Vor einer ganzen Reihe von Jahren heiratete eine Freundin einen Italiener. Ziemlich weit aus dem Süden. Ziemlich weit im Süden. Ich durfte vor Ort dabei sein und könnte gewiss sehr lange und nicht minder fasziniert über Speisenfolgen reden, über Traditionen und eine schöne Brautprozession, so man sie so nennt, über einen wunderbaren Urlaub mit Familienanschluss, über ’Ndrangheta, Gastfreundlichkeit und die Freundlichkeit der Gäste, was nun wahrlich zwei verschiedene Paar Stiefel sind, aber ich sollte das besser nicht tun. Aus Zeitgründen, sag ich mal.
Das Ganze spielte sich in einer eher ländlichen Gegend ab, wobei “eher ländlich” als Euphemismus durchgehen dürfte, was wiederum die Frage nach meiner Einstellung zu ländlichen Räumen aufwirft, die meiner Wortwahl zum Trotz eine sehr positive ist. Die Eltern sind freundliche Leute, denen man nicht zu nahe tritt, ganz im Gegenteil, wenn man ihnen eine gewisse Bodenständigkeit und eine starke Bindung an die Scholle nachsagt, und auch die Rede von den “einfachen Leuten” dürften sie, so meine persönliche Wahrnehmung, nicht negativ auffassen, vielleicht im Gegenteil.
Es kostete sie dann auch eine gewisse Überwindung, und viel Zeit, den seit vielen Jahren im Ausland ansässigen Sohn, die Schwiegertochter und schließlich auch die Enkelin einmal an deren Lebensmittelpunkt im Süden Deutschlands zu besuchen. Geld kostete es auch, Eurolines oder ein Wettbewerber wusste Abhilfe. Natürlich sollte sich eine solche Reise auch lohnen, also stellte man sich, schweren Herzens, auf eine etwas längere Abwesenheit in der Größenordnung von vier Wochen ein. Dass diese Planung eingedenk einer überschaubar großen Wohnung möglicherweise keine ideale war, mag man sich denken, ist aber an dieser Stelle nur mittelbar, zur Einordnung der Gemengelage, von Interesse.
Als zentrale Herausforderung stellte sich bereits vor der Abreise aus Kalabrien die Verpflegungsfrage dar. Nahrung für vier Wochen, angefangen bei Obst und Gemüse über den Sugo bin hin zu heimischen Weinen und Salvatore, dem sauber portionierten ehemaligen Hausschwein, lässt sich in einem handelsüblichen Reisebus nur unter gewissen Schwierigkeiten transportieren, doch man fand Lösungen.
Die Szenerie dürfte klar sein. Es liegt mir fern, nein, es liegt mir gar nicht, jetzt “Maria, ihm schmeckt’s nicht”, von dem ich nur die ersten sehr wenigen Seiten las, aufzugreifen oder schlecht zu kopieren. Ich will noch nicht einmal die dem ganzen Tun möglicherweise innewohnende Unhöflichkeit den Gastgebern gegenüber, die Geringschätzung einer fremden, unbekannten Küche oder auch nur das Bestreben, sich andernorts weder zur Last zu machen noch, das dortige Essen missbilligend, ungehobelt zu wirken, anprangern.
Wie gesagt: einfache Leute, die sich nichts Böses dabei dachten. Was ich ihnen damals noch unterschwellig zum Vorwurf machte, so glaube ich, im Lauf der Zeit aber zunehmend zu ihren Gunsten auslegte. Ich mag sie. Mein eher durchwachsenes Italienisch ist noch heute von einzelnen aus der Zeit gefallenen, mitunter kalabresischen Ausdrücken der Signora durchdrungen. “Mangiasti?”, aßest Du?, war die am häufigsten gehörte Formel, die Antwort hatte keinen Einfluss auf den Fortgang der Geschichte. Klischee erfüllt, und vermutlich habe ich mich jetzt doch Jan Weiler angenähert. Während Mangiasti? bei Familie Kamke noch heute als geflügeltes Wort daherkommt.
Dass ich gerade heute daran denke, mag zu einem kleinen Teil daran liegen, dass ich das ohnehin häufige tue. Geflügeltes Wort, ich sagte es schon. Und ne schöne Erinnerung. Es liegt überhaupt nicht daran, auch wenn das ein sehr guter Grund wäre, dass ich in den letzten Tagen mit großer Freude begonnen habe, bei La Zia Tedesca mitzulesen, die so wunderbar herzlich von ihren italienischen Erlebnissen erzählt und dabei das Essen in einer Art und Weise zelebriert, die auch Camilleris Montalbano zur Ehre gereichen würde. Nur anders.
Tatsächlich kam der Anstoß aus einer ganz anderen Ecke, wie sich die geneigte Leserin bereits gedacht haben mag. Genau, aus dem Campo Bahia. Der deutschen Enklave im brasilianischen Bundesstaat Bahia, die mich, auch wenn die obigen Ausführungen diese These nicht zwingend stützen mögen, ein bisschen sprachlos gemacht haben. Mir ist natürlich klar, dass es eine schöne Legende um das ganze Projekt geben wird, dass die infrastrukturelle Förderung einer strukturschwachen Region eben diese Region zu großer Dankbarkeit gegenüber den deutschen Investoren verpflichten wird, und ich will noch nicht einmal behaupten, dass dieser Dank auf lange Sicht ungerechtfertigt sei, vielleicht macht man ja wirklich etwas Vernünftiges daraus.
Für den Moment möchte ich den DFB-Verantwortlichen, die angeführten sportlichen und klimatischen Erwägungen belächelnd, die professionellen Nuancen belachend, all das (und ein bisschen mehr) vorwerfen, was ich den einfachen Leuten aus Kalabrien nicht unterstellen wollte. Arroganz. Respektlosigkeit. Ignoranz. Großmannssucht. Ok, alter Hut. Unhöflichkeit. Gedankenlosigkeit. Egozentrik. Und manches mehr.