Drucksituationen

“Für weitere Systemanalysen verweise ich jetzt einfach mal auf heinzkamke, der sich mit Sicherheit in den nächsten Tagen detailliert zur Lage des VfB äussern wird. (Subtil den Druck erhöhen… =))”

So steht’s im Brustring, und wenn ich ehrlich bin, muss ich mir eingestehen, dass ich diesem Druck, so subtil er auch sein mag, nicht gewachsen bin. Nicht gewachsen sein kann, da ich schlichtweg nur sehr wenig vom Sieg des VfB in Berlin gesehen habe. Und es wird ja wohl niemand ernsthaft glauben, dass ich mich für die geforderte Systemanalyse auf Informationen aus dritter Hand stützen würde.

So bleibt mir nur festzustellen, dass der VfB dem Druck, im Gegensatz zu mir, stand hielt. Sowohl dem psychischen als auch dem der Hertha. Wohingegen der Schiedsrichter wohl nicht druckresistent genug war. Womit ich nicht sagen will, dass der VfB Druck auf ihn ausgeübt habe, auch wenn das Deutsche und Fußballdeutsche bekanntlich gerne mal tun. Ob der Spätzle-unterwanderte DFB Druck auf den Schiri ausgeübt hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Ausschließen kann man sowas freilich nie. Vielleicht war es auch einfach nur der ganz normale Saisonendphasendruck, der das niedersächsische Gespann Weiner/Frank zu Fehlentscheidungen verleitete. Ging Herrn Preetz ja auch nicht anders. Im Gegensatz zu Michael Kempter, der auf Druck von Doc Z den nach eigenen Angaben brutalen Druck bei seinem Comeback souverän meisterte.

Ziemlich druckerprobt zeigten sich zu meinem Bedauern – und ich gebe zu, ein wenig zu meiner Überraschung – auch die Herren aus Hamburg und Wolfsburg, während man in Frankfurt und Gelsenkirchen nur leidlich druckresistent war. Wäre Toni Kroos dem Druck des Schützen im Angesicht des Torwarts gewachsen gewesen, hätten die Bayern von ihrem Vorturner Arjen Robben wohl noch mehr Druck bekommen; so aber dürften sie weiterhin davon ausgehen, keine Vizemeistertrikots drucken lassen zu müssen dürfen.

Kräftigem Druck waren und sind die Hoffenheimer Millionäre aus allen Richtungen ausgesetzt. Was mag geschehen, wenn sie realisieren, dass sie auch noch absteigen können? Und wieso hab ich das noch nirgends gelesen? Frank Baumann könnte denen Geschichten erzählen. Vom Druck vor dem Tor, zum Beispiel.

Zurück zum Druck der Hoffenheimer Fans. Deren Millionärsschelte landauf, landab für Belustigung sorgte. Vermutlich fanden’s die Spiel gar nicht so lustig. Fans können nämlich gnadenlos sein, wie wir kürzlich unter der netten Überschrift “Deisler-Arzt Dr. Nickel über DRUCK” bei den 11Freunden erfahren konnten. Nun will ich nicht so weit gehen, die Sonntagsausgabe der Stuttgarter Zeitungen, “Sonntag aktuell”, als gnadenlos zu bezeichnen. Aber so richtig schön finde ich es auch nicht, dass man es beim Relaunch im Januar 2010 für eine gute Idee hielt, wöchentlich die Flop-Elf des Tages zu küren, nach welchen Kriterien auch immer:

Wobei ich einräume, dass “Sonntag aktuell” nur bedingt in der Lage sein dürfte, damit Druck auf die Spieler auszuüben.

Wie dem auch immer sei: der Druck wird zum Saisonende hin nur in den wenigsten Fällen nachlassen. In Mainz und Gladbach vielleicht ein wenig eher als woanders, möglicherweise auch in Frankfurt, mit etwas Glück in Köln und Hoffenheim. Aber selbst die Bremer, von denen ich bis zum Wochenende glaubte, sie könnten sich in den verbleibenden Spielen Körperteile ihrer Wahl schaukeln, dürfen nun wieder Gas geben und spekulieren. Wobei mich persönlich natürlich in besonderem Maße der Kampf um Platz 6 interessiert, den ich, wie die geneigte Leserin weiß, vor Wochen schon aufgegeben hatte. Mittlerweile bin ich sehr guter Dinge, dass der VfB den HSV noch  überholt; Wolfsburg mit seinem künftigen Weltfußballer macht mir da deutlich mehr Sorgen.

Letztlich halte ich es aber mit Christian Gross, der am Sonntag in einem souverän geführten “Intervier” mit Valeska Homburg Klartext redete:

“Wenn wir 12 holen, dann schaffen wir es”
(ca. 13:50)

Nicht ganz so deutlich äußerte er sich zur Zukunft einzelner Spieler beim VfB; es würde mich, auch auf Basis dieses Interviews, allerdings überraschen, wenn Roberto Hilbert nächste Saison noch beim VfB und Sven Ulreich dessen Stammtorwart wäre (ab ca. 6:00). Wobei ich eine solche Entscheidung in Sachen Ulreich leichter nachvollziehen könnte als bei Hilbert. Aber auch hier werde ich versuchen, mir das zu Herzen zu nehmen, was Gross einem Zuschauer mit auf den Weg gab, der wissen wollte, ob er sich wegen des nächstjährigen Kaders Sorgen machen müsse:

“Er soll sich Gedanken machen, aber ‘ne gewisse Gelassenheit ausstrahlen.” (ca. 8:20)

Siehst Du, Timo, so wird das gemacht!

VfB-Hoffenheim 3-1: Während Carlos Eduardo mit seinen hochgezogenen Schultern und -zumindest abseits des Balles- vorsichtig und bedächtig gesetzten Schritten von der ersten Minute an so aussah, als wolle er so schnell wie möglich ausgewechselt werden, war der Chefposten auf dem Platz 90 Minuten lang unumstritten – zu dominant trat Sami Khedira auf. Er eroberte die Bälle, behauptete sie, verteilte sie und stellte nicht zuletzt nachlässige Kollegen in den Senkel. Mit Timo Gebhart soll er sich nach dessen Großchance 10 Minuten vor Schluss auch unterhalten haben:

“Timo, was soll der Scheiß? Spiel den Cacau an oder mach ihn rein!”

“Ja, aber…ich wollte erst…und dann wusste ich nicht recht…und der Torwart hat so gezögert…und dann dachte ich…”

“Nicht denken, Timo!
Wenn Du so zentral auf den Hüter zuläufst, zieh ein bisschen nach links oder rechts, um einen besseren Winkel zu bekommen.”

“Hä?”

“Ach komm, gib mir einfach mal den Ball, dann zeig ich’s Dir!”

Gebhart lieferte, Khedira auch.

Gemeinsam mit seinem etwas defensiveren Partner Christian Träsch ließ der Chef kaum geordnetes Offensivspiel der Hoffenheimer zu, sodass es im Grunde nur dann, wenn der beeindruckend ballgewandte Maicosuel ins Spiel kam (was zu Beginn und Ende der ersten Halbzeit etwas zu häufig der Fall war), gefährlich werden konnte.  Träsch war auch in der Vorwärtsbewegung erneut der Spieler, der die meisten Torschüsse abgab (im ZDF Videotext sind lächerliche zwei verzeichnet, dabei würde ich für mindestens fünf die Hand ins Feuer legen). Träfe er den Ball gelegentlich so wie 2008 gegen Werder oder wie Toni Kroos Woche für Woche, bräuchte sich der VfB derzeit keine Sorgen um die Torausbeute zu machen. So aber bleibt vor allem eines haften: Träsch gewinnt all jene Bälle zurück, die die Mitspieler (am Samstag gelegentlich auch er selbst) dem Gegner in den Fuß spielen, und leitet energisch, manchmal ungestüm, den eigenen Angriff ein – im günstigsten Fall heißt die nächste Station Khedira.

Ansonsten: verdienter Sieg gegen einen Gegner, der sich derzeit wohl zurecht im Niemandsland der Tabelle befindet, der aber immerhin, wie Ralf Rangnick nach dem Spiel in seiner gewohnt sympathischen Nonchalance korrekt feststellte, 9 Punkte mehr als der VfB hat und noch im DFB-Pokal vertreten ist. Wo er recht hat, hat er recht. Genau wie Schiedsrichter Manuel Gräfe, der die traditionsgemäß reflexartig umherhüpfenden Caspars Melchiors Balzers Rippenbiester Hammelswaden Schnürbeine Stehaufmännchen von der Hoffenheimer Bank lässig in ihre Schranken verwies und dabei ein wenig an die Eiche und ihren Umgang mit der Sau erinnerte.

Mit Bedauern war erneut festzustellen, dass die Cannstatter Kurve personalisierte Fangesänge weitgehend verbannt hat. Während man vor Jahren noch individuelle Rufe für zahlreiche Spieler hatte (Tomasson, Meissner, Meira, Hleb, zum Beispiel) und im Vorjahr zumindest noch Mario Gomez aus dem Standardrepertoire bediente, sind derlei Bekundungen mittlerweile verpönt. Was insofern schade ist, als beispielsweise dem verletzt am Boden liegenden Khedira, dem zu Spielbeginn vermutlich nicht völlig entspannten Sven Ulreich und dem zum Abschied noch kurz eingewechselten Ludo Magnin ein wenig individuelle Betreuung sicher nicht geschadet hätte. À propos Magnin: schöne Geste vom Trainer, die ich zwar erhofft, aber nicht unbedingt erwartet hatte.

Überhaupt, der Trainer: bei Sport im Dritten korrigierte er das in einem Beitrag gezeichnete Bild des Disziplinfanatikers mit autoritärem Führungsstil, das Valeska Homburg vorsichtig aufgenommen hatte. Er versuche vielmehr, seinen Spielern Wärme zu geben*, die sie benötigten, um zu rennen. Insgesamt ein sehenswertes Interview, in dem wir erfahren, dass Gross bisher nur mit den Leistungsträgern ausführlicher geredet hat, dass die Antwort auf die Frage, auf welche Spieler man in diesem harten Abstiegskampf wirklich zählen kann, über die Winterpause Veränderungen mit sich bringen kann, dass die Bundesliga keine Wohlfühloase sei, sondern man sich in einem Leistungsbusiness befinde, dass Gross in den nächsten Tagen Spiele(r) in England beobachten wird, dass Aliaksandr Hleb in punkto Commitment noch Luft nach oben hat, und einiges mehr.

Kalt war’s übrigens.

* Im Video ab ca. 8:40.