Natürlich hat der VfB gestern gegen die beste Mannschaft der Welt gespielt. Die nahezu in Bestbesetzung angetreten ist, selbst Impulsgeber Xavi wurde noch rechtzeitig fit. Die schlägt man nicht einfach mal im Vorbeigehen.
Ohne Frage ist ein 1:1 ein gutes Ergebnis, hat man sich der Fußballwelt hervorragend präsentiert und die verheerenden Kritiken aus der Champions League Saison 2007/08 ein wenig vergessen machen können.
Ganz sicher war ich nicht der einzige, der zwar auf ein achtbares Ergebnis hoffte (ich hatte 1:1 getippt), der aber große Angst davor hatte, dass das Spiel nach 30 Minuten zugunsten der Gäste entschieden sein könnte. Dass sie, wie zwei Jahre zuvor, damals bereits in der Vorrunde, den Ball scheinbar nur so zum Spaß zirkulieren lassen, irgendwann nach Belieben – vorzugsweise über Iniesta- zwei, drei mal zustoßen und dem VfB früh jegliche Hoffnung nehmen würden. Das war nicht der Fall.
Zweifellos hat sich der VfB weit mehr als nur achtbar geschlagen. Nachdem man einige Minuten brauchte, um ins Spiel zu finden, war der VfB insbesondere von der 10. bis zur 35. Minute bärenstark und hat Barça enorm zugesetzt, das seinerseits in dieser Zeit nichts zustande brachte. Dem von Puyol vor dem Spiel nochmals explizit formulierten Anspruch (“Wir wollen das Spiel diktieren“) wurden sie in dieser Phase nicht annähernd gerecht, ganz im Gegenteil: sie wurden von einem wirklich starken VfB dominiert, der durch die Bank hochkonzentriert zu Werke ging und die Defensive des Gegners ein ums andere mal in Bedrängnis brachte. Erst nach dem Seitenwechsel und Guardiolas Maßnahme, Iniesta nach innen zu ziehen, konnte Barcelona den Ball gelegentlich so kreisen lassen, wie man es von ihnen erwartet, und auch das ohne wirklichen Zug zum Tor.
Unbedingt muss man der Stuttgarter Mannschaft und ihrem Trainer ein großes Lob zollen für ihren arbeitsintensiven, fußballerisch und taktisch hervorragenden Auftritt, und angesichts der forschen, couragierten Spielweise kann ich meinen Hut gar nicht tief genug ziehen. Christian Gross war ganz offensichtlich zu der Erkenntnis gelangt, dass die einzige Chance darin bestehe, Barcelona möglichst lange möglichst weit vom eigenen Tor entfernt zu halten, sie in die Verteidigung zu zwingen. Dass das nicht über die komplette Distanz gelingen kann, steht außer Frage, aber wenn man gesehen hat, dass noch weit in der zweiten Halbzeit Aliaksandr Hleb das Aufbauspiel des Gegners an dessen Strafraum störte: Chapeau.
Und doch nagt es. Wenn man sich nach dem Spiel im Stadion umsah, wenn man die Spieler nach dem Spiel in der Kurve beobachtete, wenn man die Stimmung in der Stadtbahn aufnahm, wenn man in sich selbst hineinhorcht, auch jetzt noch, Stunden nach dem Spiel, sehr früh am Morgen, kann man es wohl nicht anders benennen:
Enttäuschung.
Der VfB hätte die beste Mannschaft der Welt gestern schlagen können, vielleicht sogar müssen. Mit einem 2:1, lieber 2:0, im Rücken führe man weiß Gott nicht in der Gewissheit nach Barcelona, die halbe Miete bereits überwiesen zu haben – aber man dürfte mehr als nur ganz verschämt vom Weiterkommen träumen, man hätte so etwas wie eine Chance.
Und die Mannschaft wollte gewinnen, das hat sie bis zum Ende gezeigt, auch wenn die Kräfte zur Neige gingen. Der Trainer wollte gewinnen. Er wechselte nicht defensiv, sondern brachte Kuzmanovic für Träsch (ein Wechsel, den mir die Jungs von 90elf im Pausengespräch auf dem Silbertablett servierten, den ich aber in meinem an Hybris grenzenden Glauben, Christian Gross’ Gedanken nach wenigen Wochen durchschaut zu haben, von der Hand wies) und damit zusätzliche spielerische Qualität und Ballsicherheit, wechselte im Sturm 1:1 und brachte zudem mit Sebastian Rudy für die letzten 10 Minuten einen weiteren offensivstarken Spieler.
Letzterer war auch der einzige Wechsel, mit dem ich ein wenig haderte – aus meiner Sicht gar der einzige Punkt, an dem man Gross’ Coaching gestern möglicherweise kritisieren kann. Aliaksandr Hleb, dem ich es im Grunde sehr gegönnt habe, einmal durchspielen zu dürfen, musste seinem hohen Laufpensum, auch der ständigen Unterstützung für Molinaro gegen Messi, Tribut zollen und spielte in der Schlussphase einige unkonzentrierte und potenziell sehr gefährliche Fehlpässe. Zudem hätte ich mir, ungeachtet meiner Schwäche für Sebastian Rudy (über den ich auch drüben bei 18mal18 endlich wieder einmal etwas geschrieben habe), Roberto Hilbert gewünscht, der mit seiner Aggressivität in den letzen 10 Minuten möglicherweise noch einmal für etwas Aufruhr gesorgt hätte.
Was sagte ich? Die Mannschaft wollte gewinnen. Der Trainer wollte gewinnen. Und auch die Zuschauer wollten gewinnen. Als Busquets in der 75. Minute etwas zu lang behandelt wurde, hätte man durchaus auch aus Stuttgarter Sicht den Standpunkt vertreten können, diese Sekunden gerne herunter laufen zu lassen. Pustekuchen! Das Publikum (beileibe nicht nur die Cannstatter Kurve) pfiff, was das Zeug hielt, um seinen Unmut über das Zeitspiel der Gäste auszudrücken – großartig. Überhaupt, die Sitzplatzfans: 5 Minuten vor Schluss standen Gegengerade und Haupttribüne geschlossen auf (ohne dass es eine explizite Aufforderung der Form “Steht auf, …” gegeben hätte) und trug, wenn ich noch etwas Pathos ausschütten darf, die Mannschaft über die Ziellinie. Hat mich beeindruckt, ehrlich.
Ehe ich beginne, ein paar Tränen zu verdrücken, lasse ich es lieber gut sein. Allerdings nicht, ohne vorher noch eines klargestellt zu haben: wenn der VfB im Camp Nou nur 3 Tore schießt, müsste Barcelona schon 4 machen. Das schaffen die nie.