Zrrttn!

Da tut man eine Reise, eine erlebnisreiche noch dazu, in die Großstadt, mit einer Reihe erquicklicher Begegnungen, Wiedersehensfreude und allem, was dazugehört, und dann muss man sich eingestehen, dass man zwar manches zu erzählen hätte, dass aber erst einmal dieses “Zrrttn!” im Gedächtnis haften geblieben ist.

Hat der Mann in der U-Bahn immer gesagt. Zumindest in der einen; bei den anderen Fahrten war es mir nicht aufgefallen. Und ich weiß halt nicht, ob in den Münchner U-Bahnen immer die selben Ansagen abgespielt werden, oder ob sie vielleicht doch nur inhaltlich gleich sind, vielleicht von verschiedenen Menschen eingesprochen. Sagen die Fahrerinnen und Fahrer gar stets im Livebetrieb “Zrrttn!”, und was wollen sie überhaupt zerrütten?

Lauter Fragen, die ich nicht beantworten kann, die ich im Grunde auch gar nicht beantworten will, aber irgendwie muss ich doch dieses “Zrrttn!” loswerden, bei dem ich mir mittlerweile zusammengereimt habe, dass es tatsächlich wohl eher “Zurücktreten!” hieß. Aber es hängt fest. Zrrttn! Zrrttn! Zrrttn! Z u r ü c k t r e t e n!

Nun möge sich die geneigte Leserin bitte nicht in die Irre führen lassen und zu dem Schluss kommen, ich wolle mich mit Gerd E. Mäuser befassen, oder gar mit Bruno Labbadia. Vielmehr geht es um die große Bühne, auf der, seien wir ehrlich, Olympique Marseille in diesen Tagen in etwa genau so viel verloren hatte wie es der VfB hätte. Nichts.

Und so bin ich nicht nur ein bisschen froh, dass l’OM nicht furchtbar unter die Räder kam gestern, an einem Ort, dem die einheimischen Twitteruser interessanterweise die Abkürzung “AA” widmen, die bei mir bis dato anders besetzt war. Kurz gestutzt habe ich schon. Aber egal. 2:0 für die Bayern, das spiegelt die Kräfteverhältnisse wohl nicht einmal ansatzweise wider – vermutlich hätte Ribéry seinen Kampf gegen den Gegner und dessen Anhänger auch ganz allein erfolgreich bestritten. Ok, zwei Chancen hatten die Gäste vor der Pause, und wenn sie bei der ersten nicht so fassungslos gewesen wären, plötzlich zu dritt allein im gegnerischen Strafraum zu stehen, hätten sie wohl das 1:0 erzielt und das Spiel einen ganz anderen Verlauf genommen kurzzeitig eine Illusion von Spannung vermittelt.

Im Lauf so eines Spiels fragt man sich dann ja auch von Zeit zu Zeit, wie es dazu kommen konnte, dass diese Mannschaft, die sich im Spätherbst allem Anschein nach gefangen hatte, im Jahr 2012 von einer Enttäuschung zur nächsten eilt, vielleicht eher schlendert, und weiß gleichzeitig, dass man das Geschehen viel zu wenig verfolgt, um sich ein Urteil bilden zu können. Und doch wüsste man gern, wo der André Ayew geblieben ist, den man sich vor der vergangenen Saison nach Stuttgart wünschte, und wer der uninspirierte Alleinunterhalter in seinem Trikot war. Man hört auf, die Fehlpässe des dereinst verlässlichen Cheyrou zu zählen, fragt sich, wieso Loïc Rémy so gar nicht mitspielen will, wundert sich über den plumpen Jérémy Morel und bedauert Matthieu Valbuena, wenn er einen weiteren Defensivzweikampf gegen Franck Ribéry bestreiten muss.

Aber es war eine wahre Freude, wieder einmal ein “Aux Armes!” live im Stadion zu hören – und dann doch ganz vorsichtig die Lippen mitzubewegen, mehr schien angesichts der Übermacht umsitzender Klatschpappen nicht geboten. In der Tat ging es bemerkenswert laut zu in der AA – die Zuschauer nahmen die Vorlage des Vereins, der so zumindest kurzzeitig die Verantwortung für die Stimmung im Stadion übernommen hat, gerne auf.

À propos Stimmung: Ein wenig überrascht hat mich die anhand der Reaktionen auf die Zwischenergebnisse deutlich gewordene klare Präferenz für den AC Milan gegenüber dem FC Barcelona. Der gewohnt sachkundige Herr @probek mutmaßte, es könne mit Mark van Bommel zu tun haben, was für ihn persönlich ganz bestimmt gilt und was ich mir durchaus auch für andere Zuschauer vorstellen kann. Und doch konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es nicht erst in letzter Linie mit dem Wunsch zu tun habe, Barcelona in einem möglichen Finale aus dem Weg gehen zu können.

Dabei wäre das sehr wohl nachvollziehbar. Nur, wie gesagt, ich hätte nicht mit so einem, sofern mein akustischer Eindruck zutraf, klaren Meinungsbild gerechnet. Hätte mir sogar vorstellen können, dass man gerade danach trachte, dem allenthalben als Gralshüter des schönen, modernen und erfolgreichen Fußballs verehrten FC Barcelona im Endspiel die Grenzen aufzuzeigen. Wilde Spekulationen, ich weiß, und auch nicht wichtig. Im Grunde hatte ich wohl eine neutrale Haltung erwartet. Man ist ja schließlich man.

Aber all das war natürlich nur das Vorspiel zum eigentlichen Höhepunkt der Reise, dem Captain’s Dinner Zusammentreffen mit einer ganzen Reihe ranghoher FCB-Protagonisten in den sozialen Netzen. Angefangen bei Herrn @lik0n, der mir eine ungefälschte Karte verkaufte, über den vom Großmeister der urbanen Neurose beim Sitzen beobachteten @stehblog, der sich mit ungefälschten Karten besonders gut auskennt, den im Sonntagsstaat erschienenen @mickyrust bis hin zu Frau @ankegroener und Herrn @probek, die die angekündigten starken Gefühle nach dem – vermutlich zu leicht gefallenen – Sieg zunächst ein wenig vermissen ließen.

Was sich in der Küche des Geburtstagskindes aus nahe liegenden Gründen noch ändern sollte (zumgeburtstagvielglückzumgeburtstagvielglück…), aber wer wäre ich, die Gefühle des Herrn probek und seine Begeisterung für bildungsbürgerliche Geschenke (die, ganz viel Asche auf mein Haupt, nicht von mir kamen) schildern zu wollen, wenn nicht einmal Jürgen Bergener ihn danach frug.

Ich verliere mich ein wenig, Verzeihung, freue mich auf einen ohne mein Zutun quasi versprochenen Pfingstkuchen und trete in vorauseilendem Gehorsam zumindest zur Seite.

Zrrttn!