♫ Nimm uns mit, Kapitän, auf die Reise ♫

Als ich erstmals Kapitän wurde, war Sascha Hehn noch nicht mal Steward. Es war in der D-Jugend – eine E-Jugend, in der ich eigentlich hätte spielen sollen, hatten wir nicht. Dass ich dennoch zum Spielführer (Kapitän sagte bei uns niemand, vielleicht war das Meer zu weit entfernt) gewählt wurde, war zum einen die Folge einiger Zufälle, zum anderen Grund genug, beim vermeintlich designierten Kapitän, unserem Torwart und Mannschaftsältesten, für ein wenig Verdruss zu sorgen. Dabei hätte ich die Binde gar nicht gebraucht, sondern hätte in jedem Fall Verantwortung blablabla. Quatsch. Natürlich war ich stolz wie Oskar. Zumal ja auch der literarische Heini Kamke wenige Wochen zuvor erstmals als Kapitän aufgetreten war. Aus meiner subjektiven Lesersicht.

Also staubte ich eine abgelegte Spielführerbinde meines Vaters ab, bat Mama darum, sie passend zu machen, und ließ mich in ein paar Geheimnisse einweihen. “Immer links tragen!”, zum Beispiel, und was man da so rufen musste, vor und nach dem Spiel. Bei den Elf Freunden hatte ich gelernt, dass der Spielführer auch gerne mal die Vorgaben des Trainers eigenmächtig über den Haufen warf, aber so weit schienen meine Pflichten in den 80er Jahren nicht mehr zu gehen.

Im Lauf der Jahre durfte ich immer mal wieder, vermutlich liegt die Wahrheit näher bei immer als bei mal oder wieder, die Binde tragen – in der B-Jugend war es eine leuchtend gelbe, vermutlich stand elho drauf. Natürlich hätte ich auch ohne sie Verantwortung blablabla. Sascha Hehn war zu jener Zeit bestenfalls Freizeitkapitän, der im Golf Cabrio leider nicht mit Schwester Christa, sondern doch nur mit Anja Kruse (was heißt hier nur?!) oder Ilona Grübel zum Segeln fuhr, strebte aber parallel eine Karriere als erster Offizier an.

Beim Erwachsenenfußball ergab sich, wiederum eher zufällig, recht bald die Situation, dass einige “gestandene” Spieler aus verschiedensten Gründen nicht mehr zum Einsatz kamen und ich plötzlich die Binde am Arm trug. Zu jener Zeit aber begab es sich, dass der Trainer, wie mir im Vertrauen zugetragen wurde, während des Spiels einige schwächere Aktionen meinerseits (und das waren sie, keine Frage!) in einen direkten Zusammenhang mit der Armbürde brachte – woraufhin ich sie vor dem nächsten Spiel ohne Angabe von Gründen und, klar, schweren Herzens abgab. Revoluzzer, der ich war. Dabei hätte ich selbstverständlich auch ohne die Binde Verantwortung blablabla. Sascha Hehn befand sich inmitten einer Umschulung zum Gynäkologen, und meine Leistungen wurden auch ohne zur Schau getragene Sonderrolle nicht besser.

Ein halbes Fußballerleben später, irgendwie war ich wieder an die Binde gekommen, war ich berufsbedingt selten vor Ort und reiste in der Regel nur zu den Spielen an, was sich auch zur nächsten Saison fortzusetzen schien. So wurde dann in meiner Abwesenheit der Spielführer gewählt: zu meiner größten Verblüffung wurde es ein anderer. Pfft. Ok, im Ernst: Natürlich musste das so sein, war richtig und, nun ja, alternativlos. Und doch spürte ich, selbst in diesem eindeutigen Fall, irgendwo ein ganz leichtes Ziehen, einem zumachenden Muskel nicht unähnlich. Ungeachtet des Umstands, dass ich selbstredend auch ohne Binde Verantwortung blablabla.

Martin Harnik war, anders als der jüngst beförderte Sascha Hehn, gar kein Kapitän. Er war nur Mitglied des Stuttgarter Mannschaftsrates. Nun heißt es, die Mitspieler hätten ihn nicht wiedergewählt. Ich bedauere das. Nicht weil ich das Gremium für wichtig halten würde, zumal ich weiß, dass Harnik auch ohne Amt Verantwortung blablabla. Dass er in Interviews kluge Dinge sagen, sich nur selten hinter Allgemeinplätzen verstecken, Problembereiche als solche erkennen und gegebenenfalls benennen wird.

Dennoch: so ein klein wenig habe ich doch Sorge, dass er sich zurückgesetzt fühlen könnte. Sich in einer Zeit, in der es für ihn sportlich eher mittelprächtig läuft, vielleicht in seiner ersten wirklich schwierigen Phase in Stuttgart, nach unten ziehen lässt. Nachdem nicht zuletzt er zu denjenigen gehört haben soll, die im Herbst eine von der Mannschaft herbeigeführte Trendwende abseits des Platzes zumindest initiiert haben.

Ich bin überzeugt, dass die Sorge grundlos ist. Eigentlich. Zumal er selbst sich schon klar geäußert haben soll. Schreibt zumindest die große Zeitung, die wir alle kennen, aber aus guten Gründen nicht zitieren wollen. (Dass ich es in diesem Fall indirekt doch tue, liegt daran, dass ich @jens_nagler bei Twitter als verlässliche Quelle kennengelernt habe.)

Dennoch ist sie da, diese Sorge. Als ganz leichtes Ziehen, einem zumachenden Muskel nicht unähnlich.

(Und dann denke ich etwas grundsätzlicher über den Verein nach und habe Bilder von Zerrungen über Faser- und Bündel- bis hin zu Muskelrissen vor Augen. Aber das nur am Rande.)