Riesch? Majdič? Pärson? Cacau!

In diesen Tagen wird je gerne einmal von Wiederauferstehungen, Comebacks und ähnlichen schönen Geschichten geschrieben, und das nicht zu unrecht. Petra Majdičs Kampf um eine olympische Medaille mag an der Grenze zur Verantwortungslosigkeit gewesen sein (auf welcher Seite der Grenze, mag jeder selbst entscheiden) – eine gute Geschichte bietet er auf jeden Fall, genau wie Anja Pärsons Hommage an Hermann Maiers Nagano-Episode.

Doch auch ohne den Verletzungsaspekt, der das Ganze nicht zuletzt für den Boulevard noch ein wenig attraktiver macht, hatte Vancouver bereits die eine oder andere beeindruckende Rückkehr zu bieten. Maria Riesch zeigte einen Tag nach ihrer bitteren Niederlage in der Abfahrt allen Skeptikern, dass sie sowohl sportlich als auch mental gerüstet war, ihren vermeintlichen olympischen Fluch Fluch sein zu lassen und statt dessen ihre Fähigkeiten als Comebackerin zu untermauern – aber die waren ja schon lange bekannt, wie wir nach ihrem Kombinationssieg lesen und hören durften.

Cacau kann das auch. Das mit den Comebacks, wenn ihn keiner mehr auf der Rechnung hat. Mit einer gewissen Regelmäßigkeit wird er beim VfB Stuttgart als Auslaufmodell kategorisiert, gilt er mal als zu eigensinnig, mal als nicht torgefährlich genug, mal als der falsche Stürmertyp. Gelegentlich lässt seine Reaktion ein wenig auf sich warten, doch gekommen ist sie bisher noch immer. Gerne erinnere ich mich an das Jahr 2006, als er im Frühjahr unter dem neuen Trainer Armin Veh nicht mehr als ein Ergänzungsspieler war, der kein einziges mal in der Startelf stand und bei seinen 10 Rückrundeneinsätzen nur in drei Fällen länger als 25 Minuten auf dem Platz stand. Die neue Saison begann er ebenfalls als Ersatzspieler, um im zweiten Saisonspiel in Bielefeld bei zwei Mann Unterzahl das Spiel mit zwei Toren zu drehen, darunter einer dieser Fernschüsse, bei denen man sich an den Kopf greift, weil es doch nicht sein kann, dass ein Profi wie ein Kreisligaspieler glaubt, den Torwart mit einem Schuss aus 35 Metern überwinden zu können. Er konnte und spielte anschließend seine sowohl persönlich als auch im Team erfolgreichste Bundesligasaison, an deren Ende er mit 13 Treffern maßgeblich zur Meisterschaft beigetragen hatte.

Seit Christian Gross den VfB übernommen hatte, steuerte man wieder auf die Debatte zu, ob Cacau für den VfB noch ein wichtiger Spieler sei. Nicht von ungefähr wurden im Dezember Bemühungen des HSV kolportiert, ihn zu verpflichten, und die Informationspolitik von Horst Heldt hinsichtlich einer möglichen Vertragsverlängerung deuteten auf eine erkaltete Liebe hin, was bei den Fans nur bedingt lautes Wehklagen verursachte. Einmal wurde Cacau in der 60. Minute eingewechselt, einmal in der 90., zuletzt war er vier Wochen verletzt – eben eine typische Cacau-Situation. Da passte es dann auch ins Bild, dass Trainer Gross vor dem Spiel in Köln angesichts des Ausfalls von Marica über eine Abkehr vom bisher erfolgreichen 4-4-2 nachdachte, was für Cacau erneut nur einen Platz auf der Bank bedeutet hätte. Aber Gross ist halt ein Meister seines Fachs und wusste wohl, dass sich Cacau an Tagen wie diesem auch nicht davon beirren lässt, dass er wie beim zweiten Tor erst einmal den Ball vergisst: dann dreht er halt um, holt ihn sich noch einmal, ignoriert vermeintlich besser postierte Mitspieler und macht das Ding im Stile eines großartigen Stürmers rein.

Und irgendwie lässt er mich gelegentlich, die Älteren werden sich an ihn erinnern, an Roland Wohlfarth zurückdenken, der in den späten 80ern in München im Grunde jedes Jahr abgeschrieben wurde, um dann doch wieder zu den erfolgreichsten Bundesligastürmern zu zählen. Natürlich war Wohlfarth insgesamt weitaus treffsicherer als Cacau, und erst recht war er ein völlig anderer Stürmertyp, und deutlich ausgeprägter als bei Cacau wurden ihm Jahr für Jahr vermeintlich hochkarätige Neuzugänge vor die Nase gesetzt. Beide aber schafften es immer wieder, dem jeweiligen Trainer ihren Wert für die Mannschaft zu verdeutlichen – nicht in jeder Phase, aber man konnte bzw. kann mit einer gewissen Ruhe darauf warten.

Ja, ich ärgere mich manchmal über Cacau. Ich habe ihn jahrelang verflucht, weil er nicht in der Lage war, Schuhe anzuziehen, in denen er in wichtigen Situationen auf den Beinen bleibt. Ich werde wahnsinnig, wenn er wieder einmal mit dem Kopf durch die Wand will. Aber ich weiß auch, dass er für viel mehr Überraschungen sorgen kann als alle anderen Stuttgarter Stürmer. Dass er aus unmöglichen Situationen schießt und dabei immer wieder für ein Tor gut ist. Dass er durch seine Beweglichkeit, seine Aktivität, die manchmal durchaus Aktionismus sein kann, Unruhe auslöst, Verwirrung stiftet, und Freund wie Feind irritiert. Gerade in Phasen, in denen das Spiel des VfB zu statisch zu werden droht, wie es in den vergangenen Jahren immer wieder der Fall war, ist so ein Stürmer Gold wert. Wie eben auch ein Spieler wie Roberto Hilbert, dessen technischen Defizite unbestritten sind, durch seine Dynamik, seinen Willen und sein Engagement einer manchmal zu starren Mannschaft gut tut. Und nein, ich sehe weder Cacau noch Hilbert in Joachim Löws Kader für Südafrika.

Zum gestrigen Spiel kann ich ansonsten nicht viel sagen. 90elf, ARD-Sportschau und DSF reichen nicht aus für eine fundierte Bewertung der Leistung. Interessant ist für mich daher, dass drüben im Brustring Delpierres Leistung sehr gelobt wird, während ich speziell bei Novakovic’ zweiter Großchance (bei der ersten lag ein Foul vor, klar) meinte, eine Kopie von Delpierres Geleitschutz für Marcus Berg in der Vorwoche zu sehen, nur ohne Begleitung von Tasci. Also glaube ich gerne dem geschätzten Kollegen Hirngabel und gehe davon aus, dass Delpierre auf dem Weg zu alter Stärke ist.

Abschließend ist es irgendwie beruhigend, dass Christian Gross hinsichtlich der Einsatzzeiten von Aliaksandr Hleb nicht nur für Kontinuität steht, sondern sich auch und vor allem von dem medialen Tamtam nicht irritieren ließ, das im Lauf der Woche um und die mangelnde Liebe für Hleb, der doch nur spielen will, und seine regelmäßigen Auswechslungen gemacht wurde.

Ach, und wie sagte ein Freund gestern:

“Nie zuvor ist mir die Bedeutung des Begriffes ‘Sechs-Punkte-Spiel’ so deutlich bewusst geworden wie heute im Rückblick auf das HSV-Spiel.”