Jede Woche ein neues Feature.

In der Rückrunde der vergangenen Saison spielte sich Christian Träsch auf der rechten Position in der Stuttgarter Viererkette fest. Sein Stellungsspiel bei langen Bällen, das zuvor das wichtigste Argument für meine Überzeugung gewesen war, dass es sich bei ihm um eine absolute Notlösung handle, war zwar noch immer nicht gut; seine defensive Zweikampfstärke und das augenfällige außerordentliche Engagement wogen indes nicht nur diesen Makel auf, sondern ließen auch ein Stück weit über die vermeintlich begrenzten Mittel im Spiel nach vorne hinwegsehen. Zur neuen Saison, daran gab es für mich wenig Zweifel, würde die Position dann zurück an Ricardo Osorio oder an Neuzugang Stefan Celozzi gehen.

So war es dann auch, allerdings nur kurzzeitig, nachdem sich Träsch im Eröffnungsspiel den Arm gebrochen hatte. Danach war er wieder drin, und am 17. Oktober spielte er gegen Schalke erstmals auf der Königsposition vor der Abwehr. Er gab dort im Grunde einen reinen Ausputzer, der mit dem Spielaufbau nichts zu tun hatte.  Wenige Tage später gegen Sevilla sah das schon anders aus: er nahm gelegentlich den Kopf hoch und spielte kurze, gescheite Pässe. Gegen die Rangers gab er der Mannschaft gemeinsam mit Kuzmanovic Stabilität, wiederum in der Champions League gegen Urziceni schoss er erstmals öfters auf das gegnerische Tor und begann, Bälle durch das Mittelfeld zu schleppen, gegen Hoffenheim erreichte er sowohl in der Balleroberung als auch bei den Torschüssen die Spitzenwerte in meiner gefühlten Statistik, und am Samstag gegen Wolfsburg trieb er den Ball nicht nur über das Feld, sondern ging auch immer wieder erfolgreich ins Dribbling und brachte sich in Halbzeit zwei sehr gut in den einen oder anderen Konter ein.

Auch als Christian Gross  den Bedarf an etwas mehr Struktur erkannte und Zdravko Kuzmanovic einwechselte, nahm er Träsch nicht etwa vom Platz, sondern verschob ihn ins rechte Mittelfeld, was zunächst insofern nicht ideal war, als er auf dieser Position noch ein wenig fremdelte. So unterliefen ihm einige ungewohnte Ballverluste, von denen einer unmittelbar zum Wolfsburger Gegentreffer führte. Nun denn, am Samstag hatte das keine gravierenden Folgen, und bis zum kommenden Wochenende, spätestens aber bis zum nächsten Heimspiel gegen Dortmund, da bin ich mir sicher,  wird sich Träsch die Schlüsselqualifikationen eines Außenstürmers als weiteres Feature angeeignet haben und sie ganz selbstverständlich zum Einsatz bringen.

Ansonsten verdeutlichte das Spiel, dessen Facetten drüben im Brustring detaillierter dargestellt werden, dass man sich noch in einer Übergangsphase befindet. Das zeigte sich sowohl bei der gesamten Mannschaft, die nach dem Wolfsburger Ausgleich völlig verunsichert war und von Glück reden konnte, dass das Spiel nicht komplett kippte, als auch bei den Leistungen einzelner Spieler. Paradebeispiel: Roberto Hilbert. Er schlug die beste Ecke, die man seit Monaten von einem Spieler, der nicht Elson heißt, gesehen hat, um bei der nächsten, die beinahe im Seitenaus gelandet wäre, wieder ins Jahr 2009 zurückzufallen. Er vergab zu Spielbeginn recht kläglich (“Der Hilbert halt, was will man erwarten?”) und netzte bald darauf aus sehr ähnlicher Position souverän ein. Zweimal zog er in der ersten Hälfte von halbrechts in hohem Tempo nach innen, um einmal, wie von vielen erwartet, unsinnig in den leeren Raum zu spielen, das andere mal Pogrebnyak hervorragend einzusetzen. Auch bei Timo Gebharts Treffer fragte ich mich, ob er nur aus Versehen erstmals in dieser Saison nicht den hohen Schlenzer angesetzt hatte, der zumeist zwei Meter über die Latte “streicht”. Wenige Minuten später war klar, dass er noch in ihm steckt.

Cristian Molinaro brachte eigentlich keine Altlasten mit. Und doch schwankten auch bei ihm die Bewertungen auf der Tribüne zwischen “großartig” (vor allem in der ersten Hälfte) und “Nummer 21, sag ich doch: das ist nach wie vor der Lude, nur mit Perücke”, als er in der zweiten Halbzeit gelegentlich schwächelte (mag sein, dass er zuvor etwas overpaced hatte), Džeko zum Ausgleich einlud und einige Male buchstäblich mit dem Ball ins Seitenaus lief. Auch Sven Ulreich, der zumeist gute Kritiken erhielt und von Kapitän Sami Khedira im SWR Fernsehen als “sicherer Rückhalt” gepriesen wurde (Zugegeben: Dieser Satz steht nur hier, weil ich so gerne “Kapitän Semi Khedira” schreiben wollte), habe ich bis weit in das Spiel hinein keineswegs als souverän wahrgenommen – den Heldenstatus hat er sich in der letzten Viertelstunde gleichwohl redlich verdient.

Was zählt: gewonnen. Platz 12. Aufbruchstimmung, und dennoch geerdetes Auftreten aller Beteiligten. Gefällt. Wenn ich zudem noch einen Wunsch äußern dürfte: Bitte, bitte, dringend den Herrn Niedermeier fest verpflichten!

Ach, was ich noch sagen wollte: die Medienberichterstattung habe ich nicht in allen Einzelheiten verstanden.

  • Im  ZDF-Sportstudio wurde dem Wolfsburger Grafite, dessen Abspiel auf Džeko Sven Ulreich abfing, in dieser Szene Eigensinn vorgeworfen.
  • Das DSF(?) differenzierte bei der Wolfsburger Doppelchance kurz vor Schluss, als weder Džeko (Pfosten) noch Grafite (drüber) allein vor dem Tor trafen, dahingehend, dass die Aktion des Bosniers in den höchsten Tönen gelobt wurde, wohingegen der Brasilianer versagt habe.
  • Valeska Homburg vom SWR stellte fest, dass der VfB “immer noch nicht so in ganz sicheren Ebenen in der Tabelle angelangt” sei und fragte daher ihren Gast Sami Khedira, ob es immer noch ein Abstiegskampf sei, den der VfB kämpfe.
  • Sonntag aktuell, die Stuttgarter Sonntagszeitung, schrieb:
    “Markus Babbel nannte Pawel Pogrebnjak einen “Target-Player”. Also einen Spieler, der zuverlässig ins Ziel trifft.”
  • Keiner der berichtenden Fernsehsender hielt es für nötig, die Zuschauer über die Temperaturen an der Stuttgarter Graswurzel zu informieren.