Harald

Es ist einige Jahre her, dass die sogenannte Fußball-Blogosphäre einem für meine Begriffe idealen Zustand sehr nahe kam. Viele kreative Menschen schrieben auf sehr unterschiedliche Weise über das große Ganze und das kleine Spezielle, erzählten Geschichten, teilten Beobachtungen, mal komisch, mal nachdenklich, häufig spontan, mitunter ohne Maß und Ziel, mit viel Zeit, einer Menge Herzblut und nicht selten einem offenkundigen Mangel an Professionalität. Amateure im schönsten Wortsinne.

Irgendwann in dieser Zeit geriet das Freitagsspiel in mein Blickfeld. Genauer gesagt: Sein Macher, Harald, schrieb sich hinein, mit Texten, die noch einmal ganz anders waren als all die anderen, die ich sonst so kannte. Ich war beeindruckt. Und neidisch. So hätte ich auch schreiben können wollen. Es gelang Harald, eine Distanz zum Fußball zu halten, die ihm einen wahrhaft eigenen Blickwinkel ermöglichte, die ihn Gedanken entwickeln, häufig auch nur andeuten ließ, die wenig mit dem zu tun hatten, was wir anderen so von uns gaben, die klug waren und die doch nie den Eindruck vermittelten, da schreibe jemand von oben herab, ironisch vielleicht, den Fußball und seine Ernsthaftigkeit belächelnd. Im Gegenteil, er nahm ihn ernst, und er hatte die Gabe, seine Denkansätze auf leichte Weise zu vermitteln, in einer Sprache, die zum Punkt kam, ohne auf die Pointe aus zu sein.

Wir lernten uns kennen, rein virtuell, kommunizierten über unsere Blogs, bald via Twitter, irgendwann per Mail und auf vielen anderen Wegen, nachdem er eine gemeinsame Initiative von Fußballblogs gegen Homophobie im Fußball angeregt hatte, an der ich in einer kleineren Gruppe mitarbeiten durfte.

Das Thema war ihm wichtig, er nahm uns mit auf den Weg zur Gründung der Aktion Libero, die Ende 2011 nicht die Welt veränderte, aber doch für nennenswertes Aufsehen sorgte. Es war mir ein großer Gewinn, in diesem Kontext mit ihm zu arbeiten, zu sehen, wie hinter seinen stets bedacht formulierten Ideen eine sehr klare Vorstellung und der feste Wille stand, die Sache voranzutreiben, seine Sache, unsere Sache, innerhalb eines Rahmens, aus dem er nur auf Basis wirklich guter Argumente auszubrechen bereit war.

Nach dem Aktionstag im November 2011 nahm die Frequenz seiner Blogtexte rapide ab, seit dem Frühjahr 2012 kamen im Grunde keine neuen Texte mehr hinzu, er wandte sich neuen Dingen zu. Die alten Texte sind noch da, ich kann sie Ihnen nur ans Herz legen, die zu den Weltmeisterschaften 2010 und 2011, oder exemplarisch den über den Workaholić, den zur Aktion Libero sowieso, so viele andere, kleine wie große.

Drüben bei Twitter ließ er sich in unterschiedlicher Frequenz blicken, auch im Jahr 2017, seine Beobachtungen nach wie vor auf den Punkt bringend, mitunter absurd:

 

Wir hatten in den letzten Jahren sehr sporadischen Kontakt, Ende 2013 gewann ich ihn für einen Beitrag in meinem Adventskalender, oder was heißt gewann, er ließ zu keiner Sekunde Zweifel daran, dass er meine Bitte erfüllen würde. Wie eigentlich immer, wenn ich ihn um etwas bat.

Ich freute mich, wenn ich gelegentlich etwas von ihm las, wo auch immer, hin und wieder schimmerte etwas von diesem oder jenem aktuellen Projekt durch, mitunter stöberte ich im Freitagsspiel, des Vergnügens wegen, und stets ermöglichte er uns allen das, was er erst kürzlich, hier mit seinem anderen Twitter-Ego, explizit formulierte:

 

Heute habe ich erfahren, dass Harald vor wenigen Wochen unerwartet verstorben ist. Mein Entsetzen, meine Traurigkeit sind nicht in Worte zu fassen, und ich kann nur erahnen, wie sehr seine Lieben ihn vermissen müssen, seine Klugheit, seine Empathie, seine Überzeugung, und was sie sonst noch alles an ihm liebten. Meine Gedanken sind bei ihnen.