Ein wenig lag es auch daran, dass mein Sohn wieder Fußball gespielt hat. Erfolgreicher als in der Vorwoche, übrigens. Vor allem aber war war es ein grundsätzliches, (nicht nur) familienbedingtes Zeitproblem, das mich am Samstag daran hinderte, das Spiel des VfB in Nürnberg zu verfolgen. Natürlich könnte ich ergänzen, dass angesichts der jüngsten Leistungen auch mein Interesse, meine Lust, ihnen zuzusehen, geschwunden sei. Was nicht nur populistisch, sondern schlicht unwahr wäre.
So habe ich mich wohl oder übel auf die eine oder andere Zusammenfassung und viel Schriftliches beschränkt, habe von Labbadias zurückhaltendem Auftritt nach dem Spiel erfahren, von einem irgendwie augenthalersch anmutenden Mannschaftsabend ohne das Führungspersonal, von Mutmaßungen über des Trainers Anteil an der veränderten Taktik. In der örtlichen Qualitätspresse las ich Forderungen nach Führungsspielern, wie wir sie auch auf Bundesebene zur Genüge kennen, und mancherorts wurde berichtet, dass der Trainer vor drei Wochen ein richtungsweisendes Gespräch mit Raphael Holzhauser geführt habe. Interessant in diesem Zusammenhang die bereits vor dem Spiel angeklungene Frage, ob Labbadia mit dem ersten Startelfeinsatz des jungen Mannes nur gewinnen oder nur verlieren könne.
Für ersteres sprach, dass bei einer guten Leistung der Trainer rechtzeitig Konsequenzen haben würde (noch dazu nach besagter, zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannter vorhergehender verbaler Weichenstellung), während ein schlechter Holzhauser nur die seit langem regelmäßig wiederkehrenden Aussagen der sportlichen Leitung, wonach die jungen Leute noch nicht soweit seien, bestätigen würde.
Verfechter der zweiten These (Es war nicht nur in meinem Kopf. Aber hauptsächlich.) vertraten indes die Ansicht, dass eine gute Leistung des Hajnal–VertretersVerdrängers Labbadias Gerede der letzten Wochen ad absurdum führen würde (also: Verlierer!), während ein schwacher Holzhauser zum einen dem VfB und damit dem Trainer schaden würde und zum anderen ohnehin dem mangelnden Vertrauen (vulgo: Nachwuchsallergie) seitens der Entscheidungsträger geschuldet wäre. So wie Antonio Rüdigers kapitaler Fehler bei seinem jüngsten Drittligaeinsatz dem ständigen Hin und Her zwischen den beiden Mannschaften zuzuschreiben sei, wie man gelegentlich hörte.
Da rückblickend niemand so genau zu wissen scheint, wie gut Holzhauser tatsächlich spielte, und zudem vielerlei Interpretationsansätze über Bruno Labbadias Einsilbigkeit (gespickt mit einer grundsätzlichen Schelte, von der sich jeder oder niemand angesprochen fühlen durfte) verbreitet wurden, bleibt die obige Diskussion letztlich genau so obsolet, wie sie von vornherein war. Aber halt in meinem Kopf.
Was bei mir hängen blieb: Holzhausers Chance zum 2:0. Wie er zum Ball ging, wie er abschloss. Weil er in mir die Erinnerung daran weckte, wie ich dereinst als Kind Jugendlicher junger Erwachsener Fußballer gerne ein Linksfuß gewesen wäre.
Linksfüßer waren immer irgendwie lässiger, häufig eleganter, nicht selten genial bis genialisch, ob in der C-Jugend-Normalstaffel oder ganz oben, vor allem auf offensiven Kreativpositionen. Nicht von ungefähr war die 10 ursprünglich die Nummer des Halblinken, aber das wissen wir ja alle längst, und komm’ mir keiner mit inversen Halbspielern oder solchem Zeug! Dieser Drang, Overath nachzueifern, oder Andi aus unserer Ersten, gerne Hagi oder Hansi Müller, dem Spielmacher der A-Jugend aus dem Nachbarort oder dem unvergleichlichen Uwe Bein, um nur einige wenige zu nennen, prägte mich schon ein wenig, auch wenn ich selbst im Lauf der Zeit zunehmend defensiver spielte.
Zumindest aber trug er dazu bei, dass mein linker Fuß für einen mit rechts Sozialisierten ganz passabel war, und früge man mich heute nach meinen schönsten Toren, was aus gutem Grund niemand tut, aber man kann sich ja mal in die Situation versetzen, so wäre wohl noch immer jener linke Chip aus der B-Jugend ganz vorne dabei, nach einer zu kurz abgewehrten Ecke, von der Strafraumgrenze.
Mir ist schon klar, dass es auch damals schon ganz gute Rechtsfüßer gab, und dass meine Wahrnehmung nicht immer völlig objektiv war. Ich hörte von Micouds Eleganz, von Zidanes Einzigartigkeit, Socrates’ Lässigkeit und von Schuster im Allgemeinen. Netzer und Platini zählen insofern nicht, als ich sie gedanklich lange Zeit als Linksfüßer h.c. kategorisiert hatte.
Was ich sagen wollte: Wie Holzhauser an diesen Ball heranlief, mit langen, raumgreifenden Schritten, und wie er ihn ohne weitere Kontrolle mit einer gleichermaßen sparsamen wie effetheischenden Bewegung in der keinen Widerspruch duldenden Überzeugung, ihn um den Torwart herum in die kurze Ecke zu platzieren, neben das Tor zirkelte, war eines Linksfüßers würdig.
Im Übrigen wünschte ich mir als Jugendspieler auch O-Beine.