Instinktiv nachgefragt

“Traoré hat das Spiel nicht verstanden. Wie soll ich meiner E-Jugend erzählen, dass egal ist, wer das Tor schießt, wenn die dann dem zuschauen?”

Diese SMS erreichte mich irgendwann im Lauf der ersten Halbzeit des VfB-Spiels in Hamburg, Auslöser dürfte Traorés Abschluss aus spitzem Winkel gewesen sein, als in der Mitte zwei Mitspieler auf den Querpass warteten, vielleicht auch noch die oder andere Szene mehr.

Ich war ein wenig hin- und hergerissen. Einerseits hatte der Absender, dessen Fußballsachverstand ich sehr schätze, schlicht und ergreifend recht, was die Bewertung mindestens jener einen Szene anbelangt, vermutlich auch darüber hinaus. Andererseits war Traoré gleichwohl eine positive Erscheinung im VfB-Spiel, ein ständiger Unruheherd, der sich auch vom einen oder anderen Ballverlust nicht beirren ließ und weiterwuselte.

Ehe ich mich’s versah, hatte ich auch schon geantwortet:

“Freundlich ausgedrückt: Instinktfußballer.
Im Guten wie im Schlechten.”

Bleibt die Frage, was ich gemeint hatte. Vermutlich war es der Versuch, die Wendung “hat das Spiel nicht verstanden” durch die Betonung anderer, möglicherweise im Gegensatz dazu stehender Qualitäten gleichzeitig zu bestätigen und zu konterkarieren.

Wobei ich mir gar nicht sicher bin, was “man” gemeinhin mit einem Instinktfußballer verbindet. Ist es grundsätzlich positiv gemeint? Gilt Thomas Müller als Instinktfußballer, weil er sich keinen Kopf macht? Ist Lukas Podolski einer, weil er sich mancher Lesart zufolge gar keinen Kopf machen könnte? Ist ein Instinktfußballer jemand, der nicht dafür geschaffen ist, strategisch zu agieren? Oder handeln vielmehr auch, vielleicht sogar gerade, die großen Strategen des Spiels in hohem Maße instinktiv? Sind Ronaldo oder Rooney typische Instinktfußballer, Pirlo und Micoud indes gerade nicht?

Zu welcher Kategorie zählt, so man diese Kategorisierung für annähernd passend hält, der große Stratege Zidane, der instinktiv so vieles richtig machte? Ist es eine typische arrogant-akademische Herangehensweise, Spieler wie Rooney, Podolski oder Fritz Walter (junior) ohne allzu viel Federlesens in die Instinktschublade zu stecken? Kann es sein, dass William Kvist die Bälle vielleicht doch instinktiv meist nach hinten spielt, völlig unabhängig davon, dass er nicht auf den Kopf gefallen und strategisch begabt scheint?

Trifft es zu, dass “Instinktfußballer”, gemeinsam mit dem “Straßenfußballer” das höchste Lob ist, das wir zu vergeben haben? Oder ist “hat das Spiel verstanden” noch etwas höher anzusiedeln? Hat schon mal jemand “der hat das Spiel instinktiv verstanden” gesagt? Trügt der Instinkt eigentlich eher als strategische Überlegungen?

Das letzte Wort hatte am Sonntag mein SMS-Partner, der nach Traorés Großchance kurz vor Schluss lakonisch feststellte:

“Ein Instinktfußballer macht den cool und abgezockt.”

Vermutlich hatte er recht. Wobei man dann wieder die Frage stellen könnte, ob wir da nicht den Instinkt des gemeinen Instinktfußballers mit dem spezielleren Torinstinkt in einen Topf schmeißen. Und falls dem so ist, ob das beiden Instinkten gerecht wird. Beziehungsweise den beiden Ausprägungen des einen.

Egal. Fürs Erste. Ob Raphael Holzhauser ein Instinktfußballer ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Wie es um das strategische Geschick auf dem Platz bestellt ist, kann ich auch noch nicht seriös sagen, neige aber zu einem “gut”. Ohne erneut die Holzhauser-Cam verwendet zu haben heranzuziehen, möchte ich doch kurz auf einen Punkt eingehen, der mir aufgefallen ist:

Ich hatte den Eindruck, dass er mehr kurze, einfache, unspektakuläre Bälle spielte als in seinen bisherigen Einsätzen. Wie man es von klassischen Ballbesitzmannschaften kennt. Und von Spielern, die sich ihrer Sache sicher sind, die sich nicht unter dem Druck sehen, einen tödlichen Pass nach dem anderen zu spielen, die wissen, dass sie den Ball gleich wieder bekommen, weil die anderen wissen, dass derjenige meist etwas Vernünftiges damit anstellt. Im Idealfall kann der betreffende Spieler sogar bereits erahnen, dass er auch mal den einen oder anderen Fehler machen darf. (Man wäre geneigt, von einem “Privileg der Jugend” zu sprechen, wüsste man nicht, dass es bisher in der Tendenz eher älteren Herren eingeräumt worden war.)

Nun zögere ich sehr, dem Trainer mit Blick auf Holzhauser ein Lob auszusprechen, zumal der Nachweis, dass sich der junge Mann tatsächlich einen gewissen Kredit erarbeitet hat, erst noch zu erbringen ist – wiewohl ich es vorzöge, wenn der Kreditrahmen bis auf Weiteres nicht in Anspruch genommen zu werden bräuchte. Ausdrücklich loben möchte ich indes die Art und Weise, wie der VfB in Hamburg aufgetreten ist. Ich glaube nicht, dass Thorsten Fink und seine Mannen damit gerechnet hatten, von einem derart selbstbewusst auftretenden Gegner in dieser Form attackiert zu werden.

Der werte Herr @nedfuller, mit dem (und nicht nur mit ihm, sondern darüber hinaus mit @direktvrwandelt und @voegi79) ich mich im Sportradio 360 ein bisschen über das vergangene Wochenende unterhalten durfte, zeigte sich ebenfalls überrascht und beinahe beeindruckt – was auch damit zu tun haben mag, dass seine Erwartungen an Bruno Labbadia aus dessen Hamburger Historie heraus überschaubar hoch sind.

Gut gemacht, Herr Labbadia! Und wenn ich schon dabei bin: starkes Spiel, Christian Gentner! Klasse Leistung, William Kvist!

(Es gäbe noch einige andere zu loben, ich will jetzt gar keine weiteren Beispiele nennen – heute sollen mal diejenigen Erwähnung finden, die ich ansonsten meist (Labbadia, Gentner) oder zumindest in jüngerer Zeit (Kvist) instinktiv sehr bewusst eher zurückhaltend bewerte.

Mal sehen, ob sie am Wochenende auch dem Meistertrainer gewachsen sind. Dem instinktsicheren Strategen.

 

Rückblicksvorbereitungsstichworte (VI)

“Den Gomez hätte er nicht auswechseln dürfen. Grad gegen die Italiener. Man hätte ihm den Ball halt mal gescheit in die Gasse spielen müssen. Aber der Ötzil ist halt auch nicht so gut, wie es immer heißt. Beide Spanier eigentlich, der Khidera auch nicht. Hat man ja auch in der Analyse gesehen, mit dem Scholl. Der Khidera ist an der Mittellinie stehen geblieben, und der Italiener konnte ungestört den langen Ball spielen. Tut der doch immer, das weiß man. Den Podolski, ja, den hätte er draußen lassen müssen. Und den Khidera, den kannst nur hinten brauchen. Der Schweinsteiger war ja auch nur bei 80 Prozent. Den kannst draußen lassen. Soll halt der Müller dafür spielen, der gibt wenigstens Vollgas.”

(Sinngemäßes, weitgehend aber wörtliches, aus irgendeinem bayerischen Dialekt so halbwegs übersetztes Zitat, knapp 24 Stunden nach dem Halbfinale.)

Womit dann wohl alles gesagt wäre. Abgesehen von den Rückblicksvorbereitungs-“Stichworten” für den Sohnemann:

__________

J’accuse!

Ich klage meine Eltern an, nicht darauf vorbereitet gewesen zu sein, mich vor wild gewordenen Fähnschenschwenkern mit schwarz-rot-goldenen Utensilien zu schützen. Tatenlos zugesehen zu haben, wie mir eine schwarz-rot-goldene Hulakette um den Hals gelegt wurde, zugelassen zu haben, dass nicht nur ich, sondern auch meine kleine Schwester schwarz-rot-goldene Armbändchen trugen.

Ich klage meine Mutter an, den Horden zur Hand gegangen zu sein und ihren Kindern schwarz-rot-goldene Flaggen auf die Wange gemalt – und damit, dies zu ihrer Ehrenrettung, möglicherweise Schlimmeres verhindert – zu haben. Und meinen Vater, der sie gewähren ließ. 

Ich klage Vater und Mutter an, mir eine kindgerechte Schlafenszeit verwehrt und mich quasi genötigt zu haben, elf vergleichsweise ideenlosen Spaniern eben nicht bei ihrem als langweilig verpönten Kurzpassspiel zuzusehen, sondern bei etwas, das sehr gerne ein als langweilig verpöntes Kurzpassspiel gewesen wäre, tatsächlich aber nur selten über das Versuchsstadium hinaus kam. Ich klage sie darüber hinaus an, mich dann doch nicht wach gehalten zu haben, um wenigstens den Kitzel des Elfmeterschießens zu erleben (das zu sehen ich mir dann für den Folgetag und den Eintrittsfall vertraglich zusichern ließ – ich klage die deutsche Fußballnationalmannschaft an, nicht geliefert zu haben). 

Ich klage meinen Vater an, mich bei beiden Halbfinalspielen der “besseren Sicht” wegen in unmittelbarer Nähe von Jürgen von der Lippe platziert zu haben, dessen Weisheiten aus dem Gedächtnis löschen zu können mir auch nach vielen Jahren noch nicht vergönnt ist. 

Ich klage meinen Jugendtrainer an, mir jahrelang erzählt zu haben, dass es ab einem gewissen Niveau nicht mehr reiche, den Ball hoch und lang nach vorne zu schlagen, auf dass der Mittelstürmer der Abwehr davonlaufen und ein Tor schießen möge. (Wenn Passgeber und Stürmer gut genug und die Abwehraktivitäten hinreichend naiv sind, geht das auch noch in den ganz großen Spielen.)

Und ich klage meine Eltern an, meinem zunehmenden Eintauchen in das Turnier keinen Einhalt geboten und dann zugelassen zu haben, dass mein erstes Turnier eben nicht, wie bei Vattern, den erhofften Sieger fand – wofür ich natürlich auch Joachim Löw und seine Mannschaft anklage. So hatten wir ja wohl nicht gewettet, Freundchen.

_________

Vielleicht doch noch ein paar kurze Sätze zu Dingen, die ich einfach nicht verstanden habe. Und damit meine ich nicht die Aufstellung von Joachim Löw, auch wenn ich vor allem über Reus’ Nicht-  und Gomez’ Doch-Nominierung überrascht war, und auch wenn ich die Beweggründe hinter Kroos’ Hereinnahme zwar nachvollziehen, aber nicht daran glauben konnte, dass er dem direkten Duell mit Pirlo gewachsen sei. Ich würde nicht einmal so weit gehen, zu sagen, dass es die Lobgesänge auf Pirlo waren, die ich nach diesem Spiel nicht verstanden habe, aber ich gebe zu, dass ich sie nicht in diesem Maße angestimmt hätte. Zumindest nicht lauter als auf Montolivo, dessen Mutter übrigens …  ach, wissen Sie schon? Seltsam.

Nicht so richtig verstanden habe ich Steffen Simons andauernde Hinweise, noch in der gefühlten 44. Minute, dass Toni Kroos seine Außenposition einfach nicht halte, sondern zu sehr nach innen ziehe. Aber es ist wohlfeil, Steffen Simon taktische Fehleinschätzungen vorzuhalten, ich bitte um Entschuldigung.

Schwer verständlich ist es für mich auch, wenn Meireles einen Vier-gegen-zwei-Konter durch ein schlechtes Abspiel, Verzeihung, verkackt, und Cristiano Ronaldo bei Twitter reichlich Häme abbekommt, weil er kein Tor daraus gemacht hat. Oder dass es Leute gibt, die ihm vorwerfen, sich für den fünften Elfmeter gemeldet zu haben – er habe damit ja einzig und allein seinen Selbstdarstellungstrieb befriedigen wollen. Eine solche Argumentation erschließt sich mir schlichtweg nicht. (Und nein, mir gefällt sein Freistoßritual auch nicht. So ist das manchmal mit Ritualen.)

Was ich indes bestens verstanden habe, ist der einmal mehr wunderbare und dabei in seinem Wesen im Vergleich zu seinen sonstigen Einlassungen zur EM so ganz andere Text von @freval über Mario Balotellis Jubelpose und das, was die Feuilletons der Qualitätspresse daraus gemacht haben. Mit Hautfarbe und so. Sehr treffend auch der Quervergleich zu Eric Cantona – mir scheint lediglich, dass Andi Möller hier ein wenig kurz kommt.

Letzteres bitte ich im Übrigen nicht so ernst zu nehmen wie Frédérics eben genannten Text.

Das Schlusswort überlasse ich dann aber doch wieder meinem Sohn, dem ich im abklingenden EM-Frust ein paar pathetisch warme Sätze in den Mund lege:

_________

Abschließend aber danke ich meinem alten Herrn dafür, mir vor Augen geführt hat, dass es weder im Allgemeinen noch ganz besonders im Speziellen der EM 2012 unverdiente Siege und Sieger gibt. Vermutlich freute ich mich auf das Finale zwischen Italien und Spanien nicht ganz so sehr wie auf eines mit deutscher Beteiligung, was nicht zuletzt daran gelegen haben dürfte, dass kein Supermarkt Sammelkarten der spanischen oder italienischen Spieler angeboten hatte; gleichwohl fieberte ich dem letzten Spiel entgegen, wollte ich sehen, ob die Bezwinger der deutschen Mannschaft nun auch den Welt- und Europameister schlagen würden, ob Mario Balotelli die versprochenen vier Treffer erzielen und der gegen Deutschland von einem Herrn namens Simon zum Schwachpunkt erklärte Balzaretti erneut schwach genug sein würde, um nicht nur den gegnerischen Stürmer aus dem Spiel zu nehmen, sondern vorne auch noch torgefährlich zu werden. (Vater ließ mich wissen, dass man vor dem WM-Finale 1982 ähnliche Töne über den 18-jährigen Giuseppe Bergomi gehört habe.) Hey, wir sprechen vom EM-Finale! Hochamt!

Und ich danke ihm für seine Twitter-Basislektion: Nicht während eines Fußballspiels drauf schauen. Besser auch nicht danach.

Zu viel Information

Ich bin kein Journalist. Das weiß jede(r), die oder der hier gelegentlich mitliest, ich bräuchte es also nicht zu betonen. Vielleicht sollte ich also korrekter sagen, dass ich nicht nur kein Journalist bin, sondern darüber hinaus keine Ahnung von Journalismus habe. Also so richtig. Natürlich – was daran natürlich sein soll, ist mir ein Rätsel – maße ich mir an, Journalisten oder Menschen, die sich als solche ausgeben, nicht nur, aber auch, und vielleicht insbesondere, in sportlichem Kontext zu kritisieren. Wenn ich den Eindruck habe, dass sie keine Ahnung haben, wenn sie schlecht vorbereitet wirken, oder wenn ich das Gefühl habe, dass sie unprofessionell, “unjournalistisch” handeln.

Aber wie gesagt: es ist nur ein Gefühl, oder ein Eindruck, der auf dem basiert, was ich in meiner Selbstgefälligkeit für gesunden Menschenverstand halte. Tatsächlich habe ich mich nie dediziert mit journalistischen Arbeits- und Herangehensweisen, Standards, Dos und Don’ts* auseinandergesetzt.

Weshalb meine Frage auch völlig ernst gemeint ist:

Wenn Nachrichtensendungen in Funk und Fernsehen – gelesen habe ich noch nichts dazu – über ein Nachholspiel der Fußball-Bundesliga berichten, sei es ausführlich in Wort und Bild, sei es auf das Verlesen des Ergebnisses und vielleicht der Torschützen beschränkt, ist es dann von Relevanz, weshalb das Spiel verlegt worden war? Oder anders: ist es in jedem Fall von Relevanz? Verlangt eine journalistische Vollständigkeitspflicht, nicht nur das damalige Vorkommnis zu benennen, sondern nach Möglichkeit auch den Namen des Protagonisten und ein Stück weit auch die näheren Umstände?

Oder ginge es auch so:

“In einem Nachholspiel der Fußball-Bundesliga trennten sich der 1. FC Köln und Mainz 05 1:1. Die Tore erzielten Sami Allagui in der 70. und Lukas Podolski in der 85. Minute. Das Spiel war am 19. November kurzfristig abgesagt worden.”

Mir persönlich würde das in einer Nachrichtensendung reichen.

Ok, vielleicht noch ergänzt um den Hinweis, dass sich um besagten Podolski, der den Effzeh wieder einmal gerettet habe, derzeit zahlreiche Wechselgerüchte rankten, dass er aber ein Kölner Junge sei und möglicherweise, eventuell aber auch nicht mehr, nur dort glücklich sein könne, und dass der 1. FC Köln seinen neuen Präsidenten von einem Personalberatungsunternehmen suchen lasse.

Bin ich da auf dem falschen Dampfer? Weltfremd? Ahnungslos?

(Ja, ich weiß, dass sowieso alle alles wissen. Na also.
Und ich weiß auch, wer daran die Hauptschuld trägt.)

* Steht übrigens tatsächlich im Duden.

Von Phantomen und Phantomtoren

Phantomtor, klar. Thomas Helmer und so, kennt jeder. Aber wer weiß schon, dass auch Michael Preetz dereinst ein solches geschossen haben muss? Genauer: am 28. August 1991 im Homburger Waldstadion, in der damaligen 2. Bundesliga Süd.

Doch der Reihe nach: wenn man sich für die Zweitligatorschützenkönige vergangener Spielzeiten interessiert – ein gängiges Hobby, wie wir alle wissen – und verschiedene Statistiken dazu schmökert, stößt man irgendwann auf die Information, dass Michael Preetz in der Saison 1991/92 insgesagt 16 Tore erzielte. Jene Saison wurde, infolge der Eingliederung von 6 Mannschaften aus der DDR-Oberliga, nach einem etwas ungewöhnlichen Modus gespielt, aus dem im Norden Bayer Uerdingen und im Süden der 1. FC Saarbrücken als Aufsteiger hervorgingen, letztere nicht zuletzt dank der 17 Tore von Michael Preetz. 17? 17! Sagt Wikipedia, sagen die Experten von der Rec.Sport.Soccer Statistics Foundation und sagt auch weltfussball.de – wo man gar noch zwischen den Torjägern der normalen Runde und der Aufstiegsrunde unterscheidet.

Sowas kann man ja nicht einfach so stehen lassen. Bundesliga.de ist wenig hilfreich und versagt bei der entsprechenden Saison, also macht man sich halt auf die Suche nach dem einen Tor, das die einen gezählt haben, die anderen nicht. Relativ rasch lässt sich herausfinden, dass weltfussball.de am 28. August 1991 in Homburg einen Treffer von Preetz gesehen haben will, wohingegen fussballdaten.de ihn nicht zu den Torschützen zählt. Sieht man genauer hin, stellt man fest, dass es sich um einen Elfmeter handelte, den gemäß Fußballdaten Jonathan Akpoborie in der 71. Minute verwandelt hat. Dann wird wohl bei den anderen Preetz als Elfmeterschütze angegeben sein, kann ja mal passieren, auch wenn sich Preetz und Akpoborie gar nicht so sehr ähneln. Die Probe aufs Exempel: tatsächlich, bei den Weltfußballern traf Preetz zum Ausgleich, und zwar, äh, in der 49. Minute und ohne Elfmeter.

Und jetzt? Könnte man sich natürlich auf den Standpunkt stellen, dass es letztlich für die Torschützenkönigsfrage egal ist – Preetz war vorne, sei es mit 16 Treffern, sei es mit deren 17. Aber es lässt einen ja auch nicht unbedingt wieder los. Also fragt man die Fans. Im Saarbrücker Fanportal ludwigspark.de finden sich natürlich auch Daten zum Spiel. Torschütze? Akpoborie, 71., Foulelfmeter. Warum die recht haben? Weil eine Reihe kundiger Kommentatoren vom Spiel erzählt und keiner an der Spielstatistik etwas auszusetzen hatte. Ungeklärt bleibt bis dato die Frage, was sich in jener 49. Minute ereignet hat. Möchte sich jemand in einem Zeitungsarchiv vergraben?

Wer dann Blut geleckt hat, ist zudem herzlich eingeladen, den weiteren Diskrepanzen zwischen den einzelnen Übersichten auf den Grund zu gehen, angefangen bei Volker Graul 1975 (29 oder 30?), über Horst Hrubesch 1978 (41 oder 42?) und Rekordtorschützenkönig Emanuel Günther 1980 (28 oder 29?) bis hin zu was-weiß-ich-denn-wem.

Wieso ich mich mit so etwas beschäftige? Na, wegen Nils Petersen natürlich! In einer Fußballrunde vertrat kürzlich jemand die Ansicht, dass die Bayern mit dem jungen Mann “eine der besten Investitionen der letzten Jahre” getätigt hätten, die sich bezahlt machen würde. Möglicherweise hat er recht. Ohne allzu intensiv darüber nachzudenken, warf ich die Frage in den Raum, welche Zweitligatorschützenkönige in den vergangenen, sagen wir, 15 Jahren auch in der ersten Liga so richtig erfolgreich gewesen seien. Ich nannte selbst (man will ja seine Fragen auch beantworten) sogleich Mintal und später – wohl wissend, dass damit die 15 Jahre schon überschritten waren – auch Preetz, Völler und Burgsmüller. Andere brachten Labbadia ins Spiel, von dem wir, oder zumindest ich, fälschlicherweise glaubten, dass seine Zweitligaerfolge länger zurücklägen. Thurks Bundesligaresultate schienen überschaubar, keiner dachte an Leute wie Woronin oder Podolski, oder gar an Fritz Walter, den Torschützenkönig von 1996, die bei der anschließenden nächtlichen Statistikrunde am heimischen Rechner (Ausgangspunkt: natürlich der Trainer) sogleich ins Auge fielen.

Wobei die genannten Walter, Labbadia oder Burgsmüller, wie auch einige weitere Spieler, nur schwer mit Jungspunden wie Petersen zu vergleichen sind: sie wurden in fortgeschrittenem Alter Zweitligaschützenkönige und klopften nicht erst an das Tor nach oben an. Labbadia und Burgsmüller kehrten danach noch einmal ins Oberhaus zurück, während Fritz Walter und Lothar Emmerich nach ihren Bundesliga-Torjägerkanonen zum Schluss ihrer Laufbahn noch ein wenig die zweite Liga aufmischten (Walters noch folgende drei Bundesligaspiele lasse ich einmal unter den Tisch fallen). Auch Horst Hrubesch hatte bei seinem Zweitligarekord schon zwei Jahre erste Liga mit insgesamt knapp 40 Toren hinter sich.

Mehr als zwei Drittel der Zweitligatorschützenkönige absolvierten das Jahr darauf ganz oder teilweise in der Bundesliga, sei es nach dem von ihnen maßgeblich miterrungenen Aufstieg, oder eben nach dem häufig offensichtlich unvermeidlichen Wechsel zu einem Bundesligisten. Von jenen, die in der zweiten Liga blieben, konnten insbesondere Karl-Heinz Mödrath mit 26, Artur Wichniarek als erneuter Schützenkönig mit 20 und Radek Drulak mit 19 Treffern ihre Vorjahresergebisse bestätigen, Angelo Vier war zweimal in Folge mit jeweils 18 Treffern die Nummer 1. In der Bundesliga konnte er sich indes nicht durchsetzen, was man in ähnlicher Form wohl auch von Giovanni Federico, Francisco Copado oder VfB-Legende Leo Bunk sagen kann.

Die beeindruckendsten Bilanzen im Oberhaus können das Phantom Marek Mintal und Rudi Völler vorweisen, die sich mit 24 bzw. 23 Treffern sogleich zum Bundesligatorschützenkönig kürten, auch Phantomtorschütze Michael Preetz ist das später noch gelungen, und natürlich muss man Manfred Burgsmüller nennen, der 1985/86 zunächst in 15 Spielen für RW Oberhausen 7 Zweitligatreffer und anschließend für Werder Bremen 13 Treffer in 20 Bundesligaspielen erzielte. Mit 36. In den letzten Jahren beeindruckten noch Novakovic’ 16 (auch er gewiss kein heuriger Hase) und Podolskis 12 Bundesligatore, die auch Wichniarek 2000 erreicht hatte.

Dieter Schatzschneider, Rekordtorschütze der zweiten Liga, reichte oben nicht annähernd an seine Quote heran, ähnliches gilt für Sven Demandt. Cedrick Makiadi war in der Tat einmal Zweitliga-Schützenkönig, gilt in der Bundesliga aber gewiss nicht als Torjäger, und die 35 Zweitligatore in der Saison 1979/80 von Christian Sackewitz, den ich in erster Linie als mäßig torgefährlichen Spieler für Bielefeld und Uerdingen in Erinnerung hatte, haben mich komplett überrascht.

Und dann muss man bei der trockenen Statistiksichtung schlucken, wenn man über Mucki Banach und den schwerkranken Michael Tönnies stolpert.

Wer den ersten Fehler macht

So sieht also ein perfekter Spieltag aus.

Alle Tabellennachbarn verlieren oder einigen sich auf ein Unentschieden, das keinem hilft, während der VfB – und hier sind wir an dem Punkt, wo es normalerweise hakt – tatsächlich die Gunst der Stunde nutzt und erstmals in dieser Saison mehr als zwei Punkte zwischen sich und die Abstiegsplätze legt.

Fühlt sich irgendwie gut an, auch wenn mich das am Wochenende etwas zu oft gelesene und gehörte “Stuttgart darf durchatmen” ziemlich irritiert. Wenn man gegen den HSV und in Hoffenheim mindestens vier Punkte holt und die anderen so weitermachen, bin ich zum Durchatmen bereit, zuvor eher nicht. Schön, dass die Spieler das ähnlich zu sehen scheinen. Im Übrigen ist es mir natürlich wichtig, mit meiner Bayern-Illusion recht zu behalten.

Leider war ich kein Teil der allem Anschein nach recht beeindruckenden Stuttgarter Delegation, die die Mannschaft in Köln unterstützte. Vielmehr saß ich in der Fußballkneipe meines Vertrauens und hörte mir an, wie schlecht dieser Japaner doch sei, der lieber bei den Amateuren spielen solle, und dass man doch den Schipplock bringen müsse, und dieser Italiener – furchtbar. Alles wie gehabt, man kennt ja seine Pappenheimer.

Fernsehsport also. Mit Tom Bayer, der dann irgendwann Mitte der zweiten Hälfte, als das Spiel weitgehend gelaufen war, die Meinung vertrat, es sei abzusehen gewesen, dass die Mannschaft, die den ersten Fehler mache, in Rückstand geraten und das Spiel verlieren würde. Nun will ich nicht auf die Stuttgarter Erfahrungen mit Führungen eingehen, die Lauterer Wunden sind noch zu frisch, aber mal im Ernst: wenn es nach den billigen Fehlern ginge, wären wir so ungefähr mit einem 10:10 in die Pause gegangen. Wenn – und nun folgt eine unrecherchierte Beispielsammlung – selbst Hajnal mehr als einen Pass über fünf oder weniger Meter dem Gegner in die Beine spielt, wenn Christian Eichner in einer harmlosen Situation aus 8 Metern nicht in der Lage ist, den eigenen Torwart anzuspielen und statt dessen eine Ecke verursacht, wenn 6 (?) Stuttgarter zusehen, wie Lukas Podolski einen Freistoß an der Strafraumgrenze schnell ausführen und Christian Clemens allein auf den Weg zu Sven Ulreich schicken darf, dann fällt es mir schwer, eine Analyse ernst zu nehmen, die ernsthaft behauptet, man habe damit rechnen müssen, dass der erste Fehler das Spiel entscheide.

Natürlich war der VfB letztlich ein verdienter Sieger, natürlich kann man die erste Halbzeit so darstellen, dass man hinten auf beiden Seiten nichts anbrennen ließ, natürlich war die Steigerung nach der Pause unverkennbar, aber weit von Not gegen Elend war das doch nicht entfernt in Halbzeit eins, oder? Von den offensiven Slapstickeinlagen der Herren Harnik und Okazaki einerseits sowie Kuzmanovic andererseits gar nicht zu reden. So läuft das halt mitunter im Abstiegskampf, da herrscht Verunsicherung, da macht man auch mal leichte Fehler, damit kann ich leben. Aber ich möchte es bitte nicht implizit mit Spielen vergleichen wissen, bei denen sich taktisch bestens geschulte und auch entsprechend agierende Mannschaften gegenseitig neutralisieren, keine Torchancen, nicht einmal minimale Freiräume zulassen und tatsächlich auf den einen Fehler warten, auf die zwei Meter falschen Laufwegs, die die Chance zum Torabschluss eröffnen.

Wie auch immer: der VfB hat also die erste Unsicherheit in der Kölner Abwehr ausgenutzt, Träsch durfte 50 Meter durch das Mittelfeld laufen, und weil sich seine Mitspieler erfolgreich darauf beschränkten, ihre Gegenspieler zu binden, schoss er halt das 1:0. Gut so. Der Doppelschlag beruhigte ungemein, der geschenkte Elfmeter tat das Übrige – schön, dass Kuzmanovic mal die Ecke wechselte.

Wer war eigentlich der letzte Stuttgarter Rechtsverteidiger vor Khalid Boulahrouz, der in einem einzigen Spiel zweimal von der Grundlinie in die Mitte passte? Hinkel? In der Tat gab es, allen Stockfehlern, Befreiungsschlägen und Fehlpässen zum Trotz, und über den reinen Kampfgeist und Siegeswillen hinaus, eine Reihe ansehnlicher Aktionen zu verzeichnen. Cacau setzte die Kollegen verschiedentlich schön in Szene, Hajnal ohnehin, in der zweiten Halbzeit bewegte auch Molinaro auf der linken Seite das eine oder andere, und Träsch hat das Formtief, das die Stuttgarter Zeitung noch am Spieltag mit der Kapitänsbürde in Verbindung brachte, mit der Binde in der Tat wieder abgegeben – ohne dass ich die Kausaliätät so sehen würde.

Gentner und Delpierre wurde zum Schluss von Bruno Labbadia vor Augen geführt, dass sie zur Mannschaft gehören, Schipplock durfte etwas länger ran, ohne allerdings das Vertrauen des Kneipenkrakeelers in Gänze zu rechtfertigen. Egal. Er hat sein Tor am Millerntor gemacht, das ist mehr, als ich mir je von ihm erhofft hatte. Wäre schön, wenn St. Pauli trotzdem vor Wolfsburg bliebe.