. Sicher, wenn man dann am 28. Spieltag Achter ist und nur 5 Punkte Rückstand auf die Uefa-Cup-Plätze hat, kann ich damit umgehen, aber ich bin a priori auch mit weniger zufrieden. Was die Ergebnisse anbelangt. Und ich bin überzeugt, dass ich an der Stelle nicht enttäuscht werde.

Ich freue mich darauf, endlich wieder einmal im August und im Mai den selben Trainernamen rufen zu dürfen. Ich hoffe auf Timo Gebharts nächsten Schritt und Martin Harniks Bestätigungssaison, rechne mit Serdar Tascis Comeback in der Nationalelf, bin guter Dinge, dass William Kvist alle Vorschusslorbeeren rechtfertigt und uns bald an Pavel Pardo erinnert, erwarte die Fortsetzung von Zdravko Kuzmanovic’ Rückrundenleistungen. Ich will daran glauben, dass Christian Gentner noch zeigt, warum er dereinst Nationalspieler wurde, und dass Pavel Pogrebnyak doch ein Torjäger ist. Vielleicht muss ich gar Stefano Celozzi Abbitte leisten, wer weiß? Und ich hoffe auf Duftmarken, vielleicht mehr als das, von Raphael Holzhauser oder gar Kevin Stöger, von den defensiven Nachwuchsspielern ohnehin angesichts der derzeitigen Situation.

Aber egal, ich will jetzt nicht den ganzen VfB-Kader herunterbeten, nur weil ich mich so unheimlich auf die beginnende Saison freue. Zumal die Freude zwar in hohem Maße, aber eben nicht nur den Stuttgartern geschuldet ist. Ich freue mich, dass es wieder los geht. Und wenn ich jetzt noch einmal ein wenig versuche – was heute sicher leichter fällt als in ein paar Wochen, wenn der VfB gegen den entsprechenden Verein antritt -, mich der Illusion hinzugeben, ich sei ein wohlwollend neutraler Zuschauer, dann freue ich mich wie Bolle auf Raúl. Sein Auftreten, sein Auge, seine Ballführung, seinen Instinkt. Und darauf, wie Ralf Rangnick die Schalker zu ansehnlichem Fußball zwingt. Auf Kapitän Höwedes und auf den Tag, an dem ein überragender Lewis Holtby Felix Magath eine lange Nase macht. Ich freue mich auf Kapitän Tiffi und auf Richie Sukuta-Pasus Durchbruch, kann schon jetzt den Namen Knowledge Musona gar nicht oft genug vor mich hin sagen, erwarte gespannt die Freistöße von Salihovic, Sigurdsson, vielleicht auch Babel, und will Sebastian Rudy mit Boris Vukcevic glänzen sehen.

Auch in der neuen Saison werde ich mich nicht ohne einen Schuss Bewunderung über Johannes Flum aufregen, ob der Karriere von Julian Schuster wieder und wieder den Kopf schütteln, Ivica Banovic ein wenig huldigen und mich ganz tief vor Dirk Dufner verneigen, wenn Garra Dembélé Torschützenkönig wird. Ich bin überzeugt, dass mir des Prinzen Reaktion Spaß machen wird, Rensings Reaktionen sowieso, und auf Solbakken freue ich mich ohnehin, auch wenn ich den Grund nicht recht benennen kann. Götze, Hummels, Kagawa – noch Fragen? Dazu Gündogan und der hochgelobte Perisic. Der junge Löwe? Und, natürlich, Großkreutz. Auf Patrick Mayer bin ich sehr gespannt, auf den alten Mann im Tor und auf Dominic Peitz, den ich an seiner alten Wirkungsstätte so schätzte. Ich freue mich auf Michael Ballacks Trotzreaktion, auf Leverkusen à la Dutt, auf Castros Versuch, im Mittelfeld zu zeigen, was er alles drauf hat, auf Kießlings Comeback als Torjäger und Schürrles Zielstrebigkeit.

Es wird mir ein Vergnügen sein, Lasogga regelmäßiger spielen zu sehen, Raffael sowieso, auch Lustenberger. Schön, dass Kobiashvilis Eleganz in die Liga zurückkehrt, und ja, auch gut, dass ihr Maik Franz erhalten bleibt. Auch in dieser Saison wird mir (fast) jedes Gomez’sche Argument gegen die Nörgler ein Fest sein, und derer wird es viele geben. Ich freue mich, Müller und Schweinsteiger zuzusehen, und setze auf Kroos und Alaba. Dantes Frisur habe ich viel zu lange vermisst, Favres Interviews auch, und Marco Reus beeindruckt mich in einer Tour. Ich wünsche Christian Pander das Allerbeste, möge er mit Koka Rausch die linke Seite unsicher machen, Cherundolo würde ich ja mögen, wenn er mich optisch nicht so sehr an Steffen Simon erinnerte, vor Slomka und Schmadtke ziehe ich ohnehin meinen Hut. Natürlich bin ich sehr gespannt, wie und wo der geschätzte Träschi spielt, freue mich auf Brazzos Rückkehr und würde Patrick Helmes so ganz grundsätzlich das Wiederfinden verlorenen Schussglücks wünschen. Aber ich sehe halt auch Lakic gern und verneige mich vor Mandzukic.

Hach, Heinz Müller. Wäre für mich der Kandidat schlechthin für die Verfilmung des Traumhüters. Auf Baumgartlinger bin ich sehr gespannt, und auf Tuchels Interviews, wenn die Sonne nicht mehr so oft scheint. Mal sehen, wie sich Wollscheid macht, und Cohen, und Chandler. Didavi natürlich, und Feulner würd ich’s nochmal gönnen. Mehmet Ekici und Marko Marin – klingt doch vielversprechend, oder? Als Sidekicks für Marko Arnautovic, der eine überragende Saison spielt. Und Pizarro ist einfach… Pizarro. Natürlich freue ich mich auf Chelseas Jugendabteilung, so sie denn zum Einsatz kommt. Auf Petric und Son. Auf Michael Oenning.

So könnte es sein, wäre ich wohlwollend neutral. Illusorisch, das. Sagte ich eigentlich schon, dass ich mich auf das neue Neckarstadion freue? Auf die jungen Spieler, die hoffentlich ihre Duftmarken setzen? Ja, sagte ich schon? Nannte ich Stöger und Holzhauser? Und, ähem, Leno?

Wie auch immer: ich freu mich. Auf alles. Zeit wird’s.