Unaufmerksam

Selten einmal habe ich ein Spiel des VfB, noch dazu in einer entscheidenden Phase der Bundesligasaison, so unaufmerksam verfolgt wie die zweite Halbzeit der Freitagspartie in Bochum. Nicht dass es mich nicht interessiert hätte, ganz im Gegenteil. Es war einfach zu offensichtlich, dass man nichts mehr zu erwarten hatte. Kein ernst zu nehmendes Aufbäumen des Gegners, kein Feuerwerk des VfB, ja leider nicht einmal – auch das hatte sich sehr rasch abgezeichnet – konsequent vorgetragene Konter, um das Torverhältnis ein wenig aufzubessern.

Zu klar war die Rollenverteilung, zu eindeutig die Kräfteverhältnisse, und letztlich auch zu nüchtern der VfB, um noch auf ein Spektakel zu hoffen. Da konnte man dann schon mal verstärkt in die Diskussion über das Restprogramm und den Kader der nächsten Saison einsteigen und dem Spiel nur noch anderthalb Augen bzw. gar lediglich ein halbes Ohr widmen, ohne Gefahr zu laufen, am nächsten Tag mit verpassten verpassten Torchancen konfrontiert zu werden.

Was wie eine leise Beschwerde klingen mag, ist jedoch alles andere als das. Es tat gut, nach recht turbulenten Wochen mit gedrehten Spielen und späten Toren einfach mal entspannt zuzuschauen, auch wenn die Freude danach naturgemäß nicht so unbändig sein konnte wie beispielsweise in der Vorwoche gegen Leverkusen (“Europapokal!“). Dabei hatte ich im Lauf der Woche noch die Überzeugung mit mir herumgetragen, dass das Spiel in Bochum der bedrohlichste Stolperstein auf dem Weg nach Europa sei. Was es vielleicht auch hätte werden können, wenn man den Gegner nicht derart kalt erwischt und ihm nach zwanzig Minuten jede Zuversicht genommen hätte. Danach genügte eine humorlose Defensivleistung mit einem in positivem Sinne glanzlosen Sami Khedira, der nach den wichtigen “kleinen” Aktionen vor beiden Treffern zunehmend defensiver agierte, zahllose Bälle gewann und eine reife Leistung zeigte.

Weniger reif war der Umgang des VfB mit zahlreichen Kontermöglichkeiten, bei denen sich Cacau, Hilbert und Gebhart in dem Bemühen überboten, möglichst oft die falsche Entscheidung zu treffen. Der Sieger ist aus meiner Sicht nicht eindeutig zu benennen, vielleicht müsste man diese Frage Zdravko Kuzmanovic stellen, der das Ganze meist aus nächster Nähe beobachten musste.

Letztlich blieb ein souveräner Sieg mit geringem Glamourfaktor, der wohl auch deshalb nur bedingt euphorisierte, weil der Spielplan für dieses Wochenende kaum Ausrutscher der Tabellennachbarn versprach – eine Einschätzung, die sich am Samstag rasch bestätigte, als sich die Konkurrenz aus Dortmund, Bremen und Leverkusen durch die Bank schadlos hielt. Am Sonntag gab es zwar für Wolfsburg und den HSV Niederlagen, die entweder gänzlich oder zumindest in dieser Form nicht unbedingt zu erwarten gewesen waren; aber seien wir ehrlich: die beiden hatte man bereits nach dem letzten Spieltag nur noch pro forma auf der Rechnung.

So bin ich also guter Dinge, dass der VfB bereits am vorletzten Spieltag die Qualifikation für den Uefa-Cup in trockene Tücher bringt (leider werde ich nicht im Stadion sein können) und der HSV sich dann endgültig darauf konzentrieren kann, sich als Titelverteidiger zu qualifizieren – ja, ich glaube, dass sie im Craven Cottage bestehen werden [dieser Satz entstand übrigens vor dem Hoffenheim-Spiel; ich bleibe dennoch dabei], aber das nur am Rande. Damit der VfB noch von der Champions League träumen dürfte, hätte es wohl eines Ausrutschers zumindest eines oder zweier der vor ihm stehenden Teams bedurft (sowas Ähnliches hab ich übrigens vor ein paar Wochen in Sachen Uefa-Cup gesagt); aber irgendwie käme mir das ein wenig maßlos vor…

Abseits des aktuellen Bundesligageschehens hat der SWR am Samstag “Titel, Tore und Triumphe – Die Meisterschaften des VfB” Revue passieren lassen und dabei eine Menge schöner Erinnerungen geweckt. Home Stories aus den 50ern, die Erkenntnis, dass Anfang der 90er noch auffallend viele Schnauzbärte unterwegs waren, Eike Immels Krawatte, Mario Gomez ungläubiger Blick, als er erfuhr, dass der Autokorso noch eine Schleife drehen würde, Gerhard Mayer-Vorfelders Warten auf den lichten Moment – es gab genügend Gründe, sich die Sendung anzusehen. Buffy Ettmayer unterhielt das Publikum vor Ort so glänzend, dass sich Fragen nach dem Alter seiner Pointen verbieten, Hartmut Engler hatte nicht viel Redezeit, Gilbert Gress traf es sicherlich völlig unerwartet, dass sein öffentlicher Friseurbesuch mal wieder zum Thema gemacht wurde, gerade so, als handle es sich auch dabei um bisher unveröffentlichtes Material, Guido Buchwald brachte sich dankenswerterweise nicht als neuer VfB-Trainer ins Gespräch, Sami Khedira hörte den alten Herren respektvoll zu, es war also alles gut.

Nur Erich Retter tat mir leid. Nein, eigentlich tat ich mir selbst ein wenig leid, weil ich nicht zu hören bekam, was Retter noch gerne aus den 50er Jahren erzählt hätte. Er hatte nämlich einiges zu erzählen. Doch leider waren auch Themen dabei, die nicht auf Michael Antwerpes’ Kärtchen (oder was auch immer) standen. Dieser hatte folglich gar keine andere Wahl, als ihn abzuwürgen und mit einer geschickten Überleitung wieder auf den rechten Pfad zurück zu holen. Er hatte schließlich einen Plan, den es umzusetzen galt. Wäre ja noch schöner, wenn man einen Gast einfach so plaudern ließe. Einen der letzten Spieler, die bei den Triumphen der 50er Jahre dabei gewesen waren. Einen, der allem Anschein nach gerne ein paar Anekdoten zum Besten gegeben hätte. Der dem Publikum Freude machte. Der… ach komm, vergiss es.

Ach ja: Krassimir Balakov wurde zum besten VfB-Spieler aller Zeiten gewählt. Zum Ergebnis der online-Abstimmung über die Top 11 des VfB könnte man sicherlich viele Worte verlieren. Aber das muss nicht sein. Es hätte schlimmer kommen können.