Nach der WM sei vor der Bundesliga, hört man. Stimmt natürlich, und doch ist es für mich dieses Jahr irgendwie ein wenig anders. Die letzten Wochen habe ich ziemlich weit im Norden der Republik verbracht, mit zunächst fürchterlichem Onlinezugang (ich hab sogar mit Windows Live Writer experimentiert) und vielfältigen Elternpflichten. Nennt sich ja nicht umsonst Elternzeit, das Ganze, auch wenn man sie teilweise mit Urlaub kombiniert. Der eigens angeschaffte UMTS-Stick war zumindest für diesen Zweck eine Fehlinvestition – die Mobilfunkabdeckung ließ lediglich in einer Ecke des Gartens Analogmodemgeschwindigkeiten zu -, aber immerhin konnte ich mich irgendwann beim nachbarlichen WLAN einkaufen.
Somit war eine gewisse Grundausstattung gesichert. Zum einen wollte ich aber die Bandbreite des Nachbarn nicht zu sehr belasten, zum anderen geht bei aller Liebe zum Fußball die Familie vor. Was nicht heißt, dass ich die WM-Spiele nicht sehen konnte – dafür sorgte schon die interessierte Gemahlin. Aber es gelang mir, die Nebengeräusche – zum Teil wohl, zum Teil übel – deutlich zu reduzieren. Der Fernseher wurde oft erst während der Hymnen eingeschaltet, die Nachberichterstattung fiel häufig aus (wenn ich mich nicht irre, habe ich Jürgen Klopp genau einmal gesehen und gehört), Blogtexte las ich nur in ganz seltenen Fällen, nämlich wenn ich zufällig einen interessant anmutenden Link bei Twitter fand, und die Printanalyse beschränkte sich in aller Regel auf die Ostsee-Zeitung.
Die wichtigste Informationsquelle war Twitter. Dort las ich über Michael Ballacks Wechsel, machte Bekanntschaft mit Karla Kick, verfolgte Uli Hoeneß’ untypisches Rumgeeiere, wunderte mich über die Causa Ribéry bzw. das Drumherum und nahm auch das eine oder andere Transfergerücht zur Kenntnis. Ich weiß nun, welcher Sportblogger als Schweinsteiger der Kreisliga gilt, dass Joachim Löw Bundestrainer bleibt, dass Dr. Zwanziger sich gerne an politischen Trends orientiert, und kenne die Vorzüge der Herren Bobic, Poschner et al. Tweets gaben mir zudem die Gelegenheit, über Dieter Hundts sommerliches Schalkegate zu lächeln, Anelkas Wortwahl wohlwollend sacken zu lassen, mich wegen Michael Becker zu übergeben und nicht über ein eigenes Bayernblog nachzudenken.
Twitter half enorm, und doch war da ein gewisses Fußballdefizit, das zu besonderer Sensibilität führte. Das mich den Videotext konsultieren ließ. Das dazu führte, dass ich mit viel offeneren Augen durch die Welt ging. Gerade hier, 270 km von der Bundesliga entfernt, 250 von Liga Zwei und immer noch knapp 100 von der Dritten Liga. Erfreut nahm ich Spiegelflaggen zur Kenntnis, die nicht in schwarz-rot-gold daher kamen, sondern ein Vereinswappen trugen, auch wenn’s das des VfL Wolfsburg war. Zumal der noch recht jugendliche Fahrer ein Trikot von Krzysztof Nowak trug. Bayern-Trikots wurden von Bundesbürgern aus allen möglichen Gegenden getragen, gerne auch die volle Montur am Strand, ein junger Mann kombinierte es sehr chic mit einem Kroatien-Basecap. Den unvermeidlichen “Retter”-Shirts begegnete ich ebenso wie einer aufgestickten Raute. Ein Urlauber trug zur Schau, dass er gemeinsam mit ganz Hannover gegen die zweite Liga angekämpft gatte. Zwei Werder-Aufkleber fuhren vor mir her, ich selbst war des Öfteren in einem OM-Shirt anzutreffen, Teeniemädchen trockneten sich mit Hansa Rostock ab und passten damit bestens in das Bild einer Region, für die der Verein von existenzieller Bedeutung sei oder wie das immer heißt. Da kann dann die Ostsee-Zeitung auch mal überschwänglich die ehrenamtliche Verstärkung der Fanbetreuung und anderer Positionen im Verein feiern, nachdem wenige Tage zuvor die Entlassung von deutlich mehr hauptamtlichen Kräften in den entsprechenden Bereich bedauernd vermeldet worden war.
Und dann war da noch die Jacke, die ein umsichtiger Freund meiner Tochter geschenkt hatte: