Quervergleiche

Allzu viele Länderspiele habe ich in meinem bisherigen Leben nicht gesehen. Also vor Ort, im Stadion. Immerhin, ein EM-Finale (verloren) und ein WM-Halbfinale (gewonnen, von Frankreich) waren dabei. Ein paar Qualifikationsspiele, darunter eines im Handball, einige wenige Freundschaftsspiele, mehr nicht.

Mein allererstes Länderspiel sah ich erst spät, im März 1995, im Stadion an der Lansdowne Road in Dublin. Irland empfing Frankreich und war dabei ziemlich chancenlos, was meinem irischen Umfeld zwar nicht so recht gefiel, letztlich aber gar nicht so viel mehr als eine Randnotiz blieb. Auf französischer Seite blieb mir in erster Linie der auffallend agile Émile Ntamack in Erinnerung, der einen Versuch legte und zwei Kicks verwertete – die beiden einzigen seiner Länderspielkarriere, wie ich den unendlichen Weiten des Internets entnommen habe.

Genau: ich war beim Rugby, hatte viel Spaß und wenig Ahnung, und genoss die Atmosphäre. Und ja, ich zog schon damals den Quervergleich zum Fußball, ungefragt, quasi. Man sang, feuerte an, war friedlich – sowohl im Stadion als auch hinterher beim gemeinsamen Feiern. Klingt wie aus einer klischeebeladenen Sportsendungsfilmchen über Irland, oder Rugby, oder beides, und entsprach damals exakt meiner Wahrnehmung.

Den Großteil des Abends verbrachten wir im Jurys Hotel, wo eine ziemlich große franko-irische Party stattfand, deren Hauptattraktion in meiner spärlichen Erinnerung darin bestand, dass ein französisches Mitglied unserer Gruppe Éric Cantona täuschend ähnlich sah und sich regelmäßig leicht alkoholisierte Iren huldigend zu seinen Füßen warfen. Anhänger von Crystal Palace waren wohl nicht zugegen.

Zu jener Zeit hatte ich mich, man muss es wohl so sagen, vom Fußball ein bisschen entfremdet, nicht vom ehrlichen eigenen Fußball, wie ihn Martin Harnik so gerne erlebt, sondern vom anderen, großen. Die WM 1994 mag ihren Teil dazu beigetragen haben, andere Sorgen und Freuden junger Leute übten zudem Einfluss auf die Prioritäten aus – eine dieser Freuden war es schließlich auch gewesen, die mich damals hin und wieder gen Irland reisen ließ.

Und in meiner selbstgewählten Distanz war ich gewiss auch ein bisschen empfänglicher für die schönen Seiten des Rugbysports, Sie wissen schon, die Körperlichkeit, die rohe Fairness, der ausgeprägte Teamgedanke, der Respekt für die Schiedsrichter, … ach nein, vergessen Sie Letzteres, das nahm ich damals im Grunde gar nicht wahr.

Ob ich schon Fan gewesen sei, bevor Rugby cool war? Nun, zum einen war es immer cool, mancherorts, was eine billige Antwort ist. Zum anderen: nein. Klar, ich hielt mich fortan stets ein bisschen informiert, verfolgte die Turniere, und wenn mal was im Fernsehen kam, zu erträglichen Uhrzeiten, dann hab ich’s mir auch angesehen. So oft wie in diesem Jahr dürfte ich indes noch nie geschaut haben. Gemeinsam mit meinem Sohn, der eine gewisse Begeisterung entwickelt hat. Ohne dass ich ihn gleich im Verein angemeldet hätte. Aber ein Fan? Nein, das wäre übertrieben. Dafür kenne ich nicht mal die Regeln gut genug.

Wie auch immer: schön war sie, die WM. Und hübsch, wie sie auf Twitter begleitet wurde, offensichtlich von Menschen mit sehr unterschiedlich detailliertem Vorwissen. Regelfragen spielten eine Rolle, natürlich, die medizinische Betreuung während des Spiels, gelegentlich optische Aspekte, dann die Anlaufrituale der Kicker, … ok, das war ich, und nicht bei Twitter, sondern bei den Fünfzeilern:

Ein Anlauf-Ästhet aus Funchal
habe gestisch und mimisch nen Knall?
Guckst Du Rugby, mein Digga!
Ow’n Farrell und Dan Biggar!
CR Sieben? Ein harmloser Fall.

Womit wir erneut bei einem zentralen Element der Rugbybeobachtung wären: dem Fußball-Vergleich. Den ich damals, 1995, auch zog, ich hatte es angedeutet. Der nicht überraschen kann in einem vom Fußball geprägten und mit Rugby noch ein bisschen fremdelnden Umfeld, das manches noch einordnen muss.

Aber ganz ehrlich: beim zehnten Loblied auf den respektvollen Umgang mit den Schiedsrichtern wurde ich ganz allmählich porös, beim siebzehnten Hinweis auf die zum Glück fehlende Schwalben(un)kultur standen meine Ohren längst auf Durchzug, und der Begriff “Videobeweis” blieb bei Twitter schon ziemlich früh in meinem Filter hängen.

Gewiss, es ist vernünftig, sich anzusehen, was in anderen Sportarten vielleicht besser läuft, unabhängig von Bernhard Peters. Ich bin weit davon entfernt, ein Plädoyer für Schwalben oder Rudelbildungen zu halten. Aber manchmal nervt der ständige Querverweis, in seiner Häufigkeit, in seiner Penetranz. Den geschätzten Herrn @nedfuller hat es möglicherweise auch genervt, wenn auch mit anderer Schlussfolgerung:

Fairness. Sportsgeist. Super. Sieht man beim Rugby, und ja, es gefällt. Wieso ich dann nicht mehr Fußball schauen sollte, erschließt sich mir nicht. Da bin ich gerne inkonsistent. Wie in vielen anderen Lebensbereichen auch. Rugby ist großartig. Fußball ist anders. Regeltechnisch, meinetwegen auch moralisch. Fußball ist großartig.

Und so war es mir eine große Freude, am Tag nach dem WM-Finale ins Fußballstadion zu gehen, mich über Fouls, Schwalben und Zeitspiel zu echauffieren, den Schiedsrichter in seiner Kartenvergabe für einseitig zu halten und dies auch kundzutun, und fast hatte ich ein bisschen Mitleid mit Darmstadts Luca Caldirola, den beim Torjubel ob seines vor der Linie abgewehrten Kopfballs erst nach einigen Sekunden die Erkenntnis ereilte, dass diese verdammte Torlinientechnik jeden Versuch, die Entscheidung des Schiedsrichters zu beeinflussen, obsolet machte.

Ansonsten bot das Spiel zunächst einmal das, was man erwarten durfte: einen Sieg gegen den Aufsteiger aus Darmstadt. Einen Torwart, der wieder einmal einen Elfmeter verursachte und sich außerhalb des Strafraums in Platzverweisgefahr begab. Vor Ersterem schützte ihn rückwirkend der Linienrichter, vor Letzterem die Kombination aus Körperbeherrschung und einem Vernunftschub. Und so wurde er in der zweiten Halbzeit zu dem Mann, der den Sieg in bemerkenswerter Weise festhielt. So kann’s gehen.

Erwarten durfte man auch die Rückkehr der beiden planmäßigen Sechser, die auch mal Achter sein mögen, der Herren Gentner und Dié. Doch Daniel Schwaab streckte den Kopf heraus und rief “Ich bin schon daa-ha!” So kann’s gehen. Also suchten sich die beiden neue Betätigungsfelder, etwas weiter außen, was insbesondere Serey Dié nicht sonderlich gut bekam (drüben beim Vertikalpass sahen sie eher Gentner in einer zu schwachen Rolle). Mir war er viel zu weit rechts, mal beim Verteidiger, mal als verkappter Außenstürmer, aber mit viel zu wenig Einfluss auf das Spiel und seiner Stärken in der Balleroberung beraubt. Vom erneuten Platzverweiswunschverdacht gar nicht zu reden. Das war nix. Also das andere nix, nicht gar nix. Aber nicht das, was ich von ihm erwarte.

Der Gedanke, dass sich Daniel Schwaab auf der Sechs festgespielt haben könnte, zählt nicht zu meinen liebsten. Auch wenn er sich gegen Darmstadt solide zeigte. Vermutlich wird der Trainer aber zumindest am Samstag in München noch daran festhalten. Und nein, ich wünsche mir nicht, dass er auf bittere Weise vorgeführt wird.

Vielmehr hoffe ich, dass Timo Werner und Filip Kostić nach diesem Spiel einen prominenteren Platz auf dem Münchner Einkaufszettel einnehmen werden. Was ein zweischneidiger Gedanke ist. Weiterhin wage ich zu hoffen, dass man hernach von einer erfolgreichen “Reifeprüfung” der Innenverteidigung sprechen wird. Dass Insúa seine Leistungen bestätigt, Klein aber nicht. Dass Tytoń und Dié durchspielen dürfen, Werner aber in der 88. mit Sprechchören der Fans und Kusshänden des Trainers verabschiedet wird.

Und dass dem Schiedsrichter respektvoll begegnet wird, selbstredend.

Zwischenbescheid

Die Saison läuft. Hier noch nicht, offensichtlich, aber sonst überall. Auf den Trainings- und Testspielplätzen der Republik und der Trainingslagerpauschalanbieter, in Fernsehen, Zeitungen und Gerüchteküchen, mitunter auch in den Blogs, obschon auch dort der eine oder die andere eine sommerliche Brise durchwehen und den Herzensverein einfach mal eine Weile Herzensverein sein ließ. Die wunderbaren Kollegen vom Vertikalpass und von Goldmann saxt focht das nur ein bisschen an – sie zeigten weiterhin Flagge, nur ein kleines bisschen seltener, dafür ein etwas größeres bisschen grundsätzlicher. Schön so.

Hier, also genau hier, herrschte indes beredtes Schweigen, das wohl als Ausweis eines gewissen erarbeiteten Grundvertrauens in Robin Dutt und eines Vertrauensvorschusses für Alexander Zorniger gelten darf. Letzterer scheint sportlich so manches verändern zu wollen, was vielerorts für eine gewisse Unruhe sorgt, so auch bei mir, wo sich Besorgnis und Vorfreude ob der so nicht angekündigten, sondern lediglich von mir so interpretierten Jagd nach dem Ball nicht ganz die Waage halten, will sagen: ja, der Gedanke, die Spielweise und -freude der letzten paar Saisonspiele könnten ein kurzes Intermezzo und Vergnügen gewesen sein, missfällt mir; der Gedanke, Zorniger könnte wissen, was er tut, und würde zudem einen Teufel tun, Filip Kostić’ Stärken zu ignorieren, ist indes deutlich stärker.

Oder war es zumindest, ehe mit Martin Harnik ein von mir nicht zuletzt abseits des Feldes sehr geschätzter Spieler nach meiner Lesart überraschend deutlich seine Skepsis gegenüber dem neuen System, oder dessen Umsestzbarkeit zum Ausdruck brachte. Was natürlich auch an einer verzerrten medialen Darstellung liegen kann, oder daran, dass Harnik selbst seine Felle davon schwimmen sieht – ich kann das nicht beurteilen, weiß ja nicht, was in den Vorbereitungsspielen so passiert, aber es wäre natürlich denkbar, dass der Trainer im neuen System, wiewohl Harnik als schneller Stürmer gut geeignet scheint, dann doch eher Timo Werner neben Daniel Ginczek sieht. Aber jetzt wird’s hier schon wieder viel zu wild.

Wie ich in den letzten Wochen also so gar nichts andachte, sprang mir zufällig die Sache mit den beiden misslungenen Schalker Medizinchecks ins Auge, die sich dann unversehens in einen 140zeichigen Fünfzeiler gedrängt sahen:

Da waren sie also wieder, diese leidigen fünf Zeilen, die sich in mein Gehirn bohren und mich schubweise nicht in Ruhe lassen, langjährige Mitlesende mögen sich erinnern. Damit mir künftig für solche Fälle ein Ventil zur Verfügung gestellt, habe ich einen Tumblr mit dem ebenso überraschenden wie überraschend freien Namen fuenfzeiler.tumblr.com auf die Beine gestellt und dort ein paar Verse veröffentlicht. Ohne expliziten thematischen Fokus, aber ganz unvorbereitet wird es die Lesende nicht treffen, wenn auch dort gelegentlich von Sport oder gar Fußball die Rede ist.  Vom VfB eher nicht, bis dato, aber auch das mag sich noch ändern.

Kurz zum VfB geäußert habe ich mich indes im Saisonheft der 11 Freunde. Betonung auf kurz, denn wie schon im Vorjahr ist der Raum für die bloggenden Zulieferer deutlich knapper bemessen als in früheren Jahren. Da indes der Fragebogen selbst nach wie vor die alte Länge hat, dokumentiere ich nachfolgend meine Antworten, deren Einordnung möglicherweise durch die Information erleichtert wird, dass zum Zeitpunkt der Beantwortung der Wechsel von Sven Ulreich bereits bekannt war, das Karriereende von Marcell Jansen indes noch nicht, und auch das VfB-Trikot war noch nicht offiziell vorgestellt worden.

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Die neue Saison wird legendär, weil

sie wie immer dazu verdammt ist, die legendärste Bundesligasaison aller Zeiten und Welten zu sein.

Wenn ich an die vergangene Saison denke, dann…

… erinnere ich* mich glücklicherweise nur noch an die letzten paar Spiele – und träume konsequenterweise von Europa 2016.

Wenn ich einen durchgeknallten russischen Milliardär kennenlerne, kaufe ich meinem Klub

… ein bisschen Geduld. Um einen behutsamen Weg in andere Tabellenregionen nicht an kurzfristigen Ambitionen scheitern zu lassen. Ach, und Joshua Kimmich.

Mein schlimmster Albtraum…

wäre am Saisonende, den VfB mal kurz VfB sein lassend, eine aufgeblähte Europameisterschaft, bei der jedes zweite Uefa-Mitglied teilnehmen darf und der Weltmeister zusieht.

Mein Held vergangener Jahre…

heißt, um mal nicht ganz so weit in die Vergangenheit zu blicken, Sami Khedira. Wir durften ihm ein paar Jahre aus der Nähe zusehen, feiern seinen Meisterschaftskopfball noch heute und wussten lange vor Kevin-Prince Boateng, dass er in Südafrika eine wichtige Rolle spielen würde. Es ist kein Zufall – und keine Selbstverständlichkeit –, dass in Stuttgart nach wie vor nur in den höchsten Tönen von ihm gesprochen wird.

Die lustigste Fan-Aktion der vergangenen Saison war

Lustig war gar nicht so en vogue. Aber das ebenso entschlossene wie melodische “Nazis und Idioten”, mit dem mein Stadionnachbar deren Schmähgesang “Schwule und Zigeuner” kaperte, hat sich einen Platz in meinem Herzen gesichert.

Auf Auswärtsfahrten darf niemals fehlen…

Da ich leider nur sehr selten auswärts fahre, darf bei diesen Spielen vor allem eines nicht fehlen: der Zugang zu einer Fußballkneipe mit Konferenzabneigung und VfB-Sympathie.

Ich gehe nie wieder ins Stadion, wenn …

Quatsch! Ich gehe immer wieder in Fußballstadien. Das könnte, so inkonsequent das auch sein mag, selbst eine konzertierte Aktion aller regelmäßig verdammten Geißeln des heutigen Fußballs nicht verhindern.

Mit einer Klatschpappe kann man prima…

Gibt’s die noch? Vielleicht befinde ich mich in einer privilegierten Situationen, aber ich kann mich nicht erinnern, in der Cannstatter Kurve eine gesehen zu haben.

Mein Verein muss an den DFB Strafe zahlen, weil wir im Stadion

die zulässige Dezibelzahl überschritten haben, oder wie war das? Und vor allem: Wer hätte das vom ach so anspruchsvollen Stuttgarter Publikum gedacht?

Unser aktuelles Trikot ist…

… bis dato noch nicht vorgestellt worden. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es diesmal weiß wird, vielleicht mit einem roten Ring auf der Brust. Möglicherweise auch noch auf dem Rücken.

Wenn Pep Guardiola im nächsten Jahr nicht mindestens vier Titel holt, dann

… steht zu befürchten, dass irgendwo ein Sack Reis umfällt.

Auf diese Schlagzeile warte ich schon seit Jahren…

Ulreich sichert seinem Verein die Europa-League-Qualifikation.

Diesen Fußball-Twitteraccount habe ich immer im Auge…

@collinaserben. Ich bin nicht immer einverstanden, gelegentlich auch dezidiert anderer Meinung, schätze aber den Blickwinkel und dessen Vermittlung. Und bewundere das dicke Fell.

Der nächste Pokal im Trophäenschrank meines Klubs ist…

… selbstverständlich nur eine Frage der Zeit. Dass es allerdings mit dem obligatorischen einen Meistertitel pro Jahrzehnt auch in den 10er Jahren klappt, wage ich noch nicht mit letzter Gewissheit zu behaupten

Fußball gucke ich am liebsten

Ja. Nach wie vor.

Die Erste Liga verlässt nach unten…

Die letzten Jahre hatte ich mich hier auf Peter Gagelmann kapriziert. Aber das Ding ist ja durch. Dann halt etwas seriöser: sorry, Ihr Lilien! Und die Hertha würde mich noch etwas weniger überraschen als die acht bis zehn ähnlich ernsthaften Kandidaten.

Gegner des HSV in der Relegation wird…

Drei Mal sei Hamburger Recht, wollt Ihr sagen? Von mir aus. Solange der VfB mindestens einen Platz vor dem Relegationsrang steht, ist mir völlig egal, ob der HSV absteigt oder nicht. Auch wenn man sich das dort nur schwer vorstellen kann.

Folgender Filmtitel beschreibt meinen Verein perfekt:

Planet der Affen

Wenn ich Trainer wäre, würde ich zuallererst…

… Twitter fragen. #followerpower!

Wenn Aliens auf der Erde landen und ich ihnen Fußball erklären müsste, würde ich sagen…

Hier, Euer Ball. Macht mal, das wird schon.

Die Superkraft meines Vereins ist…

Linksverteidiger zu verpflichten, die eigentlich keine sind. Unerklärlich, dass Marcell Jansen hier noch nicht unter Vertrag war.

Der USA-Franchise-Name meines Klubs wäre…

Wannabe Wild Horses. Ohne Stuttgart im Namen, Arsenal-Style. Und dann die Stuttgartsager auslachen.

Dieses Extra würde unser Stadion perfekt machen:

Jemand, der weiß, wann man lustige Tor- und sonstige Musiken einfach mal weglassen sollte. (“Immer” wäre möglicherweise eine ganz gute Richtschnur.)

 

* Das “ich” ist ein Nachtrag. Es stand so nicht in meinen Originalantworten. Und so sehr ich mich in der Vergangenheit darüber geärgert habe, dass meine Antworten zum Teil sinnentstellend verändert wurden, so froh wäre ich im vorliegenden Fall über eine redaktionelle Bearbeitung gewesen.

Liegengebliebenes und Aufgewärmtes

Die Nachspielzeit lief bereits, als Kai Dittmann berichtete, wie Sven Ulreich vor einem Stuttgarter Eckball Blickkontakt zu seinem Trainer gesucht habe, um von diesem ein Signal zu erhalten, ob er mit nach vorne eilen dürfe, solle, könne, müsse. Schließlich lag man in Augsburg zurück, nachdem man lange einen “Big Point” vor Augen gehabt und viel für dessen Zustandekommen getan hatte. Sollte das alles vergebens gewesen sein?

Es ist nicht überliefert, ob Stevens Ulreich eine Absage erteilte oder ob der Blickkontakt gar nicht erst zustande kam. Sehr wohl überliefert ist indes die Reaktion des älteren Herrn in meiner Fußballkneipe, der Dittmanns Ausführungen unzweideutig kommentierte: “Was will der denn da vorne? Da fällt er bloß über die eigenen Füße.”  Die ungeteilte Liebe der Fans ist ihm im Lauf der Jahre wohl ein bisschen abhandengekommen.

Mein gequältes Lächeln signalisierte Zustimmung. Wehmütig denke ich regelmäßig an jene Zeit zurück, als jemand, vielleicht war es Eberhard Trautner, Timo Hildebrand Regionalliganiveau als Feldspieler attestierte. Das mag einem gewissen Überschwang geschuldet gewesen sein, zumal die Regional- damals die dritte Liga war, aber es lässt erahnen, worum es geht: Fußball. Und dessen grundlegende Techniken.

Auf Timo Hildebrand folgte mit Raphael Schäfer ein fußballtechnischer Antipode, und dass Schäfer dem jungen Ulreich auf Augenhöhe begegnete, kann man gerne als hübsche Randnotiz mit inhaltlicher Relevanz heranziehen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Oder anders: Sven Ulreichs Erfolgsaussichten im gegnerischen Strafraum vermute ich eher im Bereich von Oliver Kahn als von Jens Lehmann.

Aber daran lag es am Samstag nicht. Ulreich hat keine Hohle geschlagen, nicht im Dribbling den Ball verloren oder ihn sich selbst hinter die Linie geworfen. Und vermutlich entspränge es nicht nur einer sehr freien, sondern vielmehr einer boshaften Interpretation, Huub Stevens zu unterstellen, er habe den Blickkontakt mit Ulreich vermieden, weil er ihm nichts ins Gesicht sehen, weil er ihn nicht mehr sehen wollte nach zwei Gegentoren, die ihn zumindest nicht zum strahlenden Helden werden ließen. “Tapsig” wäre eine Beschreibung, die mir beim 1:0 in den Sinn käme, “unentschlossen” beim 2:1.

So läuft’s halt manchmal, und ja, es passt – daraus habe ich hier nie ein Hehl gemacht –  in mein Bild des jungen Mannes, das Bild eines durchschnittlichen Bundesligatorwarts mit großen Stärken, aber auch unübersehbaren und bis dato offenbar nicht auszumerzenden Schwächen. Und gewiss, es ist wohlfeil, jetzt darauf zurückzukommen. Schließlich hätte Ginczek ja auch einfach vor der Pause das 1:2 erzielen können. Hätte der eine oder andere die Chance gehabt, nach der Pause nachzulegen. Hätten vor dem 2:1 nicht alle stehen zu bleiben brauchen, während die Augsburger nachsetzten. Hätte sich Niedermeier einfach mal auf das sportliche Duell mit Bobadilla konzentrieren dürfen. Stimmt alles. Und hilft nichts.

Chance verpasst, hieß es allenthalben. Weil alle für den VfB gespielt hatten, es im Fall des HSV sogar danach noch taten. Aber eben auch: es ist nichts kaputtgegangen. Anders als von Giovane Elber vermutet, hat der VfB es nach wie vor komplett selbst in der Hand, die Klasse zu halten. Wenn er die verbleibenden fünf oder sieben Spiele gewinnt, können sich die anderen auf den Kopf stellen oder meinetwegen auch jeden einzelnen Schiedsrichter kaufen – es reicht nicht. Nun ist mir klar, dass weder der VfB sämtliche Spiele gewinnen noch irgendjemand einen Schiedsrichter schmieren wird, aber mein Gedanke dürfte klar sein: man hat es selbst in der Hand. Das ist weitaus mehr, als ich vor vier oder fünf Wochen erwartete.

Grade mal zwei Wochen ist es her, dass mich ein befreundeter Fan von Hannover 96 frug, ob ich “denn noch Hoffnung auf den Klassenverbleib des VfB” hätte. “Überraschenderweise ist meine Hoffnung deutlich größer als vor ein psar (sic!) Wochen”, antwortete ich. Daran hat sich nichts geändert, und ich weiß bis heute nicht, woran es gelegen hatte. Wir waren uns einig, dass nicht nur ein erneutes Schneckenrennen am Horizont dräue, sondern dass auch die B-Noten der einzelnen Schnecken durch die Bank verheerend seien, und doch war meine Zuversicht zurückgekehrt. “Trotz oder wegen Huub?” wollte er wissen, und ich konnte oder wollte es nicht beantworten: “Mit Huub.”

Meine Zuversicht ist ungebrochen, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass beim VfB zwischenzeitlich Bewegung in die B-Note kam. Blöd nur, dass man sich davon nichts kaufen kann. Also zumindest nicht in Augsburg. In den Heimspielen sah das zuletzt, allen vorangegangenen Eindrücken zum Trotz, anders aus. Man spielte nicht nur anständig, sondern zog die A-Note gleich mit hoch, traf das Tor und punktete. Da konnten nicht mal die Wechselfehler was dagegen ausrichten.

Wechselfehler? Ok, ich sag’s, wie’s ist. Die Wechselfehler sind eigentlich durch. Hab ich schon vor Wochen drüber geschrieben. Zumindest angefangen. Und nie veröffentlicht. Jetzt liegt’s halt noch hier so rum und ist mir im Weg, also raus damit:

Vor zwei fünf Tagen Wochen gegen Frankfurt wollte Huub Stevens zur Pause wechseln. Ich kann das nicht mit Gewissheit sagen, aber alles andere würde mich sehr wundern. Oriol Romeu wärmte sich ernsthaft auf, ohne Eckle, ohne Jonglageübungen mit dem Ball auf der Schulter, sondern so richtig, mit ohne lange Hose und erhöhtem Tempo. Der Grund lag auf der Hand: Geoffroy Serey Dié, von dem die Wikipedien aller Länder, und nicht nur die, behaupten, er schreibe sich ohne Aigu, was ich aber bis zum endgültig erbrachten Beweis nicht mit meinem Sprachgefühl vereinbaren kann, hatte sich vor der Pause mit langem Atem um eine Verwarnung beworben und war in der 42. Minute endlich erfolgreich gewesen, würde also mit einer mehr als verdienten gelben Karte und einem deutlichen Eintrag im Notizblock des Schiedsrichters in die zweite Hälfte gehen, käme Romeu nicht zur Pause.

Ich unterhielt mich mit ein paar Umstehenden über die bevorstehende Auswechslung und war ehrlich gesagt etwas überrascht, dass sie diese eher nicht befürworteten. Zu wichtig schien Diés Aggressivität für das VfB-Spiel, um freiwillig auf ihn zu verzichten. Auch seine ärgerliche Angewohnheit, seine Mitspieler auch in engen Räumen und ohne Not gerne mal auf Knie-, Hüft- oder Schulterhöhe anzuspielen, tat da keinen Abbruch. Hoffnungsträger!

So ähnlich sah das dann wohl auch der Trainer. Er überlegte es sich in der Kabine noch einmal, dürfte seinem Königstransfer ins Gewissen geredet und ihn vor einer weiteren auch nur annähernd gelbwürdigen Aktion gewarnt haben, und ließ ihn auf dem Feld. Fünf Minuten später stellte er sich im Zweikampf ungeschickt an, verzichtete dann auf bissige Rückeroberungsbemühungen und war zum wiederholten Male an einem Gegentor beteiligt.

Stevens reagierte, nahm Dié nun doch vom Feld – und wurde ausgepfiffen. Um mich herum beklagten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, dass er doch nicht seinen auffälligsten, aggressivsten, besten, was auch immer, Mann vom Platz nehmen könne, Sie wissen schon, und ich frug mich, frage mich in der einen oder anderen stillen Minute noch immer, ob ich bis dahin vielleicht einfach ein anderes Spiel gesehen hatte.

In diesem meinem Spiel also schien der Trainer schlichtweg vercoacht zu haben, und wieder einmal sollte sich zeigen, dass ich keine Ahnung habe. Die Mannschaft hatte den Rückstand gebraucht, entwickelte plötzlich Torgefahr, Romeu spielte stark und Daniel Ginczek hob völlig unerwartet doch noch in der laufenden Saison den Fuß von der Bremse. Gewiss, Kopfballduell wird er auch auf absehbare Zeit keines gewinnen, aber er ist ja jung und kann noch wachsen.

Beim nächsten Heimspiel, gegen Bremen, wollte Huub Stevens wiederum wechseln. Ich kann das mit Gewissheit sagen, die medialen Regenbogengeschichten waren voll davon. Martin Harnik sollte nach zwei sehr unglücklichen Situationen vom Feld, vermutlich auch nach gewohnt engagiertem Spiel, aber das kann ich wiederum nicht mit Gewissheit sagen, weil ich das Spiel aus familiären Gründen verpasste. Immerhin war es diesmal eine unserer leichtesten Übungen gewesen, meine Karte an den Mann zu bekommen, schließlich hatte ich oft genug vom verpassten 4:4 gegen Bremen mi drei Bordon-Treffern erzählt. Mein Vertreter dürfte auch bei der diesjährigen Auflage mit dem Gebotenen nicht ganz unzufrieden gewesen sein.

Geboten wurde eben auch, um den Faden wieder aufzunehmen, der neuerliche Verzicht auf eine Auswechslung. Timo Werner stand bereit, dann bereitete Harnik den Führungstreffer vor, Stevens überlegte es sich anders und ließ Harnik auf dem Feld. Bis ihn der Schiedsrichter runterschickte. Und Bremen in Überzahl ausglich. Vercoacht, schon wieder.

Und wieder hatte ich keine Ahnung. Die Mannschaft hatte den Ausgleich gebraucht, entwickelte plötzlich Torgefahr, Daniel Ginczek ließ den Fuß von der Bremse und traf nochmals. Gewiss, Kopfballduell wird er auch auf absehbare Zeit keines gewinnen, aber er ist ja jung und kann noch wachsen.

Gegen Augsburg beging der Trainer leider keinen derartigen Wechselfehler. Aber am Wochenende steht ja wieder ein Heimspiel an. Und ich bin erneut familiär verhindert. Beste Voraussetzungen also.

 

 

Ach so, Wechselfehler ist ja noch so ein Stichwort. Domenico Tedesco geht nach Hoffenheim. Vermutlich ist der Wechsel für ihn kein Fehler. Man scheint ihm dort seine Wertschätzung etwas konkreter zum Ausdruck gebracht zu haben, als sich der VfB dazu in der Lage sah. Von welchen Kategorien wir auch immer reden mögen.

Andreas Hinkel, Tedescos Co-Trainer in der U17, scheint man auch nicht uneingeschränkt wertzuschätzen. Zur neuen Saison sind sie also beide weg, der eine in Hoffenheim, der andere sonst wo, und Rainer Adrion entblödet sich nicht, in einem beispielgebenden Blabla-Interview darauf hinzuweisen, dass die Türen für Hinkel weiterhin offen seien.

Kommunizieren wie Karl-Heinz Rummenigge. Es ist zum Heulen.

Optionen prüfen

Mal im Ernst: natürlich habe ich an dieses 4:1 gegen Wolfsburg geglaubt, das ich neulich prognostizierte. Mindestens so sehr, wie ich jedes Jahr daran glaube, dass der VfB wenigstens einen Titel holt. Oder bei jedem großen Turnier, dass Deutschland Welt- oder Europameister wird. Was gegenwärtig kein ideales Beispiel sein mag, um meine Sichtweise zu illustrieren, aber: Sie wissen schon, Fußballfans. Innerhalb weniger Sekunden von leuchtend weiß zu komplettem Schwarz und wieder zurück. Oder gar beides gleichzeitig. Ach, egal.

Am Montag telefonierte ich mit einem Bekannten. Wir kamen auf den VfB zu sprechen und umkreisten das Thema ausgesprochen vorsichtig, beiderseits bemüht, einander aus der Reserve zu locken, bis wir uns schließlich zwar nicht unsere Liebe gestanden, wohl aber, dass wir eigentlich sehr angetan gewesen waren vom Auftreten der Mannschaft. (“Darf man ja eigentlich nicht sagen … ehrlich gesagt … ziemlich gut … Engagement … mutig … Chancen … Spaß …”)

Ja, ich hatte Spaß. An Harnik, zum Beispiel, dessen Präsenz im Sturmzentrum mich ziemlich beeindruckte. Nein, nicht Präsenz, das klingt so statisch. Er war unheimlich aktiv, ging die langen, schnellen Wege, die die Wolfsburger Abwehr nicht versperren konnte, tauchte gefährlich vor dem Tor auf, konnte, sonstige Defizite in den Hintergrund schiebend, auch immer wieder den Ball behaupten – allein, es half nichts, blieb erfolglos.

Und ja, zugegeben, sie spielten den Ball wieder oft quer, Rüdiger und Schwaab hatten viele Ballkontakte. Aber die waren anders als vor einigen Wochen. Schneller, druckvoller, so mein Eindruck, nicht an jenen Tran gemahnend, den wir als brot- und ziellos beklagten. Sahen nicht alle so, ich weiß. Vermutlich ist es wahrscheinlicher, dass diejenigen, die ob der Quer- und Rückpässe pfiffen, recht hatten, als dass ich, der darin einen neue Qualität sehen wollte, den besseren Durchblick für mich beanspruchen könnte.

Gleichwohl erinnere ich gerne daran, dass vor Gentners großer Ausgleichschance der Ball eine gefühlte Minute lang, wenn nicht länger, in der eigenen Hälfte zirkulierte, auch mal kurz über die Mittellinie ging, dann wieder zurück, zügig, ehe über rechts die Beschleunigung kam, der Ball nach innen zu Maxim gelang, der wiederum Gentner einsetzte – Bämm!

Nein, eben nicht bämm. Und selbst wenn, wäre die Entstehung rasch wieder in Vergessenheit geraten, zumindest jener Teil, der weiter als zwei Pässe zurückreichte, und Ballbesitz in der eigenen Hälfte gälte auch im nächsten Spiel wieder als böse. Zumal er Thorsten Kirschbaum einbezieht, der ja gegenwärtig nicht so wohlgelitten ist. Aus nachvollziehbaren Gründen, zweifellos – ich bin mir ziemlich sicher, dass das 1:1 gegen Sven Ulreich nicht gefallen wäre.

Ich bin mir übrigens ähnlich sicher, dass es auch bei Kirschbaum nicht oft fiele. Und ich bin mir sehr sicher, dass ein Passspiel, wie es in der ersten Hälfte gegen Wolfsburg zum Teil unter Einbeziehung von Kirschbaum erfolgte, mit Ulreich nicht möglich wäre. Flach, schnell, hart, mit Richtungswechseln. Gleichwohl: stimmt, der Hüter soll zunächst einmal hüten. Das ist Kirschbaum nicht so gut gelungen.

Fanden viele Fans auch. Aus guten Gründen, wie gesagt. Nicht wenige fanden zudem, dass Moritz Leitner nichts in der Mannschaft verloren habe. Auch aus sehr gut nachvollziehbaren Gründen, die ihren Höhepunkt im Ballverlust vor dem 0:4 fanden. Die Frage ist ja immer, wie man sowas zum Ausdruck bringt.

Wieder andere, oder vielleicht waren es auch dieselben, fanden zudem, man müsse den Schiedsrichter auspfeifen, weil er das Spiel unterbricht, wenn ein Wolfsburger, ich glaube, es war Luiz Gustavo, aus nächster Nähe vom Ball am Kopf getroffen wird und zu Boden geht wie ein gefällter Baum. Sportler. Oder die Pfiffe, wenn sich der Schiedsrichterassistent verletzt hat und behandelt werden muss. Geht’s noch?

Nimmt man dann noch das eine oder andere homophobe oder rassistische (Schwulette! Zigeuner!) Sprüchlein hinzu, als von Einzelpersonen vorgetragenes Sahnehäubchen, kommt man möglicherweise irgendwann an den Punkt, wo man sich fragt, was das eigentlich alles soll. Ja, klar. Die Frage nach dem Sinn es Fanseins stellen sich die meisten von uns immer mal wieder. Meist geht sie mit sportlichem Misserfolg einher. Und ja, der ist derzeit gegeben.

Dennoch war ich überrascht ob meiner Gedanken. Ob der so zuvor nie gestellten Frage, ob ein Fußballstadion ein Ort ist, an dem ich Zeit verbringen möchte, oder ob mir manche Begleiterscheinungen, die nichts mit Obrigkeit, mit Sicherheitsbedenken (als ob!), mit Preisgestaltung oder sportlichem Erfolg zu tun haben, vielleicht einfach so sehr auf den Sack gehen, dass ich mich mit Alternativen befassen sollte.

Erst kürzlich gab ich hier eine deutliche Absage an das fußballbezogene Bezahlfernsehen zu Protokoll. Obwohl – oder auch weil – zu diesem Zeitpunkt innerfamiliär bereits die Option formuliert worden war, angesichts eines weiteren verpassten Auswärtsspiels, die Dauerkarte gegen ein Sky-Abo zu tauschen, also anstelle von, na ja, 12 Heimspielen im Stadion und acht Auswärtspartien in der Kneipe, vielleicht einer oder zwei im Stadion, künftig 31 Spiele daheim zu sehen. Am Samstag im Stadion zog ich erstmals in Erwägung, diese Option ernsthafter zu prüfen. Zumal’s hinterher in der Kneipe beim Abendspiel auch nicht so richtig viel Spaß gemacht hat.

Ja, ja, ich weiß: Alterserscheinung. Erfolgsfan. Falsche Prioritäten. Fußball muss ursprünglich sein. Gegnerbeschimpfung gehört dazu.

Darf jeder sehen, wie sie will. Mir gibt mein Denken zu denken.

Um nochmal kurz zurück zum Sport zu kommen: die zweite Halbzeit machte dann eher weniger Spaß. Vielleicht abgesehen von jenen Momenten, in denen das Spiel ohnehin längst abgehakt war und wir Kevin de Bruyne zusehen durften. Ja, abgehakt. Innerlich auch von den Spielern, und ja, das verstehe ich. Ist menschlich. Geldunabhängig. Genickschlag zu Beginn der zweiten Halbzeit, als alles besser werden sollte. 0:3 gegen Wolfsburg, eine äußerst solide Mannschaft, von der man weiß, dass man nur an guten Tagen vielleicht gegen sie bestehen kann. Aufholjagderfahrung ist auch nicht mehr als eine schöne Illusion.

Trotzdem noch die eine Frage, die mich beschäftigt: was war das für ein Sprung von Rüdiger vor dem 0:3? Schattenköpfen mit eingezogenem Haupt? Klar, beschissen gespielt von Niedermeier, verheerende Rückwärtsbewegung von Kostić, wurde ja auch alles rauf und runter thematisiert, aber Rüdiger? Verschätzt? Wollte er den Ball ins Aus fliegen lassen? Wahrnehmungsfehler meinerseits? Ich bitte um Hilfestellung. Danke.

 

 

 

 

 

 

Wald? Stadion!

Heut geh ich ins Stadion. Ich freu mich wahnsinnig drauf. Ja, Wolfsburg. Nicht so der Bringer, meinen einige. Mag sein. Zumal Maximilian Arnold, den ich ziemlich großartig finde, in jüngster Zeit ein bisschen am Rande stand. Aber: de Bruyne!  Muss ja dennoch nicht grade heute zeigen, was er alles kann.

Die Bilanz gegen den VfL war zuletzt ja auch nicht so prickelnd. Aber da ist immer dieses Gomez-Spiel im Hinterkopf, damals, und auch wenn ich noch nicht weiß, wer heute die vier Tore schießen soll, gehe ich selbstverständlich fest von einem ähnlich deutlichen Sieg aus. Und Tore sollten ja nach den letzten Wochen nicht so das Problem sein. Eigene, wohlgemerkt.

Die letzten Wochen, Sie wissen schon. Leverkusen, und dann eben Frankfurt: 5:4, auswärts, was soll ich sagen?

Also außer: ich hab’s nicht gesehen. Dabei hatte ich vormittags im Familienrat vorgebracht, dass ich endlich mal wieder ein ganzes Fußballspiel sehen möchte, gerade jetzt, da der VfB möglicherweise wieder Fußball spielt, gerne in der Kneipe meines Vertrauens. Die Familie war verständnisvoll, gestand es mir gerne zu.

Aber es war halt ein Samstag. Dann war dies noch zu erledigen, jenes einzukaufen, sonst noch was zu regeln, und – schwupps – war es Mittag, der den Kindern versprochene Waldspaziergang stand noch immer aus, zuerst aber was zu essen, dann noch der Mittagsschlaf der Jüngsten, und schon schlug die Uhr drei Mal, das Wetter war großartig, die wunderbar unternehmungslustigen Mädchen frugen, familienratsvergessen und sowieso noch ohne ausgeprägtes Zeitgefühl, ob denn nun der Waldspaziergang komme, und was soll man dann aneres sagen, so als Vater, der während der Woche auch nicht rund um die Uhr zuhause ist, als: “Klar!”

Zumal es ja beileibe nicht so ist, dass wir es hier mit einem zu erbringenden Opfer zu tun hätten, ganz im Gegenteil; das Vergnügen, mit den Kindern durch das Laub zu waten, ihnen zuzusehen, wie sie Quatsch machen, lachen, sich necken, auch mal rumzicken, lachen, Geheimwege finden, irgendwelchen Kram sammeln, lachen … Verzeihung, ich verliere mich ein bisschen. Vielleicht sollte ich auf die Schattenseiten hinweisen, so zum Beispiel darauf, dass alle paar Minuten meine Unkenntnis der einheimischen Flora bloßgestellt wird.

Wie auch immer: Waldspaziergang. Zumindest so halb. Mit automobiler Anreise, übrigens, und 90elf, das nicht mehr 90elf ist, sondern irgendwie sport1.fm, auf einem Ohr. Das 1:0 war noch zuhause gefallen, aus dem Nichts, quasi, 1:1 bei der Abfahrt, das 2:1 fiel an einer roten Ampel, erreichte mich aufgrund technischer Probleme unmittelbar vor dem Torschuss aber erst ein paar Minuten später. Selten hing mein Sohn so an meinen Lippen wie in diesen Minuten der Ungewissheit.

Am Waldesrand verlangten familiäre Pflicht, familiäres Vergnügen (nicht in dieser Reihenfolge, selbstredend) und die schwache Netzabdeckung einen Umstieg von der Audioberichterstattung auf einen Ticker; kurz darauf trafen wir Menschen, die uns aus dem Wald zerrten und uns in ihren Garten baten, liebe Menschen, mit an diesem Tag ungenutzten Bezahlfernsehensabonnement, übrigens, auf das ich neben jenen Gründen, die ihren Ursprung in meiner Erziehung haben, auch deshalb nicht hinwies, weil mir die kicker-App gerade das 3:1 vermeldet hatte, das Spiel also durch war. Vielleicht sollte ich nicht so sehr auf Jochen Breyer hören.

Telefon weggelegt, gekickt. Mit Kindern. Auf dem frisch eingesäten Rasen, wie der Sohn des Hauses, in Abwesenheit des Vaters, erfreulicherweise erst nach dem Kick verriet. Bei sommerlichem Wetter bedurfte es der einen oder anderen Trinkpause, und in einer solchen nahm ich doch noch einmal mein Telefon zur Hand, und wir alle hatten keinen Spaß daran. 3:4, 4:3, je nach Perspektive. Doof halt.

Ablenken, weiterkicken. Doch nochmal drauf schauen. Ungläubig die App schließen, neu starten, und doch, es stimmt: 5:4. Sich das Telefon aus der Hand reißen lassen. Weiterkicken, ablenken. Sich von ungeduldigen Kindern erneut das Telefon aus der Hand reißen lassen. Fingernägel kauen. Hoffnungslos in Rückstand geraten, weil die Kids die Sache mit der Aufgabenteilung besser drauf haben: einer kickt, einer schaut nach dem VfB. Dem erwachsenen Unterzahlspieler fällt das tendenziell schwerer.

Gewonnen. Also der VfB. Darauf bestanden, die Sportschau zu sehen. Immerhin. Und das Sportstudio. Bundesliga pur, sofern es noch so heißt. Und immer wieder den Kopf geschüttelt. Harnik? Den selbst ich, der ich ihn schätze wie kaum einen anderen VfB-Spieler, was nur zum Teil sportliche Gründe hat, im Grunde abgeschrieben hatte? Und Sararer. Kann doch nicht sein! Werner. Endlich wieder. Und wie!

Nur Herr Veh hat mich ein bisschen enttäuscht. Die Schuhe fand ich dann doch eher fad. Da waren die Herren Breyer und Neureuther deutlich weiter vorne dabei.

Dann fahr ich jetzt mal ins Stadion und vergewissere mich, ob er nachgezogen hat. Manolo Blahniks, oder wie die heißen. Und nach dem Sieg sehe ich mir in irgendeiner Kneipe das Abendspiel an. Die Familie macht den Waldspaziergang heute woanders. Herbstferien und so, und ich hab viel gearbeitet, da kann man schon mal zu Opa fahren. Ich vermisse sie wie blöd, aber heute Nachmittag wird mich der Fußball ein bisschen darüber hinwegtrösten.

4:1, wer auch immer die Tore macht. Passt.

Mir doch egal, ob mir das hinterher auf die Füße fällt.
Meiner Vorfreude tut das keinen Abbruch.