Früher ging ich gerne mal zum Fußball. Heute eher nicht mehr. Oder, ehrlicher: im Grunde würde ich auch heute noch gehen, aber das kann man ja niemandem sagen.
Insofern ist es wohl auch ganz gut, und nur deshalb traue ich mich, diese heimliche Leidenschaft hier anzusprechen, dass die Nachbarn nicht mitlesen. Man läuft in diesen Tagen ja latent Gefahr, der gesellschaftlichen Ächtung anheimzufallen, wenn bekannt wird, dass man den allwöchentlichen Gewaltexzessen in deutschen Stadien etwas abgewinnen kann. Oder man stelle sich gar vor, die Kollegen bekämen Wind davon. Seien wir ehrlich: die Karriere wäre dahin.
Zurecht, muss man wohl sagen. Es ist, angesichts der exponentiell zunehmenden fußballspezifischen Gewalttaten nicht mehr vermittelbar, dass ein Mensch in halbwegs verantwortungsvoller Position jene menschenverachtende Brutalität, deren nahende Kulmination wir jahrelang sehenden Auges ignorierten, nicht nur zu dulden bereit ist, sondern dass er darüber hinaus eine aktive Rolle einnimmt.
Indem er da ist. Sich mit zahlreichen anderen Verbrechern zusammenrottet, mit Frauen und Männern, Seniorinnen und Senioren, Kindern und Säuglingen, um lautstark zu brüllen, den Gladiatoren zu huldigen und ihre Widersacher zu schmähen, um hemmungslos zu essen und zu trinken, ohne jedes Maß Fanartikel zu erwerben, herzhaft zu schimpfen, glückselig zu singen, kurz: indem er das Ereignis flankiert, fördert, finanziert.
Ja, ich ging in dieser Schar unter. Oder auch auf, wie man will. Ich war kein Exponent, nur ein einfacher Mitläufer. Aber sind es nicht gerade jene Leute, die sich in die Masse einreihen, sich in und von ihr treiben lassen, geleitet von ein paar Anführern, denen sie blind folgen, denen sie ihr eigenes Wohlergehen anvertrauen und sich selbst unterordnen, sind es nicht eben diese Leute, denen man Einhalt gebieten muss? Eben. Vielleicht gibt es ja die Möglichkeit, diese Menschen gewissermaßen en bloc zur Verantwortung zu ziehen, konkret: sie von den Gewaltorgien fern zu halten und somit mittelfristig den Rädelsführern das Wasser abzugraben.
Zumal die Möglichkeit, den rein sportlichen Anteil der Wettkämpfe zu verfolgen, allen wirklich Interessierten auch weiterhin offen steht – auch und gerade angesichts des offenen Geheimnisses, dass Service und Bildqualität auf dem heimischen Sofa ungleich höher sind, von der Vermeidung familiärer Zwistigkeiten ganz zu schweigen. Aus meiner Sicht haben wir es hier mit einer klassischen Win-Win-Win-Situation zu tun.
Gleichwohl will ich nicht verhehlen, dass es mich auch heute noch gelegentlich juckt, mir ein Fußballspiel vor Ort anzusehen. Aber die Risiken sind einfach zu hoch. Früher ging ich gerne einmal mit meinem Sohn ins Stadion. Er genoss das Spiel, die Gesänge, das Drumherum. Nach und nach missfielen ihm jedoch die Raufereien, in die wir fortwährend verwickelt wurden.
Wir bemühten uns, dem zu entgehen, wurden aber von anderen Familienvätern und rüstigen Rentnern rüde angegangen und als Eventpublikum beschimpft. Schließlich willigten wir ein, zumindest das rituelle Abbrennen der Feuerwerkskörper zu übernehmen, das einen würdigen Rahmen für die Massenprügeleien auf Haupttribüne und Gegentribüne bildete.
Letztlich fiel die Entscheidung, die Spiele fortan nur noch am Bildschirm zu verfolgen – mit wunderbaren, in ihrer Kontinuität und Uniformität beruhigend wirkenden Panoramabildern friedlicher Tribünen – aus sehr persönlichen, vielleicht etwas altmodischen und tendenziell von Prüderie geprägten Erwägungen. Es war mir schlichtweg ein bisschen unangenehm, im Beisein meiner Kinder sämtliche Körperöffnungen durchleuchten zu lassen.
Hehe, die “in ihrer Kontinuität und Uniformität beruhigend wirkenden Panoramabildern friedlicher Tribünen” konnte man gestern Abend wieder schön beobachten. Kein Zuschauer störte das hübsche, einheitliche Bild leerer Sitzschalen…
Ansonsten natürlich sehr verantwortungsvoll von Dir. Ich für meinen Teil besuche überwiegend Drittligaspiele, denn da kann man sich noch unbehelligt den Weg zum Bierstand freischießen.
Danke für den Hinweis, Heinz, wie es tatsächlich im Neckarstadion zugeht. Da pack ich mir doch gleich noch eine schuß- und stichfeste Weste, meine Quarzsandhandschuhe und meine feuerfeste Unterwäsche ein, damit ich das bürgerkriegsähnliche Spektakel mal aus Augenzeugenperspektive erleben kann. Das ist mir dann auch die Zugfahrkarte aus Hannover ins Schwabenland wert. Wird mich sicher auch auf meine Zukunft als Kriegsberichterstatter vorbereiten, oder was meinst du?
@Gunnar:
Ich hatte ja eher an das lebendige Bild aus irgendeinem nordkoreanischen Stadion gedacht, das vor einiger Zeit mal die Runde machte.
Ja, geht das in der dritten Liga noch? Verdammt, ich war schon wieder zu lange nicht bei den VfB-Amas.
@Christoph:
Bitte, gern geschehen.
Fast hätte ich ja aus früherer Gewohnheit gefragt, ob Du ein konkretes Spiel im Auge hast. Dann aber fiel mir ein, dass ich ja ohnehin nicht zugegen wäre, um Dich zu treffen. Deine Berichterstattung läse ich indes sicherlich gern.
Hi, gerne geb ich dir meine subjektive, laienhafte Betrachtung des Spiels wieder:
Es war ein verdienter Sieg für den VfB, weil die Mannschaft mehr Engagement als die Eintracht zeigte, v.a. in der 1. Hälfte und gegen Ende des Spiels hin. Das Pressing und die offensive Art, Frankfurt unter Druck zu setzen, beeindruckten mich. Es wurde da weitergemacht, wo die Mannschaft in Hamburg aufgehört hatte. Das frühe Tor half der Mannschaft natürlich ungemein; nur in der Drangphase von Frankfurt, als diese mehrere Male kurz hintereinander aufs Tor von Ullrich schossen, hatte ich die berechtigte Sorge, dass der VfB sich noch einen Gegentreffer einfängt. Im Anschluss an den Ausgleich hätte das Spiel in beide Richtungen kippen können. Ist es ja auch, mit dem glücklichen Ende für uns. Ein richtig schönes Spiel in sehr guter Atmosphäre. Auffälligster Spieler beim VfB war für mich Traore, der einerseits an beiden Toren beteiligt war, mich andererseits auch mit seiner Wuseligkeit und seinem Gefummel das eine oder andere Mal zum Bruddler werden ließ. Ansonsten agierte die Defensive wieder äußerst zuverlässig (v.a. Tasci, Niede und Kvist, NICHT Molinaro!), das Gegentor ließ sich IMO nur schwer verteidigen. Und Harnik und Ibisevic waren da, als es auf sie ankam.
Meine weiter oben aufgeführte, nicht vorhandene Kampfausrüstung hätte ich beinahe gebrauchen können, da ich aufgrund fehlender geographischer Kenntnisse und des Genusses kühler Getränke im Vorfeld naiverweise plötzlich vor dem Einlass zum Gästeblock stand. Ich realisierte meine Situation erst, als mich ein Ordner erblickte und mit Panik in den Augen anmahnte, meine Jacke doch besser sofort zuzumachen, damit man mein Trikot nicht entdecken konnte…;-)
Kein Wunder, daß der Trainer da bei Euch solche Wutreden halten muss…
[…] nicht nur zu dulden bereit ist, sondern dass er darüber hinaus eine aktive Rolle einnimmt.« angedacht: Ich widersage […]
@Stadtneurotiker:
Hatte kurz darüber nachgedacht, Dir ein Zitat aus besagter “Wutrede” entgegenzuschleudern. Erschien mir dann aber unangemessen, hier so, in der Öffentlichkeitsillusion Weblog.
@Christoph Maier:
Vorab: Dass Du tatsächlich zu diesem Spiel anreisen würdest, hatte ich so nicht interpretiert, sonst hätte ich selbstverständlich die Kaltgetränkeoption gezogen (die Du ebenso selbstverständlich hättest verwerfen können).
Zudem hätte ich mir dann den Text schenken können, der hier noch in den Entwürfen schlummert und nachher irgendwann veröffentlicht wird, und stattdessen einfach auf Deine Analyse verweisen.
Traoré gefiel mir auch gut, leider ging sein energischer Lauf vor dem 2:1 in der Berichterstattung nach meiner Wahrnehmung ein bisschen unter.
Die Blockanekdote deutet im Übrigen darauf hin, dass Du öfter vorbeischauen solltest, um die Orientierung wieder zu verinnerlichen.
Ich hoffe mal, dass ich nicht wieder ca. 15 Jahre brauche, um ins Neckarstadion zu einem Spiel zu kommen!. Wenn ich dann das nächste Mal vor Ort sein sollte, geb ich rechtzeitig Bescheid, so dass du mich nach vorherigem Getränkekonsum auf sicherem Wege ins Stadion geleiten kannst…;-)
Ich freu mich übrigens schon auf deinen Textentwurf, der meinen groben Rückblick mit Sicherheit um Längen übertreffen wird!
Gerne gebe ich Dir Personenschutz.
(Und ja, länger ist mein Text.)