Fiktive Gespräche fernab jeder Realität und jedes Realismus sind weder lustig noch erhellend. Warum lässt man es nicht einfach?

Trainer, erinnern Sie sich noch an unser Gespräch neulich? Sie wissen schon, wegen der Nationalelf und meinen Überlegungen, wie ich mich dort festspielen kann?

Ja, klar erinnere ich mich. Klang doch vernünftig. Und jetzt würdest Du’s gern in die Tat umsetzen?

Ja, logisch! Wenn nicht in Stuttgart, wann dann?

Wieso gerade in Stuttgart?

Nun ja, wie soll ich sagen: erstens wäre der Andi vermutlich ganz froh, wenn er woanders spielen könnte, der hat ja noch sein Trauma vom letzten Jahr. Zweitens versuchen die zwar recht viel über außen, sodass ich einiges zu tun hätte und an meiner Positionierung im Abwehrverbund arbeiten könnte; gleichzeitig spielt aber niemand die wirklich guten, gefährlichen, überraschenden Bälle in die Naht, die unmittelbare Gefahr ist also überschaubar.

Drittens, falls doch mal einer käme und ich überspielt würde, ist die Chance auf ein Gegentor, oder zunächst einmal eine gelungene Hereingabe, immer noch minimal. Macht ja keiner rein. Zumal wir mittlerweile ja einen Torwart haben.

Ok, Deine Argumentation hat was für sich. Zudem sind sie viertens immer für zwei Gegentore gut, irgendeiner wird schon patzen. Was indes dagegen spricht: ich glaube, dass Leitner spielt, der die gefährlichen Bälle durchaus drauf hat, zumindest in der Theorie. Auch wenn sie ihn nicht sonderlich mögen dort. Zudem erscheint es mir wahrscheinlich, dass sie das System ändern und mit zwei Spitzen spielen, weil sie irgendwann ja merken müssen, dass der Timo Werner da außen vielleicht nicht verschenkt, aber auch nicht ideal platziert ist.

Hm, da haben Sie natürlich recht. Wenn der Werner in der Spitze spielt, kann ich mich auf Vorstöße von Sakai, Rausch oder sonst einem Christian-Ziege-Gedächtnis-Flankengeber konzentrieren. Soweit es nötig ist, halt. Früher hätte ich vielleicht noch mit Gente gerechnet, aber der geht ja nicht mehr so weit nach vorne.

Stimmt schon. Andererseits könnten es Maxim oder Didavi schon das eine oder andere Mal versuchen, da musst Du drauf gefasst sein.

Trainer, ich bitte Sie! gegen Schottland hatte ich es mit Ikechi Anya zu tun, meist erfolgreich. In ein paar Wochen will ich gegen Polen, Irland und Gibraltar bestehen. Da werd ich ja wohl mit den Freistoßkünstlern des Vorletzten zurechtkommen! Bisschen Stellungsspiel sollte da reichen.

Das ist mir jetzt zu negativ. Die Freistöße sind schon nicht schlecht.

Stimmt schon. Der Toni kommt da ja auch gerne mal ran. Nur rein macht er ihn nicht. Das ist bei meinen anders. Aber ok, ich werde mich bemühen, sie hinten zu vermeiden.

Ok, überzeugt, einerseits. Bleibt andererseits die Frage, ob wir in der Mitte auf Dich verzichten können. Deine Pressingresistenz ist da schon wertvoll.

Freut mich, dass Sie das so sehen, Trainer, aber wieso glauben Sie, dass der VfB plötzlich zu pressen anfangen könnte, dass er Druck ausübt, den Gegner jagt? Und selbst wenn er uns den Ball abnehmen sollte: was macht er dann damit? Ok, vielleicht Harnik anspielen. Aber bis der den Ball angenommen hat, sind wir mit acht Mann hinter dem Ball. Wahrscheinlicher ist aber eh, dass sie Ulreich einbeziehen. Ballgewöhnung, Sie wissen schon.

Jetzt übertreibst Du aber ein bisschen. In einem allerdings hast Du recht: ein paar Querpässe von Schwaab und Rüdiger werden in der Regel schon dazwischengeschoben, Klein soll den Ball auch mal haben, dann darf ihn Gruezo wieder nach vorne spielen.

Gruezo?

Ach was, sorry, natürlich nicht Gruezo, der darf ja nicht mehr. Romeu meinte ich. Zu viele gleiche Vokale. Wie auch immer: in der Zwischenzeit dürfte unsere Abwehr formiert sein.

Dann darf ich also rechts verteidigen? Und ab und zu mal nach innen schauen, falls doch mal ein paar Stuttgarter schneller nach vorne laufen? Lahm-Style, quasi?

Na ja, Lahm-Style würde ich jetzt nicht grade sagen. Du brauchst nicht auf die Grundlinie zu gehen. Die eine oder andere Flanke (Sagnol-Style) wäre mir lieber. Wenn der Veh drüber nachdenkt, mit der überholten Raute spielen zu lassen, können wir auch die Halbfeldflanke aus der Mottenkiste holen.

Die kennt man in Stuttgart eh ganz gut, Trainer. Boka, Sie wissen schon.

Stimmt.
Nochmal ernsthaft: Du brauchst echt nicht ganz nach vorne zu gehen. Wir halten uns insgesamt etwas zurück. Damit kommt der VfB nicht zurecht. Aber wem sag ich das, das weiß nun wirklich jeder Bundesligaspieler, der seinen Beruf halbwegs ernst nimmt. Masseure, Platz- und Zeugwarte übrigens auch, aber das nur am Rande.

Trainer, noch was anderes: diese Unruhe unter den Fans, das Medienspektakel um das Statement, hat das Einfluss auf das Spiel? Wissen Sie, ich war damals gegen Bochum dabei.

Ah, ich erinnere mich. Ein Ruhmesblatt der Fankultur. Aber nein, das wird diesmal anders sein, glaube ich. Die Fans haben ihren Unmut zum Ausdruck gebracht, reflektiert zum Ausdruck gebracht, soweit ich das mitbekommen habe, und die Spieler werden wohl wissen, dass sie den Schulterschluss mit den Fans brauchen. Da sind gescheite Leute auf dem Platz, die haben keine Eurozeichen in den Augen. Die werden zusammenstehen, das wird alles keine Auswirkungen auf das Spiel haben. Höchstens positive. Selbst Schwaab wird seine Lektion gelernt haben und sich nicht mehr abfällig äußern. Bestimmt. Also ganz bestimmt, ehrlich!

Ja, klar. Der Manager wird ihnen ja sicher auch sagen, wie wichtig die Kurve ist. Der ist schließlich lange genug dabei und hat als Einheimischer ein Gespür für die Fans.

 

 

Handwerkszeug

Fredi Bobic hatte etwa 88 Minuten ziemlich guten Fußballs gesehen. Würde zwar hernach keinen interessieren, aber es war so. Besuschkow war der Souverän auf dem Platz gewesen, Grbic hatte wieder einmal dreifach getroffen, Ferati vieles versucht, nicht immer erfolgreich, die Abwehr sich weitgehend abgeklärt gezeigt, der Gast war chancenlos gewesen: Stuttgart fünf, Frankfurt eins.

Kurz vor Schluss musste Bobic das Schlienz verlassen und ins große Stadion wechseln, von der U19 zu den Erwachsenen. Möglicherweise tat er dies ähnlich zuversichtlich wie ich selbst kurz darauf, nach dem Abpfiff, und in der Gewissheit, dass die katastrophalen Auftritte gegen Köln der Vergangenheit angehörten.

Leider kam alles ganz anders, und ich kann es nur schwer in Worte fassen. (Daniel Schwaab ist da weniger auf den Mund gefallen.)

Könnte ich singen, wäre das Ganze schnell durch. “Ich hatte keine Tränen mehr, als Ujah und Osako trafen”, sänge ich maffayesk, die Silben ein bisschen beugend, ginge noch auf meinen leeren Blick und das Zittern ein, lüde es hoch, das Blog wäre befüllt und meine Stimmung transportiert. Bliebe bloß noch zu hoffen, dass mich jemand von der Straße zöge. Freundin Ayşe, zum Beispiel, die eher selten ins Stadion geht, am Samstag aber mit ihrer ganzen Familie vor Ort war und hernach nicht umhin kam, mir zu bestätigen, was ich ohnehin zu wissen glaubte, dass nämlich das Spiel auch äußerlich Spuren hinterlassen habe: “Du siehst echt scheiße aus, Heini!”

Nun will ich nicht sagen, dass das “noch geprahlt”, will sagen: eine euphemistische Umschreibung gewesen sei, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass ich nach dem Spiel geneigt war und im Grunde noch immer wäre, negative Superlative einzustreuen, so ich denn noch welche hätte. Vermutlich habe ich Herrn Völler hier schon des Öfteren zitiert, Sie wissen schon “… einfach die Sache mit dem Tiefpunkt und nochmal ‘n Tiefpunkt und noch mal ‘nen niedrigeren Tiefpunkt.”

Verzeihung. Mir ist gar nicht nach Scherzen zumute. Wirklich so gar nicht. Die Ernüchterung ist kaum in Worte zu fassen. Hatte sich das Déjà-vu in der Vorwoche noch lediglich auf den späten Gegentreffer bezogen, ist es nun ein grundsätzlicheres, beängstigenderes: die Spielweise. Konkreter: die Vorwärtsbewegung.

Kürzlich hatte ich bei n-tv noch vollmundig behauptet, der VfB verfüge in der Offensive “insbesondere mit Maxim und Didavi über ein in den letzten Jahren selten gekanntes Kreativpotenzial” und zudem bedauert, “dass Veh nur schwerlich Platz für beide in seiner Mannschaft finden” werde. Nun, ich wurde Lügen gestraft: er fand. Schön, eigentlich.

Weniger schön, dass ich mich bereits im ersten Schritt geirrt haben könnte. Oder etwas verwechselt habe: technische Begabung mit Kreativität, möglicherweise. Sowohl Maxim als auch Didavi verstehen es, mit dem Ball umzugehen. Sie behandeln ihn liebevoll, er gehorcht ihnen, und sie verstehen auch, ihn zu treten. Freistöße, Ecken, auch Flanken, Pässe: sie können all das. Es ist ihr Handwerkszeug, ein gutes Handwerkszeug, und sie wissen es zu verwenden.

Kreativ ist das allerdings noch nicht. Kreativität erfordert nach meinem Verständnis Überraschungsmomente, Unerwartetes, mit oder ohne Schnörkel, die Fähigkeit, neue Situationen zu schaffen, etwas, das die Abwehr im Idealfall unvorbereitet trifft und ihr deshalb Schwierigkeiten bereitet. Von den beiden Technikern habe ich derlei am Samstag nicht gesehen. Der kreativste Pass kam von Oriol Romeu – schnörkellos, überraschend, doch leider war Timo Werner bereits ins Abseits gelaufen.

Natürlich geht es nicht darum, Didavi und Maxim die Schuld zuzuweisen. Sie führten mir nur in besonderem Maße vor Augen, dass ich mich einer Illusion hingegeben hatte, als ich auf ein überzeugenderes Offensivspiel gehofft hatte. Ein Offensivspiel, das natürlich auch gern von den Sechsern bestimmt werden dürfte. Oder von den Außenspielern. Ich bin da nicht wählerisch.

Auch nicht bei den Mitteln: ob wir nun Tempodribblings zu sehen bekommen wie phasenweise bei Traoré, oder öffnende Pässe, wie Leitner sie nachweislich spielen kann, manchmal, ob auch mal einer mit dem Kopf durch die Wand geht wie Cacau, oder ob Sakai und Klein auf den Außenpositionen ein ums andere Mal mit hohem Tempo Unruhe schaffen, Verwirrung stiften, so wie, manchmal, der 2012er Sakai und, lassen Sie mich nachdenken, Andi Hinkel 2004.

Meinetwegen können sie sich auch per tiqui-taca bis auf die Torlinie kombinieren, also ungefähr so, wie es Maxim und Didavi zu Spielbeginn kurzzeitig außerhalb der Gefahrenzone versuchten oder wie es die Ballkontaktrekordhalter Schwaab und Rüdiger gemeinsam mit Romeu hinter der Mittellinie taten. Nur schneller. Und woanders. Und irgendwie zielgerichtet.

Da ich bis dato so gut wie keine Spielszenen gesehen hatte, wusste ich nicht, was ich von den Neuzugängen zu erwarten hatte. Romeus kreativen Moment und seine zahlreichen Ballkontakte hatte ich schon genannt, ansonsten hat er mich noch nicht überzeugt, was der einen oder anderen seltsamen Aktion und – zugegeben, kein sehr valides Argument – dem Eindruck geschuldet ist, dass ich schon elegantere, in ihren Bewegungen behändere Spieler aus La Masia gesehen habe. Dafür erinnert er mich an Daniel Morales aus “Taxi”, was immerhin ein ähnlich gutes Argument für ihn ist. Ach, und wieso lese ich in den Aufstellungen immer wieder “Oriol Romeu” neben, zum Beispiel “Gentner” oder “Didavi”? Ist er der neue Lucatoni?

Filip Kostić hinterließ insofern einen ganz guten Eindruck, als er für Belebung im Angriff sorgte (was angesichts des Ausgangsniveaus nicht schwer war), ins Dribbling ging und den Abschluss suchte. Dumm nur, dass es keine zehn Minuten dauerte, bis er mich an Danijel Ljuboja erinnerte: die erste Schwalbe ließ nicht lange auf sich warten, bei Auseinandersetzungen mit Gegner und Schiedsrichter war er gleich vorne dabei. Muss ich nicht haben, echt nicht. Aber vielleicht sagt’s ihm ja mal jemand.

Florian Klein: solide. Eine schöne Offensivaktion hatte er, mit schöner Flugannahme und anschließender Hereingabe. Darf er öfter machen; man hätte ihm einen stärkeren Partner auf seiner Seite gewünscht, und Mitspieler, die ihn einzusetzen versuchen. Gerne kreativ, aber auch handwerklich sauber hätte gereicht.

Köln spielte übrigens auch mit. Kevin Vogt gefiel mir ganz gut, Anthony Ujah sowieso, für Daniel Halfar habe ich seit langem ein Faible, das am Samstag aber nicht stärker ausgeprägt wurde. Der VfB spielte ihnen ein bisschen in die Karten, und sie spielten ihr Blatt sauber aus. Gute Leistung.

Insgesamt war es schön, die Bundesliga wieder intensiver verfolgen zu können – selbst das Abendspiel sah ich mir in irgendeiner Kneipe an, war sehr beeindruckt von der Münchner Anfangsphase und völlig überfordert, die weitere Entwicklung des Spiels zu begreifen. Vermutlich hatte ich mich schon fast so sehr mit dem Kräfteverhältnis abgefunden wie die Schalker, die nach dem Spiel in kollektiven Jubel ausbrachen, weil sie ein Heimspiel gegen einen unmittelbaren Mitbewerber nicht verloren hatten, was Marcus Bark bei sportschau.de bereits sehr treffend ausgeführt hat.

Ach, und dann war da ja noch ein Handtor. Ich bin ein bisschen überrascht, dass sich Collinas Erben so klar auf die Seite von Benedikt Höwedes, bzw. von Marco Fritz, stellen. Zwar neige ich selbst auch zu der Sichtweise, dass ein solches Handspiel kein strafbares ist, wiewohl ich finde, dass man Höwedes mit guten Argumenten eine sehr bewusste Nutzung des Ellbogens unterstellen kann; vor allem aber frage ich mich, wieso Abwehrspieler, insbesondere in der Champions League, seit einiger Zeit dazu übergehen, sich dem ballführenden Angreifer mit hinter dem Rücken verschränkten Armen entgegenzustellen, um den Ball nur ja nicht aus kurzer Distanz an Hand oder Arm geschossen zu bekommen? Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass sie dafür keine handfesten Gründe haben, vorzugsweise erfolgte Schiedsrichterentscheidungen.

Vermutlich werden die Erben das in den nächsten Tagen auch in ihrer nächsten Podcast-Ausgabe noch einmal aufrollen und in mir einen interessierten Zuhörer haben; ähnlich interessiert erwarte ich die zweite Ausgabe der “Schlusskonferenz” beim Rasenfunk, einem neuen Podcast, hinter dem zu meiner großen Freude just jene beiden Herren stecken, denen ich während der Weltmeisterschaft ganz besonders gerne zuhörte, wenn sie beim fast täglichen WM-Podcast von Herrn @fehlpass zu Gast waren: die Herren @GNetzer (der das jetzt wieder nicht so gerne hört) und @helmi.

Ob dort auch die zweite Liga besprochen wird, weiß ich nicht. Falls ja, dann höchstens deren sportliche Aspekte, vermute ich, nicht aber die Mattuschka-Posse. Die mich persönlich ein bisschen bestürzt. Hätte ich nicht erwartet. Nicht, dass mich Norbert Düwel gleichermaßen an Joachim Löw in der Causa Ballack und Michael Skibbe in Sachen Thomas Häßler denken lassen würde, und auch nicht, dass sich Mattuschka selbst nicht entblöden würde, sich auf das Glatteis der großen Buchstaben zu begeben.

Es überrascht mich naiven Romantiker komplett, dass so etwas so schnell gehen kann, und es gibt wenig, was ich aktuell weniger gern hören möchte als Sätze im Stil von “kein Spieler ist größer als der Verein”. Rein emotional und aus der Ferne. Aus der Nähe sieht man das vermutlich aus guten Gründen anders. Tja.

 

 

Drei Generationen, vier Silben

Ich will es mal so sagen: das größte Kopfzerbrechen während des Spiels bereitete mir die Frage, ob der Sky-Reporter tatsächlich Recht haben könnte mit seiner Überzeugung, dass man Kolašinac auf der dritten Silbe betont. Gefolgt von jener, wieso ich bei Muttern und Vatern so viel Kaffee getrunken hatte, aber das sollte ich vielleicht gar nicht weiter vertiefen.

Die Zuversicht, mit der ich auf Basis der Erfahrungswerte aus den letzten soundsoviel Jahren dem Spiel gegen Schalke entgegengesehen hatte, erfuhr nur in zwei (drei) Situationen eine seismisch nachweisbare Erschütterung: zum einen, als man in der Nachspielzeit der ersten Hälfte Goretzka zum Abschluss einlud, zum anderen in den drei Minuten nach dem 3:1, mit dem Kopfball des Prinzen und der effetvollen Ecke von Tim Hoogland, der seinem gebrauchten Tag in diesem Moment mit etwas Glück doch noch eine positive Wendung hätte geben können. Ansonsten lief es wie erwartet, irgendwie.

Klar kann man das hernach leicht sagen, noch dazu nach einem Wochenende, für das “wie gemalt” als eher vorsichtige Umschreibung durchgeht. Aber Schalke zuhause, so sagte ich mir in der Tat, das passt. Noch dazu, in der laufenden Saison, wenn ich selbst nicht vor Ort sein kann. Natürlich malte ich mir vor dem Spiel auch aus, was eine Niederlage bedeuten würde, und wenn ich ehrlich bin, war mir gar nicht so klar, wieso der VfB ausgerechnet in diesem Spiel zu seiner Schalke-Form finden bzw. wie die Schalke-Formation aussehen sollte; dennoch hatte ich wenig Zweifel daran, dass die Mannschaft als Sieger vom Platz gehen würde.

Ok, ich gebe zu, dass die Erkenntnis, Cacau auch noch in den zweiten 45 Minuten auf dem Spielfeld zu sehen, meinen Puls unmittelbar nach der Pause ein bisschen in die Höhe trieb. Aus Sorge, ihn ohne Huub Stevens’ Zutun keine 45, sondern höchstens noch 15 Minuten spielen zu sehen. Er strafte mich eindrucksvoll Lügen, und ich nahm die Strafe, Anstand und Haltung bewahrend, gerne an.

Ach, und dass Gruezo raus musste, noch dazu just nach dem nicht gegebenen Anschlusstreffer, und dass Konstantin Rausch statt seiner die Mitte verdichten sollte, war emotional auch eher kein idealer Einstieg in die Schlussviertelstunde. Zumal mit meinem Vater ein stets furchtbarer Schwarzmaler neben mir saß. Dabei ist er noch nicht einmal VfB-Anhänger. War ihm aber egal, er malte. Sprach von Statistiken und der VfB-Viertelstunde. Die nichts mit ihrem Hütteldorfer Pendant gemein hat.

Etwas überraschend sprang mir der Wirt, ein KSC-Fan, zur Seite, und wie ich so über Belanglosigkeiten schreibe, fällt mir dann doch auf, wie sehr ich aller vorgegebenen Abgeklärtheit zum Trotz dankbar nach jeder Ablenkung griff, die mich vom Nägelkauen oder vom ständigen Umarmen meines Sohnes (ja, es war eine Dreigenerationenkneipenschau) abhielt. Sie wissen schon, jene Umarmungen, die betrunkene Männer einander gelegentlich angedeihen lassen (mein Trainer, damals, fragen Sie nicht!) und die sich in nichts von dem unterscheiden, was landläufig unter “Schwitzkasten” läuft. Ich kann das halt auch nüchtern.

Ja, Ulreich, wieder. Und ja, klar, Sakai – nachdem ich eine Viertelstunde zuvor noch bemängelt hatte, dass er “Nie!” ins Dribbling geht. Ja, Didavi, der Freistoßdistanzen direkt überwindet, bei denen Allgöwer zweimal nachgedacht hätte. Um dann doch zu treffen, aber das ist eine andere Geschichte. Ja, Harnik, mal wieder. Ja, Traoré, den mein Vater am liebsten adoptiert hätte, und ja, hatte ich schon implizit gesagt, Gruezo.

Und nein, Ibisevic. Die Lebensversicherung auf der Bank, und sie dürfte das nicht gerne mit sich machen lassen. Auch wenn es nicht ganz fern liegt, bei einem auf schnelle Gegenangriffe angelegten Spiel auf typischere Konterstürmer wie Werner oder eben auch Cacau zu setzen, würde es mich sehr interessieren, wie Stevens in diesen Tagen mit Ibisevic kommuniziert. Ob er es überhaupt explizit tut.

Nächster Halt: Hannover. Und meine Überzeugung ist wie weggeblasen. Klar hoffe ich, bin auch zuversichtlich, träume von einer dann doch überraschend frühen Rettung, aber von dieser österlichen Gewissheit, die natürlich keine war, sich aber im Rückblick so anfühlte, ist das doch noch ein ganzes Stück entfernt. Vielleicht kommt sie ja noch.

Und natürlich hab ich mich kundig zu machen versucht. Forvo muss noch passen, Wikipedia sagt [kɔ’laʃinats], es finden sich auch Videos mit k am Ende, zumindest aber haben die bisherigen Ergebnisse eines gemein: die Betonung auf der zweiten Silbe.

 

 

 

 

 

Einzelfallinduzierter Paradigmenwechsel

Um das Abwehrverhalten von Fußballspielern grundlegend zu verändern, bedarf es häufig bahnbrechender Einschnitte. Regeländerungen, zum Beispiel, von der Rückpassregel über “gleiche Höhe ist kein Abseits” bis hin zu passivem Abseits, unnatürlichen Handbewegungen und vergrößerten Körperflächen.

Vermutlich handelt es sich bei den genannten Beispielen zum Teil gar nicht um Regel-, sondern nur um Auslegungsänderungen, möglicherweise sind diese auch gar nicht so bahnbrechend, wie der Verfasser der geneigten Leserschaft suggerieren möchte, aber zum einen versteht das außer Collinas Erben ja eh keiner so genau, und zum anderen lasse ich mir meine Legendenbildung nicht von einer vergrößerten Körperfläche nehmen. Taktische Paradigmenwechsel funktionieren übrigens auch, wie wir seit dem erhellenden Viererkettenreferat eines Zweitligatrainers im altehrwürdigen Sportstudio wissen.

Manchmal genügt allerdings auch eine einzige Szene, um Generationen von Fußballspielern in ihrem Abwehrverhalten nachhaltig zu beeinflussen. So wie Rivelinos Freistoß.

Zugegeben: er hat einige geschossen und dabei gewiss nicht selten getroffen. Letztlich wissen wir aber alle, so wir ein gewisses Alter, elterliche Fußballbücher oder einen anderweitigen Zugang zur Fußballhistorie haben, dass es um jenen einen gehen muss, dem Croy kaum mehr als eine hilflose Gewichtsverlagerung entgegenzusetzen hatte, oder, wie Harry Valérien in seinem 74er WM-Buch schrieb:

“Ein verblüffender, raffinierter Freistoßtrick. Ein brasilianischer Spieler stellte sich in die Mauer der DDR und ließ sich zu Boden fallen; durch diese Lücke schoß Rivelino den Ball ins Tor. Reaktionslos schaut DDR-Torwart Croy dem Ball nach.”

 

Möglicherweise war Rivelino gar nicht der erste. Ich kann es zumindest nicht ausschließen. Aber Sie wissen ja: zu viel Detailwissen schadet unter Umständen der Legendenbildung. Beziehungsweise meinen Theorien zum Abwehrverhalten.

Jeder, der auf einem Fußballplatz und ganz konkret in einer Mauer steht, oder auch jede, weiß – der Legende zufolge – seit jenem Tag im Sommer 1974, dass ein Angreifer, der sich in die Mauer stellt, nicht ad hoc die Seiten gewechselt hat, sondern dass er die Abwehr irritieren oder bedrängen und im Idealfall die Lücke für den Schuss reißen möchte.

Und jeder einzelne dieser genannten Menschen, die im genannten Kontext in der Mauer standen, angefangen in der Kreisliga, ach was, in der D-Jugend, spätestens, weiß seit dem 26. Juni 1974, dass er sich gefälligst hinter den scheinbar Fahnenflüchtigen zu stellen oder ihn, noch besser, ganz aus der Mauer zu entfernen hat.

Dass die Chance, auf einen zielgenauen Freistoßschützen zu treffen, in der Kreisliga B tendenziell gering ist, mag sein. Dennoch kann man sicher sein, dass sich im Erfolgsfall mindestens ein Kübel Häme über denjenigen ergießen würde, der die Lückenbildung nicht verhindert hat, gerne verbunden mit dem Hinweis, dass man das ja schon in der C-Jugend lerne.

Ein Anfängerfehler, wenn man so will. Ein Fehler also, der ganz gut in das Bild passt, das der VfB Stuttgart in den letzten Wochen vermittelte: irgendeiner ist immer für einen stümperhaften Lapsus gut, lässt sich als letzter Mann per Bauerntrick übertölpeln, verweigert die Deckungsarbeit bei einer Standardsituation, läuft orientierungslos aus seinem Tor heraus, man möge die Reihe gerne fortsetzen.

Nun also ein bauernschlauer Freistoß. Der noch nicht einmal so geplant war, wie der Schütze wohl einräumte, aber es hilft ja nichts. Und mir fällt es fast schwer, die allseitigen Bekundungen, der neue Trainer habe mehr Stabilität in die Defensive gebracht, nicht herzhaft auszulachen. Stichwort C-Jugend.

Ok, stimmt schon: das war defensiv besser. Wer konnte auch damit rechnen, dass man plötzlich mit einem Linksverteidiger antreten würde, der sich seiner dereinst nicht nur angedeuteten Fähigkeiten erinnert? Ohne weiter auf einzelne Spieler eingehen zu wollen, steht auf der Eben-nicht-Habenseite zu verbuchen, dass man die Bremer in der B-Note ausstach und so gewisse Hoffnungen schürte, die dann zwar jäh auf eine C-Jugend-Mauer prallten, grundsätzlich aber bestehen bleiben. Auch wenn ich ohne weitere Umschweife einräume, dass ich zunehmend dazu übergehe, mir einzureden, dass andere, tiefere Ligen auch schöne Spiele haben. Der Erfolg dieser autosuggestiven Bemühungen ist gegenwärtig noch überschaubar.

Zu den sehr wenigen Dingen, die mich bei einem Fußballspiel de facto überhaupt nicht interessieren, zählt der Sitzplatz des Sportdirektors. Es sei denn, er hat das Zeug zum Politikum. Dann ist es zwar immer noch nur ein Politikum und kein Sport, aber wenigstens irgendwie relevant. Fredi Bobics Umzug auf die Tribüne hat insofern das Zeug zum Politikum, als seine Beteuerungen, der besseren Sicht wegen den Platz zu wechseln, für meinen Geschmack einen Tick zu laut zu hören waren. Die Frage, ob es nicht doch der Trainer gewesen sein könnte, der eine gewisse Präferenz geäußert hat, erscheint nicht gänzlich unpassend.

Und der Schelm, der bei der einen oder anderen Sache Böses denkt, fragt sich dann auch gleich noch, was er davon halten soll, dass, während Bobic die Elfmeterproblematik mit dem brüsken Hinweis auf Ibisevics anstehende Rückkehr beiseite wischt, der Trainer erst einmal sehen will, ob Ibisevic nach fünf Wochen Pause für einen Startelfeinsatz bereit sei.

Immerhin wissen wir nun, in wessen Entscheidungsbereich die Mannschaftsaufstellung fällt, wenn es am Sonntag gegen den HSV geht. Und ich Kindergeburtstag feiere.

Vergissmein! (Nicht?)

“Total leidenschaftslos”, sagte der neben mir stehende Schalker mit gewissen Sympathien für den VfB. Er sagte es mit einer Verve, wie man sie wohl nur als Fan eines Malochervereins aufbringen kann, und auch wenn er nicht danebengelegen haben mag, war es mir doch ein Bedürfnis, auch meiner Wahrheit die Ehre zu geben: “Naja, in erster Linie schlecht, würde ich sagen”, und ich sagte es so, wie man es wohl nur als Fan einer grauen Maus sagen kann.

Der dritte Mann hielt sich zunächst noch bedeckt, sorgte aber wenige Minuten später, als ich eingedenk des von mir kurz vor dem Anpfiff ganz selbstverständlich prognostizierten Kantersieges die Frage stellte, wieso genau ich mich so sehr darauf gefreut hätte, “dass es endlich wieder losgeht”, für Erhellung:

“Man vergisst so schnell.”

Dem war wenig hinzuzufügen. Bis hin zu nichts. Hatte ich die Hinrunde, und insbesondere deren negative Ausprägungen, tatsächlich verdrängt? War ich wirklich der Ansicht gewesen, nur weil Moritz Leitner gegen Hannover drei Tore sehr ansehnlich vorbereitet hatte, sei nun das Kreativitätsvakuum im Mittelfeld gefüllt, seien Stabilität und Spielaufbau gleich mit geregelt? Hatte mir Konstantin Rauschs Tor in eben jenem Spiel gegen eine Mannschaft ohne Auswärtspunkt den Blick darauf vernebelt, dass er sich zwar häufig in vielversprechende Situationen, sie aber nur selten gut zu Ende, will sagen: in die Mitte bringt?

War Gotoku Sakais Lapsus in Wolfsburg, nein: waren all jene Lapsus, die er verlässlich immer dann einbaute, wenn man ihn auf einem guten Weg wähnte, meinem Gedächtnis entwischt? Hatte ich die Erinnerungen an Sven Ulreichs mintunter slapstickartiges Herauslaufen unterbewusst als Trugbilder verworfen, die Abstimmungsdefizite mit seinen Vorderleuten schlicht vergessen? Waren die Bilder von langen Bällen ins Niemandsland bereits verblasst, und hatte ich die bekannte Strategie ignoriert, dass, wenn man schon mit langen Bällen operiert, diese nach Möglichkeit von demjenigen schlagen lässt, der sie nun wirklich nicht kann, nämlich Ulreich?

Ach, man vergisst so schnell. Und freut sich jedes Mal von Neuem auf den Stadionbesuch, träumt von großen Leistungen und überzeugenden Siegen, von strategischem Geschick, defensiver Souveränität, junger Wildheit, individueller Klasse und furiosen Momenten, um dann einmal mehr enttäuscht zu werden. Gegen Mainz, exemplarisch. Einer Mannschaft zuzusehen, die minutenlang nicht in der Lage ist, den Ball aus einer lediglich geringen Drucksituation heraus geordnet in Richtung der eigenen Mittellinie zu spielen – bis der Gegner irgendwann nicht mehr davon absehen kann, einen dieser Fehlpässe in ein Tor umzumünzen.

Oder um Timo Werner dabei zu beobachten, wie er in all seinem wunderbaren Überschwang Stockfehler an Stockfehler reiht. Diesmal, wohlgemerkt, nur diesmal. Was man ihm ebenso gerne verzeiht wie Antonio Rüdiger den Drang, mangels zwingender Torchancen irgendwann selbst den Ball zu schnappen und wie dereinst Lúcio nach vorne zu preschen, wenn auch (noch?) weniger durchschlagskräftig. Und schließlich – ein “schließlich”, das sich auf meine Aufzählung bezieht, nicht aber auf die Reihe der Defizite –, um einer nominell wie individuell sehr ansehnlichen vierköpfigen Sturmreihe zuzuschauen, die unglücklicherweise nicht recht zu wissen scheint, was sie in Tornähe miteinander anfangen soll.

Tags darauf vergisst man wieder. Freut sich von Neuem auf den nächsten Stadionbesuch, träumt von einer großen Leistung und einem überzeugenden Sieg, meinetwegen auch einem Unentschieden, von einem Spiel mit Signalwirkung, auch mal gegen die beste Mannschaft der WeltTM, so wie damals, im Dezember 2008, Khedira, Sie wissen schon, und wird letztlich doch wieder enttäuscht.

Immerhin, dann: man vergisst so schnell.