Damals, als die Bayern noch in Aachen gewannen

Drüben bei El Fútbol [Link entfernt, Blog ist offline]  hat Sidan seine Leser dazu aufgerufen, ihre jeweiligen “Lieblingsspieler” vorzustellen – sei es im eigenen Blog, sei es direkt bei ihm. Er selbst ging sogleich mit Georghe Hagi in Vorleistung. Mir gefällt die Idee, und mir gefällt vor allem der Gedanke, so etwas blogübergreifend anzugehen*.  Deshalb mache ich gerne mit, auch wenn ich eigentlich nicht den einen Lieblingsspieler benennen kann.

Mit dem Lieblingsspieler ist es ja ein wenig anders als mit dem Lieblingsverein. Letzterer kann sich zwar auch mal ändern, aber insgesamt geschieht das doch eher selten. Bei Spielern verschiebt man die Präferenzen nach meiner Einschätzung bereitwilliger, schneller und häufiger – was nicht zuletzt mit gekränkten Eitelkeiten zu tun haben dürfte, wenn wieder mal ein verwöhnter Söldnermillionär in jungen Jahren zum falschen Verein gewechselt ist. Oder so. Wie auch immer: einen all time favourite hab ich nicht.

Was es natürlich gab, waren Spieler, deren Namen Identität und Spielkunst man auf dem Bolzplatz mit Vorliebe annahm – bei mir war das lange Zeit Falcão, später gerne mal, warum auch immer, Michailitschenko (falls @saumselig dies liest, haut er mir vermutlich die Schreibweise um die Ohren). Natürlich sind Maradona und Schuster zu nennen. Freistöße hätte ich gerne geschossen wie Allgöwer, war verzaubert von Sigurvinsson, wollte Hansi Müllers linken Fuß, verwandelte mich im Tor zu Ronnie Hellström, bewunderte Butragueño, huldigte 1984 Scifo und auch Platini, obwohl ich Giresse eigentlich lieber mochte, und war zeit seiner Karriere ein großer Fan von Mehmet Scholl. Savićević und Stojković ließen mich genauso anders schwärmen wie als Stoichkov und Romario; Rooney und, ja, Mario Gómez sind jeder für sich noch einmal ganz anders. Deschamps, Desailly und Rijkaard waren eher beeindruckend als begeisternd, bei Waddle und Gascoigne war’s anders herum, und irgendwann kam Zidane und stand über allen anderen. Zeit ist übrigens eine Illusion, Chronologie erst recht.

Mein allererster Lieblingsspieler aber, um den es hier gehen soll, ergab sich aus einer Mischung aus Trotz und Zufall. Im letzten deutschen Gruppenspiel bei der WM 1978, gegen Tunesien, feuerte ich als sechsjähriger Steppke nach einem zugegebenermaßen nicht sonderlich gefährlichen Schüsschen den jungen Mann mit den roten Bäckchen und den blonden Löckchen an, dessen Name mir schon im Lauf des in jener Saison erstmals ein wenig verfolgten Bundesligageschehens zu schaffen gemacht und der, das wusste ich, zuvor gegen Mexiko zweimal getroffen hatte. Ein aus damaliger Sicht älterer Zuschauer zeigte sich angesichts des Grottenkicks von meinem jugendlichen Eifer unbeeindruckt und antwortete nüchtern: “Ach, Bub, der Rummenigge ist doch ein Blindgänger.”

Das hatte gesessen. Pah! Meine jugendliche Leidenschaft, mein Glaube an den sicherlich auch diesmal bevorstehenden Sieg – schließlich hatte man Mexiko mit 6:0 aus dem Stadion gejagt – wurde von jenem Kritiker, vermutlich bereits desillusioniert vom eher mäßigen Spiel, so lapidar beiseite gewischt. Fortan galt es also für uns beide, Herrn Rummenigge und mich (auch wenn Herr Rummenigge sich dieser Aufgabe gar nicht so recht bewusste sein dürfte), diesem Bruddler das Gegenteil zu beweisen. Rummenigge oblag es, anständig zu spielen, mein Part bestand darin, ihn zu bewundern und bei Bedarf zu verteidigen. Was in seiner aktiven Karriere keine allzugroße Herausforderung darstellte. Seine Torausbeute bei den Bayern war überragend, 1980 und 1981 war er mit 26 bzw. 29 Treffern Torschützenkönig, in beiden Jahren wurde er zu Europas Fußballer des Jahres gewählt; in der Nationalelf war seine Quote mit 45 Treffern in 95 Länderspielen auch nicht ganz schlecht. Meine Begeisterung war übrigens lange Zeit derart prägend, dass ich die genannten Zahlen, und auch einige mehr, darunter zu meinem großen Erstaunen sein Geburtsdatum, noch heute kenne.

Er war der Grund dafür, dass ich mir 1984 oder 85 einen Geldbeutel im Inter-Design schenken ließ, obwohl der Verein nach dem zuvor nur bedingt geglückten Intermezzo von Hansi Müller eigentlich keine allzu guten Karten bei mir hatte, und der Verlust der Picture Disc des, äh, Superhits von Alan & Denise im Rahmen einer Party anno 1989 schmerzt noch heute.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=nWHL0HsusvU]

(deutsche Fassung – schickes Plattencover)

Aber zurück zu Sportlichem. Oder auch nicht, da der Schiedsrichter bei einem seiner zahlreichen Tore des Monats im Juli 1981 – die Bayern gewannen damals in Aachen mit 5:1, wenn auch nicht gegen die Alemannia  – eine Unsportlichkeit erkannt hatte. Was zur Folge hatte, dass derlei Tore, obwohl dort seit langem gang und gäbe, fortan auf deutschen Bolzplätzen zu intensiven Diskussionen führten, ob der Treffer denn nun zähle oder nicht.

Unumstritten waren indes die Tore, die all diejenigen, die die deutsche Nationalmannschaft in den 80ern begleiteten, noch deutlich vor Augen haben dürften: der technisch feine und gleichzeitig entschlossene Anschlustreffer in der Nacht von Sevilla, das 1:2 gegen Argentinien, der Siegtreffer gegen die CSSR zum Auftakt der EM 1980, der sehenswerte Seitfallzieher gegen Finnland, damals, als es noch Kleine gab, und viele mehr.

Gerne war mal etwas Akrobatik dabei, oft ein Dribbling und ein schneller Antritt, bei den Freistößen stufte ihn Max Merkel in den frühen 80er Jahren in der Bundesliga nur auf Platz 2 hinter Michael Kutzop ein, der seinerseits später nicht bei jedem Elfmeter das nötige Glück haben sollte. Wenn ich den Fußballspieler Rummenigge mit einem Wort beschreiben müsste, würde ich wohl “dynamisch” wählen, gefolgt von “zielgerichtet”. Was meines Erachtens besonders gut zum Ausdruck kommt, wenn man sich seinen Ausgleich im Mailänder Derby 1985 ansieht:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=XIu3jUtPZBc&start=354”]

“Al vantaggio rossonero risponde a modo suo il panzer: Kalle Rummenigge” – wozu seine auf mich stets feminin wirkende Jubelfaust allerdings nicht so recht passen will. Egal.

Auf dem Platz war er ein ganz Großer.

* Irgendwo liegen ja auch hier im Blog noch ein oder zwei vergleichbare, leider reichlich verkümmerte Ansätze für derlei Projekte herum.

Von Galoppern und Robben

Als die Bayern gegen Inter spielten, dachte ich an Acatenango.

Alle, die jetzt nicht wissen, wovon ich rede, sind vermutlich nach 1980 geboren oder haben erst spät zur Sportschau gefunden. Und diejenigen, die sich an Acatenango erinnern, dürften sich völlig zurecht fragen, weshalb ich beim Finale der Champions League an ihn dachte.

Ich sah also diesem Fußballspiel zu, das leider viel zu früh entschieden war und das mich irgendwann nur noch bedingt mitreißen konnte. Und wie ich da so zusah, nistete sich recht unvorhergesehen der Gedanke bei mir ein, dass auf Seiten der Bayern nach meiner Einschätzung (korrekter: nach meiner Einschätzung der Einschätzung durch die Sportjournalisten) mindestens die beiden Erstplatzierten und drei weitere Spieler aus den Top 10 der Wahl zum Fußballer des Jahres 2010 auf dem Platz standen. Nicht dass ich daraus einen Abgesang auf den deutschen Fußball abgeleitet hätte, nach dem Motto: “Da stehen 5 der 10 vermeintlich besten Bundesligaspieler auf dem Platz, und trotzdem sind sie nicht in der Lage, Gefahr zu erzeugen”, überhaupt nicht. War einfach nur so ein Gedanke.

Während ich also noch über den Nachfolger von Grafite sinnierte, tauchte aus heiterem Himmel ein neuer Begriff auf, der zwar eine gewisse formale Ähnlichkeit mit dem des Fußballers des Jahres aufweist, den man indes inhaltlich wohl nicht einmal 1985, 1997 oder 1998 guten Gewissens mit dem Sieger der kicker-Wahl in Verbindung bringen konnte. Eigentlich. Für mich hingegen ist der Weg vom Fußballer des Jahres zum Galopper des Jahres schon immer ein kurzer gewesen: Fußball war Sportschau war (auch) Addi Furler war Galopper des Jahres. War Acatenango (und, zugegeben, ein bisschen Orofino). Womit die Ausgangsfrage beantwortet wäre.

Im Übrigen sei die Wahl des Galoppers des Jahres, die zu meiner Überraschung noch immer durchgeführt wird, wenn auch mit deutlich geringerem medialen Auftrieb als zu Zeiten von Furler, Schwarze und Zimmer, die älteste Publikumswahl im deutschen Sport. Auch besteht sie bereits drei Jahre länger als die elitäre Wahl des fußballerischen Pendants, die dieses Jahr auf ein halbes Jahrhundert zurückblicken kann.

Ich schweife ab. Die Frage der gedanklichen Verbindung zwischen dem Finale der Champions League und einem guatemaltekischen Vulkan wäre zwar geklärt; eigentlich wollte ich jedoch einen Schritt weiter gehen und auch noch ein paar Sätze zur Wahl zum Fußballer des Jahres verlieren, auch wenn vor ihrer Durchführung und vor allem Veröffentlichung noch eine Weltmeisterschaft steht. Gerade bei Weltmeisterschaften sollte man ja zwischenzeitlich vorsichtig geworden sein, nachdem die letzten beiden MVPs wohl schon vor den jeweiligen Finals gewählt wurden, dieses Ergebnis dort aber nicht uneingeschränkt bestätigen konnten.

Wie auch immer: ich habe mir also trotz möglicher weltmeisterschaftsbedingter Änderungen ein paar Gedanken zur Wahl des Fußballers des Jahres gemacht und in diesem Kontext die Ergebnisse der letzten Jahre angesehen, um festzustellen, dass seit Michael Ballack, der 2002 und 2003 (sowie 2005) gewann, niemand mehr ernsthaft Gefahr lief, den Titel zu verteidigen. Eine kurze Betrachtung der 10 Bestplatzierten der letzten 5 Jahre führt mich gar zu dem Schluss, dass ziemlich viele von Ihnen ziemlich sicher nicht erneut in den Top 10 landen werden:

2005
1. Michael Ballack (Bayern München) 516
2. Lukas Podolski (1. FC Köln) 103
3. Marcelinho (Hertha BSC Berlin) 99
4. Marek Mintal (1. FC Nürnberg) 55
5. Bastian Schweinsteiger (Bayern München) 39
6. Per Mertesacker (Hannover 96) 28
7. Roy Makaay (Bayern München) 25
8. Lincoln (Schalke 04) 21
9. Dietmar Hamann (FC Liverpool) 10
10. Sebastian Deisler (Bayern München) 8

2006
1. Miroslav Klose (Werder Bremen) 532
2. Jens Lehmann (FC Arsenal) 82
3. Philipp Lahm (Bayern München) 58
4. Oliver Kahn (Bayern München) 39
5. Michael Ballack (Bayern München) 17
6. Torsten Frings (Werder Bremen) 12
7. Per Mertesacker (Hannover 96) 11
8. Lukas Podolski (1. FC Köln) 9
9. Tim Borowski (Werder Bremen) 5
9. Bastian Schweinsteiger (Bayern München) 5
9. David Odonkor (Borussia Dortmund) 5

2007
1. Mario Gomez (VfB Stuttgart)  196
2. Diego (Werder Bremen)  175
3. Bernd Schneider (Bayer Leverkusen)  156
4. Torsten Frings (Werder Bremen)  47
4. Theofanis Gekas (VfL Bochum)  47
6. Kevin Kuranyi (Schalke 04)  20
7. Pavel Pardo (VfB Stuttgart)  18
8. Timo Hildebrand (VfB Stuttgart)  17
8. Jens Lehmann (Arsenal FC)  17
8. Rafael van der Vaart (Hamburger SV)  17

2008
1. Franck Ribery (Bayern München) 224
2. Michael Ballack (FC Chelsea) 115
3. Luca Toni (Bayern München) 108
4. Philipp Lahm (Bayern München) 69
5. Oliver Kahn (Bayern München) 60
6. Diego (Werder Bremen) 33
7. Mario Gomez (VfB Stuttgart) 32
8. René Adler (Bayer Leverkusen) 31
9. Lukas Podolski (Bayern München) 18
10. Bastian Schweinsteiger (Bayern München) 6

2009
1. Grafite (VfL Wolfsburg) 331
2. Mario Gomez (VfB Stuttgart) 171
3. Edin Dzeko (VfL Wolfsburg) 169
4. Diego (Werder Bremen) 103
5. Franck Ribery (Bayern München) 65
6. Zvjezdan Misimovic (VfL Wolfsburg) 50
7. Philipp Lahm (Bayern München) 32
8. Vedad Ibisevic (1899 Hoffenheim) 20
9. Robert Enke (Hannover 96) 16
10. Mesut Özil (Werder Bremen) 10


Und hier mein völlig verfrühter Tipp:

Fußballer des Jahres 2010:

1. Arjen Robben

2. Bastian “Herr Schweinsteiger” Schweinsteiger

3. Edin Dzeko

4. Kevin Kuranyi

5. Sami Hyypiä

6. Ivica Olic

7. Thomas Müller

8. Toni Kroos

9. Torsten Frings

10. Claudio Pizarro

10. Cacau

10. Nuri Sahin

10. Philipp Lahm

Und Ihr so?

Dieses Grinsen…

Ganz egal, wie die Saison endet: dieses Grinsen, das ich am Samstag ab ca. 17:12 Uhr auf den Lippen hatte und das ich bis tief in die Nacht nur gelegentlich in einem sehr bewussten, widernatürlichen Akt für einige Momente ablegen konnte, kann mir keiner mehr nehmen. Dieses unheimlich gute Gefühl, dass der VfB in der Endphase einer völlig verkorksten Saison aus eigener Kraft einen Europapokalplatz erreichen kann. Die Einsicht, dass eine Aufholjagd “mit Ansage” gelingen kann, die ich selbst noch vor kurzem ins Reich der Fabel verwiesen hatte. Ob es am Ende für die europäische Bühne reicht, muss man natürlich abwarten. Am Samstag indes war mir das völlig egal. Stunden nach dem Spiel schwirrten mir unaufhörlich Städtenamen durch den Kopf: “… Kopenhagen … Rotterdam … Mailand … Teneriffa …” ( es ist mir sowas von schnurz, ob die Städteauswahl dereinst in Karlsruhe geprägt wurde), und es ist nicht auszuschließen, dass der eine oder andere Passant ob des leise summenden, vielleicht auch laut singenden Spinners mit dem Kopf schüttelte.

Ich habe dann auch gleich eine kurze Recherche angestellt und durfte feststellen, dass Steaua derzeit auf dem CL-Qualifikationsplatz steht, während Dinamo und Rapid sich noch berechtigte Hoffnungen auf die Teilnahme am Uefa-Cup machen dürfen. Die Roma ist seit dem Wochenende definitiv für das internationale Geschäft qualifiziert, der FC København nahezu, Brøndby hat noch ganz gute Chancen. Feyenoord ist die Uefa-Cup-Teilnahme als zweifacher Pokalfinalist nicht mehr zu nehmen, Inter ist auf jeden Fall dabei, und auch bei Milan müssten Pferde und Apotheke sich gewaltig anstrengen, um die Europapokalqualifikation zu verhindern. Nur die Woche Sandstrand scheidet aus, nachdem sich CD Tenerife vor einer Woche von der Hoffnung auf einen Uefa-Cup-Platz verabschieden musste und für die kommende Saison gar die Zweitklassigkeit droht.

Kirche im Dorf lassen? Hab ich schon am Samstag nicht getan, als ich einen Kantersieg vorhersagte. Ok, war vermessen, aber für einen Sieg hat’s gereicht. Leverkusen hadert, klar, würde ich wohl auch tun. Vor allem mit Barnetta. Dass Bayer auch mit dem Schiedsrichter nicht zufrieden war, ist nachvollziehbar, und der Fußballgott war möglicherweise nicht auf ihrer Seite. Sie haben eine starke Leistung gezeigt, waren in der ersten Halbzeit die deutlich bessere Mannschaft, wussten spielerisch, läuferisch und taktisch insbesondere in Unterzahl zu überzeugen, aber es kam eben nichts dabei heraus. Jens Lehmann stand im Weg.

Dabei war es in den ersten Minuten alles andere als klar gewesen, dass Bayer zunächst so dominieren würde. Beide Mannschaften waren offensichtlich mit der Vorgabe auf den Platz gegangen, das Spiel von der ersten Minute an zu bestimmen, was fünf Minuten lang in ein herrlich anarchisches Auf und Ab mündete, in dessen Verlauf Timo Gebhart die Führung auf dem Fuß Schienbein?Knie?Oberschenkel? hatte, ehe die aggressiven Leverkusener doch die Oberhand gewannen und die Partie dominierten. Defensiv hatten sie sich gut auf die starke linke Stuttgarter Angriffsseite eingestellt, und offensiv machten sie mit der rechten Stuttgarter Seite, was sie wollten. Celozzi und Gebhart waren zu keinem Zeitpunkt in der Lage, Kroos und Kadlec Einhalt zu gebieten, und da noch dazu der sonst stets zu Hilfe eilende Träsch mit seinen eigenen Aufgaben kaum fertig wurde, konnte man von Glück reden, dass Leverkusen bis zur Pause nur einmal und der VfB gar ebenso oft getroffen hatte.

Während der Pause war ich dann sehr überrascht, dass sich mit Khedira nur ein Spieler aufwärmte; hatte ich doch Ersatz für Celozzi, Tasci, Gebhart, vielleicht gar Träsch gewünscht und für den angeschlagenen Molinaro befürchtet. Doch wieder einmal wusste der Trainer offensichtlich, was er tat. Träsch machte rechts hinten dicht, entlastete damit Gebhart und sorgte selbst für Schwung nach vorne, Khedira gab, trotz verletzungsbedingt noch etwas ausbaufähiger Dynamik, den Patron, Kuzmanovic blühte an seiner Seite deutlich auf, und die Innenverteidigung stabilisierte sich merklich, was natürlich auch daran lag, dass Leverkusen meines Erachtens nicht nur der Stuttgarter Stärke wegen, sondern auch aus eigenem Antrieb ein wenig zurückhaltender agierte – obschon sie immer wieder für gefährliche Gegenangriffe gut waren. Der VfB indes schnürte die Gäste nun in der eigenen Hälfte ein und ließ in einzelnen Phasen keine Befreiung zu. Dass man dabei keinen Treffer erzielte, ist nur zum Teil kritikwürdig, vor allem aber dem großartigen René Adler zuzuschreiben, der zwischen der 60. und 70. Minute zudem so lange versuchte, das Spiel schnell zu machen und Gegenangriffe zu initiieren, bis Jupp Heynckes eine stille Post einleitete: er schickte Rüdiger Vollborn zur Eckfahne, der den sich aufwärmenden Lars Bender mit eindeutigen Handzeichen animierte, zu Adler zu gehen, um diesen mit ebenso eindeutigen Handzeichen zu etwas langsamerem Spiel aufzufordern.

Wer jedoch daraufhin wie ich gedacht hatte, Bayer wolle nun nur noch den Punkt retten, sah sich getäuscht. Statt dessen gönnte sich der VfB eine kleine Auszeit und nahm das Tempo ein wenig heraus, was postwendend in gefährlichen Leverkusener Angriffen resultierte, die Jens Lehmann erfreulicherweise als persönliche Herausforderung auffasste – und mit Bravour bestand.

Zwischenzeitlich war Alex Hleb auf den Platz gekommen und hatte mich mit zahlreichen Ballverlusten und anschließender Untätigkeit so sehr in Rage versetzt, dass ich öffentlich dafür plädierte, zu zehnt weiterzuspielen – glücklicherweise erhörte mich niemand, so dass Hleb Pogrebnyak brillant einsetzen konnte, dessen Hereingabe auf Umwegen ihren Abnehmer fand, über den an anderen Stellen genug gesagt wird: Cacau!

Der Rest war Grinsen.

Ach, und falls es mit Mailand oder Teneriffa nicht klappen sollte, würde ich auch Liverpool, Rome oder einfach anywhere nehmen.

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=onKrpUeocUk]

Ach, und was ich auf keinen Fall unterschlagen möchte:
Abschied ist ein scharfes Schwert, Teil 2 -diesmal ging die Rückschau bis zum Europapokalfinale gegen Neapel, mit Maradona im VfB-Trikot bei der Pressekonferenz:

[youtube=http://www.youtube.com/watch?v=Yxx_3-0W18w]

(via lostboys99, natürlich)

mancos

In der vergangenen Woche hat der 20-jährige Alejandro Sánchez von Real Saragossa sein Debüt in der Primera División gefeiert. Er wurde 15 Minuten vor Schluss eingewechselt und kurz darauf wegen einer Schwalbe verwarnt. Nicht sonderlich spektakulär, würde man meinen, wenn es sich bei Álex, so lautet sein Sportlername, nicht um den ersten einhändigen Spieler in der Primera División handeln würde. Sein Debüt traf dementsprechend auf ein gewisses öffentliches Interesse, beispielsweise am Spielfeldrand sowie insbesondere in Spanien selbst, wo sich die Fußballsendung “El día después” ausführlich mit dem jungen Mann befasste und dabei bemerkte, dass Álex entgegen der Aussage seines Sportdirektors Gerhard Poschner, wonach man dafür “neun andere Feldspieler” habe, auch einwerfen kann; darüber hinaus wurden einige Amateurspieler gezeigt, die mit weitaus schwerwiegenderen Behinderungen ihrer Leidenschaft Fußball frönen. Einen anderen Aspekt hoben die Kommentatoren unter einem Text bei El País hervor: wenn das Gewicht des Armes ausreiche, um das Gleichgewicht zu halten, stelle die fehlende Hand kein größeres Problem dar – die eigentlich bemerkenswerte Nachricht sei doch, dass sich Álex, obwohl Fußballspieler, mit guten Noten der Juristerei widme und darüber nachdenke, sich zudem mit Politikwissenschaften zu befassen.

Interessanter Ansatz, auch wenn ich ihn nicht so recht teilen kann. In einer Zeit, in der Fußballerkarrieren bereits durch einen unbedacht gewählten Zeugungszeitpunkt den ersten Knick bekommen können („Siebzig Prozent aller Spieler bei der U17-WM sind […] im ersten Quartal geboren“), beeindruckt Sanchez’ Erfolg einen unbedarften Laien wie mich ganz enorm. Im Amateurfußball habe ich gelegentlich Spieler mit ähnlichen Beeinträchtigungen erlebt und kürzlich von einem einarmigen Spieler auf dem Weg in die Verbandsliga gelesen; dass jedoch jemand den Weg in die erste Liga schaffen kann, hätte ich nicht gedacht (auch wenn das “bloße” Fehlen einer Hand in fußballerischer Hinsicht weniger gravierend sein mag).

Natürlich gab es in der Vergangenheit berühmte Fälle großer Spieler mit möglicherweise vergleichbaren Behinderungen, die aber in aller Regel weit zurück liegen. Als Stuttgarter denke ich sofort an Robert Schlienz, den Namensgeber des VfB-Amateurstadions, dessen Weggefährte Lothar Weise eine klare Meinung über Schlienz’ Stellenwert hat:

Er war für mich der größte Fußballer, den es je beim VfB gegeben hat. Erstens ist er der einzige Spieler auf der Welt, der mit nur einem Arm in der Nationalmannschaft gespielt hat. Und zweitens hält er mit 45 Toren in der Süddeutschen Oberliga 1945/46 – allerdings noch mit beiden Armen – immer noch den Torrekord in einer Erstligasaison, noch vor Gerd Müller.

Die 11Freunde haben über Schlienz, dessen Karriereende kein Ruhmesblatt für den VfB war, geschrieben, der Spiegel hat es übernommen; mit den ganz Großen des deutschen Fußballs wird er außerhalb Stuttgarts allerdings nur selten in einem Atemzug genannt – was angesichts der lediglich drei Länderspiele wohl nicht weiter verwunderlich ist. Alfredo di Stefano war gleichwohl beeindruckt (“Der beste Mann auf dem Platz war der Einarmige. Was ich von dem gesehen habe, war für mich bis jetzt unvorstellbar”), und Hans Blickensdörfer brachte Schlienz’  sportliche Bedeutung in seinem Nachruf auf den Punkt: “Man hat zu Hause einfach deshalb nicht verloren, weil Schlienz es nicht wollte.”

Einige Jahrzehnte zuvor hatte “El divino mancoHéctor Castro mit Uruguay nicht nur die olympische Goldmedaille 1928 gewonnen, sondern war 1930 auch Weltmeister geworden, wobei er das erste und das letzte Tor des Turniers erzielt hatte – das erste war zudem das Premierentor im berühmten “Estadio Centenario” gewesen. Der Geschichtskanal der niederländischen Rundfunkgesellschaft VPRO hat zu dem Castro gewidmeten Artikel “De voetballer met één hand” auch ein Filmdokument von Olympia 1928 ausgegraben, und “BBC’s disability site” Ouch! befasst sich wenig zimperlich mit dem Womanizer, Spieler und Kettenraucher Castro.

Olympisches Edelmetall eroberte 2004 auch Julio González: Paraguay holte in Athen Silber. González stand bereits bei Vicenza Calcio in der Serie B unter Vertrag, war aber mangels Perspektive zurück zu Tacuary nach Paraguay verliehen worden. Nach dem olympischen Erfolg kehrte er nach Vicenza zurück und fasste dort allmählich Fuß. 2005/06 wies er Anfang Dezember eine sehr gute Torquote auf, als ein Autounfall zum Verlust seines Armes und zum vermeintlichen Karriereende führte. González sah das anders und arbeitete auf ein Comeback hin, das er im November 2007, erneut bei Tacuary, tatsächlich schaffte. Nach zwei weiteren Einsätzen und einer sturzbedingten Verletzung am Schlüsselbein wechselte er noch in die zweite Liga zu Presidente Hayes und kam dort zu weiteren Einsätzen, ehe er im Lauf des Jahres 2008 seine aktive Karriere beendete. Neben seinem sozialen Engagement im Rahmen einer Zusammenarbeit von Inter Mailand mit SOS-Kinderdörfern tat er das, was wohl alle Fußballprofis irgendwann tun, ob mit oder ohne Behinderung: er eröffnete eine Fußballschule.

Die Damen und Herren von Hotclip Youtube haben zwei aktuelle Porträts von González im Angebot, wobei man sich gut überlegen muss, ob man Blondie galore im zweiten neun Minuten lang ertragen will.

Jetzt bin ich doch ein wenig vom ursprünglichen Thema weggekommen. Was ich eigentlich sagen will: ich würde mich freuen, wenn sich Alejandro Sánchez auf Dauer etablieren könnte. Viel Glück, Álex!


Auswärtsspiel: VfL Wolfsburg

Wie in diesem Beitrag etwas ausführlicher beschrieben, habe ich kürzlich einen herumliegenden Artikelentwurf zum Anlass genommen, den Startschuss für eine kleine Serie unter dem Arbeitstitel “Auswärtsspiel” zu geben: von Zeit zu Zeit soll einer anderen Mannschaft als der “eigenen” ein Artikel gewidmet werden, in dem sich der Autor mit seiner Wahrnehmung dieses Vereins in den letzten x Jahren auseinandersetzt und dabei wahllos Links in die Bundesligavergangenheit streut.

Mit dieser Reihe verhält es sich, auch das habe ich im oben genannten Beitrag dargestellt, wie mit einer RTL-Serie: niemand weiß, ob, wann und wie es weitergeht, und möglicherweise taucht bereits die nächste Folge auf einem anderen Kanal auf.

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Während die kürzlich hier betrachteten Bundesliga-Anfangsjahre der Bayer-Teams in eine Zeit fielen, in der der Fußball noch den ihm angemessenen Raum in meiner Tages- und Wochenplanung einnahm, hatte der schleichende Aufstieg des VfL Wolfsburg nicht immer meine volle Aufmerksamkeit. Ja, ich geb zu, dass ich in den 90er Jahren gelegentlich anders priorisieren und auf manche Möglichkeit, fußballspezifische Informationen zu beziehen, verzichten musste.

So kam es auch, dass ich die Wolfsburger vor ihrem Bundesligaaufstieg nur ganz am Rande wahrnahm. Horst Hrubesch hat sie irgendwann mal trainiert, Bruno Akrapović hatte eine Frisur, und das war’s dann auch an Zweitligawissen. Selbst ihre Pokalsaison 1995, in der sie ausschließlich auswärts spielend ins Finale vordrangen, hatte ich zwischenzeitlich schlicht vergessen. Ganz im Gegensatz zu Siggi Reich, in Wolfsburg Zweitliga-Torschützenkönig 1992/93 und Nr. 5 in der ewigen Zweitliga-Torjägerliste, dessen Quote nur von diesem leicht dicklichen Herrn übertroffen wird und der noch immer auf sein Äußeres zu achten scheint.

So richtig los ging’s also mit diesem Spiel im Juni 1997, das für den FSV Mainz eine ganz bittere Erfahrung business as usual darstellte, während die Wolfsburger den Aufstieg in die Bundesliga feiern durften. Seither – und vermutlich noch auf längere Sicht – ist das Stichwort “Wolfsburg” für mich untrennbar mit Flanken-Fintierer Roy Präger und dem Mann, der einige Jahre später “Container-Willi” werden sollte, verbunden. In den Folgejahren war ich Wolfsburg gegenüber eher indifferent, wobei sie immer wieder einzelne Spieler hatten, die mich auf die eine oder andere Art beeindruckten.  So zum Beispiel Claudio Reyna,  der heutige Hoffenheimer Offensivtrainer Tomislav Maric oder der erste Wolfsburger Nationalspieler Zoltan Sebescen, dessen Debüt ein wenig unter dem damals noch standfesteren Bolo Zenden litt. Weiterhin blieben mir  Markus Feldhoff Robson Ponté, Martin Petrov und Claus Reitmaier in Erinnerung, sowie insbesondere Krzysztof Nowak,  dessen Schicksal mir nicht zuletzt wegen eines ähnlichen Krankheitsfalls im persönlichen Umfeld sehr nahe ging.

Am prägendsten für die ersten Jahre nach dem Aufstieg war jedoch, allein schon aus phonetischen Gründen, der Trainer: Wolfgang Wolfs Wolfsburger Wochen Jahre endeten allerdings wenige Monate nach dem großen PR-Coup des Vereins, an dem man sich offensichtlich etwas verhoben hatte. Dessen ungeachtet fuhr man weiterhin große Namen auf, die nicht nur binnen kurzer Zeit zu Legenden wurden, sondern zudem den VfL Wolfsburg in den Jahren 2000-2005 mit einer Uefa-Cup sowie sage und schreibe 5 UI-Cup-Teilnahmen[1] zum Dauergast auf der großen europäischen Bühne machten.

Im Gegensatz zum glamourösen Effenberg Effenberg-Intermezzo gelang es mit den Verpflichtungen von Andres d’Alessandro und später Marcelinho, nicht nur abseits des Spielfelds, sondern auch auf dem Platz ein gewisses Spektakel zu bieten, ohne jedoch dem Stau der Mittelmäßigkeit zu entkommen. Als man dann unter Trainer Eric Gerets zu Beginn der Saison 2004/05 erstmals Tabellenführer war, ließen die Diskussionen über die Notwendigkeit eines Rathausbalkons nicht lange auf sich warten. Dass der Bedarf letztlich doch nicht gegeben war, verursachte in der fußballinteressierten Öffentlichkeit kein allzu lautes Wehklagen – zu kritisch wurde (und wird) das Wolfsburger Konstrukt gesehen. Zudem seien sie unromantisch, wie Steffen Simon am Saisonende 2006 dem Fußballgott ins Stammbuch schrieb. Spiegel online ergänzte:

All die ambitionierten Ideen mit deutschen Altstars und südamerikanischen Stars in spe, die Bayer Leverkusen bis in die europäische Spitze brachten, hat das VW-Anhängsel VfL schon kopiert. Erfolglos. Wolfsburg hat sich mal mit Stefan Effenberg lächerlich gemacht und selbst mit dem argentinischen Ausnahmetalent Andres D’Alessandro keinen einprägsamen Stil kreiert. Das Stadion blieb meist halb leer, das größte Wolfsburger Spektakel der Saison vor dem letzten Spieltag war die Doppelentlassung von Manager Thomas Strunz und Trainer Holger Fach.

Nun liegt mir persönlich eine bloße Werksvereins- oder auch Traditions-Argumentation recht fern; gleichwohl hielt sich in all den Jahren auch meine Begeisterung für den VfL Wolfsburg in Grenzen – zu offensichtlich waren die Bemühungen um den oben genannten Glamour-Faktor, zu ausgeprägt schien mitunter die Großmannssucht (die man in Wolfsburg zweifellos nicht exklusiv hat), und auch die unwürdigen Umstände der Entlassung von Klaus Augenthaler zum letzten Spieltag der Saison 2006/2007 waren meiner Zuneigung nicht zuträglich. Daran konnte auch die eine oder andere nette Geschichte über einzelne Spieler nichts ändern.

Sympathisch wurde mir der VfL Wolfsburg auch mit der Verpflichtung von Felix Magath nicht. Zumindest aber wuchs mein Respekt angesichts der Professionalität der sportlichen Führung unter Geschäftsführer und Manager Magath. Auch da, wo es gemäß Adi Preißler letztlich entscheidend ist, leiteten  Manager und Trainer Magath eine sehr positive Entwicklung ein. Sicherlich wurde dafür auch tief in die Kasse gegriffen, und vielleicht hat es sich nicht in jedem Fall ausgezahlt; dennoch kann man die Frage stellen, wie viele Entscheidungsträger in der Bundesliga das zur Verfügung stehende Geld neben dem einen oder anderen Weltmeister in die vergleichsweise tiefpreisigen Herren Džeko, Riether, Gentner, Schäfer, Grafite, und Josué investiert hätten – und mit der so zusammen gestellten Mannschaft binnen kurzer Zeit mit teilweise großartigem Fußball zum Meisterschaftskandidaten geworden wären.

Zu dem Zeitpunkt, als ich diesen Text begann, hätte ich mit diesem Lob für Felix Magaths hervorragende Arbeit und dem kurzen Hinweis auf glänzende Perspektiven geschlossen. Nunmehr mögen die Perspektiven noch immer gut sein, und Magaths Arbeit halte ich nach wie vor für außerordentlich gut. Ich kann jedoch nicht verhehlen, dass er mich, auch im Rückblick auf sein Ausscheiden beim VfB Stuttgart vor wenigen Jahren, zunehmend an Christian Vieri erinnert, der in den 90er Jahren für Torino Pisa Ravenna Venezia Atalanta Juve Atlético Lazio Inter viel Geld auf Torjagd ging.

Für die jüngeren Leser: der UI-Cup war ab 1995 die Fortführung des früheren, sportlich irrelevanten, sogenannten Intertoto-Cups unter dem Dach der UEFA und stellte bis 2008 eine zusätzliche Qualifikationsmöglichkeit für den UEFA-Cup dar. Er wurde von den Mannschaften bestritten, die unmittelbar hinter den sogenannten UEFA-Cup-Plätzen platziert waren – im Fall des VfL Wolfsburg waren dies, etwas weiter interpretiert, die Plätze 7, 9, 8, 10 und 9.