Im Grunde halte ich mich für recht objektiv und bis zu einem gewissen Grad auch verständnisvoll, was die Bewertung von Schiedsrichterleistungen anbelangt. Dass die Vereinsbrille dennoch ihre Spuren hinterlässt, dürfte niemanden überraschen, und so muss ich einräumen, dem 23. Mann (w/m) gegenüber nicht immer fair zu sein. Ist er zu mir ja auch nicht immer.
Also lobe ich ihn heute einfach mal, und zwar gleich doppelt. Hat allerdings nur bedingt mit seiner Leistung auf dem Platz zu tun, in einem Fall trifft eher das Gegenteil zu, sondern vielmehr mit dem, was er nach dem Spiel gesagt hat. Wobei “er” im einen Fall Dr. Felix Brych heißt, im anderen Michael Weiner. Und manch einer wird das ganz anders sehen. Oder meine Positionen für unvereinbar halten.
Dr. Brychs Interview im Sportstudio war mir ein Vergnügen. Er legte dar, weshalb er das Spiel Dortmund-Mainz trotz der Verletzung von Neven Subotic nicht unterbrochen hatte und entgegnete auf die Frage, ob er auf den Gedanken des Fair Play achten müsse, folgendes: “Nein. Ich hab die Regeln umzusetzen.”
Nun kann man auf dem Standpunkt stehen, dass diese Aussage ein Grundübel des Fußballs im Allgemeinen und der Schiedsrichterei im Besonderen widerspiegle: dass sich die Unparteiischen zu sehr an den Buchstaben des Regelwerks festhalten. In aller Regel fällt dann auch ziemlich rasch die berühmte Vokabel “Fingerspitzengefühl”. Im vorliegenden Fall aber bin ich weit davon entfernt, Dr. Brychs Entscheidung zu kritisieren. Er hat sich an den Regeln orientiert, nach meiner laienhaften Einschätzung völlig korrekt.
Vor allem aber hat er dem Zuschauer und seinem Interviewpartner souverän und unaufgeregt Wissen vermittelt: der Schiedsrichter unterbricht, um die Gesundheit des betroffenen Spielers zu schützen. Punkt. Wenn er an der Notwendigkeit zweifelt, unterbricht er nicht. Und kann damit natürlich böse daneben liegen. Aber was wäre die Alternative? Pflichtunterbrechung, wenn ein Spieler am Boden liegt? Schöne Idee.
Das ganze andere Gedöns, Fair Play, Sportsmanship oder wie auch immer man es nennen mag, ist Sache der Spieler. Und sollte es auch bleiben, wenn es nach mir ginge. Ich halte nichts von einer Anweisung, dass ausschließlich der Schiedsrichter unterbrechen dürfe, um einen möglicherweise verletzten Spieler behandeln zu lassen. Mir gefällt die jetzige Aufgabenteilung: der Schiedsrichter unterbricht, um jemanden behandeln zu lassen, der ernsthaft verletzt sein könnte. Die Spieler sind Sportler genug, um die Schwelle niedriger anzusetzen. Und sie sind klug genug, einen notorischen Liegenbleiber irgendwann zu ignorieren. Subotic zählt nicht dazu.
Ja, ich finde, die Mainzer hätten den Ball ins Aus spielen sollen, auch wenn man das anders sehen kann. Die Argumentation, Dortmund habe ihn zunächst selbst nicht ins Aus gespielt, greift in diesem Fall nicht – dafür haben sie ihn zu schnell verloren, vermutlich zu schnell, um überhaupt zu realisieren, dass Subotic zu Boden gegangen war. Dr. Brych lag gleichwohl richtig.
Bei Michael Weiner sieht es etwas anders aus. Er lag mit seinen Entscheidungen bei Nürnberg-Bremen allem Anschein nach eher nicht richtig. In seinem Sportstudio-Interview zeigte er sich auch recht schmallippig und gewiss nicht souverän. Aber in einem Punkt bin ich völlig seiner Meinung: ich möchte nicht, dass der Schiedsrichter in jeder Partie einen, zwei oder drei Spieler fragt, ob es denn wirklich ein Foul oder nicht doch eine Schwalbe gewesen sei, ob der Ball die Linie überschritten habe, ob die Hand zum Ball gegangen sei, was auch immer.
Vielmehr möchte ich, dass er entscheidet, auf Basis der ihm vorliegenden Informationen. Wenn diese Informationen irgendwann Signale eines Chips im Ball oder einen Videobeweis beinhalten, soll er sie bitte einbeziehen. Und dann entscheiden. Ich will nicht einmal ausschließen, es vielleicht sogar begrüßen, dass ein Schiedsrichter in Einzelfällen auch einmal einen Spieler beiseite nimmt und um Aufklärung bittet. Aber es soll bitte nicht zur Gewohnheit werden, dass die Verantwortung auf den Spieler abgewälzt wird.
Der hat schließlich schon genug mit der Verantwortung zu tun, die ich ihm bei der Frage nach Spielunterbrechungen für verletzte Mit- und Gegenspieler aufgebürdet habe.