Das andere UnReal Life

Um gleich mal mit der Tür ins Haus zu fallen: ich habe oft Lindenstraße geschaut, recht regelmäßig Marienhof, manchmal Unter Uns und gelegentlich auch GZSZ. Und noch einiges mehr.

Phasenweise bin ich recht tief eingestiegen, habe mich für den Fortgang der Geschichte interessiert, und wenn es ganz schlimm kam, musste ich kurz nachdenken, ob ich eine Geschichte aus dem echten Leben kannte oder nur aus einer Serie: “Ja, mir hat neulich auch jemand von einem gekauften Doktortitel erzählt – ach nee, das war ja Carsten Flöter.”

Genug der Übertreibungen. Heute kann es zwar noch immer vorkommen, dass ich mich kurzzeitig (zu) tief in eine Serie versenke; viel mehr als das Übernehmen gewisser Zitate resultiert daraus aber nicht. Copy that?

Ich stehe also mit beiden Füßen auf der Erde, im Real Life sozusagen. Oder auch nicht: an die Stelle von Fernsehserien ist ein anderes UnReal Life getreten. Das aus Blogs, Twitter und dem anderen Kram: als ich neulich von den gesundheitlichen Problemen eines Bekannten erfuhr, war mir sogleich klar, dass ich kurz zuvor etwas Ähnliches gehört und Anteil genommen hatte, und zwar bei, äh, dogfood.

Mir ist schon klar, dass seine Erkrankung sehr real war und in ihrem Konsequenzen noch immer ist, dennoch: zu meinem Real Life zählt dogfood im engeren Sinne (d.h. wenn man seinen Einfluss auf meine Seh- und Lesegewohnheiten außer acht lässt) nicht. Gleichwohl ist mein Interesse deutlich größer und die Informationen weitaus umfangreicher als zum Teil bei Menschen, die ich gelegentlich persönlich treffe.

Muss mich das beunruhigen? Ich denke nicht – insbesondere nicht in einem solchen Fall, in dem es um Anteilnahme und, ein großes Wort, Mitgefühl geht. Aber es gibt ja auch noch die anderen Fälle, die belanglosen, wenn man fast unterbewusst feststellt, dass sich da wohl etwas aus dem Netz ins Real Life hinübergeschummelt hat:

tweet_finger_auge_trainer

Falls jemand nicht weiß, wovon damals die Rede war:

trainer_header

Überhaupt, Bilder. Beziehungsweise Avatare:

Wenn ein Mitmensch die Unterarme zum Schattenspiel kreuzt (was in der Form eher selten geschieht), denke ich an @oliverg, die Legomännchen meines Sohnes erinnern mich an @probek, und so weiter und so weiter. Und wenn jemand seinen eigenen Avatar nicht zu kennen scheint, muss er bzw. sie halt daran erinnert werden:

tweet_rudelbildungWomit wir bei Twitter wären, das – allein schon der Frequenz wegen – in punkto UnReal Life deutlich penetranter wirkt als Blogs und diese irgendwie überlagert. Um beim obigen Beispiel zu bleiben: fallen beispielsweise die Begriffe “Union” und “Steffi”, lautet mein erster Gedanke “@rudelbildung”. Dabei betreibt die selbe Person doch ein großartiges Blog mit dem noch großartigeren Namen “Textilvergehen“, der bei mir aus den genannten Gründen etwas in den Hintergrund gerückt ist.

So ist es halt, dieses Twitter. Es ist schneller, kommunikativer, kurzlebiger, es frisst Zeit, und es bereichert mein Real Life. Genau wie das andere Social Zeug. Anders als Marienhof. Weil’s einfach realer ist, denke ich.