Farbverwirrung

Das Spiel lief seit wenigen Minuten. Die beiden kamen zur Tür herein, der Nachbartisch sprang kollektiv auf, ohne jedoch die erwarteten Begrüßungsrituale ausführlich zelebrieren zu können – man hatte sie mit einem kurzen “Du kommst gerade rechtzeitig, um einen unsinnigen Elfmeter zu sehen” sogleich in medias res geholt.

Natürlich ist der geneigten Leserin, und insbesondere ihr, sofort die Inkongruenz der Pronomina aufgefallen, aber das soll jetzt nicht unser Thema sein. Der Herr, dem der durch keinerlei Hintergrundwissen belastete Kneipengänger unterstellen würde, sich als Edelfan zu verstehen, ließ also die Begrüßungsszenen Begrüßungsszenen sein und setzte sich rasch hin, um besagten Elfmeter nicht zu verpassen.

Nando Rafael lief an und schoss in die linke untere Ecke, Sven Ulreich streckte sich vergebens, und der Neuankömmling setzte zur Jubelsäge an. Ich gebe zu, zunächst ein wenig irritiert gewesen zu sein. Weniger ob des Umstands, dass sich ein Anhänger der Augsburger in die Fußballkneipe meines Vertrauens verirrt hatte, den ich noch dazu aufgrund seines Idioms der Brustringfraktion zugerechnet hatte, sondern vielmehr darüber, dass er dies auch so offen zur Schau trug.

Gerade wollte ich mit meinem Nebensitzer einen tadelnden Blick wechseln, hatte selbigen, ohne Tadel, aber noch nicht von besagtem Herrn abgewandt, der den Jubel, an seine Mitsitzer gewandt, nun auch noch verbal unterlegte:

“Cacau!”

Ah, ja. Und plötzlich musste ich an jenen Amateurfußballer von damals denken, der einen neuen Mitspieler nach dessen sportlicher Herkunft fragte:

“Ach was, Du hast in Soundsohausen gespielt?”
“Ja, ich wohne auch noch da und schau mir deren Spiele an.”
“Dann grüß mal den Sokolov von mir.  Mit dem hab ich früher höherklassig gekickt, war ein guter Kumpel. Und ein klasse Fußballer.”
“Sokolov, genau. Ich habe jetzt aber den Namen meiner Frau angenommen.”

Der Blick zum Nebensitzer fiel dann weniger tadelnd aus als vielmehr belustigt den Kopf schüttelnd. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten, übrigens – Sven Ulreichs elfmeterreifes Foul hatte zuvor eine ähnliche Reaktion hervorgerufen, vielleicht etwas harscher. Noch unbeherrschter war eigentlich nur jenes Kopfschütteln gewesen, das der Gewissheit folgte, dass erneut Arthur Boka beginnen würde.

Immerhin: Zur Pause durfte er sich seiner, wenn ich Bruno Labbadia recht verstehe,  gegenwärtigen Kernkompetenz widmen, dem Videostudium, und Cristian Molinaro nahm seinen Platz ein – nicht ohne sich an einem Boka-Gedächtnisdribbling in den eigenen Strafraum hinein zu versuchen, aber eben auch mit einer großartigen Rettungstat und vor allem ohne das Gefühl beim Zuschauer, bei jedem Ballkontakt den Atem anhalten zu müssen. Ist zur Zeit leider so bei Boka, war aber, so viel Ehrlichkeit muss sein, auch schon ganz anders.

Irgendwie bezweifle ich, dass man sich an dieses Spiel allzu lange erinnern wird. Was sich, zumindest auf mich bezogen, schon wenige Stunden nach Abpfiff bestätigt. Ein Pflichtsieg, letztlich, was man jetzt, da es tatsächlich einer geworden ist, leicht sagen kann. Zwischendurch sah das auch mal anders aus. Wobei “zwischendurch” den Großteil des Spiels ausmachte, in unterschiedlichen Schattierungen von “anders”.

Harnik traf endlich wieder einmal, die Erleichterung war seinem Jubel anzusehen, Augsburg ließ den kurzen Pfosten frei, Hajnal machte das Spiel vereinzelt wunderbar schnell, später tat Ibisevic, was er am besten kann, der “japanische Philipp Lahm” (so Marco Hagemann) hatte gegen Bellinghausen und Ostrzolek phasenweise zu kämpfen, Bibiana Steinhaus lachte irritiert ob Molinaros Einwechselritual, und Cacau kam dann auch noch zum Einsatz.

Sieht Nando Rafael ja auch ganz schön ähnlich.