Eventfan

Am vergangenen Wochenende hat die eine Bundesliga den Spielbetrieb wieder aufgenommen. Eine Bundesliga, die mich derzeit nicht so sehr in ihren Bann zieht wie in früheren Zeiten – im Grunde schon seit bekannt wurde, dass sich der VfB Stuttgart ausbedungen hat, dieses Jahr in der anderen Bundesliga zu spielen, die erst eine Woche später in das Geschehen einsteigt und die für uns Interessierte den Vorteil hat, dass deutlich mehr Spiele in voller Länge im frei empfangbaren Fernsehen übertragen werden.

Am vergangenen Wochenende lag der mediale Fokus indes auf der anderen, also der einen Bundesliga, was sich auch in einem in voller Länge im frei empfangbaren Fernsehen übertragenen Spiel niederschlug: Der SC Freiburg erwartete den favorisierten FC Bayern München, stellte diesen phasenweise vor große Schwierigkeiten, um dann doch erwartungsgemäß zu verlieren, während ich versuchte, einen Schritt aus mir herauszutreten und das Fortschreiten meiner Eventfanwerdung zu beobachten.

Ein schönes Spiel der Freiburger, phasenweise, ein Kitzeln des Topfavoriten, wenn auch nicht immer mit der vielleicht nötigen Überzeugung, um das Kitzeln zum Schlagen werden zu lassen, und ein, ich weiß nicht recht, wie ich es sagen soll, nun, vielleicht so: ein einfallsloses Spiel der Münchner, das allerdings durch eine überaus bemerkenswerte und mit dem nötigen Glück versehene Aktion von Robert Lewandowski ein sehr spätes siegreiches Ende fand. Was mich ob meiner Sympathien für den Sportclub und insbesondere für Herrn Streich doch ziemlich schmerzte.

Hernach hörte und las man Diskussionen über Duselbayern auf der einen und einen vielmehr folgerichtig erzwungenen Sieg auf der anderen Seite. Persönlich tue ich mich insofern etwas schwer mit der letztgenannten Argumentation, als der unmittelbare Druck auf das Freiburger Tor, der in echten, klaren Torchancen zum Ausdruck kommt, im Grunde nicht gegeben war. Dominanz beinhaltet per se keine Torgefahr, insofern empfand ich das Spiel wenig zwingend und den Sieg, bei aller Brillanz des, vielleicht der Beteiligten, als durch etwas Glück bedingt. Ein Glück, von dem man mittlerweile vielerorts glaubt, so auch hier, dass der FC Bayern München seiner gegen den SC Freiburg nicht mehr bedürfe. Der Arbeitssieg ist nicht mehr so recht vorgesehen.

Worüber ich ein bisschen mit mir hadere. Weil ich eine eventbezogene Erwartungshaltung erahne: Wenn ich schon den Bayern bei einem Spiel zusehe, das sie am Ende ja doch gewinnen, dann sollen sie doch bitte auch ein Spektakel bieten. Verwirrende, schnelle Angriffe, technische Finesse, taktische Winkelzüge, und eben Torchancen. Will sagen: Das, was sie in den vergangenen Jahren so oft und so eindrucksvoll getan haben. Will sagen: Vielleicht trauere ich Herrn Guardiola nach.

Herrn Guardiola, der ziemlich viele Spiele zu einem Erlebnis machte, auch und gerade für den neutralen Zuschauer. Bei dem es Erquickliches, Spannendes, Aufregendes zu sehen gab, auch wenn der eine oder die andere nicht mehr als brotloses Tiqui-taca (sagt das noch jemand?), das es zweifellos auch gibt, darin gesehen hat. Wo war ich? Ach ja, Erquickliches, Aufregendes, Sie wissen schon, einfach etwas anderes als am vergangenen Freitag bis zur 90. Minute. Fußball, der ein Ereignis sein kann und überdurchschnittlich oft ist. Ich bin ein Eventfan.

Ja, mir ist klar, dass man daraus einen Widerspruch konstruieren kann zu meinem Mantra, der Fußball sei ein Ergebnissport, es gebe keine B-Noten und die bessere Mannschaft sei immer die, die mehr Tore erzielt. Was denn jetzt? Ergebnissport oder Spektakel? Nun, das ist einfach: Vom Herzensverein wünsche ich mir Ergebnisse, von manch anderem Verein auch, je nach Konstellation, und darüber hinaus erhoffe ich mir, nun, kein Spektakel, aber doch Sehenswertes.

Und da ist es halt schade, dass das Spiel des FC Bayern für mich, der ich gewiss nicht alle taktischen Kniffe im Detail durchschaue, vielleicht aber den einen oder anderen, und der ich diesem FC Bayern in den vergangenen Jahren öfter mal mit weit geöffnetem und sich kaum mehr schließendem Mund zugesehen habe, dass also dieses Spiel des FC Bayern München vergleichsweise weniger Überzeugendes, weniger Begeisterndes, weniger Verzückendes bereithält. Weniger Event. Nein, weniger Guardiola.

Dass seine ehemalige Mannschaft mit ihrem neuen Übungsleiter möglicherweise erfolgreicher sein wird als mit ihm, ist denkbar. Dann soll es so sein. Und dann werden die Anhänger des Vereins völlig zu Recht und mit meiner uneingeschränkten Zustimmung darauf verweisen, dass Fußball ein Ergebnissport und die bessere Mannschaft in jedem einzelnen Spiel diejenige sei, die mehr Tore erzielt, oder die im vorliegenden Fall über die Zeit mehr und bedeutendere Titel holt. Mit meinem Spaß beim Zuschauen hat das nur sehr bedingt zu tun.

Wenn indes am Wochenende die andere Bundesliga beginnt, die, für die sich der VfB entschieden hat, ist das eventartige bestenfallsGuardioSC Freib dritt- oder viertrangig. Ergebnissport. Mit den Punkten kommt auch die Verzückung – ob der Aussicht, ab dem Spätsommer wieder in der anderen, der einen Bundesliga zu spielen. Darüber durfte ich übrigens drüben bei Rund um den Brustring dieser Tage ein bisschen reden, wenn wir gerade dabei sind. Sehr kurz zusammengefasst: Zweite Liga gut und schön, aber mit einigen Details will ich mich wegen der paar Monate nicht befassen. Hüstel.

 

 

 

 

 

TeWe – Torwartwechsel!

“TW. …
TeeWee!  …
TeeeWee-he! …
Torwartwechsel, verdammt noch mal!!”

So hieß es in jenen Achtzigern, von denen wir gerne mal lesen – mittlerweile vielleicht auch nicht mehr so gerne, die Sättigung, Sie wissen schon – dass sie angerufen haben und irgendwas zurückwollen, so hieß es also tagtäglich auf dem Bolzplatz, und so heißt es auch heute, will sagen: gestern vorgestern vor Tagen letzte Woche, ist schon fast nicht mehr wahr, beim VfB: Torwartwechsel! Wie schon im Jahr 2008.

Und was haben wir uns gefreut damals, als Armin Veh endlich das personifizierte Missverständnis Raphael Schäfer aus dem Tor nahm und durch “Eigengewächs” Sven Ulreich ersetzte. Ein aufstrebender Kerl war er, hochtalentiert, so hieß es, sei er, wie so viele VfB-Nachwuchstorhüter vor ihm, ein junger, na ja, Wilder fast, der an die Tradition des aus dem Nachwuchs gekommenen und als Meister nach Spanien gegangenen Timo Hildebrand – ein weiteres großes Missverständnis – anknüpfen sollte. Dem man auch nachzusehen bereit war, dass noch nicht alles so rund laufen konnte, dass er gelegentlich ein bisschen flatterte, im Umgang mit dem Ball nervös wirkte und auch mal eine Flanke fallen ließ. Auf der Linie konnte er was, war oiner von uns und hätte vor allem niemals einen Platzverweis für Cacau gefordert.

Vielleicht sahen wir das nicht alle so, vielleicht vermittle ich nur die Meinung einer weniger Leute aus meinem engeren Stadionumfeld, oder auch nur meine eigene. Die bereits einige Wochen später zumindest dahingehend etwas relativiert war, dass wir es allem Anschein nach nicht mit einem neuen Manuel Neuer, Iker Casillas oder Bodo Illgner zu tun hatten – allesamt Herren, die in sehr jungen Jahren ein Bundesligator zu hüten bekamen und vom ersten Tag an den Eindruck erweckten, dass sie es nicht mehr verlassen würden (ja, ich weiß, Casillas und Sánchez), und die sich vielmehr schon bald ihre ersten internationalen Sporen verdienten.

Armin Vehs erneuter Torwartwechsel, zurück zum Missverständnis, mag damals hart und harsch gewesen sein, er hätte gar, unter unglücklicheren Umständen, Ulreichs Bundesligakarriere beenden können, bevor sie recht begann. Argumente dafür gab es gleichwohl. Ulreich hatte nicht geglänzt, selbst Europa stand, aus heutiger Sicht nur schwer vorstellbar, auf der Kippe.

Dort spielte dann im Jahr darauf Jens Lehmann, und Ulreich durfte von ihm lernen. Zwei Jahre lang, und natürlich hofften wir, und wiederum vereinnahme ich zumindest meinen Stadionnachbarn, dass er von Lehmann all das hinzulernen würde, was ihn zu einem sehr guten Torwart werden ließe. Wir dachten an eine offensive, von großem Spielverständnis geprägte Spieleröffnung, an schnelle, präzise Abwürfe, an eine einschüchternde Selbstverständlichkeit im Angesicht des Gegners.

Nun, fair war das nicht. Auch Jens Lehmann konnte mit Anfang zwanzig einem heraneilenden Stürmer nicht durch seine bloße Präsenz vermitteln, dass es für ihn, den Spieler, gegen ihn, den Torwart, nichts zu holen gibt, und auch Jens Lehmann verfeinerte seine fußballerischen Stärken und seine Fähigkeit, das Spiel sehr schnell sehr schnell zu machen, im Herbst seiner Karriere bei Arsenal noch einmal beträchtlich. Und doch waren wir nach Lehmanns Abgang und Ulreichs Aufstieg zur Nummer eins ein bisschen enttäuscht. Natürlich war er auf der Linie nach wie vor bemerkenswert stark und in Eins-gegen-eins-Duellen sehr geschickt; aber wir hatten halt Lehmann gesehen.

Nein, fair war das nicht. Wir hatten uns eben etwas anderes erhofft, die Realitäten ein bisschen beugend. Wir wollten einen Ulreich, der in der Zwischenzeit nicht nur gelernt habe, sondern auch gereift sei, der nicht nur in der Lage sein würde, das Spiel zu eröffnen, mit Hand und Fuß, das Spiel schnell zu machen, sondern der auch in der Lage sei, seinen Vorderleuten deutlich zu machen, dass sie gefälligst in Positionen zu sprinten hätten, die er dann anspielen könnte. Das konnte er nicht.

Und so arrangierten wir uns mit ihm, manche mehr, manche weniger. Natürlich wurde er gefeiert, auch zu Recht, weil er immer wieder großartige Paraden zeigte, Tore verhinderte, Punkte rettete – und das als Schorndorfer Junge. Irgendwann kamen wir gar an den Punkt, an dem einzelne Leute aus dem Verein oder dessen Umfeld laut darüber nachdachten, dass dieser Ulreich doch einer für die Nationalelf sein könnte. Bald glaubte er es sogar selbst, oder ließ es sich zumindest von seinem Berater einflüstern. Ich wäre nur zu gern Mäuschen gewesen, als Joachim Löw erstmals von dieser Ambition hörte.

Wie auch immer: der VfB setzte auf ihn. Ließ Bernd Leno ziehen, von dem alle Welt, zumindest aber meine kleine, überzeugt war, dass er der bessere, komplettere, vielleicht schon damals reifere Torhüter sei. Es ist müßig, über die Beweggründe des Vereins zu spekulieren. Geld war einer, gewiss, und auch sonst ist uns nichts Menschliches fremd, und es kam eben so.

Das Meinungsbild unter den VfB-Fans war kein einheitliches, es bildeten sich Fraktionen und Fronten. Die einen feierten den Sohn der Region, die Identifikationsfigur, den Torwart mit in einigen Bereichen hervorragenden Fähigkeiten. Die anderen bemängelten seine weniger ausgeprägten Stärken, bzw. nicht zuletzt den Umstand, dass sich an eben diesem Profil wenig änderte: die Schwächen blieben, er wurde nicht besser. Im Gegenteil, fanden nicht wenige, und allmählich bröckelte auch der unbedingte Rückhalt im Verein.

Unter Bruno Labbadia fand er sich ein zweites Mal auf der Bank wieder, wenn auch nur kurz, weil sich sein Ersatz Marc Ziegler in dessen erstem Spiel als möglicherweise neuer Stammtorhüter so schwer verletzte, dass Ulreich nicht nur während des Spiel seinen Posten wieder einnahm, sondern sich seiner auch gleich wieder langfristig sicher sein konnte. Er nutzte die geschenkte neue Chance und hielt fürderhin sehr anständig, sodass seine Position außer von ein paar konsequenten, aber irrelevanten Nörglern, zu denen ich mich auch zählen darf, lange Zeit nicht mehr hinterfragt wurde.

Dabei wollten wir doch nur einen Konkurrenzkampf auf Augenhöhe. Ergebnisoffen, wie man heute so gerne sagt, und wie er Bernd Leno nie gewährt wurde. Der VfB holte über die Jahre eine ganze Reihe junger Torhüter, die man – so wurde es zwischenzeitlich kaum verklausuliert nach außen getragen – besser machen und mit Gewinn verkaufen wollte.

Die Stuttgarter Torwartschule powered by Andreas Menger, sozusagen, und ich weiß nicht so recht, was dabei an Zählbarem herausgekommen ist. Der Gedanke an die Gerry-Ehrmann-Schule liegt nicht ganz fern, wenn auch nicht vom Spielstil her. Sie wird gerne mal belächelt, aus nachvollziehbaren Gründen, aber sie hat auch zwei spätere Nationaltorhüter hervorgebracht. Aus der Menger-Akademie fällt mir auf Anhieb keiner ein.

Ja, das hinkt. Zweifellos. Und doch: die Lobeshymnen, die dereinst auf Menger, vermeintlich einen der innovativsten Torwarttrainer im deutschen Fußball gesungen wurden, hört man, höre zumindest ich heute nur noch recht selten, und wenn, dann doch eher leise. Womit wir, die jungen Hüter der dritten Reihe einmal außer Acht lassend, wieder bei der Frage wären, ob Sven Ulreich in den letzten Jahren besser geworden ist. Oder wie es diesbezüglich um Thorsten Kirschbaum bestellt ist, der in den letzten Jahren Ulreichs Herausforderer sein durfte und im vergangenen Herbst von Armin Veh – wir erinnern uns an 2008 – unter Wettkampfbedingungen gewogen und allenthalben für zu leicht befunden wurde.

Man mag es, um doch bei Ulreich zu bleiben, für nebensächlich erachten, dass der Spielaufbau seit Jahren in unterschiedlich starker Ausprägung zu einem nicht unwesentlichen Teil aus Abstößen auf Martin Harniks Kopf besteht. Bei etwas mehr Erfolg könnte man den Umstand, dass dieser, wenn man so will, Spielzug unter VfB-Anhängern längst den Status eines Running Gags erreicht hat, sogar entspannt weglächeln.

Tatsächlich bleibt vielen Fans das Lachen aber eher im Halse stecken, spätestens dann, wenn die gegnerische Mannschaft beim Stuttgarter Abstoß einen Gutteil ihrer Spieler in einem kleinen Radius um Harnik herum konzentriert. Zugegeben: ich hatte immer gehofft, dass Ulreich den Ball irgendwann einmal völlig überraschend in die andere Richtung schlagen, den Gegner düpieren und ein Tor einleiten würde. Tja, schade. Nicht in diesem Leben.

Natürlich ist das nicht das zentrale Kriterium. Aber man fragt sich, wie es dazu kommen kann? Wieso lässt das jeder einzelne Trainer zu, fördert es vielleicht sogar? Weshalb übt es der Torwarttrainer seit Jahr und Tag mit ihm ein? Warum übt er nichts Anderes? Sind die Mitspieler nicht in der Lage, anders aufzubauen? Mag ja sein, zumindest nicht immer. Aber wenn dem so sein sollte: kann Ulreich wirklich nur von rechts nach rechts abstoßen? Und wenn ja, warum? Wieso lässt sich das nicht ändern? Dass man es nicht wollen könnte, übersteigt ehrlich gesagt meine Vorstellungskraft. Weshalb habe ich in den letzten fünf Jahren in Summe nur eine einstellige Anzahl an Abwürfen von ihm gesehen?

Steigere ich mich in etwas hinein? Ja, vielleicht. Noch dazu in Nebensächlichkeiten? Auch da: vielleicht. Schließlich steht außer Frage, dass Sven Ulreich ein sehr solider Torwart ist, der seine Kernaufgabe in ihrer klassischen Ausprägung ausnehmend gut erfüllt: Bälle halten. Insbesondere, wie bereits gesagt, auf der Linie und eins gegen eins. Über die Strafraumbeherrschung kann man diskutieren, bei flachen Hereingaben von außen habe ich die eine oder andere seltsame Aktion bildlich vor Augen, dennoch: ein verlässlicher Backup, wie es beim FC Bayern in der Vergangenheit schon den einen oder anderen gab, bzw. in Tom Starke noch gibt. Und vielleicht hat Manuel Neuer in Sachen Spieleröffnung ja didaktische Vorteile gegenüber Jens Lehmann.

Überrascht hat es mich dennoch. In mehrfacher Hinsicht. Dass Ulreich geht, ist bei näherer Betrachtung vielleicht am wenigsten überraschend. Es wirkt, als habe er Signale aus dem Verein erhalten, die seinen Status zumindest in Frage stellen, da kann man schon mal drüber nachdenken, ob es nicht woanders schöner ist. Wenn dann noch recht wenige Vereine zur Auswahl stehen, wo man mit fest davon ausgehen kann, als Nummer eins gesetzt zu sein (man frage nach bei Sebastian Mielitz, Fabian Giefer oder Raphael Wolf), hat so ein Arrangement als Nummer zwei mit dem einen oder anderen Pflichtspieleinsatz und ein paar Euro mehr durchaus das eine oder andere Argument auf seiner Seite.

Gleichzeitig lässt der VfB zwar einen langjährigen Stammspieler und eine Identifikationsfigur für viele Fans – die sich dann auch nicht entblöden, ihm ihre Liebe effektreich zu entziehen – vom Hof gehen; der Verein windet sich aber auch vergleichsweise elegant aus einer Meinungsverschiedenheit mit Teilen der an das Gute aus der Region glaubenden Fans heraus und kann die Handlungsoptionen des neuen Trainers ausweiten.

Ob sich der FC Bayern einen Gefallen tut, ist da schon eher diskutabel. Oder anders: ob solide reicht, weiß ich nicht, und ob Ulreichs fußballerische Fertigkeiten deren Trainer (Sie erinnern meinen Mäuschenwunsch? Ich adaptiere.) glücklich machen, erscheint mir dann doch zweifelhaft. Aber wie gesagt: vielleicht kann man’s ja einfach üben. Letztlich sollen sich diesen Kopf andere zerbrechen, was man in München ja auch tut – und zufrieden wirkt. Wohlan!

Herr Ulreich, machen Sie’s gut. Ja, Du auch, Ulle, meinetwegen. Ich hab mich oft über Dich geärgert, manchmal zu Unrecht, oft über Kleinigkeiten, häufig aus einer Übersensibilität heraus. Aber ich weiß, dass Sie nicht mehr als viele andere, und deutlich weniger als einige andere andere, dafür können, dass der VfB heute da steht, wo er eben steht. Und ich hab Sie auch gar nicht so selten gefeiert. Sie haben tolle Spiele abgeliefert, großartige Paraden gezeigt, und seien wir ehrlich: das Ding von Kachunga kurz vor Schluss, da haben Sie “uns” dringehalten. Danke dafür, und ganz gewiss auch dafür, dass Sie immer mit Herzblut dabei waren.

Und jetzt: Torwartwechsel!

Ungeschriebene Oden

Vor zehn Tagen, nach dem Sieg gegen Mainz, stand ich vor dem Palast der Republik und wurde von Freunden gefragt, woher denn meine Euphorie rühre und ob ich etwa noch länger im Stadion geblieben sei, um die Mannschaft zu feiern? “Kurz”, sagte ich, und obschon mir klar war, dass eben diese Mannschaft nichts mehr getan hatte, als ihre Pflicht zu erfüllen, was die geneigte Leserin bitte nicht als moralische Bewertung verstehen möge, sondern als Einschätzung sportlicher Notwendigkeiten im Lichte der im Lauf der Saison (nicht) erzielten Ergebnisse und der sich daraus ergebenden Tabellensituation, war ich ein glücklicher Mensch.

Dabei hatte man grade mal die Mainzer geschlagen, für die es um nichts mehr ging, und so das Notwendige getan, um weiter auf den Klassenerhalt hoffen zu dürfen. Hinreichend war es nicht; es langte nicht einmal dazu, den letzten Platz zu verlassen. Und doch schwamm ich auf meiner ganz eigenen Euphoriewelle, war geneigt, das Fest zu feiern, wie es gefallen war, und fühlte mich genau richtig platziert, exakt dort, wo wir knapp acht Jahre zuvor glückselig gestanden hatten. Völlig absurd.

Nun, eine Woche später, stand das nächste Spiel an, diesmal gegen den HSV, einen direkten Konkurrenten, und vermeintlich ungleich herausfordernder – was angesichts des Umstands, dass der Sieg gegen Mainz lange Zeit keineswegs als ausgemachte Sache hatte gelten dürfen, eine durchaus belastende Aussicht darstellte. Dennoch war die Perspektive klar:

Ging dann ja auch recht gut los. Ballbesitz, Offensive, Einstellung, … der VfB machte vieles richtig, traf aber das Tor nicht. Das tat dafür der HSV, aus einer Standardsituation heraus, die als Blaupause für viele verheerende Stuttgarter Abwehrleistungen der ganzen Saison taugte, hätte man Zeit gehabt, sich lange damit aufzuhalten. Tatsächlich (eines meiner am häufigsten verwendeten Worte, wie ich jüngst mit Schrecken feststellte, als ich mir ein Weilchen zuhörte, aber das nur am Rande) war indes in der Folge der ganze Fan gefordert und hatte zwar angesichts einer kurzen Findungsphase der Mannschaft und entsprechend wenigen relevanten Geschehnissen auf dem Platz ein bisschen Zeit, um zu hadern.

Gleichzeitig jedoch ließ er, also der Fan, also auch ich, in seiner Unterstützung keinen Deut nach, im Gegenteil, und kam so in die angenehme Verlegenheit, die Anfeuerungs- schlagartig in Jubelrufe übergehen lassen zu müssen. Noch dazu doppelt, und wenn ich geglaubt hatte, die Intensität des erlösenden Jubels gegen Mainz sei nur schwer zu überbieten, so, nun ja, hatte ich wohl recht gehabt. Wesentlich intensiver wurde es auch gegen den HSV nicht, vermutlich gar nicht, aber man bewegte sich auf demselben Niveau. Bemerkenswert, wozu das “gewohnt kritische Stuttgarter Publikum”(TM) so in der Lage ist.

2:1 zur Pause, es folgten viele Chancen, von denen zwar keine in die erhoffte Befreiung mündete; es gelang jedoch, das Spiel weitestgehend in der Nähe des Hamburger Tores zu halten, wenn man von Djourous Torschuss aus 40 Metern und vereinzelten Hamburger Annäherungen an Ulreichs Tor absieht, von denen jedoch keinerlei wirkliche Gefahr ausging. Muss ja auch nicht, so ein Gegentor, beispielsweise aus einer Standardsituation, kann ja auch gerne mal aus dem Nichts kommen, wie das 0:1 gezeigt hatte. Also zitterte man, irgendwo, tief drinnen, und war gleichzeitig euphorisch ob des Tempos, der Dynamik, des Selbstvertrauens der Stuttgarter Spieler. Mal im Ernst: Wann hat Martin Harnik jemals einen schwierigen Ball so herunter- und mitgenommen wie in jener Szene, in der kurz darauf sein Querpass auf Daniel Ginczek einen Tick zu lommelig geriet und gerade noch von Johan Djourou abgefangen werden konnte? Genau: noch nie. Zumindest nicht in meinem Beisein.

Überhaupt, Harnik: man müsste eine Ode schreiben. Ich setzte schon einmal zu einer an, einige Ältere mögen sich erinnern, ließ mich dann aber vom Anblick schlanker Waden ablenken, und vermutlich würde ich auch heute wieder scheitern. Weniger an Waden als vielmehr am Gefühl, so viele Oden schreiben zu sollen. Ja, natürlich hätte Harnik eine verdient, wie so oft in den letzten Wochen, aber noch nie so uneingeschränkt, aber was wäre dann mit Kostic, auf den sich die Hamburger, wie zuvor schon die Mainzer, eigentlich ganz gut eingestellt zu haben glaubten: Ivo Ilicevic ging zu Beginn des Spiels im Vollsprint mit nach hinten, sobald der Ball auch nur in Kostics Nähe kam, doch auf Dauer, die eher kurz war, konnte oder wollte er das nicht durchziehen und überließ den Stuttgarter Linksaußen meist Heiko Westermann, der keinen ganz leichten Stand hatte und lange von Glück sagen konnte, dass Kostics Hereingaben zunächst verheerend waren. Man fühlte sich ein bisschen an Arjen Robben erinnert. Nicht weil Kostic ihm so ähnlich wäre, sondern weil der Gegner ein ums andere Mal nicht in der Lage war, die grundsätzlich vorhersehbaren Aktionen des Stürmers zu unterbinden.

Daniel Didavi nicht zu vergessen, natürlich, der dann auch zum rechten Zeitpunkt von Alexandru Maxim abgelöst wurde, um nicht Gefahr zu laufen, das Ergebnis nur mehr zu verwalten, oder Timo Baumgartl, den ich in der Vorwoche noch in der einen oder anderen Aktion als hektisch und nervös wahrgenommen hatte und der nun als Souverän neben dem Souverän Rüdiger wirkte: auch ihnen gebührte eine Ode, wäre ich nicht gedanklich schon wieder weiter, bei Christian Gentner, der den hintersten Hamburger Abwehrspieler ebenso regelmäßig unter Druck setzte wie deren vordersten Angreifer. Für die zweite Halbzeit besänge ich selbst Daniel Schwaab, gar Sven Ulreich, der das Spiel nie langsam machte. Und natürlich Serey Dié, diese Symbolfigur für das Selbstvertrauen, die Selbstverständlichkeit, die komplette Abwesenheit jeglichen Zweifels daran, dass das, was man grade tut, richtig ist und gelingen wird. Drüben im Vertikalpass weiß man das schon lange: Do or Dié hieß es dort bereits Anfang März, und dass man mehr Spieler von seinem Schlag benötige.

Nun bin ich zwar ganz froh, dass auch noch Spieler mit anderen Qualitäten auf dem Platz stehen, und Diskussionen über aggressive leader und Führungsspieler sind mir in aller Regel eher unangenehm; Serey Dié hat aber dafür gesorgt, dass ich nunmehr endlich in der Lage bin, das Jugendwort des Jahres 2013, das mich damals so unvorbereitet getroffen hatte, eindeutig zuzuordnen und mit Leben zu füllen: Dié ist das, was ich mir unter einem Babo vorstelle. (Was bestimmt schon mal jemand vor mir sagte.) Bleibt zu hoffen, dass er auch in Paderborn von seiner anfänglichen Unsitte, gerne mal ganz in der Nähe zu sein, wenn ein Gegentor entsteht, Abstand nimmt. Bildlich gesprochen.

Und dann wäre da noch eine Ode, die mir mindestens genauso sehr am Herzen liegt. Der eine oder die andere Hamburgerin wird das anders sehen, wie das halt so ist, wenn man den Kürzeren gezogen hat, aber ich wünschte mir eine Ode an Manuel Gräfe. Ich fand es ganz wunderbar, wie er von Anfang an vermittelte, dass er gewillt war, den Abstiegskampf auch als solchen zuzulassen. Spätestens nach zehn Minuten sollte jedem seine Zweikampfbewertung transparent gewesen sein, die eine gewisse fußballspezifische Körperlichkeit zuließ, ohne dabei Zweifel aufkommen zu lassen, dass es keine gute Idee wäre, den großzügigen Spielraum über die Maßen ausdehnen zu wollen.

Gewiss, über die eine oder andere Karte mehr hätte man sich beiderseits nicht beschweren können, und dass die Linie des Schiedsrichters den vielleicht nur dreiviertelherzig um den Sieg kämpfenden Hamburgern etwas weniger entgegenkam, will ich nicht von der Hand weisen. Dennoch bestätigte sich der Gedanke, den ich – weniger detailliert – bereits bei Bekanntwerden der Ansetzung gehabt hatte: ein mit manchem Wasser gewaschener Unparteiischer, der ein intensives Spiel zulässt, sofern es nicht unanständig wird, und der sich auch von Sperenzchen wie dem Freistoß heischenden Ballgrabschen nicht beeinflussen oder gar beeindrucken lässt – im Gegenteil:

“Sie glauben, Sie dürften den Ball in die Hand nehmen, weil Sie meinen, gefoult worden zu sein? Sie irren: Handspiel.”

Und das gleich doppelt. Aber das ist natürlich nur ein Nebenaspekt. Hauptthema ist die großzügige und berechenbare Zweikampfbewertung. Genug der Stichworte – wenn bitte jemand die Ode verfassen würde?

In Freiburg ist man bereits einen Schritt weiter. In der Tabelle, gewissermaßen, ganz konkret aber auch im Odenbusiness: der geschätzte Herr @zugzwang74 verfasste bereits in der vergangenen Woche “Eine Ode an den FC Bayern” und, was soll ich sagen? Sie hat gewirkt. “Sein” SC Freiburg schlug den Meister, dessen Saison bekanntlich vor einigen Wochen beendet war, der sich aber mit voller Kapelle redlich mühte, mit 2:1.

Das böse Wort von der Wettbewerbsverzerrung war schnell bei der Hand, was niemanden verwundern dürfte, der die Aussagen des Trainers und die letzten Ergebnisse noch im Ohr hat. Allein: Das Spiel gegen Freiburg, sein Verlauf, die Statistiken, … all das gibt diese Schlussfolgerung schlichtweg nicht her. Zumindest nicht dann, wenn man von einer bewussten Handlung ausgeht. Dass dennoch mancherorts ein Gschmäckle bleibt, hat der Primus inter Impares zum einen dem genannten Abgesang des Trainers auf die Liga zu verdanken, zum anderen seiner früheren Konsequenz in den letzten Saisonspielen, nicht zuletzt unter Jupp Heynckes.

Inwiefern? Nun, vor einigen Jahren hatte ich mich mit der Frage befasst, wie sich feststehende Meister denn so schlagen, wenn es für sie de facto um nichts mehr geht. Damals, 2011, stand Dortmund bereits als Titelträger fest, hatte aber unter anderem noch ein Spiel gegen Eintracht Frankfurt vor Augen, der mit dem VfB gegen den Abstieg kämpfte. Und so schrieb ich Folgendes:

[…] Weshalb ich mir mal angesehen habe, wie sich Längst-Meister in der Regel so schlagen. Demnach könnte der VfB von Glück reden, dass es sich bei besagtem Längst-Meister nicht um die Bremer handelt, die von ihren insgesamt sechs Spielen, die sie als feststehender Titelträger bestritten, sage und schreibe vier verloren: zwei im Jahr 1988, zwei weitere 2004. Nur der HSV ist, rein prozentual, noch schlechter, hat er doch seine einzige Partie als bereits sicherer Deutscher Meister im Jahr 1979 gegen die Bayern verloren. Besagte Bayern haben mit weitem Abstand die meisten dieser eher lästigen Spiele bestritten, nämlich 29. 20 Siege, 5 Unentschieden und 4 Niederlagen sind eine sehr respektable Bilanz. Eine hundertprozentige Siegquote haben Gladbach (3/3), Nürnberg (1/1) und, tada!, Dortmund: der Meister 2011 durfte am 34. Spieltag der Saison 1995/96 zum Schaulaufen antreten und schlug Freiburg 3:2. Folglich ziehe ich meine Bedenken zurück, auf Dortmund ist Verlass.

Das war, wie ich rückblickend feststelle, gar nicht mal so wissenschaftlich formuliert, aber die Aussage liegt auf der Hand: der FC Bayern, ein Ausbund an sportlicher Ernsthaftigkeit, auch im Erfolgstaumel. Diesen Eindruck bestätigte man nach zweijähriger Titelabstinenz in der Triple-Saison 2012/13, als der Titel so früh wie nie zuvor vergeben wurde und die Bayern sage und schreibe sechs Trainingsspielchen in der Bundesliga zu bestreiten hatten, von denen unter Jupp Heynckes fünf gewonnen wurden und eines unentschieden endete. Zusammengefasst: von 1969 bis 2013 bestritt der FC Bayern München 35 solcher Spiele, gewann 25, teilte sechs Mal die Punkte und verlor im positivsten Sinne bemerkenswerte vier Partien.

Bereits 2014 folgte auf die frühzeitigste Meisterschaft eine noch frühzeitigere, auch 2015 war man noch verdammt früh dran, und so standen weitere elf lästige Pflichtspiele an. Zehn davon sind bereits bestritten: 4 Siege, ein Unentschieden, fünf Niederlagen.

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Den Grund für die zuletzt schwächeren Werte kenne ich nicht. Möglicherweise handelt es sich, laienhaft gesprochen, um eine statistische Delle, meinetwegen zufallsbedingt, oder um das Ergebnis übermäßiger Belastungen und ebensolchen Verletzungspechs, eventuell hat die Geisteshaltung des Trainers damit zu tun, vielleicht trainieren sie nicht genug, und möglicherweise sind die euphorisierten Meister auch schlichtweg zum falschen Zeitpunkt auf richtig starke Gegner getroffen. Wahrscheinlich werde ich, und nicht nur ich, die Frage nach den Gründen nie beantworten können, aber sie zu stellen halte ich für legitim.

So ähnlich, wenn auch mit einem kleinen Fehler, den bis dato niemand angeprangert hat, sagte ich das übrigens vor ein paar Tagen auch im Rasenfunk. Rasenfunk, Sie wissen schon, dieser Fußballpodcast mit dem wunderbaren Moderator @GNetzer, der sich gerne Gäste einlädt und mit ihnen nicht nur über Fußball spricht, sondern das Ganze auch noch poetisch aufbereitet. Sollte ich so etwas zur Gewohnheit machen wollen, also dieses öffentliche Reden, sollte ich vermutlich meine Infrastruktur aufrüsten, um künftige Hörer davon abzuhalten, meine Stimme als einem Volksempfänger entstammend zu bezeichnen. Nun denn.

Wie gesagt, ich sprach dort primär über den VfB nach dem HSV-Spiel, vergaß aber die ganzen Oden, und durfte dann auch noch ein bisschen über die Bundesliga reden, beispielsweise eben über den Negativlauf des FC Bayern. Und, ganz kurz, darüber, dass ich mir das alles anders vorgestellt hatte. Dass ich zwar nicht mit einem Schalker Sieg gerechnet, den beiden bayerischen Bundesligisten aus München und Augsburg aber doch etwas mehr zugetraut hatte in den Duellen mit Stuttgarter Konkurrenten. Damals, am Samstagnachmittag, nach dem HSV-Spiel, Sie erinnern sich. Und so lagen meine zuvor formulierten Pläne wenige Stunden später in Trümmern:

Ja, ich war und bin besorgt. Was mir im Rasenfunk einen Uwe-Seeler-Vergleich einbrachte. Und dann auch noch einen mit Matthias Sammer. Da geh ich nicht mehr hin. Ist eh zu profan.

Doch ernsthaft: ich bin nervös. Mache mir tatsächlich seeleresk Sorgen. Nicht um den relegationsgestählten HSV, wohlgemerkt, sondern um den VfB, der zuletzt so beeindruckend gespielt hat und doch darauf angewiesen ist, bei den Paderbornern, die gegenwärtig wohl auch tröstende Oden fürchten, geschriebene wie noch ungeschriebene, für die sie sich gegebenenfalls nichts kaufen können, wenn es denn doch nicht reichen sollte, was ich ihnen leider wünschen muss.

Ganz nebenbei versuche ich übrigens meinen Aberglauben zu verdrängen, demzufolge sich die Ehrenrunde, die die Mannschaft am vergangenen Samstag nach dem Spiel, als außer selbigem nichts gewonnen war, absolvierte, nachgerade als böses Omen aufdrängt. Fällt mir nicht leicht. Eine Ode an die Gelassenheit, das wär’s jetzt.

Pussy, Nazis und Idioten

Im Grunde hatte ich mir das Ganze ja recht schön ausgemalt. Ein Sieg gegen Dortmund würde uns allen guttun: den Spielern, den Fans, dem Verein, meinetwegen auch Huub Stevens und dem Sportdirektor, bei dem ich immer noch ein bisschen erschrecke (wertneutral, natürlich), wenn er sich zum VfB äußert: Ich frage mich dann meist kurz, ob es schon wieder so weit ist, dass neben dahergelaufenen Ex-Bundesligaspielern auch dahergelaufene Ex-Bundesligatrainer eine Bühne bekommen, auf der sie über den VfB reden dürfen, um dann einigermaßen zerknirscht einzuräumen, dass sich die Zeiten halt manchmal ändern und dass ich die Geschehnisse im und um den Verein eine gewisse – noch immer andauernde–  Zeit lang nicht so intensiv verfolgen konnte, wie ich das vielleicht gerne täte. Die Gründe sind vielfältiger Natur, nicht immer schön, wiewohl mit deutlich positiver Tendenz, und gehören darüber hinaus nicht hierher.

Dennoch habe ich natürlich mitbekommen, dass Robin Dutt beim VfB das sportliche Sagen hat. Ich vergesse es nur manchmal. Zudem weiß ich, dass die hiesige Medienlandschaft eins und eins zusammenzählen kann und deshalb gegenwärtig auf der Trainerposition bereits mit dem “Plan B” in Person von Alexander Zorniger liebäugelt, der ja nicht nur eine Stuttgarter Vergangenheit hat, sondern noch dazu – Achtung! – aus der Region kommt, zudem in Vereinskreisen bestimmt als junger Konzepttrainer gilt und zudem – tadaa! – gerade auf dem Markt ist. Wäre doch gelacht! (Wobei: Uwe Rapolder. Die Mutter aller Konzepttrainer hat den Markt betreten. Jetzt wird’s eng.)

Aber ich war beim Ausmalen. Und ja, ich hatte mir auch ausgemalt, diesen Sieg gegen Dortmund dann auch, um mit Francis Durbridge zu sprechen, plötzlich und unerwartet in schriftlicher Form zu kommentieren, hier auf diesem Bildschirm – wohl wissend, dass ich mich damit wieder einmal als reiner Erfolgsblogger zu erkennen geben würde (♫ Write when you’re winning ♫, Sie wissen schon), und ja, ich malte mir die entsprechenden Breitseiten aus der Twitterblase bildlich aus.

Im Lauf des Spiels ging ich dann sogar so weit, mir schon sehr genau auszumalen, wie der Titel des Textes lauten würde: “Pussy, Nazis und Idioten”. Allerdings, so lautete zunächst die Einschränkung, an die ich mich rückblickend dann doch nicht halten würde, müsste dazu zunächst das Spiel die gewünschte Wendung nehmen – zumindest in Sachen Pussy. Die Pussy, das ist nämlich Moritz Leitner. Der trägt nämlich manchmal Handschuhe und wirkt auf dem Platz gerne mal wie jemand, der sich für einen Feingeist hält. Da liegt die Pussy dann natürlich auf der Hand. Lustig, nicht wahr?

♫ Hey Pussy Leitner, tollahi tollahej tolla hoppsassa ♫, wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob der zweite Teil tatsächlich so lautet – die Künstler sind in der Regel doch ziemlich pussyfixiert, da geht der Rest des Gesangs schon mal ein bisschen unter.

Wie auch immer: jener Moritz Leitner wurde am Freitag eingewechselt, beim Stand von 1:2, als durchaus noch ein bisschen was drin gewesen wäre, hätte man die Dortmunder Abwehr mit der einen oder anderen Herausforderung konfrontiert. Also mit Maxims Spielwitz, zum Beispiel, oder den Dribblings von Filip Kostic. Der Trainer entschied sich aber für den jungen Herrn Leitner, was mich in jener Situation eher überraschte und eher nicht überzeugte.

Vermutlich ging es den Pussyfreunden ähnlich, und so stimmten sie ihr lustiges Liedlein an, und nicht wenige im Stadion gaben lauthals pfeifend den Backgroundchor. Kann man mal machen, nicht wahr? Im Abstiegskampf, im direkten Duell mit einem Mitbewerber (um den Klassenerhalt, Sie verstehen schon) in der 60. Minute erst einmal dem eben eingewechselten Spieler, der vermutlich den Auftrag hat, das Offensivspiel aus einer strategisch wichtigen Position heraus zu beleben, zeigen, was man von ihm hält, nämlich offensichtlich nichts.

Dass er diese Einschätzung letztlich alles andere als widerlegt hat, dürfte unbestritten sein. Und es wäre mir zu billig, eine Kausalität zwischen den Pfiffen und der anschließenden Leistung in Erwägung zu ziehen. Aber ja, ich frage mich schon, was man sich von solch einer Missfallenskundgebung verspricht. Dass der Trainer ihn gleich wieder auswechselt? Gute Idee. Dass der Trainer für die Zukunft weiß, was er gefälligst zu unterlassen hat? Auch schön. Dass der Sportdirektor einen Hinweis erhält, wie groß das publikumsseitige Interesse an einer Ausweitung oder gar Umwandlung des Leihgeschäfts ist? Hat Priorität. Dass der Spieler sich an der Ehre gepackt fühlt und es allen zeigt? Brillant! Vielleicht nicht total wahrscheinlich, aber zweifellos brillant.

Wie gesagt: wahrscheinlich war es nicht, aber ich hoffte doch sehr darauf. Zum einen, weil mir der Erfolg der Mannschaft am Herzen liegt, zum anderen, weil ich sehr gerne noch einmal mitgesungen hätte. So ein beherzt hinausgejubeltes “Hey, Pussy Leitner, holladiirgendwas”, nachdem die Pussy den Ausgleich geschossen hat, wäre mir eine innere Sexismusdebatte gewesen, und manches mehr. Tja, so hatte ich mir das ausgemalt, aus niedersten Beweggründen.

Tatsächlich fügte sich Leitner indes naht- und folgerichtig mutlos in das Spiel des VfB ein – lediglich Florian Klein hatte sich bis dahin mutig tollkühn an und in ein paar hoffnungslose Dribblings gewagt –, und ja, es war deprimierend. Glücklicherweise liegt das Spiel mittlerweile schon wieder so lange zurück, dass ich mich kaum noch an Details erinnern kann. Weder an die Dortmunder Gnade oder Unfähigkeit im Konterspiel (Wie konnte es überhaupt zu Dortmunder Kontern kommen?) noch an die Stuttgarter Angriffsaktion bis zur 85. Minute. Ja, ich bin mit den gängigen Ausprägungen des Numerus vertraut.

Nebenbei sei kurz erwähnt, dass ich zwar, wie oben beschrieben, bis dato nur sehr wenig von der Rückrunde sehen konnte, weder vom VfB noch von der Bundesliga insgesamt, und auch das Hannover-Spiel wird sich wohl wieder ohne mein Zutun abspielen müssen; ich will aber nicht ganz verschweigen, dass ich auch schon das Heimspiel gegen den, ähem, traditionellen Südrivalen aus München gesehen hatte, Sie wissen schon, jenes Spiel, auf das ganz München immer monatelang hinfiebert. Ja, manches spricht dafür, dass ich einer dieser Eventfans bin, die sich nur die Spiele gegen die ganz großen Gegner ansehen.

Im Laufe jenes Spiels ergab es sich – ich brauchte einen Moment, um es zu kapieren – dass irgendwo in unserer Nähe geistreiche Grüße an den Gast gesandt wurden, nach der Melodie von “We’re not gonna take it”: ♫ Schwule und Zigeuner ♫, hieß es da in Richtung des Münchner Fanblocks der sich wieder einmal recht weit in Haupt- und Gegentribüne hinein erstreckte, gerne auch mit schwäbischem Idiom, aber des Menschen Wille, Sie wissen schon.

Doch zurück zum wichtigen Thema: Nachdem ich meine anfängliche Unglaubens- und die Sprachlosigkeitsphase überwunden hatte, arbeitete es in meinem Kopf, doch nicht sehr erfolgreich. Ich überlegte mir, was ich beim nächsten Anlauf sagen würde. Der eine oder die andere mag sich erinnern, dass ich in einer ähnlichen Situation schon einmal eher hilflos mit Worten gerungen hatte.

Und mal ehrlich: “Hey, Ihr seid echt klasse, Homo- und Xenophobie in einem einzigen Gesang!” hätte vermutlich eher zur mitleidigen Erheiterung der Umstehenden geführt, wenn mir spätestens beim ersten Fremdwort der Satz abhandengekommen wäre, von der Aufmerksamkeitsspanne gar nicht zu reden, und Ironie funktioniert in so einer Situation ja ohnehin blendend, als dass es irgendwen beeindruckt oder beschämt hätte.

Gedanklich experimentierte ich auch mit Schwulenfeindlichkeit, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und was sonst noch so passte. Mit der Zeit verlor sich das Ganze ein bisschen, das Spiel ging seinen Gang, der Gesang kam nicht mehr. Ich regte mich hinterher noch eine Weile auf, doch nach ein paar Tagen hatte ich die Sache, die im Stadion nach meiner Wahrnehmung eine ziemlich lokale gewesen war, wieder vergessen.

Auch beim darauffolgenden Heimspiel – gegen Borussia Dortmund, Sie ahnten es – erinnerte zunächst nichts an jene Episode von vor zwei Wochen. Ich verfolgte das Spiel, war konzentriert, man steckt ja im Abstiegskampf, fiebert, schreit, unterstützt, leidet, und irgendwann nahm ich weit entfernt, nicht räumlich, da eher nah, die Melodie von “We’re not gonna take it” wahr, und langsam dämmerte es. Da war doch was gewesen, beim letzten Mal, und ja, in der Tat, da war es wieder:

“Schwule und Zigeuner!”

Ich erinnerte mich meiner damaligen Sprachlosigkeit, hatte noch immer keine schnell wirkende Antwort parat, ärgerte mich über mich selbst, und hörte zu meiner Überraschung, wie dann auch noch mein unmittelbarer, nicht zufälliger Nachbar mit in die Melodei einstieg (WTF!?).

Recht lautstark, übrigens:

“Nazis und Idioten!”

Einmal reichte.

Es mag natürlich Zufall gewesen sein, dass die Herrschaften so rasch wieder aufhörten, aber ich kann nicht recht daran glauben. Und ich will nicht. Nun liegt es mir fern, die Behauptung aufzustellen, mein Stadionnachbar neige dazu, komplexe Sachverhalte allzu sehr zu vereinfachen, gewiss nicht, er ist ein sehr reflektierter und diskussionsfreudiger Mensch; aber weniger umständlich ist er hin und wieder schon, und manchmal bringt er die Dinge einfach verdammt gut auf den Punkt. Ich verneige mich.

 

Ignorance is bliss

Nichts. Wirklich nichts habe ich vom Spiel des VfB in München gesehen. Und nichts, wirklich nichts scheine ich verpasst zu haben. Umso schöner, wenn man sich dann auf das beschränken kann, was man auf der Basis oberflächlichen Medienkonsums an positiven Erkenntnissen aus den letzten Tagen gezogen hat, weitgehend unabhängig von der Leistung in München.

Dass Armin Veh bereits in der vergangenen Woche die sakrosankte Identifikationsfigur Sven Ulreich angezählt hat, zum Beispiel, und dessen Schwächen in der Spieleröffnung als erster Trainer auch einmal offen ansprach. Leistungsprinzip auch im Tor – schön.

Oder dass Timo Werner ein München allem Anschein nach zumindest einmal eine Halbzeit lang in der Sturmspitze statt auf der Außenbahn spielen durfte, anstelle von Vedad Ibišević. Womit auch Letzterer wieder ein Spieler aus Fleisch und Blut wäre, der ansprechende Leistungen zu erbringen hat, wenn er spielen will. Dass dieser Anspruch in analoger Weise auch für Werner gilt, hatte der Trainer bereits kurz zuvor zum Ausdruck gebracht. Gefällt mir.

Und hey, Moritz Leitner! In der Startelf! Sicher, Didavi war wohl erkrankt, und allem Anschein nach hat Leitner nun auch nicht unbedingt ein Feuerwerk abgebrannt. Dennoch: mir fiele die Vorstellung schwer, den VfB weiterhin völlig kreativitätsbefreit aufspielen zu sehen, Leitner aber draußen zu wissen. Seine Ideen, sein Mut, seine Frechheit in der einen oder anderen Szene können dem VfB nur guttun.

Sein Leichtsinn nicht, zugegeben. Wenn er indes nach dem Spiel ein bisschen zickig ist und nebenbei vielleicht einen Konflikt zwischen älteren und jungen Spielern nach außen dringen lässt, dann kann ich dem gegenwärtig nicht viel Schlechtes abgewinnen.

Zu den älteren Spielern zählt mittlerweile auch der Kapitän. Dem, es dürfte angesichts der Beispiele Ulreich und Ibišević kaum mehr überraschen, der Trainer ein paar Sätze ins Stammbuch geschrieben hat, ehe er ihn am Samstag auswechselte. Also auch hier: Leistungsprinzip.

Klingt doch ganz schön, tendenziell. Als hätte der Trainer genug von Erbhöfen, Stallgeruch und Verdiensten aus der Vergangenheit. Dass die genannten Defizite nun wirklich nicht neu sind: geschenkt! Dass wir von außen eh immer alles besser wissen: keine Frage! Dass das Spiel in München trotzdem ziemlich frustrierend gewesen sein muss: nicht schön!

Ob ich mich damit ähnlich belüge kreativ tröste wie die Spieler, die glücklich waren, nicht wie andere zur Pause 0:4 zurückgelegen zu haben, die eine deutliche Verbesserung im Vergleich zur Partie gegen Köln gesehen zu haben glaubten, oder die meinten, dass man in München halt einfach verliere? Ich glaube nicht. Aber ich glaube auch nicht, dass es ohne einen knorrigen Veh, der Reizpunkte setzt, der den etablierten Akteuren ihre Defizite und deren Folgen aufzeigt, und der Spieler wie Leitner oder Kostic einfach mal machen lässt, zu nennenswerten Veränderungen kommen kann.

Natürlich ist es wohlfeil, sich an ein paar gedrückten Sätzen zu erfreuen, an Kommunikations- statt sportlichen, nun ja, Highlights hochzuziehen und die Fakten auf dem Platz in kolportierter Vogel-Strauß-Manier zu ignorieren, das gebe ich gerne zu.

Gleichzeitig denke ich durchaus, dass diese Unwissenheit, der Verzicht auf die allwöchentliche Portion Frust, nicht nur zu einem gewissen Verständnis für Spieler führt, die in einem 0:2 beim FC Bayern nicht den endgültigen Beweis für die eigene Unfähigkeit sehen, sondern vielleicht tatsächlich den Blick schärft für einzelne Aussagen und Entscheidungen, die unter anderen Umständen, beispielsweise als Zehnter oder Elfter mit vier Punkten, drei davon gegen Aufsteiger Köln, vermutlich als positive kleine Signale wahrgenommen würden. Zumindest möchte ich mir das einreden. Fühlt sich besser an. ‘twould be folly to be wise.

 

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Wer indes meinen ehrlichen Frust hören möchte, dem sei der Kölner Bockcast ans Herz gelegt, wo ich in der Vorwoche meine Eindrücke zum Spiel gegen den dortigen Champions-League-Kandidaten und zu den Perspektiven des VfB ziemlich unstrukturiert und dennoch unzensiert von mir geben durfte, bis hin zu furchtlos-treuen Nebelkerzen.