Am vergangenen Freitag absolvierte die deutsche Nationalelf ihr erstes Spiel nach dem Rücktritt von David Odonkor. Es wäre wohl etwas zu dick aufgetragen, von einer Zeitenwende oder dem Beginn einer neuen Ära zu sprechen. Aber es tat schon ein bisschen weh, damals, vor drei Wochen, als sein Karriereende bekannt wurde. Das Gesicht des SommermärchensTM, quasi, gar der Protagonist eines Sommermärchens im Sommermärchen.
Vielleicht war Herrn @sportkultur ähnlich warm ums Herz und feucht um die Augen, als er per Twitter eine Frage stellte, die ein nicht unwesentlicher Teil der fußballinteressierten Bevölkerung, die in diesem speziellen Fall all jene einschließen dürfte, die gerne mal herablassend als Event-Fans bezeichnet werden, aus dem Stand beantworten könnte:
Als alter Event-Fan ließ ich mich nicht lange bitten:
Besagte gewionnene Wette war vermutlich einem gewissen Trotz geschuldet. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle kurz darauf hinweisen, dass ich nie, oder nur selten, eine besonders ausgeprägte Begeisterung für Jürgen Klinsmann empfunden habe. Abgesehen vom 90er Achtelfinale, zugegeben. Und einigen wenigen weiteren Gelegenheiten, punktuell. Seinem Einstieg in Tottenham, vielleicht. Und dann eben jenem Moment, als er Odonkor aus dem Hut zauberte.
Zweifellos sprach da ein wenig die Freude über einen gelungenen Coup aus und zu mir. Aber eben auch der Gedanke, dass seine Argumentation keine ganz dumme war. Natürlich ist es in gewisser Weise ein Luxusverhalten, einen Spieler mit einer bestimmten Qualität zu nominieren, und selbstredend tut es mir nach wie vor weh, dass schon damals Kevin Kuranyis Karriere kolossal kippte. Ähem. Naja, seien wir ehrlich, der Absturz hatte schon mit seinem Vereinswechsel im Jahr zuvor begonnen, aber das nur am Rande.
Aber, um zurück zum Thema zu kommen, mir gefiel Klinsmanns Gedanke, Odonkors Schnelligkeit als Trumpf in die Hinterhand zu nehmen, obwohl ich wie so viele andere beträchtliche Zweifel an dessen fußballerischem Talent hatte. Ich mochte ihn, irgendwie, wie man, Verzeihung, einen etwas tapsigen Welpen mag. Die Assoziation eines schutzbedürftigen, arglosen, unbedarften kleinen Zeitgenossen liegt nicht ganz fern, und vermutlich kann ich sie auch nicht ganz von der Hand weisen. Allein diese Leasing-Geschichten …
Nun, es ist nicht so, dass mich all das damals umtrieb. Vieles kam später hinzu, manches erfand ich vielleicht auch erst heute, aber die Sympathie für Klinsmanns Entscheidung war echt. Als dann ein geschätzter und wahrlich kundiger Mitkicker Odonkors Nominierung im Allgemeinen hinterfrug, und im Besonderen die bevorstehende Einwechslung gegen jenen Gegner, den man durch die Wand knallen wollte (auch das wusste ich damals noch nicht), ging der Trotz mit mir durch und ich verstieg mich zu der Behauptung, Odonkor werde das Spiel entscheiden. Gewagt, gewiss.
Gewionnen. Der Wettpartner war und ist ein ehrenwerter Sportler, der keinen Zweifel daran ließ, dass die Vorlage sehr wohl als spielentscheidend durchgehe.
Heute frage ich mich ehrlich gesagt nicht, ob wir Odonkor tatsächlich dereinst als Trainer auf höchstem Niveau erleben werden – ein Wunsch, den wir zuletzt verschiedentlich zu lesen bekamen –, wünsche ihm aber viel Gutes in seinem Leben abseits des Platzes, an das er sich leider in den letzten Jahren schon viel zu sehr gewöhnen konnte.
Ich frage mich auch nicht, wer denn “der neue Odonkor” im Sommer 2014 werde, eine Frage, die wir alle zwei Jahre so oder ähnlich medial präsentiert bekommen, ohne seither nochmals einen vergleichbaren Überraschungscoup erlebt zu haben – wobei man sich (also: ich mich) bei den, wie sagt man, geshortlisteten Marin 2008 und Draxler 2012 des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass auch dem Bundestrainer der Gedanke gefallen hätte, einfach mal “… weil ich es kann” zu sagen. Timo Hildebrand mag das mit dem ausgebliebenen Überraschungscoup übrigens anders sehen.
Und doch erinnert mich ein aktueller Kandidat an Odonkor: Sidney Sam. Ja, ich weiß, der Hautfarben- und Körpergrößenverdacht liegt nahe. Natürlich kann ich ihn nicht zweifelsfrei widerlegen. Tatsächlich war es so, dass ich bereits bei den ersten Auftritten, die ich von Sam gesehen habe, an Odonkor dachte. Positionsbezogen. Schnelligkeitsbezogen. Und weil mich sein völliger Verzicht auf die Verwendung des rechten Fußes Glauben machen wollte, dass es technisch einfach nicht reichen könne. Dass er ein solider Bundesligaspieler sein werde, der mal zu einer Weihnachts- oder vergleichbaren Länderspielreise mitfahren dürfe.
Ok, weiter sind wir bis dato nicht. Aber ich schließe nicht mehr aus, dass er irgendwann auf mehr Länderspiele kommt als Odonkors 16. Und gebe zu, dass ich ihn zu Unrecht für einen Geradeausläufer hielt. Dass er technisch saubere Tore erzielt und mehr Spielwitz zeigt als Odonkor in seiner ganzen Karriere. Asche auf mein Haupt. So wie damals übrigens, als ich Matthias Sammer für einen eher blassen Spieler hielt. Ok, er war erst 17, als er gegen und in Uerdingen antrat, aber was sollte diese Begeisterung? Oder auch wie damals, als mich Mario Gomez’ Bewegungen in einer Nachwuchspartie an Dieter Hoeneß erinnerten. Ähem.
Ein guter Scout wäre ich wohl nicht geworden, zumindest nicht auf den ersten Blick. Die Frage, was das für die Karriereperspektiven von Timo Werner und Joshua Kimmich bedeutet, möchte ich vor diesem Hintergrund nicht erörtern, lege mich aber fest, dass Kimmich nicht für Brasilien nominiert wird.
Sam übrigens auch nicht. Sag ich mal. Mal fragen, ob mein Mittwochsmitkicker wieder wetten will.