Wir heuern und wir feuern

Die Entlassung von Bruno Labbadia wird allenthalben kommentiert. In der Sache oft zustimmend, ob des Zeitpunkts bisweilen kopfschüttelnd, in den Kommentaren durchaus kontrovers. Die Lektüre offenbart zum Teil bemerkenswertes Hintergrundwissen, zum Teil auch nicht.

Labbadias für Stuttgarter Verhältnisse lange Amtszeit wird hervorgehoben, sein unterkühltes Verhältnis zum Publikum betont. Uwe Marx von der FAZ greift beide Aspekte, Stuttgarter Amtszeiten wie Stuttgarter Anhänger, wohl am pointiertesten auf, indem er zum einen den VfB als besonders entlassungswillig darstellt, dazu später noch ein paar Sätze, und zum anderen das hiesige Publikum, bzw. Teile davon, als treibende Kraft hinter der Entlassung betrachtet:

Bobic hat sich, wie so viele Rausschmeißer in der Bundesliga vor ihm, wohl auch von Volkes Stimme treiben lassen, sofern besonders laute Fans schon als ganzes Volk durchgehen.”

Über den Tonfall kann man sicherlich geteilter Meinung sein; ginge es nicht gerade um “meinen” Verein, und ein bisschen auch um meine Stimme, gefiele mir die ihm innewohnende Polemik vermutlich recht gut, so ist das eben manchmal mit der Subjektivität. Der eine oder andere Fan mag sich ob der ihm oder ihr zugeschriebenen Macht geschmeichelt fühlen, und die Kritik am Selbstverständnis eben dieser Fans kann ich nachvollziehen; an die These der treibenden Kraft kann ich gleichwohl nicht glauben.

Das mag daran liegen, dass ich es nicht glauben will. Also dass die Führungskräfte des VfB ihre Entscheidungen auf Basis von Fanmeinungen treffen. Vielmehr traue ich Fredi Bobic tatsächlich ein recht gutes Gespür dafür zu, inwieweit die Maßnahmen und Arbeitsweisen des Trainergespanns greifen, und inwieweit sie noch Erfolg versprechen. Ferner gehe ich davon aus, dass er sich nicht allein auf sein Gespür verlassen, sondern Stimmungen und Entwicklungen beobachtet, erfragt und besprochen hat. Alles andere empfände ich als eine grobe Verletzung seiner Pflichten, die zu unterstellen ich keine Ansatzpunkte habe.

Zudem bin ich (gerne) gewillt, die derzeit in der hiesigen Presse verschiedentlich kolportierten Gespräche mit dem nun beförderten Thomas Schneider – der Angebote als Co-Trainer bei anderen Bundesligisten gehabt habe –, in denen er vom Verbleib überzeugt und ihm Perspektiven aufgezeigt worden seien, sowohl für bare Münze zu nehmen als auch zu Bobics Gunsten auszulegen. Dass man die negative Tendenz der letzten Wochen auch schon vor der Sommerpause hätte erahnen oder gar vorhersehen können, oder auch auf die Vertragsverlängerung im Januar verzichten, ist zweifellos unstrittig. Dass es in beiden Fällen dennoch auch nachvollziehbare Gründe gab – das Erreichen des Pokalfinals und die dort gezeigte Leistung im, chronologisch gesehen, zweiten, die komplett andere Führungssituation im Verein mit ebensolchen Rahmensetzungen im ersten Fall –, hoffentlich ebenso.

Dass Bobic nun nicht bis zur Länderspielpause wartete, kann man ihm natürlich vorwerfen, wenn es schiefgehen, wenn man gegen Rijeka ausscheiden sollte. Genau wie man ihm, wenn er anders gehandelt und es dann schiefgegangen wäre, sein Zaudern vorwürfe.

Ja, natürlich glaubt er an eine kurzfristige Wirkung, an eine im Übrigen dringend notwendige kurzfristige Wirkung. Das mag man polemisch als Wunderglauben abtun, riskant ist es gewiss. Oder man nennt es, wie ich es durch die optimistische Vereinsbrille tue, konsequent, wenn die Führungsriege nicht mehr daran glaubt, dass der jetzige Trainer bis Donnerstag eine Trendwende herbeiführen kann. Ansichtssache.

Als etwas ärgerlich empfinde ich indes Marx’ historisch abgeleitete Deutung der Entlassung als ebenso typisches wie unzeitgemäßes Stuttgarter Verhalten:

“Vielleicht ist man bei einem Hire-and-fire-Verein wie diesem, der in den vergangenen zwanzig Jahren achtzehn Trainer beschäftigt hat, besonders anfällig für solche Anachronismen …”

Ganz davon abgesehen, dass Bruno Labbadia zuletzt einer der dienstältesten Trainer in der Bundesliga war, ganz abgesehen auch davon, dass die für den Großteil der 17 Entlassungen Verantwortlichen längst nicht mehr im Verein tätig sind, ganz abgesehen zudem von der Einschätzung, dass Entlassungen aus den 90er Jahren nach meinem Dafürhalten nicht so recht zur Untermauerung einer Anachronismusthese taugen, frug ich mich kurz, was es über die anderen Bundesligavereine aussagt, wenn man mit 18 Trainern in 20 Jahren als Hire-and-fire-Verein gilt.

Und stellte fest, dass genau drei der aktuellen Bundesligisten seit Beginn der Saison 1993/94 weniger als 15 Trainer hatten: erwartungsgemäß zählten dazu Freiburg mit lediglich vier und Bremen mit acht Übungsleitern, dann folgt Dortmund mit deren zehn. (Quelle: weltfussball.de, in Einzelfällen kicker.de)

Beim FC Bayern ist man seit dem Sommer bei Nr. 15 angelangt, in Hoffenheim gelangt man im Rückblick bis 1998 bereits zu 16, danach wird die Recherche etwas schwierig. Genau 16 Verantwortliche taten bei drei weiteren Vereinen Dienst, vier Mannschaften wurden von 17 Herren angeleitet, ebenfalls vier von deren 19, und allein Eintracht Braunschweig hatte in den letzten 20 Jahren 20 Trainer.

Man könnte demnach zu dem Schluss kommen, dass der VfB mit seinen 18 “bei die Leut” ist. Und dass gut 80 Prozent der Bundesligisten Hire-and-fire-Vereine sind. Was dann wiederum den VfB gar nicht so anachronistisch und “besonders anfällig” erscheinen ließe, im Quervergleich. Oder aber die Bundesliga per se, vielleicht gar den Profifußball, als Anachronismus entlarven würde. Was in der Tat kritikwürdig sein mag, mich persönlich aber gar nicht so sehr anficht.

Bella Marta in der Ischelandhalle

Volker Weidermann hatte es empfohlen. Und ihn. Euphorisch, geradezu. Wenn Volker Weidermann etwas empfiehlt, und wenn noch dazu ein Grundinteresse meinerseits besteht, so wusste ich, kann eigentlich nichts grundlegend schiefgehen. Natürlich hatte ich recht: Thomas PletzingersGentlemen, wir leben am Abgrund” fesselte mich.

Nanu, der Kamke schreibt über ein Buch? Was ist denn jetzt los? Kann der lesen? Ok, Letzteres ist Koketterie, das vergessen wir schnell mal wieder. Ja, ich schreibe über ein Buch, aus Gründen, die ich nicht so recht benennen kann. Tatsächlich lese ich gar nicht so selten Bücher. Häufig genug sind sie nicht nur bereichernd, sondern hin- und mitreißend, etwas zu häufig sind sie es nicht. Aber ich schreibe nicht darüber, weder im einen noch im anderen Fall.

Gute (nicht: positive) Rezensionen begeistern mich. Sie zeigen mir Querverbindungen und vermeintliche Nebenaspekte auf, deren Bedeutung ich zum Teil nicht in Ansätzen erkannt hätte, folgen einem mir nicht geläufigen und doch so völlig logisch erscheinenden Muster und sind schlicht lesenswert. Mitunter bin ich komplett überfordert, aber das hält mich beispielsweise nicht davon ab, in (heute ausnahmsweise nicht gänzlich) stiller Bewunderung im Begleitschreiben Rezensionen von Werken zu genießen, deren Inhalte mich kaum interessieren und von denen ich häufig weiß, dass ich sie niemals lesen werde.

Was ich damit sagen will? Nun, ich schreibe keine Rezension. Traue ich mir nicht zu. Ich habe das Buch auch nicht in der Absicht gelesen, hinterher darüber zu schreiben. Es ist schlichtweg so, dass mich ein paar Themen ein wenig umtreiben. Themen, die nicht nur mit dem Inhalt im engeren Sinne zu tun haben. Oder im weiteren.

Zum Beispiel die Frage, wer so etwas bezahlt, die bitte nicht als “Wer zum Teufel finanziert denn sowas?” missverstanden werden möge. Ganz im Ernst, ich habe keine Ahnung vom Literaturbetrieb, und wüsste gern, wer die Begleitung einer Basketballmannschaft – darum geht es nämlich, könnte man ja auch mal erwähnen – über ein ganzes Jahr hinweg, mit Europapokal- und sonstigen Reisen, vermutlich auch mit Verpflegung als Teil des Alba-Trosses (Verzeihung, die, nun ja, ein wenig auf der Hand liegende Formulierung entstand tatsächlich zufällig und fiel mir erst auf, als ich sie schon nicht mehr missen wollte), finanziell trägt. Sind das Recherchekosten, die der Verlag bezahlt? Wie groß ist das Risiko des Autors? Inwieweit trägt der Verein Alba Berlin dazu bei, der letztlich eine ganze Menge an PR erhält?

Pletzinger selbst sagte hierzu in einem Interview mit der FAZ: “Ich bin kein Hofberichterstatter und stehe nicht auf der Alba-Gehaltsliste, ich werde in keiner Weise zensiert und bin völlig frei. ” Das nehme ich ihm ab. Es liegt mir auch fern, irgendwelche finanziellen Abhängigkeiten oder Ungereimtheiten aufzuzeigen und zu hinterfragen, wozu auch? Letztlich war es nur so eine Frage, die sich mir nach wenigen Seiten stellte, die ich seither ein wenig mit mir herumtrage und die ich nun hier loszuwerden versuche, ohne wirklich konkrete, geschweige denn verlässliche Antworten zu erwarten.

Eine Zeit lang habe ich mir überlegt, ob ich mir mehr Objektivität gewünscht hätte. Der Autor, in seiner Jugend selbst ein talentierter Basketballspieler, der in Hagen an den Profibereich heranschnuppern durfte, geht sehr offen mit seiner nach und nach aufgegebenen Distanz um. Klar, ließe sich auch nicht leugnen, muss es auch nicht, wie ich im Nachhinein glaube. Für mich las sich das Buch zunehmend wie der Bericht eines unmittelbar Beteiligten, gelegentlich gar so, als hätte ein Spieler selbst, mit verdammt gutem Ghostwriter, aus der Kabine erzählt – sicherlich bedürfte es dazu auch der Einblicke ins Seelenleben des Sportlers, wenn er beispielsweise an einer Nichtnominierung oder kurzen Einsatzzeiten zu knnabbern hat, doch zum einen halte ich es für fraglich, wie offen ein Spieler tatsächlich damit umgehen würde, zum anderen dürfte der aufmerksame Beobachter Pletzinger die Stimmungslagen bei Spielern wie Patrick Femerling oder Sven Schultze recht treffend erfasst und auf den Punkt gebracht haben, ohne sich in seitenlangen Schilderungen zu ergehen.

Dem geneigten Leser wird aufgefallen sein, dass ich oben sagte, Pletzingers Buch habe mich gefesselt. Klingt irgendwie nach “Suspense”, nach dem, was man gemeinhin von einem Krimi erwartet, aber nicht nach einem in allen Belangen begeisterten Urteil. Ist es das nicht? Ich weiß es noch immer nicht. Es gibt einfach Dinge, mit denen ich mich schwer tat. An den Zeitsprüngen hatte ich lange zu knabbern, und – damit einhergehend – mit dem Hin und Her bei Spielern und vor allem Trainern. War es indes genau dieser Kniff, dieser immer wieder vor Augen geführte Wechsel vom sympathischen, gebildet wirkenden Luka Pavićević, mit dem ich vermutlich gerne mal einen Abend verbringen würde, zum verkniffener und blasser erscheinenden, vielleicht auch nur weniger tief beschriebenen Muli Katzurin, der die Professionalität des Basketballbusiness, den – trotz der überraschten Reaktionen der Spieler auf die Entlassung – geschäftlichen Umgang mit dem steten Wechsel, besonders deutlich illustriert? Oder denke ich mir einfach nur weit hergeholte Theorien aus?

Paul Neumann beschäftigt mich noch immer. Hieß er wirklich so, und wenn ja, ist es angemessen, ihn so bloßzustellen? Falls ja: Hat er es nicht genau so verdient, dieser verbrämte alte Bamb… ah, da haben wir es: Ich bin zum Alba-Fan geworden. Zumindest für die Zeit der Lektüre – anders als Frau Gröner sehe ich mir seither nicht jedes verfügbare Alba-Spiel an und wusste bis eben nicht einmal, ob Katzurin nach der literarisch begleiteten Saison Trainer blieb (stand doch nicht im Buch, oder?), aber ich fand mein Mitfiebern schon bemerkenswert.

Sicherlich, ich bin für sowas empfänglich, kann auch bei Sportfilmen, denen man nicht allzu hohen künstlerischen Wert und noch weniger Glaubwürdigkeit zuschreiben möchte, hemmungslos mitfiebern, aber Alba, oder korrekter: ALBA? Der von mir stets, möglicherweise völlig zu unrecht, als eher langweiliger, wohlhabender Hauptstadtverein angesehene Serienmeister der Jahrtausendwende, den ich, erst recht zu Unrecht, gedenklich gerne mal mit der Hertha in einen Topf warf? Der gegen die sympathischen und, ähem, wohlhabenden Underdogs Favoriten Bamberger antritt, deren Basketball noch regionales Identifikationspotenzial entfaltet? Hätte ich nicht gedacht.

Wie gesagt: Ich bin empfänglich für solche Geschichten, als Autor fängt man mich da leicht ein. Aber ich glaube schon, dass es dann doch ganz wesentlich Pletzingers Erzählweise war, die mich für das Buch einnahm. Und seine durch alle Ritzen scheinende Begeisterung, einen Jugendtraum in die Tat umzusetzen. Sowie nicht zuletzt der trotz allem erkennbare Kampf zwischen dem Beobachter Pletzinger und dem von den Fans gefeierten Beteiligten Thomas. Nicht zu vergessen: mein vergebliches Warten auf sein Wiedersehen mit Marta Lewandowski.

Es wird Zeit, endlich seine “Bestattung eines Hundes” zu lesen. Und sich einzugestehen, dass man nicht über ein Buch schreiben kann, ohne es auf die eine oder andere Art zu rezensieren.