Gewonnen!

Mein erster Französischlehrer war ein guter. Er liebte diese Sprache, und eben das vermittelte er uns jeden Tag. Genauer: denjenigen, die dafür empfänglich waren. Den anderen gab er freundlicherweise die Gelegenheit, sich nicht zu sehr in die Materie vertiefen zu müssen, aber den einen, also denjenigen, die sich von seiner Freude an der französischen Sprache anstecken ließen, darunter, man mag es geahnt haben, auch ich, vermittelte er einen großen Schatz an landeskulturellem Wissen und sprachlichen Feinheiten.

So manches ist im Lauf der Jahre leider verschütt gegangen, und doch empfinde ich auch heute, da meine Kommunikations- und Konversationsfähigkeit eine ganze Menge Rost angesetzt hat, eine große Nähe zum Französischen, zu seinem Klang, seinen Eigenheiten, auch seinem Vokabular, und nicht selten fallen im Hause Kamke französische Begriffe, die wir nicht in erster Linie deshalb verwenden, weil die Kinder sie nicht verstehen, wiewohl auch das gelegentlich der Fall ist, sondern weil wir sie einfach für passend halten. Woraus man natürlich, so man möchte, Rückschlüsse auf unseren Umgang mit der deutschen Sprache ziehen kann.

Wenn man das Haus Kamke noch einmal verlässt und statt seiner die staatliche Bildungseinrichtung aufsucht, an der besagter Herr lehrte, vielleicht auch ein paar Unterrichtsstunden Paroli ziehen lässt, so fällt der eine oder andere wiederkehrende Aspekt auf, möglicherweise könnte man von Steckenpferden sprechen.

Neben Dorschangeln vom Boot und an den Küsten der jahrzehntelang gepflegten Städtepartnerschaft, inklusive Lobpreisung Adenauers und de Gaulles, neben Lobgesängen auf das Chanson und das Schicksal Reinhard Meys, der, verkürzt, nach Frankreich habe ausweichen müssen, um in Deutschland angemessen gewürdigt zu werden, also neben diesen eher landeskundlichen Unterrichtsinhalten, wurde auch einer Reihe rein sprachlicher Aspekte besondere Aufmerksamkeit und eine er-, eventuell auch überhöhte Unterrichtspräsenz zuteil.

Exemplarisch sei auf die Verben obtenir und recevoir verwiesen, gerne auch in Verbindung mit toucher, sie wissen schon: obtenir une bourse (ein Stipendium bekommen), recevoir un cadeau (ein Geschenk bekommen) und toucher de l’argent (Geld bekommen).

Ok, vermutlich würde man im Deutschen nicht in jedem Fall “bekommen” verwenden, aber Sie verstehen, was ich meine, nicht wahr? Mal ganz vom Geld abgesehen, erhält man manchmal Dinge, die man sich erarbeitet hat, und manchmal eben auch solche, für die man im Grunde nichts kann, und dafür gibt es unterschiedliche Verben. Zumindest behauptete das mein Lehrer, und wer wäre ich, daran zu zweifeln?

Am Samstag dachte ich wieder einmal an obtenir und recevoir. Als der man für den VfB den Klassenerhalt schaffte. Sicherlich, die Mannschaft hatte hart dafür gearbeitet; gleichwohl war und ist mein Gefühl ein recht eindeutiges: reçu. Ein Geschenk. Des Himmels, Eintracht Braunschweigs, des HSV, des 1. FC Nürnberg.

Ist “Geschenk” zu negativ, klingt es so, als habe man nichts dafür getan? Ok, ich revidiere: ein Losgewinn. So fühlt es sich an. Als habe man einen Euro bezahlt und damit das große Los gezogen. Ok, ich bessere noch einmal nach: ein paar Fehlgriffe waren auch dabei, aber wen schert das schon noch, wenn man den Hauptgewinn zieht?

Natürlich ist es nicht nur ein bisschen deprimierend, als VfB-Fan nach dem erreichten Klassenerhalt von einem Hauptgewinn zu sprechen, aber seien wir ehrlich:

Es ist schlichtweg eine extrem glückliche Fügung, dass sich drei Mannschaften gefunden haben, die noch weniger Punkte zu sammeln imstande waren, und es ist alles andere als eine Überraschung, dass auch am vorletzten Spieltag, in einer Saisonphase also, in der wir gerne mal völlig verrückte Ergebnisse erleben und kommentieren dürfen, weil Abstiegskandidaten plötzlich verborgene Qualitäten auspacken und auf den Platz bringen, dass also auch an diesem vorletzten Spieltag die vier schlechtesten Mannschaften ihre jeweiligen Heimspiele verloren haben, und so scheint es nicht sonderlich abwegig, dass am Saisonende 27 Punkte genügen könnten, um die Relegation zu erreichen, womöglich also in der Liga zu bleiben. 27 aus 34. Wahnsinn.

Bleibt also die Frage, was der VfB aus diesem gewonnenen, nein, doch: geschenkten Bundesligajahr macht. Und ich möchte sie mir im Moment gar nicht so recht stellen. Hiesige Qualitätsmedien rufen nach einer objektiven Analyse und raschem Handeln, nicht zuletzt personell, und keineswegs auf die Spieler beschränkt; und so fragt sich der interessierte Zuschauer, wie es denn wohl aussehen mag, wenn sich Fredi Bobic wie angekündigt am von ihm zusammengestellten Kader messen lässt. Nach dem Spiel ließ zumindest er selbst schon einmal durchblicken, dass er wenig davon hält, beim Wort genommen zu werden. Bernd Wahler sollte das anders sehen.

Dass Bobic den Hut nehmen muss, kann ich mir nicht vorstellen. Zu klar scheint im Moment, von außen betrachtet, dass er in die Beantwortung der Trainerfrage für die kommende Saison in gewichtiger Weise eingebunden ist, was eingedenk seines kolportierten Bemühens, wenige Spieltage vor Schluss Krassimir Balakov zu installieren, über den einen oder anderen in seiner Grundaussage negativen Superlativ nachdenken lässt.

Wo wir gerade bei Dingen sind, die ich mir nicht vorstellen kann: Thomas Tuchel nach Stuttgart? Ralf Rangnick nach Stuttgart? Mir fallen derzeit nicht viele Gründe ein, weshalb sie das tun sollten. Oder anders: die Gestaltungsspielräume, die man ihnen einräumen müsste, aber das ist nur ein Vermutung, wären immens und dürften eine deutliche Veränderung der Vereinspolitik erfordern. Mit der ich, um nicht, missverstanden zu werden, durchaus umgehen könnte. Vermutlich könnte ich auch mit Armin Vehs Cannstatter Comeback umgehen. Wenn ich ehrlich bin, möchte ich ihn aber lieber als ewigen Meistertrainer in Erinnerung behalten.

So wie ich Cacau als Schützen eines verrückten Siegtores in einem verrückten Spiel in Bielefeld in Erinnerung behalten werde. Und Hitzlsperger als Verwerter von Pardos Eckball, Sie wissen schon. Schön, dass er am Samstag im Stadion gefeiert wurde, und ja, ich wäre auch lieber der Meinung, das nicht betonen zu müssen. Traoré wird mir nicht zuletzt wegen seiner letzten halben Halbserie in Erinnerung bleiben, und für den rechten Vorlagenfuß, den er in dieser Phase entdeckt hat. Tja, und Boka? Es ist bezeichnend, dass ich erst einmal eine ganze Weile brauchen werde, um bei seinem Namen nicht dauerhaft unmittelbar an das Wolfsburg-Spiel zu denken. Irgendwann werden sich diese Haken wieder in den Vordergrund schieben, die für mein bloßes Auge zu schnell waren. Hoffe ich.

Ob ich mich bereits mit Erinnerungen an Huub Stevens beschäftigen muss, werden die nächsten Tage zeigen, vermute ich. In jedem Fall ziehe ich den Hut vor der Leistung, die er in den vergangenen Wochen erbracht hat. Und habe, mich selbst revidierend, nichts daran zu kritisieren, wenn er als eine mögliche Option für die Trainerposition in der kommenden Saison gilt, die es nun anhand eines gewissenhaft erarbeiteten und objektivierbaren Kriterienkataloges zu bewerten gilt. Oder so ähnlich.

 

Prinzipien und Pragmatismus

Zu den Verhaltensweisen, die mich im Stadion stets irritieren, zählt das kompromisslose Ausleben von Abneigungen, gerne auch situationsunabhängig. Es war mir stets ein Rätsel, was einen dazu bringt, Gesänge gegen den Karlsruher SC anzustimmen, während dieser sich im Mittelfeld der dritten Liga tummelt, der VfB aber gerade ein Bundesligaspiel bestreitet. Und es verwundert mich seit Jahren, dass zahlreiche Zuschauer jedes Gegentor des FC Bayern lautstark bejubeln, auch dann, wenn die Münchner in der Tabelle etwa 25 Punkte vom VfB trennen, deren Gegner indes nur deren vier. Weil’s halt die Bayern sind, da geht’s ums Prinzip. Ja, sagte ich schon, wiederholt, beides.

Letzteres scheint sich nun zu ändern. Der Jubel, den jedes einzelne Tor des FC Bayern am Samstag auslöste, die Geschwindigkeit, mit der sich die Kunde von den Treffern verbreitete, obschon sie nicht offiziell angezeigt wurden, ließ aufhorchen. “Oh, wie ist das schön” wurde ganz pragmatisch an der einen oder anderen Stelle angestimmt, “Niemals zweite Liga”, dieser unangenehm nach unten gewandte Ruf, machte nach der Entscheidung in Hamburg ebenfalls die Runde, und kurzzeitig wurde mein Nachbar etwas nervös, weil er, so ich ihn recht verstanden habe, versäumt hatte, sich im Vorfeld noch einmal den Text von “Stern des Südens” anzusehen. Fiel dann aber der Aktualität zum Opfer aus, bis zum samstäglichen Dank an den Gewinnbringer wird er gewiss nacharbeiten.

 

Niedermeier, Niedermeier, hey, hey!

Ich ziehe meinen Hut vor Georg Niedermeier und verneige mich tief. Was, unvoreingenommen betrachtet, mit dem Siegtor bei Eintracht Frankfurt zu tun haben könnte und dann wohl auch eine Verneigung vor dem möglicherweise besten Stuttgarter Eckballschützen seit dem frühen Krassimir Balakov, Alexandru Maxim, nach sich zöge – so denn auch Maxims andere Eckbälle, von denen ich allerdings nicht weiß, ob es sie gab, ähnlich gut gewesen sein sollten. Ich sah nämlich nichts vom Spiel. Oder so gut wie nichts. Ich las ein bisschen. Weiß von dem taktischen Kniff mit Boka auf der Sechs. Wer weiß, vielleicht hätten wir das neulich schon gesehen, wenn wir Molinaros Einwechslung nicht so gnadenlos weggepfiffen hätten? Aber dann hätte der Überraschungseffekt nicht so gut geklappt wie nun in Frankfurt. Also haben mal wieder alle alles richtig gemacht.

Entschuldigung, ich schweife ab. Ich wollte doch sagen, dass ich mich nicht wegen des Siegtreffers verneige, auch wenn mich die Entschlossenheit seiner fast schon an Toni Schumacher erinnernden Flugeinlage sehr wohl beeindruckte, sondern wegen eines kleinen Interviewschnipsels bei Sport im Dritten, von dem ich mir wünschen würde, dass er jedem einzelnen hiesigen Belastungsjammerlappen in einer Endlosschleife auf die Kopfhörer gesendet wird:

“Englische Wochen, das ist das, wofür man arbeitet. Dafür ist man Fußballer, um möglichst überall dabei zu sein, und da werden Sie mich nie jammern hören, haben Sie nicht und werden Sie auch in Zukunft nicht.”

(Hervorhebung durch mich.)

Ansonsten verweise ich gern auf Stefan Krieger vom Blog-G, der das sonntägliche Geschehen angenehm pointiert darstellt (aus Frankfurter Sicht):

“Eine Niederlage gegen die Witzmannschaft der Rückrunde, abgeschossen von einem Innenverteidiger wie ihn die Welt seit Karl-Heinz Förster und Christian Wörns nicht mehr gesehen hat, gegen eine Mannschaft, weniger lebendig als der Tod, geleitet von einem Trainer, dem die Ratlosigkeit vor der Partie mit riesigen Lettern ins Gesicht geschrieben stand.”

Wobei: Wörns. Pffft. Unverschämtheit.

Ein Bier wie mir

Bier ist ja nicht so meins. Suchtmittelwerbung im Sport auch nicht. Einerseits. Andererseits sind da diese Bilder von 1984. Sie wissen schon. Karlheinz Förster und Walter Kelsch mit der Schale in der Hand – und Dinkelacker auf der Brust. Hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Auch bei Bayern-Fans.

@Jens1893 Ich kenne den #VfB schon, als er noch Dinkel-Acker auf dem Brustring trug.Thu May 05 18:04:41 via Echofon

Dinkelacker. VfB-Kulturgut. Auch wenn sich die Geister und Geschmäcker scheiden mögen. Kulturgut wie Frottesana, Canon, vielleicht auch noch Südmilch.

Aber wenn ich mich entscheiden müsste: Dinkelacker.
VfB-Firmenmitglied seit 1937, 4 Jahre Trikotsponsor, später Pool-Partner und immer irgendwie mit an Bord, wenn es galt, öffentlichkeitswirksame Aktionen umzusetzen.

Im Februar 2011 wurde bekannt, dass der VfB ab der kommenden Saison auf einen anderen Bierpartner setzt. Einen, der nicht aus Baden-Württemberg stammt, der deutschlandweit aktiver ist als das schwäbisch-betuliche Dinkelacker. Und der eine sportliche Herausforderung in einem neuen Land darstellt, mit fremder Sprache, anderer Kultur, der den Horizont erweitert mehr Geld bezahlt. Dem Vernehmen nach doppelt soviel wie Dinkelacker, konkret: etwa eine Million Euro jährlich, 400.000 mehr als der langjährige Partner aus der Region. Man ist geneigt nachzufragen, wie viele Wochen lang man für diesen Betrag dereinst den Hütchenaufsteller Balakov hätte bezahlen können.

Wie auch immer, Dinkelacker ist raus. Dabei wäre der Vertrag noch ein Jahr gelaufen, doch man einigte sich auf ein vorzeitiges Ende. Schweren Herzens, wie Geschäftsführer Bernhard Schwarz im Februar betonte:

“Es ist uns schwer gefallen, einer Aufhebung der bestehenden Sponsoring-Vereinbarung mit dem VfB zuzustimmen, mit dem wir Woche für Woche mitfiebern, feiern und trauern.”

Floskeln? Vielleicht. Aber wenn es nur leeres Gerede sein sollte, dann ist es ihnen gelungen, das bis zum letzten Heimspiel gut zu verbergen. Bei der Bekenner-Aktion war man vorne dabei, schmutzige Wäsche habe ich bisher keine gerochen, und der Abschied in der Stadionzeitung ist, nun ja, sehen Sie selbst:

Anstand. Stil. Vielleicht Klasse. Oder auch nur Professionalität.

Was auch immer zutreffen mag: so wünsche ich mir die Partner “meines” Vereins. 400.000 Euro hin. Irgendwas her.

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Ganz vergessen: wer als erster ohne Hilfe von Mama Google oder sonstigen einschlägigen Informationsquellen alle abgebildeten Herren (nein, ich meine nicht die im Publikum, wir sind ja nicht bei 9Live) mit Namen versieht, darf sich bei unserem nächsten (ggf. ersten) Treffen ein Getränk aus dem Hause Dinkelacker wünschen. Sollte das Treffen im Neckarstadion stattfinden, kann ich leider nicht liefern.

Disaster Recovery

Nein, kein wirklicher IT-Notfall, keine Wiederherstellung. Eher ein persönliches Desaster war das am Samstag, von dem ich mich so langsam wieder erhole.

Der eine oder die andere hat vermutlich mitbekommmen, dass ich das Spiel des VfB gegen Schalke für die Sportredaktion von ZEIT ONLINE twitternd begleiten sollte, sozusagen live aus der gefühlten Cannstatter Kurve. Aparter Gedanke, fand ich. Dumm nur, dass die Netzverfügbarkeit dort während eines Spiels nicht immer gewährleistet ist. Dass Bandbreite kein öffentliches Gut ist, liegt offensichtlich nicht nur an der Ausschließbarkeit, sondern auch an der Rivalität. Zu viele Menschen in der Kurve.

Hätte man auch vorher wissen können? Ja, hätte man. Wusste man sogar. Ein Stück weit. Mir war von früheren Spielen klar, dass das Netz mitunter sehr schlecht ist und der eine oder andere Tweet etwas länger braucht. Was ich meist auf meinen Anbieter geschoben hatte, weil ich Menschen mit anderen Geräten erfolgreicher hantieren sah. Also bewegte ich mich mit zwei verschiedenen Mobiltelefonen in zwei verschiedenen Netzen durch das Stadion; mein Stadionnachbar steuerte zur Sicherheit noch ein drittes Netz bei. Als Notfallplan bestand, das redete ich mir zumindest ein, die Option, Tweets per SMS an die Redaktion zu senden, die dann damit machen würde, was sie für richtig hielte.

Was soll ich sagen? Pustekuchen! Bis kurz vor Spielbeginn klappte die Twitterei noch ganz ordentlich, wenn man von der seelischen Belastung absieht, die am Vormittag durch ein zersplittertes Display entstanden war und noch immer anhält. Das änderte sich relativ rasch, nach wenigen Spielminuten funkte ich bereits SMS. Die erste Kurznachricht kam noch durch, danach ging buchstäblich nichts mehr. Keine Timeline. Keine Tweets. Keine SMS. Weder bei Alice. Noch bei Vodafone. Noch beim großen T. Ich war wohl ein wenig verzweifelt. Wenn mir vielleicht jemand bei Gelegenheit erzählen könnte, was sich auf dem Spielfeld ereignete?

Nach der Pause entspannte sich die Situation ein wenig und es gelang mir, einige SMS-Tweets abzusetzen. Ob sie allerdings in der Redaktion angekommen waren und es in die Timeline geschafft hatten, erfuhr ich erst nach dem Spiel, von Interaktion und der Reaktion auf @-Replies will ich gar nicht reden. Den Rest des Tages verbrachte ich mit der Decke über dem Kopf im Bett.

Ach so, ich könnte ja noch einen Satz zum VfB sagen. Oder zu Herrn Dr. Brych, auch wenn dazu längst alles gesagt ist, mit unterschiedlichen Nuancierungen. Die Forderungen nach einem Platzverweis für Pogrebnyak halte ich für hanebüchend (sic!), aber ein Foul war’s auch aus meiner Sicht. Das Handspiel hätte ich wohl nicht gegeben, aber zumindest in einem Punkt bin ich beim Schiedsrichter: wenn er das Handspiel pfeift, muss er nach meinem Regelverständnis auch Rot ziehen, unabhängig davon, wie er (oder auch ich) zu dieser Regel steht.

Wie auch immer: Kuzmanovic traf, das Spiel war entschieden. Was man aber erst hinterher wusste. Als Stuttgarter hätte man sich natürlich gewünscht, nicht bis zum Abpfiff zittern zu müssen. Scheint mir bei 75-minütiger Überzahl nicht gänzlich vermessen, auf etwas überlegtere Angriffe zu hoffen, vielleicht sogar auf ein zweites Tor, das ja in einigen wenigen Situationen tatsächlich in der Luft lag. Immerhin erhielt so die Abwehr die Gelegenheit, ihr ramponiertes Image etwas aufzupolieren. Insbesondere Georg Niedermeier, angesichts dessen Aufstellung reichlich Kopfschütteln herrschte, wünsche ich, dass ihm das Spiel das nötige Selbstvertrauen für die nächsten Spiele gibt. Und dass Sven Ulreich kurz vor Schluss den Sieg festhielt zur Ecke rettete, wird ihm auch nicht schaden. Zumindest hat man mir das so erzählt.

Fast vergessen: die Balakov-Huldigung (beinahe hätte ich Ballack geschrieben, so präsent ist er derzeit in der öffentlichen Diskussion um Kaisers Bart) der Kurve war großer Sport, das “Magath raus”-Plakat im Schalker Block für den neutralen Beobachter zu diesem Zeitpunkt auch, die Stuttgarter Reaktion (“Ohne Magath habt Ihr keine Chance”), nun ja, unerwartet. Man konnte zu dem Schluss kommen, Magath habe den VfB, bei dem er sehr erfolgreich gearbeitet hatte, seinerzeit in bestem Einvernehmen verlassen.

Nächstes Wochenende bietet die Partie bei Sankt Pauli die Gelegenheit, erstmals wieder am Ende eines Spieltags die Abstiegsplätze zu verlassen, aus eigener Kraft. Ähnliches werden sich alle anderen Abstiegskämpfer sagen, die in den nächsten Wochen ebenfalls ständig auf direkte Konkurrenten treffen – Kunststück, wenn die halbe Liga taumelt.

Ich glaube nicht, dass die Mannschaft stark und vor allem gefestigt genug ist, eine Serie zu starten, die es ihr erlaubt, in fünf oder sechs Wochen relativ entspannt auf  “die da unten” zu schauen, glaube vielmehr, dass es noch eine Reihe von Rückschlägen und das damit einher gehende Auf und Ab zu beklagen geben wird. Aber ich glaube wieder fest an die Aufs, was zuletzt nicht immer der Fall war, und bin zuversichtlich, dass es gelingen kann, vor dem letzten Spieltag den Klassenerhalt zu sichern. Würde die Partie in München aus Stuttgarter Sicht deutlich entspannen. Und man könnte gelassen abwarten, ob die Bayern die Qualifikation noch schaffen. Wofür auch immer.

Bis dahin dürfte ich auch das samstägliche Desaster verarbeitet haben.

Standardfloskeln

Endlich habe ich wieder einmal ein VfB-Spiel anschauen können, nachdem ich von den Partien in Chemnitz und gegen St. Pauli so gut wie nichts gesehen hatte. Soviel zum Positiven.

Ok, war vielleicht auch nicht anders zu erwarten. Schließlich hatte die Stuttgarter Zeitung schon morgens über die aktuellen Problemfelder der Mannschaft informiert.

Über Zdravko Kuzmanovics “Gehabe” bei Freistößen, beispielsweise, und darüber, dass “die Qualität seiner Freistöße mit der Show davor nur selten mithalten” könne. Interessante Sichtweise, wenn man sich mit einem Verein beschäftigt, der in Sachen Freistöße noch immer dem frühen Balakov nachtrauert, bei dem der letzte vor Kuzmanovic direkt verwandelte Freistoß vermutlich der von Toni da Silva im DFB-Pokal-Halbfinale 2007 war [Korrektur: Hitzlsperger traf zuletzt im Mai 2009, zudem gab es noch mindestens drei weitere] und wo Kuzmanovic nach nicht einmal einem Drittel der laufenden Saison drei direkte Freistoßtore in Pflichtspielen zu verbuchen hat. Da ist es mir – das mag an meiner Oberflächlichkeit liegen – eigentlich ziemlich egal, was er vor dem Schuss tut. Und wie er hinterher jubelt. Aber meine Psychologiekenntnisse sind bestenfalls rudimentär. Vielleicht spaltet ein gemeinsamer, noch dazu eingeübter Torjubel zweier Spieler ja tatsächlich die Gruppe und verstärkt die Isolation von Ersatzkapitän Cacau. Vermutlich haben die Experten recht. Das Spiel in Wolfsburg hat sie zumindest nicht widerlegt.

Auf die schlechte Kommunikation und das nicht funktionierende Team wurden wir ebenfalls hingewiesen. Es mag durchaus sein, dass die Mannschaft interne Reibereien hat, auch Martin Harnik hat sich gestern bei Sport im Dritten nicht gegen die Andeutung gewehrt. Das jedoch daran festzumachen, dass in Chemnitz Ciprian Marica zum Elfmeter antrat, “obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits ziemlich klar war, dass er an diesem Tag kein Glück haben würde” und dass es “in einem funktionierenden Team […] Spieler gegeben [hätte], die Marica zumindest auf die Gefahren bei diesem Strafstoß hingewiesen hätten”, finde ich, nun ja, ungewöhnlich.

“Elfmeter? Ich mach ihn rein!”
“Bist Du sicher, Cipi?
“Klar bin ich sicher. Ich bin Stürmer!”
“Dann lass mich Dich wenigstens kurz auf die Gefahren hinweisen. Bist Du Dir darüber im Klaren, dass Du auch scheitern könntest, gerade heute, wo Du ohnehin keinen Ball triffst? Dann scheiden wir möglicherweise aus, der Trainer muss gehen und Du sitzt am Wochenende nur auf der Bank.”

Entschuldigung, da ging wohl was mit mir durch.

Zurück zum Wolfsburg-Spiel. Mit einer gewissen Berechtigung wies der Sky-Reporter verschiedentlich darauf hin, dass der VfB von Verletzungen geplagt sei, dass 8-10 Spieler fehlten. Ich nickte wissend, um mich dann zu fragen, wie vielen der 10 ich zutrauen würde, der Mannschaft zu einem Leistungssprung zu verhelfen. Dem gesperrten Delpierre. Und, äh, keinem. Ok, anders gefragt: wie viele von den 10 ich bei völliger Fitness in der Startelf hätte sehen wollen. Didavi. Und, hm, Audel. Ach nee, gleiche Position.

Tja. Wie bereits verschiedentlich gesagt: der VfB hat einen soliden Bundesligakader mit braven Bundesligaspielern. Spieler von internationalem Format, wie man sie im Vorjahr mit Khedira, Lehmann (ja, ja) und gelegentlich Hleb hatte, sind gegenwärtig eher spärlich gesät. Extrem spärlich.

Wenn also die Individualisten fehlen, trifft es sich ja ganz gut, dass der Trainer in verschiedenen Medien dahingehend zitiert wird, dass man für taktische Einheiten gegenwärtig “keine Zeit” habe. Ist ja auch nicht nötig, schließlich sei man gegen Wolfsburg, so Trainer Keller, gut gestanden und habe nur wenig zugelassen. Nur die Standards, an denen müsse man wohl noch arbeiten. Ganz ehrlich: ich habe diese Trennung noch nie verstanden. Wenn ich im “normalen” Spiel ganz gut verteidige, bei jedem einzelnen Eckball und jeder Freistoßflanke jedoch ein Gegentor in der Luft liegt, dann habe ich einfach nicht gut verteidigt. Standardsitauationen sind Teil des Spiels. Integraler Bestandteil. Für viele Mannschaften eines der wichtigsten taktischen Mittel. Zum Beispiel für Mannschaften, die einen Spieler wie Diego in ihren Reihen haben, der mit ruhenden Bällen durchaus etwas anzufangen weiß. Da könnte man sich vielleicht drauf vorbereiten. Und bitte nicht hinterher sagen, dass man doch bis auf die Standards ganz gut ausgesehen habe.

Ach, egal. Ich bin sauer. Schon wieder. Und unstrukturiert. Und kann gar nicht all die Dinge aufzählen, über die ich mich ärgere. Egal, ob es Celozzis unsinnige Halbfeldflanken sind, Molinaros(!) unsinnige Halbfeldflanken, Gentners Alibispielweise, Cacaus Aufstellung als Stoßstürmer, Boulahrouz’ Kerze, Kuzmanovics Handlungsgeschwindigkeit, Harniks überhasteter Abschluss, Ulreichs… Halt, Schweigegelübde! Undsoweiter undsoweiter.

Aber natürlich wendet sich alles zum Guten – vielleicht noch nicht gegen Getafe, aber am Sonntag gegen Werder.