In der vergangenen Woche hat der 20-jährige Alejandro Sánchez von Real Saragossa sein Debüt in der Primera División gefeiert. Er wurde 15 Minuten vor Schluss eingewechselt und kurz darauf wegen einer Schwalbe verwarnt. Nicht sonderlich spektakulär, würde man meinen, wenn es sich bei Álex, so lautet sein Sportlername, nicht um den ersten einhändigen Spieler in der Primera División handeln würde. Sein Debüt traf dementsprechend auf ein gewisses öffentliches Interesse, beispielsweise am Spielfeldrand sowie insbesondere in Spanien selbst, wo sich die Fußballsendung “El día después” ausführlich mit dem jungen Mann befasste und dabei bemerkte, dass Álex entgegen der Aussage seines Sportdirektors Gerhard Poschner, wonach man dafür “neun andere Feldspieler” habe, auch einwerfen kann; darüber hinaus wurden einige Amateurspieler gezeigt, die mit weitaus schwerwiegenderen Behinderungen ihrer Leidenschaft Fußball frönen. Einen anderen Aspekt hoben die Kommentatoren unter einem Text bei El País hervor: wenn das Gewicht des Armes ausreiche, um das Gleichgewicht zu halten, stelle die fehlende Hand kein größeres Problem dar – die eigentlich bemerkenswerte Nachricht sei doch, dass sich Álex, obwohl Fußballspieler, mit guten Noten der Juristerei widme und darüber nachdenke, sich zudem mit Politikwissenschaften zu befassen.
Interessanter Ansatz, auch wenn ich ihn nicht so recht teilen kann. In einer Zeit, in der Fußballerkarrieren bereits durch einen unbedacht gewählten Zeugungszeitpunkt den ersten Knick bekommen können („Siebzig Prozent aller Spieler bei der U17-WM sind […] im ersten Quartal geboren“), beeindruckt Sanchez’ Erfolg einen unbedarften Laien wie mich ganz enorm. Im Amateurfußball habe ich gelegentlich Spieler mit ähnlichen Beeinträchtigungen erlebt und kürzlich von einem einarmigen Spieler auf dem Weg in die Verbandsliga gelesen; dass jedoch jemand den Weg in die erste Liga schaffen kann, hätte ich nicht gedacht (auch wenn das “bloße” Fehlen einer Hand in fußballerischer Hinsicht weniger gravierend sein mag).
Natürlich gab es in der Vergangenheit berühmte Fälle großer Spieler mit möglicherweise vergleichbaren Behinderungen, die aber in aller Regel weit zurück liegen. Als Stuttgarter denke ich sofort an Robert Schlienz, den Namensgeber des VfB-Amateurstadions, dessen Weggefährte Lothar Weise eine klare Meinung über Schlienz’ Stellenwert hat:
Die 11Freunde haben über Schlienz, dessen Karriereende kein Ruhmesblatt für den VfB war, geschrieben, der Spiegel hat es übernommen; mit den ganz Großen des deutschen Fußballs wird er außerhalb Stuttgarts allerdings nur selten in einem Atemzug genannt – was angesichts der lediglich drei Länderspiele wohl nicht weiter verwunderlich ist. Alfredo di Stefano war gleichwohl beeindruckt (“Der beste Mann auf dem Platz war der Einarmige. Was ich von dem gesehen habe, war für mich bis jetzt unvorstellbar”), und Hans Blickensdörfer brachte Schlienz’ sportliche Bedeutung in seinem Nachruf auf den Punkt: “Man hat zu Hause einfach deshalb nicht verloren, weil Schlienz es nicht wollte.”
Einige Jahrzehnte zuvor hatte “El divino manco” Héctor Castro mit Uruguay nicht nur die olympische Goldmedaille 1928 gewonnen, sondern war 1930 auch Weltmeister geworden, wobei er das erste und das letzte Tor des Turniers erzielt hatte – das erste war zudem das Premierentor im berühmten “Estadio Centenario” gewesen. Der Geschichtskanal der niederländischen Rundfunkgesellschaft VPRO hat zu dem Castro gewidmeten Artikel “De voetballer met één hand” auch ein Filmdokument von Olympia 1928 ausgegraben, und “BBC’s disability site” Ouch! befasst sich wenig zimperlich mit dem Womanizer, Spieler und Kettenraucher Castro.
Olympisches Edelmetall eroberte 2004 auch Julio González: Paraguay holte in Athen Silber. González stand bereits bei Vicenza Calcio in der Serie B unter Vertrag, war aber mangels Perspektive zurück zu Tacuary nach Paraguay verliehen worden. Nach dem olympischen Erfolg kehrte er nach Vicenza zurück und fasste dort allmählich Fuß. 2005/06 wies er Anfang Dezember eine sehr gute Torquote auf, als ein Autounfall zum Verlust seines Armes und zum vermeintlichen Karriereende führte. González sah das anders und arbeitete auf ein Comeback hin, das er im November 2007, erneut bei Tacuary, tatsächlich schaffte. Nach zwei weiteren Einsätzen und einer sturzbedingten Verletzung am Schlüsselbein wechselte er noch in die zweite Liga zu Presidente Hayes und kam dort zu weiteren Einsätzen, ehe er im Lauf des Jahres 2008 seine aktive Karriere beendete. Neben seinem sozialen Engagement im Rahmen einer Zusammenarbeit von Inter Mailand mit SOS-Kinderdörfern tat er das, was wohl alle Fußballprofis irgendwann tun, ob mit oder ohne Behinderung: er eröffnete eine Fußballschule.
Die Damen und Herren von Hotclip Youtube haben zwei aktuelle Porträts von González im Angebot, wobei man sich gut überlegen muss, ob man Blondie galore im zweiten neun Minuten lang ertragen will.
Jetzt bin ich doch ein wenig vom ursprünglichen Thema weggekommen. Was ich eigentlich sagen will: ich würde mich freuen, wenn sich Alejandro Sánchez auf Dauer etablieren könnte. Viel Glück, Álex!