Ignorance is bliss

Nichts. Wirklich nichts habe ich vom Spiel des VfB in München gesehen. Und nichts, wirklich nichts scheine ich verpasst zu haben. Umso schöner, wenn man sich dann auf das beschränken kann, was man auf der Basis oberflächlichen Medienkonsums an positiven Erkenntnissen aus den letzten Tagen gezogen hat, weitgehend unabhängig von der Leistung in München.

Dass Armin Veh bereits in der vergangenen Woche die sakrosankte Identifikationsfigur Sven Ulreich angezählt hat, zum Beispiel, und dessen Schwächen in der Spieleröffnung als erster Trainer auch einmal offen ansprach. Leistungsprinzip auch im Tor – schön.

Oder dass Timo Werner ein München allem Anschein nach zumindest einmal eine Halbzeit lang in der Sturmspitze statt auf der Außenbahn spielen durfte, anstelle von Vedad Ibišević. Womit auch Letzterer wieder ein Spieler aus Fleisch und Blut wäre, der ansprechende Leistungen zu erbringen hat, wenn er spielen will. Dass dieser Anspruch in analoger Weise auch für Werner gilt, hatte der Trainer bereits kurz zuvor zum Ausdruck gebracht. Gefällt mir.

Und hey, Moritz Leitner! In der Startelf! Sicher, Didavi war wohl erkrankt, und allem Anschein nach hat Leitner nun auch nicht unbedingt ein Feuerwerk abgebrannt. Dennoch: mir fiele die Vorstellung schwer, den VfB weiterhin völlig kreativitätsbefreit aufspielen zu sehen, Leitner aber draußen zu wissen. Seine Ideen, sein Mut, seine Frechheit in der einen oder anderen Szene können dem VfB nur guttun.

Sein Leichtsinn nicht, zugegeben. Wenn er indes nach dem Spiel ein bisschen zickig ist und nebenbei vielleicht einen Konflikt zwischen älteren und jungen Spielern nach außen dringen lässt, dann kann ich dem gegenwärtig nicht viel Schlechtes abgewinnen.

Zu den älteren Spielern zählt mittlerweile auch der Kapitän. Dem, es dürfte angesichts der Beispiele Ulreich und Ibišević kaum mehr überraschen, der Trainer ein paar Sätze ins Stammbuch geschrieben hat, ehe er ihn am Samstag auswechselte. Also auch hier: Leistungsprinzip.

Klingt doch ganz schön, tendenziell. Als hätte der Trainer genug von Erbhöfen, Stallgeruch und Verdiensten aus der Vergangenheit. Dass die genannten Defizite nun wirklich nicht neu sind: geschenkt! Dass wir von außen eh immer alles besser wissen: keine Frage! Dass das Spiel in München trotzdem ziemlich frustrierend gewesen sein muss: nicht schön!

Ob ich mich damit ähnlich belüge kreativ tröste wie die Spieler, die glücklich waren, nicht wie andere zur Pause 0:4 zurückgelegen zu haben, die eine deutliche Verbesserung im Vergleich zur Partie gegen Köln gesehen zu haben glaubten, oder die meinten, dass man in München halt einfach verliere? Ich glaube nicht. Aber ich glaube auch nicht, dass es ohne einen knorrigen Veh, der Reizpunkte setzt, der den etablierten Akteuren ihre Defizite und deren Folgen aufzeigt, und der Spieler wie Leitner oder Kostic einfach mal machen lässt, zu nennenswerten Veränderungen kommen kann.

Natürlich ist es wohlfeil, sich an ein paar gedrückten Sätzen zu erfreuen, an Kommunikations- statt sportlichen, nun ja, Highlights hochzuziehen und die Fakten auf dem Platz in kolportierter Vogel-Strauß-Manier zu ignorieren, das gebe ich gerne zu.

Gleichzeitig denke ich durchaus, dass diese Unwissenheit, der Verzicht auf die allwöchentliche Portion Frust, nicht nur zu einem gewissen Verständnis für Spieler führt, die in einem 0:2 beim FC Bayern nicht den endgültigen Beweis für die eigene Unfähigkeit sehen, sondern vielleicht tatsächlich den Blick schärft für einzelne Aussagen und Entscheidungen, die unter anderen Umständen, beispielsweise als Zehnter oder Elfter mit vier Punkten, drei davon gegen Aufsteiger Köln, vermutlich als positive kleine Signale wahrgenommen würden. Zumindest möchte ich mir das einreden. Fühlt sich besser an. ‘twould be folly to be wise.

 

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Wer indes meinen ehrlichen Frust hören möchte, dem sei der Kölner Bockcast ans Herz gelegt, wo ich in der Vorwoche meine Eindrücke zum Spiel gegen den dortigen Champions-League-Kandidaten und zu den Perspektiven des VfB ziemlich unstrukturiert und dennoch unzensiert von mir geben durfte, bis hin zu furchtlos-treuen Nebelkerzen.

Drei Generationen, vier Silben

Ich will es mal so sagen: das größte Kopfzerbrechen während des Spiels bereitete mir die Frage, ob der Sky-Reporter tatsächlich Recht haben könnte mit seiner Überzeugung, dass man Kolašinac auf der dritten Silbe betont. Gefolgt von jener, wieso ich bei Muttern und Vatern so viel Kaffee getrunken hatte, aber das sollte ich vielleicht gar nicht weiter vertiefen.

Die Zuversicht, mit der ich auf Basis der Erfahrungswerte aus den letzten soundsoviel Jahren dem Spiel gegen Schalke entgegengesehen hatte, erfuhr nur in zwei (drei) Situationen eine seismisch nachweisbare Erschütterung: zum einen, als man in der Nachspielzeit der ersten Hälfte Goretzka zum Abschluss einlud, zum anderen in den drei Minuten nach dem 3:1, mit dem Kopfball des Prinzen und der effetvollen Ecke von Tim Hoogland, der seinem gebrauchten Tag in diesem Moment mit etwas Glück doch noch eine positive Wendung hätte geben können. Ansonsten lief es wie erwartet, irgendwie.

Klar kann man das hernach leicht sagen, noch dazu nach einem Wochenende, für das “wie gemalt” als eher vorsichtige Umschreibung durchgeht. Aber Schalke zuhause, so sagte ich mir in der Tat, das passt. Noch dazu, in der laufenden Saison, wenn ich selbst nicht vor Ort sein kann. Natürlich malte ich mir vor dem Spiel auch aus, was eine Niederlage bedeuten würde, und wenn ich ehrlich bin, war mir gar nicht so klar, wieso der VfB ausgerechnet in diesem Spiel zu seiner Schalke-Form finden bzw. wie die Schalke-Formation aussehen sollte; dennoch hatte ich wenig Zweifel daran, dass die Mannschaft als Sieger vom Platz gehen würde.

Ok, ich gebe zu, dass die Erkenntnis, Cacau auch noch in den zweiten 45 Minuten auf dem Spielfeld zu sehen, meinen Puls unmittelbar nach der Pause ein bisschen in die Höhe trieb. Aus Sorge, ihn ohne Huub Stevens’ Zutun keine 45, sondern höchstens noch 15 Minuten spielen zu sehen. Er strafte mich eindrucksvoll Lügen, und ich nahm die Strafe, Anstand und Haltung bewahrend, gerne an.

Ach, und dass Gruezo raus musste, noch dazu just nach dem nicht gegebenen Anschlusstreffer, und dass Konstantin Rausch statt seiner die Mitte verdichten sollte, war emotional auch eher kein idealer Einstieg in die Schlussviertelstunde. Zumal mit meinem Vater ein stets furchtbarer Schwarzmaler neben mir saß. Dabei ist er noch nicht einmal VfB-Anhänger. War ihm aber egal, er malte. Sprach von Statistiken und der VfB-Viertelstunde. Die nichts mit ihrem Hütteldorfer Pendant gemein hat.

Etwas überraschend sprang mir der Wirt, ein KSC-Fan, zur Seite, und wie ich so über Belanglosigkeiten schreibe, fällt mir dann doch auf, wie sehr ich aller vorgegebenen Abgeklärtheit zum Trotz dankbar nach jeder Ablenkung griff, die mich vom Nägelkauen oder vom ständigen Umarmen meines Sohnes (ja, es war eine Dreigenerationenkneipenschau) abhielt. Sie wissen schon, jene Umarmungen, die betrunkene Männer einander gelegentlich angedeihen lassen (mein Trainer, damals, fragen Sie nicht!) und die sich in nichts von dem unterscheiden, was landläufig unter “Schwitzkasten” läuft. Ich kann das halt auch nüchtern.

Ja, Ulreich, wieder. Und ja, klar, Sakai – nachdem ich eine Viertelstunde zuvor noch bemängelt hatte, dass er “Nie!” ins Dribbling geht. Ja, Didavi, der Freistoßdistanzen direkt überwindet, bei denen Allgöwer zweimal nachgedacht hätte. Um dann doch zu treffen, aber das ist eine andere Geschichte. Ja, Harnik, mal wieder. Ja, Traoré, den mein Vater am liebsten adoptiert hätte, und ja, hatte ich schon implizit gesagt, Gruezo.

Und nein, Ibisevic. Die Lebensversicherung auf der Bank, und sie dürfte das nicht gerne mit sich machen lassen. Auch wenn es nicht ganz fern liegt, bei einem auf schnelle Gegenangriffe angelegten Spiel auf typischere Konterstürmer wie Werner oder eben auch Cacau zu setzen, würde es mich sehr interessieren, wie Stevens in diesen Tagen mit Ibisevic kommuniziert. Ob er es überhaupt explizit tut.

Nächster Halt: Hannover. Und meine Überzeugung ist wie weggeblasen. Klar hoffe ich, bin auch zuversichtlich, träume von einer dann doch überraschend frühen Rettung, aber von dieser österlichen Gewissheit, die natürlich keine war, sich aber im Rückblick so anfühlte, ist das doch noch ein ganzes Stück entfernt. Vielleicht kommt sie ja noch.

Und natürlich hab ich mich kundig zu machen versucht. Forvo muss noch passen, Wikipedia sagt [kɔ’laʃinats], es finden sich auch Videos mit k am Ende, zumindest aber haben die bisherigen Ergebnisse eines gemein: die Betonung auf der zweiten Silbe.

 

 

 

 

 

Krankheitsbericht

Vor Wochenfrist, großzügig gerechnet, hatte ich endlich mal wieder etwas zu erzählen. Im Stadion war ich gewesen, gegen Dortmund, ein schönes Spiel gesehen, mit bitterem Ausgang, gewiss, und doch waren diese 25 Minuten zu Spielbeginn für die Seele Gold wert gewesen, mehr als alles andere, was ich im Lauf der Saison gesehen hatte. Ich räume ein: vermutlich kam das Schneider’sche Bundesligadebüt dem nahe, auch wenn ich es nur in einer komischen Hamburger Bar (ohne Bindestrich) verfolgen konnte.

Mein Sohn war dabei gewesen, nicht in Hamburg, doch schon, aber das meinte ich jetzt nicht, sondern im Stadion, gegen Dortmund, nachdem er vormittags beim Punktspiel eine Abwehraktion zum Besten gegeben hatte, die Marwin Hitz Stunden später ähnlich spektakulär, aber deutlich weniger erfolgreich nachstellen würde. Aus nächster Nähe ins Gesicht, Sie wissen schon, mit dem Unterschied, dass Hitz ein Eigentor unterlief, während mein Sohn tatsächlich klärte. Glücklich machte es ihn nicht, und mich, der ich ihm tags zuvor angeraten hatte, etwas weniger ängstlich in Zweikämpfe zu gehen, erst recht nicht.

Natürlich hatte das nichts mit Dortmund zu tun, außer dass ich gottfroh war, ihn wohlbehalten und ohne Brummschädel mit ins Stadion nehmen zu können, aber irgendwie hätte ich das schon zusammengeführt. Noch ein bisschen Schirischelte dazu, weil Oliver Kirch nach seinem taktischen Foul auf dem Platz bleiben durfte, dann noch ein paar Mutmaßungen über Jürgen Klopps Gedankenwelt beim Beobachten der Duelle zwischen Erik Durm und Ibrahima Traoré, der natürlich noch einmal eine ganz andere Nummer ist als Gareth Bale – der eine oder andere Seufzer dürfte Klopp dennoch entwichen sein.

Schließlich dann, um das Ganze abzurunden, wäre noch ein kurzes Philosophieren über Robert Lewandowski fällig gewesen, den die einen wegen seine gewiss leichtfüßigen Falls vor dem Ausgleich scharf kritisierten, während die anderen, zumindest Teile der anderen, ganz konkret: ich, den ich also mit einem Gefühl beobachtet hatte, das, die VfB-Bedürfnisse kurz beiseite schiebend, man wohl als Verzückung beschreiben könnte. Ballannahmen, bei denen nicht nur ich mir, sondern bei denen sich vermutlich auch professionelle Fußballspieler Faserrisse zuziehen würden, ohne den Ball auch nur zu berühren, Dribblings, Tempo, eine über sämtliche Zweifel erhabene Körpersprache und in jedem Augenblick diese Sorge, dass gleich etwas Großes passieren könnte.

Ich weiß, BVB-Anhängern geht es schon lange so, von besagter Sorge vielleicht abgesehen, und natürlich denke ich derlei nicht zum ersten Mal, habe ich ihn nicht zum ersten Mal gesehen. Ich weiß zudem, dass das gar nicht sein bestes Spiel war, aber das braucht es ja gar nicht, oftmals sind ja die Ahnungen all dessen, was sich noch dahinter verbirgt, und nein, ich laufe nicht Gefahr, den Faden zu verlieren oder gar ins Schlüpfrige abzugleiten, sind es also diese Ahnungen, die die Phantasie anregen und einem, ja, das Herz aufgehen lassen. Bis man sich dann wieder der Situation der Heimmannschaft erinnert.

Ein bisschen abseits des Spielfelds hätte ich dann noch kurz über Autofahrten aus Kindertagen gesprochen, aus der südbadischen Provinz in die Landeshauptstadt, und über meine Irritation ob der Ungerechtigkeit, dass schon nach wenigen Kilometern, noch vor Erreichen der Autobahn, die Beschilderung für Stuttgart begann, während auf der Rückfahrt weit über 100 Kilometer an uns vorüberzogen, ehe die wunderbare eigene Heimat angekündigt wurde. Dem Großteil der gen Süden fahrenden Stuttgarter war sie schlichtweg ziemlich egal.

Ganz ähnlich wie meinem kindlichen Ich dürfte es jenen Leuten gehen, die nach dem Dortmund-Spiel die Sorge äußerten, der Meister aus München betrachte den VfB als Erzrivalen und werde deshalb besonderes Augenmerk darauf legen, besagten VfB am letzten Spieltag in die zweite Liga zu schießen, um so seinen eigenen Titel noch mehr auskosten zu können. Gewiss, alles eine Frage der Perspektive. Und nicht nur ihrer.

Das alles und noch viel mehr sollte also vor Wochenfrist irgendwie zu Papier gebracht werden, ehe mich eine heimtückische grippale Attacke auf die Bretter schickte, wo ich dann die Woche verbrachte. In lichten Momenten schrieb ich in Etappen ein paar Sätze für den Sitzplatzultra, der in seinem Blog nach einem festen Schema bloggende Anhänger des jeweiligen Gegners “seines” SC Freiburg zu Wort kommen lässt und dem ich schon vor langer Zeit Antworten zugesagt hatte. Rückblickend kann man feststellen, dass die vermeintlich lichten Momente gar nicht so licht gewesen sein dürften.

Meine dort zum Ausdruck gebrachte Meinung, dass Oliver Baumann ein besserer Torwart sei als Sven Ulreich, ist im Lichte des samstäglichen Realitätsabgleichs zunächst einmal nicht zu halten. Zahlreichen lichten Momenten des VfB-Torhüters stand mindestens ein eher düsterer seines Pendants gegenüber.

Zumindest einen düsteren Moment hatte auch Vedad Ibisevic, der noch nie in seiner Zeit beim VfB so früh und unverletzt ausgewechselt worden sein dürfte. Ansonsten kann ich zum Spiel nichts sagen. Nicht einmal, ob Christian Streich an Gareth Bale dachte.

Somit habe ich zuletzt von drei Heimspielen an drei aufeinanderfolgenden Samstagen nur eines gesehen. Das, das verloren wurde. Ebenfalls nicht im Stadion war ich gegen Hoffenheim. 6:2, Sie wissen schon. Was mich zumindest für das Schalke-Spiel am seit Monaten anderweitig verplanten Ostersonntag ganz zuversichtlich stimmt.

Ernsthaft: der VfB hat in dieser Saison wettbewerbsübergreifend acht Spiele gewonnen. Eines davon habe ich live gesehen. Bitter. Vor allem ersteres.

Ein Freund beantwortete die Frage nach seinen Dauerkartenplänen für die kommende Saison jüngst sinngemäß so:

“Ja, ich denke schon, dass ich auch in der zweiten Liga eine Dauerkarte nähme.
Ach, in der ersten? Nein, das tue ich mir nicht mehr an.”

Wie heiß diese Aussage letztlich gegessen würde, weiß ich nicht. Und auch nicht, ob er zu dem Zeitpunkt schon wusste, dass Fredi Bobic auch in Liga zwei weitermachen würde. So er dürfte. Sein Vorbild sei Michael Preetz, wenn ich das recht verstanden habe. Der sei sogar zweimal wieder aufgestiegen mit der Hertha. Yeah!

Zurück zum Samstag: während ich die Bundesliga so verfolgte, machte das böse Wort von der Wettbewerbsverzerrung die Runde. Ob dem bösen Wort auch ein böses Handeln des FC Bayern gegenüberstand, der mit zehn Feldspielern angetreten war, die im Durchschnitt in gut 40 Prozent der bisherigen Spiele zum Einsatz gekommen waren, darunter zwei Debütanten, wurde nicht einheitlich bewertet.

Dabei steht außer Frage, dass der FC Bayern jedes Recht hat, die Mannschaft aufzustellen, die er will. So wie der Betrachter das Recht hat, darin eine Wettbewerbsverzerrung zu erkennen, oder wie ich das Recht habe, es insbesondere im Lichte der vorangegangenen Ankündigung des Trainers, dass die Bundesliga-Saison des FC Bayern beendet sei, als unsportlich und als Provokation zu empfinden.

Was mich indes überraschte, brachte ich in einem Tweet zum Ausdruck:

Ernsthaft und ohne jede Polemik: ich hätte gedacht, dass Reaktionen im Sinne von “Findest Du?”, “Na ja, jetzt übertreibst Du aber ein bisschen”, “Schon grenzwertig, aber angesichts der Champions League am Mittwoch doch auch nachvollziehbar” oder gar “Ja, für Mainz als Wettbewerber ist das sicher ein Schlag ins Gesicht. Ich finde dennoch, dass man da keine Rücksicht nehmen darf.” Auch “Nee, sehe ich überhaupt nicht so. Højbjerg ist schließlich …” hätte ich genommen. Und ja, gerne auch ein bisschen direkter in der Ansprache, schließlich waren die kritischen Äußerungen auch nicht allzu romantisch ausgefallen, zum Teil übers Ziel hinausgeschossen.

Faktisch las ich indes, was an mir gelegen haben mag, nur sehr wenige Tweets, die sich halbwegs ernsthaft mit den Vorwürfen auseinandergesetzt hätten. Stattdessen wurde den Kritikern unterstellt, doch nur darauf gewartet zu haben, es den Bayern endlich mal zeigen zu können, andere nahmen Diskussionen der letzten Wochen auf, sinngemäß: “Bei Siegen ist es Langeweile, bei Niederlagen Wettbewerbsverzerrung. Euch kann man es nicht recht machen”.

Wieder andere wiesen die “Dummquatscher” schlichtweg darauf hin, dass “wir” noch größere Ziele hätten, bezeichneten die Vorwürfe als “Unsinn” oder ließen die Kritiker wissen, dass sie sie auslachten. Nicht wenige verwiesen darauf, dass sich Augsburg ja nicht in einem relevanten Wettbewerb befinde, was angesichts von nun zwei Punkten Rückstand auf einen möglichen Europapokalplatz eine gewagte These ist, gleichzeitig aber immerhin in eine inhaltliche Auseinandersetzung zum Thema münden konnte.

Häufig kam natürlich der Hinweis, dass gerade Armin Veh nicht klagen dürfe, der ja mit seinen Frankfurtern das Spiel in München abgeschenkt habe. Unter anderem hierzu tauschte ich mich mittels privater Direktnachrichten mit einem geschätzten FCB-Fan aus und argumentierte auf seine Frage hin, ob ich das Frankfurter Verhalten gleichermaßen unpassend gefunden habe, alles andere als wissenschaftlich sauber und in Kurznachrichtendiktion:

“Frankfurt fand ich nicht schön, aber nein, nicht in dem Maße. Zum einen befand sich der Gegner, realistisch betrachtet, schon zu jenem Zeitpunkt nicht mehr in einer wirklichen Wettbewerbssituation, zum anderen verringerte Frankfurt seine Siegchance geschätzt von 10 auf 5 %, während die Bayern ihre heute, geschätzt, von irgendwas über 80 letztlich unter 50 senkten.”

Aber wie gesagt, all das kann man aus guten Gründen anders sehen. Ich hätte mich nur über ein etwas weniger selbstbewusstes Beiseitewischen von Kritik und eine offene Auseinandersetzung gefreut.

Wohl wissend, dass ich manches überlesen haben mag und dass sich viele bestimmt im Privaten Gedanken dazu gemacht haben.

 

 

 

 

 

 

Einzelfallinduzierter Paradigmenwechsel

Um das Abwehrverhalten von Fußballspielern grundlegend zu verändern, bedarf es häufig bahnbrechender Einschnitte. Regeländerungen, zum Beispiel, von der Rückpassregel über “gleiche Höhe ist kein Abseits” bis hin zu passivem Abseits, unnatürlichen Handbewegungen und vergrößerten Körperflächen.

Vermutlich handelt es sich bei den genannten Beispielen zum Teil gar nicht um Regel-, sondern nur um Auslegungsänderungen, möglicherweise sind diese auch gar nicht so bahnbrechend, wie der Verfasser der geneigten Leserschaft suggerieren möchte, aber zum einen versteht das außer Collinas Erben ja eh keiner so genau, und zum anderen lasse ich mir meine Legendenbildung nicht von einer vergrößerten Körperfläche nehmen. Taktische Paradigmenwechsel funktionieren übrigens auch, wie wir seit dem erhellenden Viererkettenreferat eines Zweitligatrainers im altehrwürdigen Sportstudio wissen.

Manchmal genügt allerdings auch eine einzige Szene, um Generationen von Fußballspielern in ihrem Abwehrverhalten nachhaltig zu beeinflussen. So wie Rivelinos Freistoß.

Zugegeben: er hat einige geschossen und dabei gewiss nicht selten getroffen. Letztlich wissen wir aber alle, so wir ein gewisses Alter, elterliche Fußballbücher oder einen anderweitigen Zugang zur Fußballhistorie haben, dass es um jenen einen gehen muss, dem Croy kaum mehr als eine hilflose Gewichtsverlagerung entgegenzusetzen hatte, oder, wie Harry Valérien in seinem 74er WM-Buch schrieb:

“Ein verblüffender, raffinierter Freistoßtrick. Ein brasilianischer Spieler stellte sich in die Mauer der DDR und ließ sich zu Boden fallen; durch diese Lücke schoß Rivelino den Ball ins Tor. Reaktionslos schaut DDR-Torwart Croy dem Ball nach.”

 

Möglicherweise war Rivelino gar nicht der erste. Ich kann es zumindest nicht ausschließen. Aber Sie wissen ja: zu viel Detailwissen schadet unter Umständen der Legendenbildung. Beziehungsweise meinen Theorien zum Abwehrverhalten.

Jeder, der auf einem Fußballplatz und ganz konkret in einer Mauer steht, oder auch jede, weiß – der Legende zufolge – seit jenem Tag im Sommer 1974, dass ein Angreifer, der sich in die Mauer stellt, nicht ad hoc die Seiten gewechselt hat, sondern dass er die Abwehr irritieren oder bedrängen und im Idealfall die Lücke für den Schuss reißen möchte.

Und jeder einzelne dieser genannten Menschen, die im genannten Kontext in der Mauer standen, angefangen in der Kreisliga, ach was, in der D-Jugend, spätestens, weiß seit dem 26. Juni 1974, dass er sich gefälligst hinter den scheinbar Fahnenflüchtigen zu stellen oder ihn, noch besser, ganz aus der Mauer zu entfernen hat.

Dass die Chance, auf einen zielgenauen Freistoßschützen zu treffen, in der Kreisliga B tendenziell gering ist, mag sein. Dennoch kann man sicher sein, dass sich im Erfolgsfall mindestens ein Kübel Häme über denjenigen ergießen würde, der die Lückenbildung nicht verhindert hat, gerne verbunden mit dem Hinweis, dass man das ja schon in der C-Jugend lerne.

Ein Anfängerfehler, wenn man so will. Ein Fehler also, der ganz gut in das Bild passt, das der VfB Stuttgart in den letzten Wochen vermittelte: irgendeiner ist immer für einen stümperhaften Lapsus gut, lässt sich als letzter Mann per Bauerntrick übertölpeln, verweigert die Deckungsarbeit bei einer Standardsituation, läuft orientierungslos aus seinem Tor heraus, man möge die Reihe gerne fortsetzen.

Nun also ein bauernschlauer Freistoß. Der noch nicht einmal so geplant war, wie der Schütze wohl einräumte, aber es hilft ja nichts. Und mir fällt es fast schwer, die allseitigen Bekundungen, der neue Trainer habe mehr Stabilität in die Defensive gebracht, nicht herzhaft auszulachen. Stichwort C-Jugend.

Ok, stimmt schon: das war defensiv besser. Wer konnte auch damit rechnen, dass man plötzlich mit einem Linksverteidiger antreten würde, der sich seiner dereinst nicht nur angedeuteten Fähigkeiten erinnert? Ohne weiter auf einzelne Spieler eingehen zu wollen, steht auf der Eben-nicht-Habenseite zu verbuchen, dass man die Bremer in der B-Note ausstach und so gewisse Hoffnungen schürte, die dann zwar jäh auf eine C-Jugend-Mauer prallten, grundsätzlich aber bestehen bleiben. Auch wenn ich ohne weitere Umschweife einräume, dass ich zunehmend dazu übergehe, mir einzureden, dass andere, tiefere Ligen auch schöne Spiele haben. Der Erfolg dieser autosuggestiven Bemühungen ist gegenwärtig noch überschaubar.

Zu den sehr wenigen Dingen, die mich bei einem Fußballspiel de facto überhaupt nicht interessieren, zählt der Sitzplatz des Sportdirektors. Es sei denn, er hat das Zeug zum Politikum. Dann ist es zwar immer noch nur ein Politikum und kein Sport, aber wenigstens irgendwie relevant. Fredi Bobics Umzug auf die Tribüne hat insofern das Zeug zum Politikum, als seine Beteuerungen, der besseren Sicht wegen den Platz zu wechseln, für meinen Geschmack einen Tick zu laut zu hören waren. Die Frage, ob es nicht doch der Trainer gewesen sein könnte, der eine gewisse Präferenz geäußert hat, erscheint nicht gänzlich unpassend.

Und der Schelm, der bei der einen oder anderen Sache Böses denkt, fragt sich dann auch gleich noch, was er davon halten soll, dass, während Bobic die Elfmeterproblematik mit dem brüsken Hinweis auf Ibisevics anstehende Rückkehr beiseite wischt, der Trainer erst einmal sehen will, ob Ibisevic nach fünf Wochen Pause für einen Startelfeinsatz bereit sei.

Immerhin wissen wir nun, in wessen Entscheidungsbereich die Mannschaftsaufstellung fällt, wenn es am Sonntag gegen den HSV geht. Und ich Kindergeburtstag feiere.

Laufkundschaft

Der Disput zwischen den Herren Ulreich und Leitner, Sie wissen schon, bei diesem Abstoß, als Ulreich den sich anbietenden Leitner nach vorne winken wollte und Leitner den wild rudernden Ulreich eher fassungslos ansah, was Ulreich zu wilderem Rudern und Leitner zu wachsender Fassungslosigkeit und einsetzender Sturheit animierte, ehe Letzterer nach einer gefühlten Minute zur Mittellinie trabte, also dieser kleine Disput, der hat ja die Berichterstattung nach dem verheerenden 1:4 des VfB gegen Augsburg schon ein bisschen geprägt, und er hat selbstredend als Symbol für dies und jenes herhalten dürfen.

Ein Sympol für die Uneinigkeit in der Mannschaft, aber auch für deren Lebendigkeit, für die notwendige Reibung und für mangelnde Konzentration auf das Wesentliche, für Leitners Nassforschheit und Ulreichs Führungsanspruch, auch wenn ich das so nicht gelesen habe, und gewiss für manches mehr, und vielleicht fällt es ja auch gar nicht auf, wenn auch ich noch mein deutendes Scherflein beitrage und den Widerspruch zwischen Leitners Freude am Ballbesitzspiel und Ulreichs Freude am Ball-weg-Spiel beklage.

Was natürlich eine überspitzte und keineswegs faire Interpretation ist, was wiederum niemanden überraschen dürfte, der mein Faible für den Zocker Leitner und mein weniger stark ausgeprägtes Faible für den Spieleröffner Ulreich kennt. Gleichzeitig stellt sich natürlich die Frage, wen Leitner, so er denn in der Rechtsverteidigerposition angespielt worden wäre, hätte anspielen sollen, eingedenk des Umstandes, dass jener eine Spieler, den man im Aufbau in der Zentrale auch mal anspielen kann, der den Ball auch will und nicht vor lauter Schreck zum Torwart zurückspielt, dass also Leitner in jenem Moment gar nicht anspielbar gewesen wäre. Was den Schluss nahelegt, dass Ulreich augenscheinlich die richtige Strategie gewählt hatte.

Um nicht falsch verstanden zu werden: ich finde es nicht per se verwerflich, den Ball zum Torwart zurück zu spielen. Selbst bei der Partie gegen Augsburg dachte ich zum Ende der selbstbewussten Anfangsphase hin, als man verschiedentlich zurück zu Ulreich spielte, zumindest aber den Ball in der Viererkette zirkulieren ließ – was für sich genommen zweifellos ein furchteinflößender Gedanke ist –, dass es möglicherweise ganz sinnvoll sei, ein wenig Ruhe einkehren zu lassen, ehe man die Schlagzahl wieder erhöht. Einige der Umstehenden sahen das anders, bruddelten und schimpften zunehmend lautstark.

Natürlich hatten sie recht. Oder anders: natürlich hätte ich wissen müssen, dass es nur schwer möglich ist, den VfB-Motor nach einer derzeit recht verlässlich ansehnlichen Anfangsphase und dem ebenso verlässlich eintretenden Abfall noch einmal auf Touren zu bekommen, und natürlich hätte mir vor allem bewusst sein müssen, dass der Ansatz, den Ball ein bisschen zirkulieren zu lassen, angesichts der auch ohne Bedrängnis verlässlich auftretenden individuellen Fehler kein guter sein konnte. Was den Schluss nahelegt, dass Ulreich augenscheinlich die richtige Strategie gewählt hatte.

Wie auch immer: das Spiel war vor der Pause durch, war dann nach dem Platzverweis, über den alles gesagt ist, erst recht durch, und unmittelbar nach dem 1:3 fiel es, und fiel der VfB, noch einmal so richtig durch, als man im Gegenzug die endgültige Entscheidung zuließ.

Es war kein Spaß, ehrlich nicht. Ich kann mich nicht erinnern, bei laufendem Spiel, und zwar nicht erst in der 88. Minute, schon einmal einen derartigen Exodus aus unserem Block erlebt zu haben, einem Block, der nicht unbedingt im Verdacht steht, einen hohen Anteil ergebnisabhängiger Laufkundschaft zu beherbergen, und wenn ich in den letzten Tagen irgendwo gelesen habe, dass die Fans nicht wütend oder verärgert sind, sondern besorgt und von einer Enttäuschung erfasst, die phasenweise resignierte Züge hat, so trifft das meine Wahrnehmung (nicht: mein eigenes Empfinden) ganz gut.

Wenn ich anderswo lese, dass Labbadia schon wusste, was er tat, und wieso er nicht konsequent auf die Jugend gesetzt habe, so trifft das meine Wahrnehmung so gar nicht, aber das nur am Rande. Um dennoch kurz beim Nachwuchs zu bleiben: “Timo Werner, vor ein paar Wochen noch der große Hoffnungsträger, springt nahezu jeder Ball vom Fuß“, schreibt Stefan Rommel drüben bei Spox in einer vielfältigen Bestandsaufnahme, und hält damit pointiert einen Eindruck fest, den ich auch ich bei den letzten Spielen verschiedentlich beklagte. Dass auch Antonio Rüdiger nicht ganz auf der Höhe seines Schaffens ist, wurde allerorten hinreichend beleuchtet, natürlich war gerade das 1:4 verdammt billig, und bei Rani Khedira bewundere ich zwar, wie sehr er vorangehen will, glaube aber, dass ihm etwas mehr Zurückhaltung besser zu Gesicht stünde, als am gegnerischen Strafraum die Abwehrspieler anzulaufen.

Will sagen: ich sähe es gerne, wenn er Leitner den etwas offensiveren Part überließe und sich noch stärker auf die defensive Stabilität konzentrieren würde, ähnlich wie ich in der Nationalmannschaft über die Aufgabenverteilung von Bruder Sami und Bastian Schweinsteiger nicht immer glücklich bin. Wobei mir klar ist, dass sich Schweinsteiger wie Leitner in der Rolle des tief stehenden Ballverteilers sehr gut gefallen. Mir ja auch. Aber gerade Leitner ist, trotz seiner bemerkenswerten Ballgewandt- und -sicherheit, immer auch für einen Schlenker zu viel und den nachfolgenden Ballverlust gut, den ich in der gegnerischen Hälfte zwar auch nicht mag, aber wenigstens hat er dann, in aller Regel, noch Khedira hinter sich.

Bisschen viel Leitner, ne? Stimmt. Mag daran liegen, dass ich ihn derzeit für enorm wichtig halte, ohne so recht zu wissen, ob ich ihn überschätze, ob ich nur seine Ballfertigkeit, sein gutes Auge, seine Ideen so gerne sehe und dabei seine Wirkung für die Mannschaft positiver bewerte, als sie tatsächlich ist. Ganz abgesehen von der Frage, ob man zu viel Hoffnung auf einen jungen Leihspieler projizieren sollte, von dem ich mir nicht vorstellen kann, dass er seine Zukunft in Stuttgart sieht – wobei: als ob man derzeit wählerisch sein dürfte! Ich sehe ihm gerne zu, und am Wochenende sah ich auch erstmals Mohammed Abdellaoue recht gern zu, solange ich ihn noch wahrnahm. Dass dem irgendwann nicht mehr so war, dürfte nicht an mir gelegen haben.

Vorbei. Man könnte nun viel über grundsätzliche Themen sagen und – zuerst, möglichst – nachdenken, tun wir sicherlich auch alle, aber im Moment will ich einfach nur drei Punkte aus Hoffenheim. Wenn es sein muss, auch mit Ball-weg-Fußball.