Wie in diesem Beitrag etwas ausführlicher beschrieben, habe ich einen herumliegenden Artikelentwurf zum Anlass genommen, hier und heute den Startschuss für eine kleine Serie unter dem Arbeitstitel “Auswärtsspiel” zu geben: von Zeit zu Zeit soll einer anderen Mannschaft als der “eigenen” ein Artikel gewidmet werden, in dem sich der Autor mit seiner Wahrnehmung dieses Vereins in den letzten x Jahren auseinandersetzt und dabei wahllos Links in die Bundesligavergangenheit streut.
Mit diesem “Startschuss” verhält es sich, auch das habe ich im oben genannten Beitrag dargestellt, wie mit der ersten Folge einer RTL-Serie: niemand weiß, ob, wann und wie es weitergeht, und möglicherweise taucht bereits die nächste Folge auf einem anderen Kanal auf.
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Meine älteste aktive Erinnerung an Bayer Leverkusen stammt aus ihrer ersten Bundesligasaison 1979/80, in der sie am vorletzten Spieltag zu meiner großen Freude dem HSV die Meisterschaft verdarben.[1] Danach nahm ich sie einige Jahre lang nur am Rande war, wenn man einmal von Arne Larsen Øklands großer Show gegen die Bayern im März 1981 absieht: 3:0-Sieg, 3 Tore plus ein Phantomtor von Økland, an dem sich der Herr Helmer ein Beispiel hätte nehmen können.
Die Leverkusener waren eine klassische graue Maus, was bei mir so weit führte, dass sie mit dem anderen Werksverein aus Uerdingen zu einer konturlosen Masse verschmolzen. Was wusste denn ich, ob Spieler wie Buttgereit, Bittorf, Geschlecht, Raschid, van de Loo und Vöge (oder in späteren Jahren Kirch-, Bier- und Feldhoff) in Uerdingen oder in Leverkusen kickten? Doch, Rüdiger Vollborn konnte ich eindeutig zuordnen, schließlich hatte ich seinen Weg zum Weltmeister intensiv beobachtet.
Meine eher gleichgültige Haltung änderte sich ein wenig, als die Krefelder mit dem Pokalsieg 1985 und Wolfgang Schäfers inniger Beziehung zur Trophäe, dem 3. Platz in der Bundesliga 1986 und natürlich dem größten Spiel aller Zeiten gegen Dynamo Dresden[2] mehr als nur aufhorchen ließen und ganz nebenbei das Stammhaus in den Schatten stellten, wiewohl auch in Leverkusen Mitte der 80er Jahre erste Erfahrungen im oberen Tabellendrittel gesammelt wurden. Die Konzernspitze machte bereits ihre Prioritäten durch die jeweiligen Aktivitäten am Transfermarkt deutlich, was einerseits meine Sympathien für Bayer 04 nicht wachsen ließ, andererseits rasch Erfolg zeitigte.
Erstmals seit dem oben genannten Sieg gegen den HSV fieberte ich in der Europapokalsaison 1987/88 mit Bayer Leverkusen mit. Im Uefa-Cup-Finale bezwang man, ausschließlich dank Tita und Rüdiger Vollborn (ok, da könnte die Erinnerung trügen), mit Espanyol Barcelona einen Verein, den ich eigentlich nur mit diesem Spiel und dem späteren Engagement von Wolfram Wuttke in Verbindung bringe. Die Erinnerung an dieses Wunder von der Weser große Spiel wird zugegebenermaßen ein wenig dadurch getrübt, dass es der wohl größte Erfolg des ehemaligen Derwallassistenten und Fußballphilosophen “Sir Erich” war, den ich schon damals nicht besonders mochte und der für mich Jahre später mit der bewussten Demontage des großartigen Spaniers Bernd Schuster endgültig zur Persona non grata wurde.
Wie auch immer: Calli kam, und mit ihm höhere Ambitionen sowie Kontakte nach Ostdeutschland und Brasilien; die graue Maus war für mich mittlerweile nicht mehr grau, sondern irgendwie silber-metallic, synthetisch eben. Dagegen konnte auch der Dopingverweigerer Rudi Völler wenig tun – außer, vielleicht, mit Andi Brehme zu weinen.
In den Jahren danach gelang es den Leverkusenern, sich nicht nur in der Spitze zu etablieren, sondern vor allem über mehrere Spielzeiten hinweg einen unglaublich attraktiven Fußball zu spielen – dummerweise mit den Unsympathen Daum und Toppmöller als Trainer[3], weshalb meine Zuneigung erneut natürliche Grenzen hatte, die sich beispielsweise in einer gewissen Sympathie für die Spielvereinigung Unterhaching manifestierten. Großes Kino dann selbstverständlich das Champions League Finale 2002 mit einem erneut bitteren Ende – aber was will man gegen diesen Mann machen?
History repeating:
Nur zwei Jahre später musste man sich wiederum vor dem Abstieg retten, was wie beim ersten mal ein schussgewaltiger Bayer (der zu jener Zeit immerhin noch dialoginteressiert war) übernahm, ehe man in den letzten Jahren mit den Herren Skibbe -von dem man weiß, dass er ein Auge für talentierte Spieler hat- und insbesondere Labbadia wieder hervorragenden Fußball gespielt und zumindest meine Sympathien erobert hat.
Ganz entscheidend ist dabei die Tatsache, dass Bayer in den letzten Jahren mit ihrem Fokus auf junge, entwicklungsfähige Spieler eine Mannschaft zusammengestellt hat, mit der sich selbst Nicht-Fans gut anfreunden können und die nur noch wenig mit dem Plastikclub-Image[4] zu tun hat.
Mein persönlicher Wanderpokal für die unsympathischste, wahlweise auch mal nichtssagendste, Mannschaft hat Leverkusen lange verlassen und ging mal an die Hertha der Alex-Alves-Zeit, mal an Schalke mit Rangnick, Rost und Lincoln, an Freiburg in der ganz späten Ära Finke, an die Nationalmannschaft unter Ribbeck, LR Ahlen um die Jahrtausendwende, Gladbach unter Fach und erst recht Advocaat, oder zuletzt an Hoffenheim unter Rangnick.
Im Moment kann ich nicht erkennen, dass sich Bayer 04 in absehbarer Zeit wieder bewirbt.
1.Zu dieser Zeit hatte der HSV bei mir ganz schlechte Karten. In der vorangegangenen Saison hatte ich als Steppke mit einem Freund meines Vaters gewettet, dass Herbstmeister Kaiserslautern auch Meister werden würde. Er hatte auf den HSV gesetzt und gewonnen. Seither ist mir der Zusammenhang von Fußball und Glücksspielen suspekt.
2.ab 1:18: Vater und Sohn Sammer auf der Bank.
3.Das Intermezzo von Berti Vogts’ Spezialistenteam, das seiner Zeit weit voraus war und in dem Vogts selbst die zunächst Littbarski zugedachte Rolle übernahm, lasse ich hier mal außen vor.
4.Interessantes -völlig aus dem Kontext gerissenes- Zitat: “Bayer Leverkusen war gedopt bis über beide Ohren.”