Das große Ganze

Es war gerade mal eine halbe Stunde gespielt zwischen dem VfB Stuttgart und den Gästen aus Hoffenheim, als es zum Schwur kam. Der VfB führte, hatte also in der virtuellen Tabelle gerade Rang sieben erklommen, der mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zur Teilnahme an der Qualifikation zum Europapokal berechtigt, als das vertraute Geräusch ertönte, das einen Treffer auf einem der anderen Plätze ankündigt, derer es in diesem Fall reichlich gab. Also anderer Plätze, vorletzter Spieltag, Sie wissen schon. Ob viele Tore fielen, weiß ich jetzt gar nicht so recht.

Beim VfB Stuttgart hält man es in solchen Fällen für eine gute Idee, sei es, um die Spannung zu erhöhen, sei es, um die Sponsoren angemessen ausführlich ins Bild zu rücken, sei es, um die Zuschauer etwas länger vom Geschehen auf dem Rasen abzulenken, in mehreren Schritten vorzugehen und zunächst nur die Wappen der beiden Vereine einzublenden, ehe man nach einem imaginären Trommelwirbel den aktuellen, neuen Spielstand anzeigt. Im vorliegenden Fall erschienen die Wappen der Eintracht aus Frankfurt und des Hamburger SV auf der Tafel, es ging also um das Spiel des unmittelbaren Tabellennachbarn, mithin des Wettbewerbers um den oben angesprochenen Qualifikationsplatz für den Europapokal.

Mir war klar, dass ein nennenswerter Anteil der Stuttgarter Anhänger zwar kurz zuvor minutenlang das Hohelied auf den Europapokal! Europapokal! gesungen hatte, der mit einer Qualifikation einhergehenden zusätzlichen Belastung indes eher zurückhaltend gegenüberstand. Einerseits. Andererseits ging es ja um einen besseren Tabellenplatz, und wie oft haben wir gelesen, und welcher Fußballfan wäre heutzutage dafür nicht empfänglich, dass jede Platzierung, um die man besser abschneidet, bares Geld wert sei, und so wäre selbstverständlich ein Tor gegen die Eintracht, und jetzt kulminiert der Trommelwirbel, und zack:

1:0. Für Frankfurt. Nicht mehr Geld. Kein Europapokal. Und: Jubel. Nicht überall, aber doch verbreitet. Ok, kein europapokalberauschter Abstiegskampf, vielleicht. Trotzdem. Was ist da los?

Nun, der gemeinen Leserin brauche ich nichts vorzumachen, natürlich kennt sie längst den Grund: Es geht um etwas Größeres, da kann so ein mickriges Plätzchen in der Tabelle nicht gegen anstinken, es geht um nicht mehr und nicht weniger als – einige Umstehende lassen keinen Zweifel daran – den Abstieg des HSV. Das große Ganze. Und ja, das ist quasi ein Zitat.

Kurz bin ich fast geneigt, jenen HSV-Fans Abbitte zu leisten, denen ich im Lauf der Jahre einen ausgeprägten Verfolgungswahn unterstellt hatte ob ihrer Überzeugung, alle wollten dem HSV nur Schlechtes, kann dann aber doch nicht so weit gehen. Aber fasziniert, ja, das bin ich. Siebter oder Achter, Sechster oder vielleicht auch noch Neunter, ach, das ist doch einerlei, Hauptsache, der HSV geht endlich runter! Nun denn, jeder so, wie er mag. Mit besten Grüßen an Udo Jürgens.

Tatsächlich gewann Frankfurt am Ende, der VfB auch, Neunter wird man also nicht mehr, und Platz sechs ist in der Theorie auch noch drin, und ich kann kaum nicht adäquat in Worte fassen, welchen Spaß mir dieses Spiel bereitet hat. Gegen eine Mannschaft aus Hoffenheim, die phasenweise sehr eindrucksvoll darlegte, wieso sie in der Tabelle da steht, wo sie steht, nämlich ziemlich weit vorne, und weshalb sie speziell in den letzten Wochen verdammt viele Punkte geholt hatte.

Eine Mannschaft, die nach zwanzig Minuten mit etwas mehr Glück und ohne Übertreibung 4:0 hätte führen können, wenn jenes Glück nicht vielmehr auf Seiten der Stuttgarter gewesen wäre. Dann ging der VfB in Führung, eher gekonnt als glücklich, und fortan brauchte er zunächst einmal gar kein Glück mehr, später nochmal ein bisschen, aber nie mehr so wie zu Beginn, und irgendwie wirkte dann auch das durchaus gekonnt.

Kann man anders sehen, wie ich der einen oder anderen Äußerung nach dem Spiel entnahm, von B-Noten gar nicht zu reden, aber eigentlich geht’s ja auch mir eher so ums große Ganze. Den Fußball im Allgemeinen, die Bundesliga im Besonderen, und ja, das mag schon damit zu tun haben, dass die Ergebnisse des VfB seit Wochen so irrelevant waren wie seit Jahren nicht. Das Thema Abstieg war durch, unabhängig von rechnerischen Spitzfindigkeiten, und so nahm ich die sonstigen Schlagzeilen rund um die Liga möglicherweise etwas intensiver wahr. Von denen wir alle wissen, dass sie sehr ungleich verteilt waren, und zwar zugunsten der, Trommelwirbel, Schiedsrichter.

Das lag an vielerlei Dingen und Akteuren. An den Medien, klar, an Spielern und Trainern, am vielerorts und in diesem Text der Einfachheit halber auch hier gerne mal so genannten Videobeweis per se, am DFB und dem IFAB, am einen oder anderen Videoassistenten (w/m), an der Sportgerichtsbarkeit, an technischen Unzulänglichkeiten und ein bisschen auch an den Schiedsrichtern selbst.

Der VAR. Es ist ja fast alles über ihn geschrieben, im Guten wie – deutlich häufiger – im Schlechten, wie es halt so ist. Vor einigen Wochen schrieb ich bei Twitter folgendes:

In Teilen hatte ich das fast wortgleich auch schon ein Dreivierteljahr zuvor geschrieben, und so gilt es auch weiterhin. Klar kann man entgegnen, dass er keinen Spaß zu machen braucht, dass – wie ein sehr geschätzter Mittwitternder bemerkte – der “Kringel am Strafraum, der 9,15-Abstand vom Elferpunkt markiert”, auch keinen Spaß macht. Stimmt. Aber er verdirbt ihn mir auch nicht. Beim Videobeweis ist das manchmal anders. Wenn ich im Stadion nicht weiß, was los ist, wenn ich vor dem Fernseher über die Auslegung des berühmten klaren Fehlers oder die den Videoassistenten gesetzten Grenzen sinniere, wenn vermeintliche Experten ohne jene Ahnung über den Videobeweis fachfremdsimpeln, was natürlich nicht in erster Linie dessen Schuld ist, wenn Twitter oder dessen Pendant fern der Tastatur anlässlich einer VAR-beeinflussten Entscheidung durchdreht, und nicht zuletzt dann, wenn diejenigen, die sachlich und mit der sprichwörtlichen Engelsgeduld zu erklären versuchen, wieso eine Entscheidung so getroffen worden sein könnte, wie sie eben getroffen wurde, in gänzlich inakzeptabler Art und Weise attackiert werden. Ja, natürlich schaue ich Euch an, @collinaserben. Und die anderen, also die mit der vergessenen Kinderstube.

Einiges von dem, was ich grade ansprach, hat nur mittelbar mit dem Videobeweis zu tun. Natürlich würde ich diese Aspekte nicht als Argument gegen den VAR-Einsatz anführen. Und doch sind es auch diese Begleiterscheinungen, die eben dazu führen, dass er mir keinen Spaß macht.

Ob er den Schiedsrichtern Spaß macht? Ich weiß es nicht. Was ich zu wissen glaube, ist, dass er die Schiris mit ganz neuen Herausforderungen konfrontiert hat, auf die sie nach meiner Wahrnehmung nicht hinreichend vorbereitet waren. Die neue Komplexität der Entscheidungsfindung dürfte zumindest ihren Anteil daran gehabt haben, dass erfahrene Schiedsrichter ganz grundlegende Dinge falsch gemacht haben, Dinge, tatsächliche Regelverstöße, von denen ich glaube, dass sie ihnen ohne Videobeweis nie unterlaufen wären.

Wie zu Saisonbeginn in Dortmund, als mit Dr. Felix Brych am Bildschirm und Patrick Ittrich auf dem Feld wahrlich keine Grünschnäbel am Werk waren und doch Grundregeln des Spiels verletzten, indem sie ein Tor nachträglich anerkannten, obwohl die Situation zuvor abgepfiffen worden war. Dass dem nicht so sein darf, weiß Patrick Ittrich mit Sicherheit auch zu Zeiten, zu denen man normalerweise Olaf Thon für einen Elfmeter aufweckt.

Genau wie sich Guido Winkmann zweifellos darüber im Klaren ist, dass er keine Entscheidung mehr revidieren kann, nachdem er das Spielfeld zur Pause verlassen hat. Wenn, ja wenn er sich nicht in einer Situation befände, die in all seinen Jahren als Schiedsrichter so nicht vorkommen konnte und auf die er vermutlich nicht adäquat vorbereitet werden konnte.

Ich hätte es sehr gerne gesehen, wenn einer der beiden in den genannten Fällen benachteiligten Vereine, der 1. FC Köln oder der SC Freiburg, die jeweilige Situation sportgerichtlich hätte klären lassen. Aus dem niederen Beweggrund, dass ich dem DFB eine krachende Niederlage von Herzen gegönnt hätte, und aus der etwas konstruktiveren Überlegung heraus, dass die öffentlich notwendige Einsicht in die eigene Fehlbarkeit den Verband auf dem Weg zu einem weniger selbstgefälligen Duktus hätte unterstützen können.

Ja, zur Kommunikation im Kontext des Videobeweises ist im Grunde alles gesagt. Transparenz, zudem Transparenz, dazu ein bisschen Transparenz, gerne ergänzt um etwas mehr Demut und etwas weniger “Ich erklär’s mal”. Und vielleicht, ganz vielleicht, das wäre der Punkt, der mir beim Thema Sportgerichtsbarkeit einfällt, wäre ein bisschen mehr Anstand nicht schlecht. Für die Chuzpe, mit der man unmittelbar nach dem Winkmann-Steinhaus-Elfmeter gegen Freiburg das Vorgehen des Schiedsrichters als regelgerecht darstellte, und das spätere partielle Zurückrudern, wohlgemerkt nach Ablauf der Einspruchsfrist, suche ich seit Wochen nach Worten. Bis dato schwanke ich noch immer zwischen schäbig und infam.

Da überrascht es dann auch gar nicht mehr, wenn sich in einer nicht annähernd so gravierenden Angelegenheit, dem Platzverweis von Santiago Ascacíbar gegen Hoffenheim und der folgenden Geldstrafe ob seines Verhaltens beim Verlassen des Spielfelds, der VfB Stuttgart bemüßigt fühlt, dem Verband leidlich verklausuliert Drohgebärden zu unterstellen: “… weil uns von Seiten des DFB explizit mitgeteilt wurde, dass ‘in einer eventuellen mündlichen Verhandlung die Frage einer zusätzlichen Sperre zu erörtern sei’.”

Und dann war da ja noch die Causa Petersen. Oder die Causa Stieler, wenn man so möchte. Ein Novum in vielerlei Hinsicht. Was mir, der ich gedanklich in meiner Welt als langjähriger Spieler und so gut wie nie Schiedsrichter verhaftet bin, enorm gut gefallen hat, war die Entscheidung, die Aussagen des Schiedsrichters nicht mehr als sakrosankt hinzunehmen, sondern auf Basis anderer Quellen und Indizien einfach mal zu sagen, dass der Spieler recht hatte. Oder ihm zumindest nicht guten Gewissens eine Lüge unterstellt werden konnte. Dass ich letztere für wahrscheinlich halte, steht auf einem anderen Blatt.

Wenn dann in ein paar Jahren herauskommen sollte, dass die rasch herbeikonstruierten Fälle, in denen Spieler künftig nicht nur, wie es seit Jahrzehnten allerorten auf Fußballplätzen geschieht, dem Schiedsrichter ostentativ den Rücken zukehren, wenn sie verwarnt werden, sondern in denen sie damit, oder gar mit aktivem Wegrennen, tatsächlich eine regelgerechte Verwarnung umgehen können, seit diesem Vorfall exponentiell (oder auch nur linear) angestiegen sein werden, überdenke ich meine Position. Bis dahin aber freue ich mich einfach darüber, dass sich auch einmal ein Spieler erfolgreich zur Wehr setzen konnte. Und ja, ich denke in diesem Moment auch an kolportierte Beleidigungen von Schiedsrichtern gegenüber Spielern, gegen die es keine Handhabe gab.

Weiter oben sprach ich von Argumenten gegen den VAR, die man vorbringen könne oder auch nicht. Das ist natürlich völlig irrelevant. Das Thema Argumente ist durch, seitdem das IFAB die Testphase für beendet erklärt und ihn in die offiziellen Regeln aufgenommen hat. Zu einem Zeitpunkt, zu dem noch nicht einmal das grundlegende Handwerkszeug für einen der typischsten und im Grundsatz mit am besten für den VAR-Einsatz geeigneten Anwendungsfälle vorliegt: die zu trauriger Berühmtheit gekommenen kalibrierten Linien für Abseitsentscheidungen. Deren Verfügbarkeit den einen Videoassistenten anficht, den anderen nicht. Oder den einen mal nicht und mal schon, es menschelt, natürlich.

Es ist mir ein absolutes Rätsel, wie das IFAB, das in der Vergangenheit nicht immer dafür bekannt war, Entscheidungen übers Knie zu brechen, dem man mitunter gar unterstellte, eben nicht mit der Realität Schritt zu halten, diese Entscheidung treffen konnte. Es wäre ein Leichtes gewesen, die Testphase auszudehnen und sich das Ganze noch etwas länger anzusehen, dann auch inklusive Handwerkszeug, ehe man Nägel mit Köpfen macht. Dass man dem entgegnen kann, die Entscheidung sei ohnehin von Anfang an klar gewesen, die Evaluierung nicht mehr als ein Feigenblatt, ist mir klar.

Ganz subjektiv kommt erschwerend hinzu, dass ich mich nun in der unglücklichen Situation befinde, die Uefa, die sich dem Einsatz des VAR in der Champions League weiterhin verwehrt, in diesem Kontext als Inbegriff rationalen Handelns betrachten zu müssen, als diejenigen, die erst das ganze, funktionierende Bild vor Augen haben wollen, ehe sie die Spieler und Schiedsrichter damit konfrontieren. Irgendwo in meiner Erinnerung tauchen Fragmente aus jener Zeit auf, als Supermärkte begannen, mit Scannerkassen zu experimentieren, und dabei zunächst manches schiefging. Bei allen, außer bei denen, die sich auf den Tag vorbereiteten, an dem die Technik ausgereift und verlässlich sein würde, und vielleicht bereitet mir der Gedanke an die Champions League als den Aldi unter den Fußballwettbewerben ein gewisses Vergnügen.

Oh, wo ich grade dabei bin: das IFAB und die Schiedsrichter. In den letzten Jahren hat ein Begriff Eingang in den Fußball-Diskurs gefunden, den die meisten von uns ohne Collinas Erben nie kennengelernt hätten: die Taktik des Schiedsrichters. Ein Begriff, über den man zunächst stolpert, der aber sehr wohl sinnvoll erscheint, bzw. die Idee dahinter. Es ist legitim, dass sich die Schiedsrichterin das Leben, zumindest aber das Spiel, nicht unnötig schwer macht, indem sie ihre Spielräume beispielsweise durch einen früh im Spiel zwar möglichen, aber für den Fortgang der Partie sehr herausfordernd gesetzten Ton zu sehr einschränkt. Was ich sagen will: Es ist aus meiner Sicht ok, sich selbst keine Steine in den Weg zu legen, wo sie nicht notwendig sind.

Ob das IFAB das im Sinne der Schiedsrichter auch so sieht, weiß ich nicht. Kürzlich las ich von folgender Klarstellung durch das Gremium: “Bei der Beurteilung einer Abseitsstellung ist der erste Kontakt beim Spielen oder Berühren des Balls entscheidend.” Mal ganz davon abgesehen, dass diese Differenzierung für die meisten Beobachter wie Kai aus der Kiste gekommen sein dürfte: Warum? Warum so schwierig, so uneindeutig?

Es kommt nicht von ungefähr, dass – so ich Collias Erben recht verstanden habe – Dr. Markus Merk einer der ersten war, der auf Situationen hinwies, in denen der Ball vergleichsweise lange berührt wird, so zum Beispiel, wenn die Spielerin den Fuß auf den Ball stellt und ihn dann in einer fließenden Bewegung mit der Sohle weiterleitet. Wird dem Videoassistenten dann die – nicht erwünschte – detektivische Arbeit zufallen, zu prüfen, ob es sich wirklich nur um eine Ballberührung handelte oder ob der Kontakt möglicherweise im Zuge der Aktion kurzzeitig abgebrochen war, sodass der erste Kontakt beim tatsächlichen Spielen des Balles in Wahrheit erst viel später eintrat?

Wäre es nicht klug gewesen, hier aus taktischen Erwägungen den wesentlich eindeutiger zu bestimmenden Moment als entscheidend zu betrachten, nämlich den, in dem der Fuß den Ball zuletzt berührt, letzterer ersteren also verlassen hat, unabhängig davon, wie lange der Kontakt dauerte? Ich könnte dem einiges abgewinnen, aber vielleicht ist das auch viel zu einfach gedacht.

Ach, genug. Ich wünsche mir, dass in den nächsten Tagen, wenn die Entscheidung über die Abschlusstabelle der Bundesliga gefallen sein wird, die Schiedsrichter im Allgemeinen und ihre Videoassistenten im Speziellen in der Öffentlichkeit nur eine Nebenrolle spielen werden, mal abgesehen von den allfälligen Verschwörungstheoretikern welcher Couleur auch immer und von den sonstigen üblichen Verdächtigen.

Und ich freue mich, den Spieltag entspannt verfolgen zu können. Ohne irgendeinen höheren Zweck, den ich gerne verwirklicht sähe. Wenn der Hamburger SV absteigen sollte, dann wird er es sich ebenso erarbeitet haben wie jeder andere mögliche Absteiger. Ich hätte sicherlich meine Schwierigkeiten, mich daran zu gewöhnen.

Was ich allerdings nicht erleben möchte, ist eine verlorene Relegation des Bundesligisten, der dann wegen einer verweigerten Kieler Lizenz oben bliebe. Auch wenn es zum Beispiel ganz hübsch in das gängige HSV-Narrativ passen würde.

Schirichefschelte

Diese Weltmeisterschaft, von der alle reden, die findet hier ja im Grunde nicht statt, wie die gemeine Leserin erkannt haben dürfte. Sondern in Brasilien. Verzeihung. Und ein klein wenig auch in der #doppelfuenf, wo wir vor dem Halbfinale ziemlich begeistert auf 48 WM-bezogene Fünfzeiler schauen. Also 48 aus der werten Leserschaft. Insgesamt stehen wir bei 224 Werken, und inoffiziell haben wir das Saisonziel auf 250 angehoben. Danke schön.

Völlig überraschend kommt die WM also auch ohne mediale Begleitung in diesem meinem Blog ganz gut zurecht; gleichwohl habe ich aktuell den Eindruck, dass zu einem konkreten Thema zwar alles gesagt ist, aber eben noch nicht von allen. Von mir zumindest nicht. Weshalb ich mich kurz zu den Schiedsrichtern äußern möchte, diesen armen Säuen.

Ernsthaft. Die stehen doch sowas von im Regen bei dieser WM, und ausnahmsweise beziehe ich mich da keineswegs auf Zeitlupenwissen, die Geschwindigkeit gegenläufiger Bewegungen oder was Collinas Erben sonst noch völlig zurecht ins Feld führen, um Verständnis für die eine oder andere nicht optimal ausgefallene Entscheidung zu wecken, sondern, Sie wissen schon, auf Herrn Busacca. Herr Busacca, die Älteren werden sich erinnern, bat einmal Herrn Karagounis, keine Signale zu geben, und leitet heute die Schiedsrichterabteilung der FIFA, aber das wissen Sie ja ohnehin, ob älter oder jünger.

Herr Busacca soll den WM-Schiedsrichtern gesagt haben, sie mögen lieber später als früher Karten verteilen, um eine Vielzahl an Sperren zu verhindern, und zudem solle man den aus dem Boden sprießenden Rufern nach einem strengeren Umgang mit taktischen Fouls eine lange Nase drehen. Möglicherweise war die offiziell nicht existierende Direktive etwas subtiler formuliert; inhaltlich würde sie indes ganz gut zum seit einigen Jahren allernthalben propagierten Trend passen, gerade in den großen Finalspielen nach Möglichkeit die besten Spieler auf dem Feld zu haben. Man könnte lange über dieses Bestreben und die dafür ergriffenen Maßnahmen, konkret: die Streichung gelber Karten nach dem Viertelfinale, diskutieren, oder auch über noch weiter reichende Vorschläge, aber darum soll es hier gar nicht gehen.

Sondern um besagte FIFA-Direktive, die besagte FIFA jüngst empört zurückgewiesen hat, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wie Herr @uersfeld bei ESPN zu berichten weiß: “This goes into the core business — protecting the main actors, the players, it’s the most important thing we have to do at FIFA.”, oder eben: “We have to protect the players. If Neymar isn’t playing the semifinal or the final, it’s not good for us too.”

Wenn man nur glauben könnte, dass sich die FIFA dessen von vornherein bewusst gewesen ist. Wenn man überhaupt glauben könnte, der FIFA irgendetwas glauben zu können. So aber glaube ich lieber Herrn Fandel, der eine solche Direktive durchscheinen ließ, oder the 3rd Team, oder eben den Erben, oder schließlich, ganz verrückt, meinen eigenen laienhaften Beobachtungen bei den Spielen, die einen zufälligen flächendeckenden Kartenverzicht unrealistisch erscheinen lassen.

Ist ja auch eine ganz geschickte Strategie, irgendwie, einfach den Schiedsrichtern zu sagen, sie mögen weniger Karten zeigen. Irgendwann werden wir auf diese Weltmeisterschaft zurückblicken, und die FIFA wird es auch tun, um dann nicht ohne Stolz zu verkünden, dass die Anzahl der Tore um (aktuell) 13 Prozent gestiegen und die der Verwarnungen um mehr als ein Viertel gesunken ist. So wie man Armutsdefinitionen verändern kann, oder Schattenhaushalte aufbauen, oder Dopingkontrollen in geeigneter Art und Weise gestalten, um strahlend helle Ergebnisse zu erhalten. Ja, ich komme vom Hundertsten ins Tausendste. Und die gesellschaftliche Relevanz von gelben Karten sollte man vielleicht nicht überhöhen. Was aber bleibt: die offensivste und fairste Weltmeisterschaften aller Zeiten, und wenn schon nicht aller Zeiten, dann stimmt zumindest die Tendenz. Und außerdem waren die besten Spieler im Finale auf dem Feld.

Dass die allerbesten Spieler am Ende doch nicht mehr dabei waren, zumindest einige von ihnen, liegt in der Natur der Sache. Können ja nur zwei Mannschaften im Finale stehen, nicht wahr? Sollte Brasilien dabei sein, wäre Neymar eher nicht dabei. Eigentlich fast schon eine tragische Geschichte, wenn man vielleicht an dieser Stelle ein bisschen Pathos ins, Verzeihung, Spiel bringen möchte, wie dieser junge Mann seiner Herkulesaufgabe nachkommt, eine keineswegs überragende Mannschaft auf seinen Schultern durch das Turnier zu tragen, um dann in einer Art und Weise zumindest der Halbfinalteilnahme beraubt zu werden, die ein besonnener Schiedsrichter vermutlich hätte verhindern können.

Denn das darf man ja, bei aller Kritik an Herrn Busacca und den mehr oder weniger gut verborgenen Agenden der FIFA, auch nicht gänzlich außer Acht lassen: auf dem Platz entscheiden immer noch die Schiedsrichter. Und wenn sich von denen einer hinstellt und deutlich macht: “Das ist ja gut und schön, werte Brasilianer, zumindest aus Eurer Sicht, dass Ihr nicht nur eine Vielzahl taktischer Fouls begeht, um Angriffe des Gegners frühzeitig zu unterbinden, sondern dass Ihr darüber hinaus ganz offensichtlich vorhabt, den Herrn James hier ebenso bewusst wie gezielt und regelwidrig aus dem Spiel zu nehmen, aber ganz ehrlich: ich mach da nicht mit.” Was natürlich analog auch bei einer Reihe anderer Spiele denkbar gewesen wäre.

Natürlich trüge dieser Schiedsrichter dann das Risiko, dass ihn Herr Busacca, den ich gern als pars pro toto beibehalten möchte, oder vielleicht ist er es auch ganz persönlich, nach dem Spiel zur Seite nimmt und ihm sinngemäß sagt, es sei ihm, dem Schiedsrichter, zwar ganz vorzüglich gelungen, ein unter Umständen (Man weiß das ja im Vorfeld nie, und nur weil wir jetzt wissen, dass es aus den Fugen geriet, heißt das ja noch nicht, dass man es hätte ahnen können. Wobei.) zur Eskalation neigendes Spiel frühzeitig zu beruhigen, indem er klare Grenzen gezogen habe, anders als zum Beispiel Florian Meyer beim DFB-Pokalfinale; unglücklicherweise habe er hierzu allerdings zwei gelbe Karten benötigt, noch dazu vor der 30. Minute, und deshalb müsse er nun leider nach Hause fliegen. Aber er könne sich der Dankbarkeit der FIFA gewiss sein; schließlich habe er dafür Sorge getragen, dass sowohl Herr James als auch Herr Neymar das Ende des Turniers bei bester Gesundheit und mit hohem Unterhaltungswert erleben, einer von beiden vielleicht sogar als Finalteilnehmer.

Mir ist leider zweierlei klar: zum einen wäre das ganz schön viel verlangt von einem Schiedsrichter. Die wollen schließlich, wie Neymar oder Rodríguez, auch gern bis zum Endspiel im Turnier bleiben, gibt’s ja nur alle vier Jahre, klar, und dass man da nicht offenkundig gegen Herrn Busacca opponiert, ist nachvollziehbar. Zum anderen erscheint mir die von mir überspitzt formulierte FIFA-Reaktion im Grunde deutlich weniger spitz, als ich sie gerne interpretieren würde. Wenn ich zudem sehe, dass Felix Brych nach zwei sehr anständigen Einsätzen nach Hause geschickt wurde, und wenn ich zudem zwei und zwei zusammenzähle, was den Grund für seinen frühzeitigen Abschied anbelangt, jenen nicht gegebenen Elfmeter also, den kein Betroffener in Echtzeit geahnt hat, und wenn ich dann sehe, wer noch im Turnier bleiben durfte, und das hat nichts mit einer deutschen Brille zu tun, gewiss nicht, Herr Dr. Brych ist mir recht egal, dann schmunzle ich wieder einmal kurz über die namentliche Nähe des Ecclestonevereins FIA und des Blattervereins FIFA.

Ja, ich weiß, dass Herr Ecclestone dort kein Amt innehat. Und ich will noch nicht einmal Verschwörungstheorien formulieren. Nur Entscheidungsfindungen hinterfragen. Oder Transparenz. Womit wir dann doch wieder bei den Schiedsrichtern sind. Und bei Herrn Busacca:

“Dass die FIFA und der Vorsitzende ihrer Schiedsrichter-Kommission, der Schweizer Massimo Busacca, diesbezüglich deutlich weniger Transparenz walten lassen, gehört zu den Ärgernissen dieses Turniers.”

Das schrieb Alex Feuerherdt vor wenigen Minuten, mittlerweile vielleicht Stunden, ich bin zufällig grade darüber gestolpert, drüben bei Collinas Erben, und er schreibt noch viel mehr, und er bringt viele Dinge auf den Punkt, die ich hier bestenfalls vage angerissen habe, und spricht andere an, die hier überhaupt keine Erwähnung fanden.

Was mich, abseits der Verärgerung über das Gebaren der FIFA, mit Alex verbindet, ist der, so ich ihn im Podcast recht verstanden habe, gemeinsame Wunsch, dass Howard Webb das Finale leiten möge. Wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen: er hegt ihn wohl aus der Überzeugung heraus, dass Webb der vermutlich beste Schiedsrichter ist bzw. für das Finale wäre, ich hingegen hielte es schlichtweg für bemerkenswert konsequent, das Finale der WM 2014 von dem Mann pfeifen zu lassen, der bereits 2010 beispielgebend wirkte und zugelassen hätte, dass die Niederländer ihre spanischen Gegner buchstäblich vom Platz treten. Aber nur die besten.

 

Rote? Gelbe? (Grüne? Blaue?)

Die erste Halbzeit war dann doch eher mau. Lag vielleicht am Spiel unter der Woche, das einige noch in den Köpfen hatten. So war man zwar durchaus feldüberlegen, zwingende Torchancen ergaben sich indes nur sehr selten; vielmehr hätte der Gegner mit seinem ersten ernst zu nehmenden Angriff beinahe die Führung erzielt.

Spaß hatte ich trotzdem. Die Sonne schien, das Fahrradwetter hatte ich genutzt, am Schlienz gab’s eine rote Wurst, und letztlich war es doch nur eine Frage der Zeit, bis die U19 des VfB gegen den Nürnberger Nachwuchs zielstrebiger agieren und das eine oder andere Tor erzielen würde. In der Zwischenzeit begnügte ich mich damit,dem Spiel von Joshua Kimmich zuzusehen. Könnte ich immer wieder stundenlang tun. Und mich nebenbei, auch das in schöner Regelmäßigkeit, mit der Frage beschäftigen, ob Robin Yalcin nicht doch der kleine Bruder von Serdar Tasci ist, oder ein Cousin, oder zumindest ein Bruder im Geiste in Bewegung und Eleganz.

In der 48., 49. und 53. Minute fielen die ersten drei Treffer, am Ende stand’s 5:0. Die VfB-Junioren hatten sich in der Kabine wohl des Spielziels erinnert, der Club-Nachwuchs half ihnen ein wenig. Schön.

Also radelte ich guter Dinge weiter zur Fußballkneipe meines Vertrauens, um den Erwachsenen zuzusehen. Und wurde nicht enttäuscht. Starke Defensivleistung, vorne hätte man sich in der einen oder anderen Situation etwas mehr Übersicht gewünscht, aber letztlich war das sehr ordentlich, und wenn man hinterfragt, wieso der Meister wieder nicht gewonnen hat, dann könnte das auch damit zu tun gehabt haben, dass er auf einen Gegner traf, den man nicht mal eben im Vorbeigehen schlägt. Ging an der einen oder anderen Stelle ein wenig unter, fand ich.

Vor dem Spiel hatte ich mich per Twitter kurz mit BVB-Fan @surfin_bird ausgetauscht, der den VfB, rein von der Aufstellung her, zurückhaltender erwartet hatte:

Meine Antwort, der VfB richte sich nicht nach dem Gegner, lag irgendwo zwischen Überschwang und Übermut, und doch finde ich es gut und richtig, bei seinen Leisten zu bleiben. Man hätte natürlich hinten auch mit einer Dreierkette … ach, vielleicht doch nicht.

Was ich mich aber wirklich frage: Besteht ein Widerspruch zwischen dem Streben, das eigene System durchzuziehen und zu -setzen auf der einen und dem aktuell nicht mehr ganz so laut vernehmbaren – das EM-Halbfinale mag eine Teilschuld daran tragen – Ruf nach einem gegnerabhängigen Matchplan, der zum Teil, man denke an Thomas Tuchels erste Mainzer Saison, teilweise stark variierende Aufstellungen hervorbringt, auf der anderen Seite? Ich glaube nicht. Zumindest keiner, der sich nicht auflösen ließe.

Holzhauser. Kann ich nicht unkommentiert lassen, nachdem ich in den letzten Wochen ja fast ausschließlich über ihn geschrieben hatte. Ich hätte gelb gegeben. Und glaube, besten Gewissens sagen zu können, dass ich dies analog auch so sehen würde, hieße der Übeltäter Sebastian Kehl (Gute Besserung!), Neven Subotic oder, was weiß ich, Max Kruse, Marcel Schäfer, Miroslav Klose, Maik Franz.

Weil ich, und es ist einerseits Zufall, überrascht mich andererseits aber auch nicht, dass Jürgen Klopp da eine im Grundsatz ähnliche Meinung vertritt,  kein Verfechter der Linie bin, wonach ein Treffer mit dem Arm im Luftkampf grundsätzlich rot sein muss, sondern vielmehr, analog zu Schiedsrichter Zwayer, einen bewussten Schlag suche. Und bei Holzhauser nicht fand.

Nun bin ich aber kein Schiedsrichter und kenne erst recht nicht deren Anweisungen, die sich noch dazu – so hieß es zumindest im Sportstudio – im Lauf der letzten Jahre verschiedentlich verändert haben sollen (Nachtrag: Das entsprechende Zitat aus dem Sportstudio habe ich bisher nicht mehr gefunden. Entweder bildete ich es mir komplett ein – was mich ein wenig überraschen würde –, oder es entstammt einer anderen Sportsendung. Zudem widerspricht, wie drüben bei Collinas Erben nachzulesen, ein DFB-Schiedsrichter der Darstellung, die Anweisungen hätten sich verändert.), und vielleicht ist meine Einschätzung einfach objektiv falsch, weil ich die Regeln nicht gut genug kenne. Subjektiv ist aus meiner Sicht gelb ok; ich verstehe indes durchaus, dass und weshalb andere darin eine rote Karte erkennen.

Dass diese Leute dann ihre Rotforderung in Scharen auf Lewandowski und dessen Arm in Niedermeiers Gesicht ausdehnten, kann ich vor diesem Hintergrund ebenfalls nachvollziehen; ich selbst wäre dort mit einem bloßen Foulpfiff zufrieden gewesen, möglicherweise ergänzt um eine gelbe Karte. Ibisevic hätte ich im Übrigen vom Platz gestellt, mindestens mit gelb-rot. Sein Schlag gegen Schmelzer war aus meiner Sicht zwar nicht sonderlich hart, aber bewusst gesetzt.

Dass man all das anders sehen kann, versteht sich von selbst, sagte ich ja auch bereits. Ob man es anders sehen muss, kann ich nicht recht einschätzen – und harre gespannt der Einschätzung von Collinas Erben.

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Nachtrag: Mittlerweile hat sich ein – berufener – Erbe Collinas geäußert, und zu meiner angenehmen Überraschung scheint mein Regelverständnis gar nicht so falsch zu sein. Dass wir bei Holzhauser dennoch zu unterschiedlichen Bewertungen gelangen, liegt nach meinem Verständnis letztlich daran, dass er im Gegensatz zu mir einen Schlag erkennt. Fair enough. Bei Ibisevic sind wir uns allem Anschein nach völlig einig, zu Lewandowski sagt er nichts.
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Die Bewertung von Holzhausers sportlicher Leistung hatte sich meines Erachtens nach der besagten Szene erübrigt. Insofern überraschte es mich ein wenig, dass Bruno Labbadia ihn so lange auf dem Feld ließ – nicht aus Sorge, er könne beim nächsten Foul vom Platz fliegen, dafür ist die Zahl seiner Fouls im Normalfall zu gering, bzw. hatte er, in diesem Fall rein quantitativ gesprochen, sein Soll in Dortmund mit dem einen Foul bereits erfüllt, sondern einfach deshalb, weil er meines Erachtens mit dem Foul aus dem Spiel gefallen war, ungeachtet eines schönen und Gefahr bringenden Doppelpasses, den er noch zustande brachte.

Aber vielleicht dachte der Trainer, dieser nachwuchsfördernde Psychologe, ja auch, dass der Junge da einfach mal durch muss. Bemerkenswerte Randnotiz übrigens, mit welcher Selbstverständlichkeit Sky-Reporter Kai Dittmann die Lesart übernahm und verbreitete, wonach Labbadia der einzige gewesen sei, der zu Saisonbeginn noch an Holzhauser geglaubt habe.

Was ich noch fragen wollte: Wieso zupft Mario Götze so häufig sein Trikot zurecht? Ich kenne das so bisher nur von Frauen, die etwas zu kurze Röcke tragen. Oder von mir, wenn ich das Gefühl habe, aus einem Shirt herausgewachsen zu sein. Dabei bin ich doch meist derjenige, der bei Twitter jenen widerspricht, die Götze unterstellen, nicht durchtrainiert zu sein. Etwas verwirrt: ich.

Ach, und natürlich wüsste ich gern, wer Sven Ulreich geraten hat, als Fürsprecher seiner selbst aufzutreten. Brillante Idee, findet der Bundestrainer bestimmt auch.

Ich hab die Regeln umzusetzen.

Im Grunde halte ich mich für recht objektiv und bis zu einem gewissen Grad auch verständnisvoll, was die Bewertung von Schiedsrichterleistungen anbelangt. Dass die Vereinsbrille dennoch ihre Spuren hinterlässt, dürfte niemanden überraschen, und so muss ich einräumen, dem 23. Mann (w/m) gegenüber nicht immer fair zu sein. Ist er zu mir ja auch nicht immer.

Also lobe ich ihn heute einfach mal, und zwar gleich doppelt. Hat allerdings nur bedingt mit seiner Leistung auf dem Platz zu tun, in einem Fall trifft eher das Gegenteil zu, sondern vielmehr mit dem, was er nach dem Spiel gesagt hat. Wobei “er” im einen Fall Dr. Felix Brych heißt, im anderen Michael Weiner. Und manch einer wird das ganz anders sehen. Oder meine Positionen für unvereinbar halten.

Dr. Brychs Interview im Sportstudio war mir ein Vergnügen. Er legte dar, weshalb er das Spiel Dortmund-Mainz trotz der Verletzung von Neven Subotic nicht unterbrochen hatte und entgegnete auf die Frage, ob er auf den Gedanken des Fair Play achten müsse, folgendes: “Nein. Ich hab die Regeln umzusetzen.”

Nun kann man auf dem Standpunkt stehen, dass diese Aussage ein Grundübel des Fußballs im Allgemeinen und der Schiedsrichterei im Besonderen widerspiegle: dass sich die Unparteiischen zu sehr an den Buchstaben des Regelwerks festhalten. In aller Regel fällt dann auch ziemlich rasch die berühmte Vokabel “Fingerspitzengefühl”. Im vorliegenden Fall aber bin ich weit davon entfernt, Dr. Brychs Entscheidung zu kritisieren. Er hat sich an den Regeln orientiert, nach meiner laienhaften Einschätzung völlig korrekt.

Vor allem aber hat er dem Zuschauer und seinem Interviewpartner souverän und unaufgeregt Wissen vermittelt: der Schiedsrichter unterbricht, um die Gesundheit des betroffenen Spielers zu schützen. Punkt. Wenn er an der Notwendigkeit zweifelt, unterbricht er nicht. Und kann damit natürlich böse daneben liegen. Aber was wäre die Alternative? Pflichtunterbrechung, wenn ein Spieler am Boden liegt? Schöne Idee.

Das ganze andere Gedöns, Fair Play, Sportsmanship oder wie auch immer man es nennen mag, ist Sache der Spieler. Und sollte es auch bleiben, wenn es nach mir ginge. Ich halte nichts von einer Anweisung, dass ausschließlich der Schiedsrichter unterbrechen dürfe, um einen möglicherweise verletzten Spieler behandeln zu lassen. Mir gefällt die jetzige Aufgabenteilung: der Schiedsrichter unterbricht, um jemanden behandeln zu lassen, der ernsthaft verletzt sein könnte. Die Spieler sind Sportler genug, um die Schwelle niedriger anzusetzen. Und sie sind klug genug, einen notorischen Liegenbleiber irgendwann zu ignorieren. Subotic zählt nicht dazu.

Ja, ich finde, die Mainzer hätten den Ball ins Aus spielen sollen, auch wenn man das anders sehen kann. Die Argumentation, Dortmund habe ihn zunächst selbst nicht ins Aus gespielt, greift in diesem Fall nicht – dafür haben sie ihn zu schnell verloren, vermutlich zu schnell, um überhaupt zu realisieren, dass Subotic zu Boden gegangen war. Dr. Brych lag gleichwohl richtig.

Bei Michael Weiner sieht es etwas anders aus. Er lag mit seinen Entscheidungen bei Nürnberg-Bremen allem Anschein nach eher nicht richtig. In seinem Sportstudio-Interview zeigte er sich auch recht schmallippig und gewiss nicht souverän. Aber in einem Punkt bin ich völlig seiner Meinung: ich möchte nicht, dass der Schiedsrichter in jeder Partie einen, zwei oder drei Spieler fragt, ob es denn wirklich ein Foul oder nicht doch eine Schwalbe gewesen sei, ob der Ball die Linie überschritten habe, ob die Hand zum Ball gegangen sei, was auch immer.

Vielmehr möchte ich, dass er entscheidet, auf Basis der ihm vorliegenden Informationen. Wenn diese Informationen irgendwann Signale eines Chips im Ball oder einen Videobeweis beinhalten, soll er sie bitte einbeziehen. Und dann entscheiden. Ich will nicht einmal ausschließen, es vielleicht sogar begrüßen, dass ein Schiedsrichter in Einzelfällen auch einmal einen Spieler beiseite nimmt und um Aufklärung bittet.  Aber es soll bitte nicht zur Gewohnheit werden, dass die Verantwortung auf den Spieler abgewälzt wird.

Der hat schließlich schon genug mit der Verantwortung zu tun, die ich ihm bei der Frage nach Spielunterbrechungen für verletzte Mit- und Gegenspieler aufgebürdet habe.

Das Schiedsen und kein goldener Boden

Markus Merk ist Zahnarzt, bzw. er war es, weil er als Redner besser verdient. Franz-Xaver Wack ist bei den gleichen Leisten geblieben, Jochen Drees ist Allgemeinmediziner, Helmut Fleischer praktiziert bei der Bundeswehr. So weit weiß man vielleicht aus dem Kopf Bescheid, der eine oder andere auch noch darüber hinaus. Wenn man sich dann ein wenig in der Wikipedia vergnügt, erfährt man, dass Felix Brych zur gemeindlichen Förderung des Berufssports promoviert hat und Wolf-Rüdiger Umbach seit 15 Jahren Präsident der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften Braunschweig/Wolfenbüttel ist.

Herbert Fandels flinke Finger sind weithin bekannt, Bernd Heynemann hatte ein Leben vor der Politik, und zwar als Betriebswirt, Hellmut Krug war Gymnasialllehrer, Walter Eschweiler Diplomat im Auswärtigen Amt. Ingenieur Alfons Berg doziert an der FH Trier, Lutz Michael Fröhlich ist diplomierter Kommunikationswirt, Siegfried Kirschen Psychologe. Wolfgang Riedel war Jurist an der Humboldt-Universität, Klaus Scheurell ist Gärungstechnologe, falls man das so sagen kann, und Peter Sippel Betriebswirt.

Wolf-Dieter Ahlenfelder ist, genau wie Dieter Pauly, Industriekaufmann, Gerd Hennig Speditions-, Günter Perl Groß- und Außenhandelskaufmann. Wolfgang Stark, Marco Fritz und Babak Rafati sind Bankkaufleute.

Aber wo sind die Handwerker, die Mechaniker, die Leute, die mit ihren Händen arbeiten? Man wird ja wohl keine akademische Ausbildung brauchen, um das Spiel pfeifen zu können, das wegen seiner einfachen Regeln so beliebt ist? Wer weiß, ob wir ohne Schneidermeister Rudolf Kreitlein überhaupt gelbe und rote Karten hätten? Günther Habermann ist Elektromechaniker, Werner Burgers Schriftsetzer, Manfred Bahrs war Galvaniseurmeister und Albert Dusch Maschinenmeister bei einer Nähmaschinenfirma, Karl-Heinz Gläser lernte Schweißer und Lutz Wagner Maschinenbauer. Man muss ziemlich tief wühlen.

Unter den aktuellen Erst- und Zweitligaschiedsrichtern gibt es mit Robert Kempter einen Werkzeugmechaniker und mit Christian Bandurski einen Chemielaboranten. Ferner pfeifen ein paar Kaufleute und “Angestellte” sowie 5 Polizist(inn)en, während gut die Hälfte der 40 Auswerwählten einen akademischen Abschluss hat oder anstrebt.

Eine gewisse Ungenauigkeit ergibt sich aus den jeweiligen Berufsangaben, die nicht in jedem Fall ganz eindeutig sind. So im Fall von Thomas Metzen, dessen Berufsbezeichnung als Vorstandsassistent eher im Vagen bleibt, oder bei Deniz Aytekin, weil ich nicht so recht weiß, ob ein VWA-Betriebswirt als Akademiker gilt oder nicht. Unstrittig scheint jedoch, dass er Geschäftsführer eines seriösen Beratungsunternehmens ist.

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Ach, und falls sich jemand dafür interessieren sollte, wie ich das Spiel des VfB in Freiburg gesehen habe: gar nicht, bis auf die drei Tore.

Also schweige ich.