Derbysieg!

Hamburger Derby. Berliner Derby. Essener Derby. Revierderby. Niedersachsen-Derby. Badisch-pfälzisches Derby. Echt jetzt. Na dann: Der VfB Stuttgart hat das Vf-Derby gegen Borussia VfL 1900 Mönchengladbach mit 7:0 gewonnen. Ausgerechnet der Russe Pavel Pogrebnyak erzielte gegen die BoRussen drei Tore (© Johannes Seemüller, SWR). Fans beider Seiten verzichteten entgegen dem Trend darauf, die Spielstätte des Gegners zu schmähen. Gästetrainer Michael Frontzeck witterte keine Spielplanverschwörung seitens des DFB und sah auch davon ab, die mitgereisten Fans dafür zu kritisieren, dass sie mit ihren Eintrittskarten den Transfer von Mamadou Bah finanziert hatten.

Soweit die Fakten.

Was die Bewertung des Stuttgarter Sieges anbelangt, kennt man ja mittlerweile die Mechanismen: Antizyklik rulez! Jeder Kreisligatrainer hat es drauf, wie einst Uli Hoeneß, später die Herren van Gaal, Klopp oder am Wochenende auch wieder Heynckes bei Siegen Kritik zu üben und nach eher bescheidenen Leistungen das Positive hervorzuheben.

Zum Glück bin ich kein Kreisligatrainer. Ich darf ganz einfach sagen, dass ich am Samstag einen großartigen Nachmittag erlebt habe. Und einen abensolchen Abend, (auch) weil viele andere Partygäste genau das gleiche Dauergrinsen auf den Lippen hatten. Natürlich hätte man sich über die schwachen Gladbacher unterhalten können, oder über die Wechselhaftigkeit des Stuttgarter Spiels, über diesen oder jenen individuellen Fehler, aber: wer will das schon?

Man muss die Feste auch mal genau dann feiern, wenn sie fallen, und am Samstag fiel definitiv eines. Das dürfte Pavel Pogrebnyak auch so sehen, dessen Ballgeschenk für den Sohn allenthalben thematisiert wurde – leider blieb sein vorangegangener Sprint zum Schiedsrichter meist außen vor, dabei stand er doch sinnbildlich für Pogrebnyaks bereits am Donnerstag vor Augen geführte Entschlossenheit bei der Balleroberung. Da mochte sich selbst Markus Wingenbach nicht widersetzen, nachdem er sich während des Spiels noch bei jedem Freistoßpfiff in ronaldianischer Cowboy-Manier an den Ort des Geschehens gestellt hatte, als wolle er gleich selbst einnetzen. Was ja am Samstag gar nicht nötig war – das hat der VfB schon selbst erledigt. Die Zahl der aus Standardsituationen entstandenen Treffer variiert je nach Zählweise ein wenig, war aber in jedem Fall beträchtlich. Und zu hoch. Unzulänglichkeiten des Gegners, noch dazu individuelle, sind in der Regel nicht mein Thema. Wenn ich allerdings, wie am Samstag geschehen, bei zwei Toren bereits deutlich vorab Fehlleistungen des Torwarts identifizieren kann, läuft etwas schief: vor dem 3:0 lenkte Logan Bailly einen harmlosen Schuss von Christian Träsch, der gute anderthalb Meter neben dem Tor gelandet wäre, mit einer vollkommen unnötigen Flugeinlage zur Ecke. Ok, möglicherweise wollte er sich dadurch Selbstvertrauen holen. Camoranesi und Pogrebnyak dankten es ihm. Vor dem 5:0 wusste vermutlich nicht nur ich, sondern der Großteil der gefühlten Cannstatter Kurve, dass Kuzmanovic den Ball entspannt in die kurze Ecke schießchen (sic!) würde. Ok, mein Nebenmann wollte es mir zunächst auch nicht recht glauben, sondern rechnete wie Bailly mit einer Flanke auf die aussichtsreich postierten Delpierre und Niedermeier. Es dürfte in Baillys Sinn sein, die weiteren Treffer nicht näher zu betrachten.

Vor dem Spiel hatte ich noch ein wenig Bauchschmerzen, weil Kapitän Delpierre nach seinen letzten Verletzungspausen zumeist ein paar Spiele gebraucht hatte, um zu seiner Form zu finden. Am Samstag war das anders, und auch wenn er nur sehr bedingt gefordert wurde, möchte man sich doch der Frage eines Zuschauers anschließen: “Kann es wirklich sein, dass Frankreich seit Jahren stets vier bessere Innenverteidiger hat?” Die nicht zitierfähige Antwort hatte zum Teil mit Raymond Domenech zu tun.

Träsch ging die Wege, auch offensiv, die Camoranesi sich sparte, um seine Kraft unter anderem für die Momente zu nutzen, in denen er bis zu seinem Ausscheiden zweieinhalb Torvorlagen gab, auf der anderen Seite standen sich Boka und Didavi nicht nur nicht mehr im Weg, sondern kombinierten mitunter sehr ansehnlich die Linie hinunter. Wenn auch ohne echte Gegenspieler, ich räume es sein.

Vermutlich ist es nur der Euphorie und einer herzlichen Umarmung nach dem Spiel geschuldete Einbildung, dass auch Christian Gentner und Zdravko Kuzmanovic besser kommunizierten – zumindest aber schienen sie besser abgestimmt. Über weite Strecken des Spiels war klar zu sehen, dass einer-zumeist Gentner- den etwas offensiveren Part übernehmen sollte, während sich der andere die Bälle ganz hinten abholte, nachdem beide in den Spielen zuvor noch des öfteren auf eine Linie agiert hatten und zu häufig die gleichen Räume besetzen wollten. Ob man gegen stärkere Gegner mittelfristig in der Zentrale auf Christian Träschs Zweikampfstärke verzichten kann, bleibt abzuwarten.

Interessant war die Auswechslung von Cacau, der ganz sicher nicht erfreut war und bereits zuvor angedeutet hatte, nun auch endlich “sein Tor” erzielen zu wollen. Zunächst fand ich diese Maßnahme des Trainers nicht ganz glücklich und hätte es lieber gesehen, wenn er den bereits dreifachen Torschützen Pogrebnyak heraus genommen hätte. Andererseits blieb so vielleicht allen Beteiligten die eine oder andere eigensinnige Aktion erspart, wie wir sie von Cacau in früheren Jahren -und zu Saisonbeginn- etwas zu oft gesehen hatten. Ob das Gross’ Gedankengang war? Keine Ahnung.

Jetzt bin ich doch schon wieder viel zu tief in Einzelaspekte hineingerutscht. Eigentlich wollte ich ja nur sagen, dass es ein großartiger Nachmittag war, auf den ich auch deshalb noch immer sehr unbeschwert zurück schaue, weil Spieler wie Verantwortliche das Ganze allem Anschein nach einzuordnen wissen.