Sicher, es war arschkalt. Der Wind war eisig, der Schneefall kontinuierlich, der Nebel dicht. Und dennoch hatte ich am Samstag den wohl besten Skitag meines Lebens. Ganz sicher zumindest den besten Schnee, der mich – auf der Piste, wohlgemerkt – gelegentlich bis über die Knie einsinken und mehr oder weniger elegant auch wieder herausfahren ließ. Andere Menschen waren eher nicht da. Außer meinem Mitfahrer natürlich, der allerdings darauf bestand, irgendwann in ferner Vergangenheit schon einmal einen vergleichbaren Tag erlebt zu haben.
Die anschließende automobile Talfahrt tat unserer Laune zunächst keinen Abbruch, ganz im Gegenteil: nach etwas Gefummel am zunächst unkooperativen Radio war die Bundesligaschlusskonferenz gefunden, der VfB führte souverän mit 2:0, das 3:0 liege in der Luft, ich leistete el pibe und hirngabel gedanklich mit dem größten Vergnügen Abbitte, das Leben meinte es gut mit mir.
Zu früh gefreut. Die weitere Fahrt zur Pension war ein Desaster, trotz Schneeketten. Erst Almeida, den ich selbst zu Wochenbeginn stark geredet hatte, und dann auch noch der Exnationalspieler – bittere Minuten. Und alle gute Laune war verflogen. Die Sportschau wollte ich nicht sehen, bekam dann aber doch noch mit, dass die Stuttgarter Pausenführung “schmeichelhaft” gewesen sei, was sich nicht unbedingt mit den Informationen aus dem Rundfunk deckte, aber vielleicht war ich auch schon ein wenig unausgeglichen.
Da letztlich irgendjemand die Schuld tragen muss, nahmen wir sie auf uns, die wir das Spiel in unserer Maßlosigkeit dem Tiefschnee geopfert hatten, und entschieden uns für die maximale Selbstkasteiung: ein Abendessen am Tisch neben dem Alleinunterhalter. Mit freiem Blick auf die Tanzfläche, die bei gelungenen Medleys von Boney M. über Howard Carpendale und Roland Kaiser bis hin zu Elvis Presley, Adriano Celentano und karnevaleskem Liedgut stets gut gefüllt war und dabei nicht nur geübte Tänzer anlockte. Das Personal war bestenfalls mittelfreundlich und nur bedingt qualifiziert, die Einrichtung hatte ihre beste Zeit hinter sich und den Tischdecken war es nicht gelungen, allen Motten auszuweichen. Aber es war das einzige Gasthaus mit einem halbwegs vom Schnee befreiten Parkplatz, den man wohl auch nach der Mahlzeit ohne Abschleppseil würde verlassen können. Vor lauter Kopfschütteln verdrängten wir erfolgreich das Fuaßballergebnis.
Für das Sportstudio waren wir zu müde, während Bundesliga pur standen wir einige hundert Meter hinter dem Idioten, der ohne Schneeketten bergwärts gefahren war, Sport im Dritten verbrachten wir auf der Autobahn, und am Montag war glücklicherweise so viel zu tun, dass ich mich nicht in irgendwelchen Videoportalen aufhielt und auch sonst die Nachberichterstattung nur widerwillig überflog. Abgesehen vom Brustring, natürlich.
Da ich auch sonst fast nichts über den Bundesligaspieltag wusste, griff ich schließlich doch noch zu einer ungewöhnlichen Maßnahme und erwarb den kicker, wo ich mich zunächst mit Louis van Gaals teilweise bedenkenswerten Reformideen konfrontiert sah, die beim kicker leider nicht online zu finden sind; andere Qualitätsmedien sind diesbezüglich offener. Dann wunderte ich mich, dass man in Nürnberg bereits vorab Ronnie Rengs drüben bei catenaccio geäußerten Wunsch nach einem Oka Nikolov-Special nachgekommen war, wenn auch mit leicht unterschiedlichem Zungenschlag:
Reng:
“Ein Wahnsinn, wie so ein unterdurchschnittlicher Bundesligatorwart immer wieder einen neuen Vertrag bekommen und die Eintracht jedes Jahr wieder sechs bis acht Punkte kostet, ohne dass irgendjemand aufschreit…”Karl-Heinz Körbel im kicker:
“…ich bin mir sicher, dass er nach der Karriere einer der wenigen sein wird, die vom Umfeld und den Fans immer bewundert werden.”
Sicher, die beiden Positionen schließen sich nicht zwingend aus. Es ist allerdings interessant, diese leichte Nikolov-Lobhudelei zu lesen, wenn man in den letzten Wochen ein wenig dem Kid zugehört hat, der sich sowohl in sportlicher Hinsicht als auch mit Bezug auf die im kicker gepriesenen Werte über Nikolov äußerte.
Und dann war da noch Christoph Schickhardt. Der “gefragteste Jurist im deutschen Fußballgeschäft“, die Allzweckwaffe eines Großteils der Bundesligisten, zahlreicher Spieler und Trainer, hat sich im Rahmen der gegenwärtig vor allem pyrotechnisch motivierten Diskussion um Gewalt in den Stadion für härtere Sanktionen ausgesprochen. Damit trifft er den aktuellen Tenor, der auch in einem offenen Brief der Bundesliga-Fanbeauftragten Niederschlag findet, und ich stimme insofern zu, als ich überführte Gewalttäter hart bestraft sehen möchte.
Etwas konsterniert lässt mich allerdings Herrn Schickhardts Hinweis auf Fehler der Vereine zurück:
“Leider hat man schon teilweise Fanvertreter in die Gremien aufgenommen und beschäftigt sich einfach zu viel mit ihnen.”
Ist also das Konzept Dialog gescheitert? Mitbestimmung ein Anachronismus? Der aktive Fan ein schlechter Kunde?
Mir ist gerade ein bisschen schlecht.