Advent 2015. Beschissen und fußballfrei.

Ein Adventskalender im Blog. Traditionell, quasi. So begann der Text im Vorjahr, so beginnt er auch heute. Traditionell, quasi.

Zum vierten Mal findet sich hier also ein Adventskalender. 2012 enthielt er Fünfzeiler über die einzelnen VfB-Spieler, 2013 wieder Fünfzeiler, diesmal über den möglicherweise künftigen WM-Kader, wiewohl nicht von mir, sondern von freundlichen Gästen, 2014 bestand er aus dem mal mehr, mal weniger gelungenen Versuch, mich an verschiedenen Gedichtformen zu versuchen.

Und 2015? Nun, formal wird er wieder eindimensionaler. Und kommt erneut – laufen Sie davon, ehe es zu spät ist, werte Reimallergiker – in Gedichtform daher. In mehr als fünf Zeilen, aber ebenfalls eng und rigide. Und, um mit Robert Gernhardt zu sprechen, beschissen. Sie wissen schon.

Ja, ich habe durchaus ein Faible für das Sonett. Wäre es hingegen eine Stärke, hätte ich vielleicht gewagt, in Anlehnung an Gernhardt sonettartig niederzuschreiben, woher diese Zuneigung kommt, wie sie sich ausdrückt, was weiß ich. Aber die Angst, dass mir in gewagter Selbstüberhöhung allzu schwindlig werden könnte, ließ mich vernünftig bleiben und auf “Sonette find ich echt total hübsch und voll freestyle” verzichten.

Grade stelle ich indes fest, dass ich Gernhardt auch schon im Vorjahr anführte, als es um die Auswahl der Gedichtformen ging:

“Wobei sich ja ohnehin noch die Frage stellt, an welchen Formen ich mich versuchen kann, ohne mich komplett zum Affen zu machen. Dass grundsätzlich mehr als deren 24 zur Auswahl stehen, unterstelle ich unbesehen; dass ich mich, um ein Beispiel zu nennen, nicht an einen Sonettenkranz heranwage, auch. Erst mal ein einzelnes Sonett schaffen, das nicht allenthalben sofortige Gernhardt-Verweise nach sich zieht.”

Thematisch habe ich mich in diesem Jahr deutlich vom Fußball entfernt. Honi soit qui mal y pense. Allerdings sind bis dato, traditionell, quasi, erst zwei oder drei der 24 Vierzehnzeiler geschrieben, wer weiß, ob ich nicht doch noch reumütig zum Fußball zurückkehre.

Falls Letzteres jedoch nicht der Fall sein sollte, besteht die Aussicht, dass ich mich mit 24 mehr oder minder prominenten Sportlerinnen und Sportlern und ihrer jeweiligen Sportart befassen werde. Wie grobkörnig das der Fall sein wird, d.h. ob zum Beispiel Bahn- und Straßenradsport oder Rugby Union und Rugby League getrennt aufscheinen können, weiß ich auch noch nicht.

Was ich zudem nicht weiß: wie leicht es sein wird, die jeweiligen Personen und Sportarten aus den Texten abzuleiten.

Allerdings habe ich einen Verdacht: 14 Zeilen sind zwar nicht sehr viel; häufig sollte aber doch so viel Information darin enthalten sein, dass interessierte Mitlesende den jeweiligen Namen lässig aus dem Ärmel schütteln können.

Über Auflösungen in den Kommentaren, die ich, dies zur Warnung, vermutlich nicht umgehend veröffentliche, um täglich die Illusion eines noch nicht gelösten Rätsels aufrechtzuerhalten, würde ich mich dennoch sehr freuen, auch wenn es gelegentlich zu banal erscheinen mag. Und wenn nicht, dann halt nicht. Zu gewinnen gibt es nämlich nichts.

Ach, und was ich noch sagen wollte, traditionell, quasi: Eine schöne Adventszeit wünsche ich Euch und Ihnen, mit Marzipan, Nüssen, Mandarinen; zudem ein bisschen Besinnlichkeit und das eine oder andere Flötenkonzert, dazu Fußball, Wintersport und Drei Haselnüsse für Aschenbrödel.

 

 

Quervergleiche

Allzu viele Länderspiele habe ich in meinem bisherigen Leben nicht gesehen. Also vor Ort, im Stadion. Immerhin, ein EM-Finale (verloren) und ein WM-Halbfinale (gewonnen, von Frankreich) waren dabei. Ein paar Qualifikationsspiele, darunter eines im Handball, einige wenige Freundschaftsspiele, mehr nicht.

Mein allererstes Länderspiel sah ich erst spät, im März 1995, im Stadion an der Lansdowne Road in Dublin. Irland empfing Frankreich und war dabei ziemlich chancenlos, was meinem irischen Umfeld zwar nicht so recht gefiel, letztlich aber gar nicht so viel mehr als eine Randnotiz blieb. Auf französischer Seite blieb mir in erster Linie der auffallend agile Émile Ntamack in Erinnerung, der einen Versuch legte und zwei Kicks verwertete – die beiden einzigen seiner Länderspielkarriere, wie ich den unendlichen Weiten des Internets entnommen habe.

Genau: ich war beim Rugby, hatte viel Spaß und wenig Ahnung, und genoss die Atmosphäre. Und ja, ich zog schon damals den Quervergleich zum Fußball, ungefragt, quasi. Man sang, feuerte an, war friedlich – sowohl im Stadion als auch hinterher beim gemeinsamen Feiern. Klingt wie aus einer klischeebeladenen Sportsendungsfilmchen über Irland, oder Rugby, oder beides, und entsprach damals exakt meiner Wahrnehmung.

Den Großteil des Abends verbrachten wir im Jurys Hotel, wo eine ziemlich große franko-irische Party stattfand, deren Hauptattraktion in meiner spärlichen Erinnerung darin bestand, dass ein französisches Mitglied unserer Gruppe Éric Cantona täuschend ähnlich sah und sich regelmäßig leicht alkoholisierte Iren huldigend zu seinen Füßen warfen. Anhänger von Crystal Palace waren wohl nicht zugegen.

Zu jener Zeit hatte ich mich, man muss es wohl so sagen, vom Fußball ein bisschen entfremdet, nicht vom ehrlichen eigenen Fußball, wie ihn Martin Harnik so gerne erlebt, sondern vom anderen, großen. Die WM 1994 mag ihren Teil dazu beigetragen haben, andere Sorgen und Freuden junger Leute übten zudem Einfluss auf die Prioritäten aus – eine dieser Freuden war es schließlich auch gewesen, die mich damals hin und wieder gen Irland reisen ließ.

Und in meiner selbstgewählten Distanz war ich gewiss auch ein bisschen empfänglicher für die schönen Seiten des Rugbysports, Sie wissen schon, die Körperlichkeit, die rohe Fairness, der ausgeprägte Teamgedanke, der Respekt für die Schiedsrichter, … ach nein, vergessen Sie Letzteres, das nahm ich damals im Grunde gar nicht wahr.

Ob ich schon Fan gewesen sei, bevor Rugby cool war? Nun, zum einen war es immer cool, mancherorts, was eine billige Antwort ist. Zum anderen: nein. Klar, ich hielt mich fortan stets ein bisschen informiert, verfolgte die Turniere, und wenn mal was im Fernsehen kam, zu erträglichen Uhrzeiten, dann hab ich’s mir auch angesehen. So oft wie in diesem Jahr dürfte ich indes noch nie geschaut haben. Gemeinsam mit meinem Sohn, der eine gewisse Begeisterung entwickelt hat. Ohne dass ich ihn gleich im Verein angemeldet hätte. Aber ein Fan? Nein, das wäre übertrieben. Dafür kenne ich nicht mal die Regeln gut genug.

Wie auch immer: schön war sie, die WM. Und hübsch, wie sie auf Twitter begleitet wurde, offensichtlich von Menschen mit sehr unterschiedlich detailliertem Vorwissen. Regelfragen spielten eine Rolle, natürlich, die medizinische Betreuung während des Spiels, gelegentlich optische Aspekte, dann die Anlaufrituale der Kicker, … ok, das war ich, und nicht bei Twitter, sondern bei den Fünfzeilern:

Ein Anlauf-Ästhet aus Funchal
habe gestisch und mimisch nen Knall?
Guckst Du Rugby, mein Digga!
Ow’n Farrell und Dan Biggar!
CR Sieben? Ein harmloser Fall.

Womit wir erneut bei einem zentralen Element der Rugbybeobachtung wären: dem Fußball-Vergleich. Den ich damals, 1995, auch zog, ich hatte es angedeutet. Der nicht überraschen kann in einem vom Fußball geprägten und mit Rugby noch ein bisschen fremdelnden Umfeld, das manches noch einordnen muss.

Aber ganz ehrlich: beim zehnten Loblied auf den respektvollen Umgang mit den Schiedsrichtern wurde ich ganz allmählich porös, beim siebzehnten Hinweis auf die zum Glück fehlende Schwalben(un)kultur standen meine Ohren längst auf Durchzug, und der Begriff “Videobeweis” blieb bei Twitter schon ziemlich früh in meinem Filter hängen.

Gewiss, es ist vernünftig, sich anzusehen, was in anderen Sportarten vielleicht besser läuft, unabhängig von Bernhard Peters. Ich bin weit davon entfernt, ein Plädoyer für Schwalben oder Rudelbildungen zu halten. Aber manchmal nervt der ständige Querverweis, in seiner Häufigkeit, in seiner Penetranz. Den geschätzten Herrn @nedfuller hat es möglicherweise auch genervt, wenn auch mit anderer Schlussfolgerung:

Fairness. Sportsgeist. Super. Sieht man beim Rugby, und ja, es gefällt. Wieso ich dann nicht mehr Fußball schauen sollte, erschließt sich mir nicht. Da bin ich gerne inkonsistent. Wie in vielen anderen Lebensbereichen auch. Rugby ist großartig. Fußball ist anders. Regeltechnisch, meinetwegen auch moralisch. Fußball ist großartig.

Und so war es mir eine große Freude, am Tag nach dem WM-Finale ins Fußballstadion zu gehen, mich über Fouls, Schwalben und Zeitspiel zu echauffieren, den Schiedsrichter in seiner Kartenvergabe für einseitig zu halten und dies auch kundzutun, und fast hatte ich ein bisschen Mitleid mit Darmstadts Luca Caldirola, den beim Torjubel ob seines vor der Linie abgewehrten Kopfballs erst nach einigen Sekunden die Erkenntnis ereilte, dass diese verdammte Torlinientechnik jeden Versuch, die Entscheidung des Schiedsrichters zu beeinflussen, obsolet machte.

Ansonsten bot das Spiel zunächst einmal das, was man erwarten durfte: einen Sieg gegen den Aufsteiger aus Darmstadt. Einen Torwart, der wieder einmal einen Elfmeter verursachte und sich außerhalb des Strafraums in Platzverweisgefahr begab. Vor Ersterem schützte ihn rückwirkend der Linienrichter, vor Letzterem die Kombination aus Körperbeherrschung und einem Vernunftschub. Und so wurde er in der zweiten Halbzeit zu dem Mann, der den Sieg in bemerkenswerter Weise festhielt. So kann’s gehen.

Erwarten durfte man auch die Rückkehr der beiden planmäßigen Sechser, die auch mal Achter sein mögen, der Herren Gentner und Dié. Doch Daniel Schwaab streckte den Kopf heraus und rief “Ich bin schon daa-ha!” So kann’s gehen. Also suchten sich die beiden neue Betätigungsfelder, etwas weiter außen, was insbesondere Serey Dié nicht sonderlich gut bekam (drüben beim Vertikalpass sahen sie eher Gentner in einer zu schwachen Rolle). Mir war er viel zu weit rechts, mal beim Verteidiger, mal als verkappter Außenstürmer, aber mit viel zu wenig Einfluss auf das Spiel und seiner Stärken in der Balleroberung beraubt. Vom erneuten Platzverweiswunschverdacht gar nicht zu reden. Das war nix. Also das andere nix, nicht gar nix. Aber nicht das, was ich von ihm erwarte.

Der Gedanke, dass sich Daniel Schwaab auf der Sechs festgespielt haben könnte, zählt nicht zu meinen liebsten. Auch wenn er sich gegen Darmstadt solide zeigte. Vermutlich wird der Trainer aber zumindest am Samstag in München noch daran festhalten. Und nein, ich wünsche mir nicht, dass er auf bittere Weise vorgeführt wird.

Vielmehr hoffe ich, dass Timo Werner und Filip Kostić nach diesem Spiel einen prominenteren Platz auf dem Münchner Einkaufszettel einnehmen werden. Was ein zweischneidiger Gedanke ist. Weiterhin wage ich zu hoffen, dass man hernach von einer erfolgreichen “Reifeprüfung” der Innenverteidigung sprechen wird. Dass Insúa seine Leistungen bestätigt, Klein aber nicht. Dass Tytoń und Dié durchspielen dürfen, Werner aber in der 88. mit Sprechchören der Fans und Kusshänden des Trainers verabschiedet wird.

Und dass dem Schiedsrichter respektvoll begegnet wird, selbstredend.

Rechtsaußen. Eine Erinnerung.

Im Grunde musste ich froh sein, überhaupt einen Platz in der Mannschaft bekommen zu haben. Die Positionen in der Mitte, wo ich mich etwas stärker sah, relativ gesehen, waren an andere vergeben – zu Recht. De facto hätte ich mich nicht einmal beschweren können, wäre ich ganz außen vor gewesen, aber wir hatten ein paar Mangelpositionen. Also tat ich, wie mir geheißen, und tummelte ich mich am rechten Spielfeldrand.

In der Abwehr machte ich meine Sache dann auch ganz gut, agierte diszipliniert und verlässlich, erwartungsgemäß, würde ich unbescheiden hinzufügen. Nach vorne sah die Sache ein bisschen anders aus. In gewissen Situationen war es ganz in Ordnung. So zum Beispiel bei rasch vorgetragenen Angriffen. Gegen die unsortierte Abwehr konnte ich außen durchbrechen, zum Teil nach innen ziehen, und kam zum Abschluss, gelegentlich auch erfolgreich. Oder wenn die Strategen in der Mitte so viele Abwehrspieler auf sich zogen, dass sie mich wunderbar freispielen konnten und ich, genau, außen zum Abschluss kam, gelegentlich auch erfolgreich. Querpässe vor dem Tor waren eher nicht gefragt.

Schwieriger wurde es immer dann, wenn die Abwehr formiert war. Oder was heißt schwierig? Ich tat halt, was mir mein halbrechter Nebenmann, unser bester und erfahrenster Spieler, angeraten hatte: “Wir lassen den Ball ein bisschen kreisen. Du bekommst ihn von mir und spielst ihn mir dann wieder zurück. Mir. Keinen auslassen. Wir finden dann schon die Lücken.” Daran hielt ich mich. In jedem verdammten Spiel. In seltenen Fällen tat sich die Lücke bei mir auf, wenn, wir erinnern uns, die Strategen in der Mitte so viele Abwehrspieler auf sich zogen, dass sie mich wunderbar freispielen konnten und ich außen zum Abschluss kam, gelegentlich auch erfolgreich.

Dem Übungsleiter gefiel das nicht. Irgendwann unterbrach er eine Einheit, kam auf mich zu und sagte sinngemäß: “Heinz, ich weiß ja, dass Dir da außen das Eins-gegen-eins ein bisschen schwerfällt. Aber Du solltest wenigstens hin und wieder mal so tun, als wolltest Du selbst was versuchen. Allein die Drohung erschwert dem Gegenspieler das Verteidigen.”

Und so drohte ich fürderhin mehr schlecht als recht. In ganz seltenen Fällen wagte ich mich tatsächlich an eine Finte, in noch selteneren Fällen ging ich vorbei, und im Idealfall sprang ich nicht nur vor dem Kreis ab, sondern traf auch noch.

Wie gesagt: äußerst selten. Es lag halt nicht in meiner Natur, und Veränderungen hätten großen Aufwands bedurft. Dass wir aber als Favoriten das Schulturnier nicht gewannen, lag nur sehr bedingt an mir.

 

Ein mörderisches Wochenende

Wir waren ein bisschen ratlos gewesen, damals. Irgendwann um die Jahrtausendwende, um dann doch nicht so genau zu sein. Zumindest sagte das seine damalige Freundin. (Und heutige Frau, um all jene zu warnen, die Gefahr laufen könnten, Charles nachzueifern, Sie wissen schon, bei der ersten von vier Hochzeiten.)

Doch sie lag falsch. Tatsächlich wussten wir sehr genau, was wir taten. Ihr Typ feierte gerade seinen 30. Geburtstag, und gemeinsam mit meinem ziemlich besten Freund hatte ich mir lange Zeit Gedanken gemacht, was man wohl einem anderen ziemlich besten Freund schenke, der dieses aus meiner damaligen Sicht biblische Alter erreichte. Als wir endlich zu einem Entschluss gekommen waren, hatte sich herausgestellt, dass die Drogeriemärkte unseres Vertrauens ihre Bestände an Faltencremes und anderen altersgerechten Produkten allesamt aufgebraucht hatten. Ein neues, möglichst noch kreativeres Präsent, so ein solches überhaupt denkbar wäre, musste gefunden werden.

Und so entschieden wir uns in einem Augenblick früher Weisheit dafür, ihm Zeit zu schenken. Gemeinsame Zeit. Qualitätszeit, wie mein Mitschenker damals oft und gerne sagte, auch wenn er sich dabei in aller Regel auf Momente trauter Zweisamkeit bezog. Wir hatten beschlossen, mit dem dritten Mann zu verreisen. Und ihm nicht zu sagen, wohin es gehen sollte. Was dann eben dazu führte, dass seine Freundin unsere bloße Aufforderung, er möge sich ein bestimmtes Wochenende frei halten (was zu jener Zeit ohne wochenlange Kalenderkonsultation möglich war), als Eingeständnis eines noch gar nicht näher bestimmten Geschenks interpretierte. Papperlapapp! Natürlich hatte die Planung komplett gestanden. Also so ungefähr, zumindest.

Wie auch immer: wir verbrachten ein großartiges Wochenende in Madrid (ich kannte mich dort ein bisschen aus), und es war gar gelungen, ihn am Flughafen nicht nur durch das Check-in-Prozedere, sondern bis in den Zubringerbus zu schleusen, ohne dass er das Ziel ausfindig gemacht hätte. Nicht wichtig? Mag sein, auf den ersten Blick; letztlich war es aber gerade diese Heimlichtuerei, war es das Bemühen um falsche Fährten, um geschickt ausgelegte Köder, um die ultimative Täuschung, das sich sehr rasch zu einem integralen Bestandteil unserer Geburtstagswochenenden entwickeln sollte – und bis heute ist.

Alle 5 Jahre erwischt es jeden von uns dreien einmal, im Schnitt also alle 1,67 Jahre, wie die mathematisch Begabteren unter uns festzustellen pflegen, oder, wie man in unserem engeren Umfeld gerne mal sagt: einmal im Jahr halt.

Die Wochenenden entwickelten sich im Lauf der Jahre vielfältig. Mal waren sie etwas mondäner, häufig bodenständig; in der Regel wurden sie mit sportlichen oder der zwischenzeitlichen Demütigung des Beschenkten gewidmeten, mitunter auch in der Schnittmenge besagter Ausprägungen angesiedelten Aktivitäten angereichert, die hier auszuführen aktuell den Rahmen sprengen würde, deren sukzessive Darstellung im Blog allerdings seit Jahren latent im Raum steht und nunmehr erstmals als Drohung ausgesprochen wurde.

Vor wenigen Tagen war es wieder so weit. Einer der beiden, nennen wir ihn der Einfachheit halber Travolta, hatte vor einigen Wochen Geburtstag gefeiert, und nun stand sein Wochenende an.

Vermutlich ist es nicht gänzlich unfair, zu behaupten, dass sich Travolta ein wenig weiter von seiner körperlichen Topform entfernt hat als mein anderer Freund, den wir fortan Luigi nennen wollen, und – gerade noch – ich selbst. Was ihn zu regelmäßig wiederkehrenden Appellen – er würde es wohl vorziehen, von subtilen Andeutungen zu reden, wohingegen ich meine, stets einen Hauch von Verzweiflung in seiner bettelnden Stimme zu hören – veranlasst, fürderhin die sportliche Komponente etwas in den Hintergrund zu rücken, zugunsten einer stärker Wellness-orientierten Ausgestaltung.

Es dürfte nicht allzu sehr überraschen, dass wir folglich nicht umhin konnten, ihn zu einem “Mörder-Sportwochenende” einzuladen, was per se insofern ein Novum war, als im Regelfall offiziell nur Daten angekündigt werden, die erst in den Tagen vor dem Termin (wenn man also allmählich darüber nachdenkt, wo es hingehen soll) um ein paar Hinweise zur benötigten Ausstattung ergänzt werden. Die naturgemäß in die Irre führen sollen und es gelegentlich auch tun.

Falls jemand das Vergnügen hatte, seinen Deutschunterricht in den Achtzigern mit “Verstehen und Gestalten” zu bestreiten, so erinnert sie sich möglicherweise an die Bildergeschichte mit dem Torwart und dem Elfmeterschützen. Sie wissen schon (sinngemäß): Er denkt, ich denke, er denke, wie immer: rechte Ecke, also schießt er links.

Ein vergleichbares Dilemma ergab sich angesichts des angekündigten Sportwochenendes: sollte Travolta der fotografisch untermalten Einladung, die einige Impressionen von Trendsportarten wie Skispringen, Boxen oder Swamp Soccer enthielt, Bedeutung beimessen? Und wenn ja: wie viel? Oder vielleicht doch gar keine?

Genug des Drumrums. Der eine oder die andere wird per Twitter mitbekommen haben, dass wir tatsächlich ein intensives Sportwochenende hinter uns brachten, wenn auch nur als Konsumenten vor Ort – was wiederum Travolta erst nach dem allerletzten Programmpunkt mit Gewissheit sagen konnte, so viel Ungewissheit musste dann, bei aller Gnade, doch sein.

Das soll’s nun aber gewesen sein mit den Schilderungen und Hinweisen, wie lustig die Nebengeschichte mit Unsicherheit, latenten Sportdrohungen und Heimlichkeitsgedöns doch gewesen sei. Weitestgehend, zumindest. Kann ja kein Außenstehender nachvollziehen, diese Rumeierei. Zurück zum Spocht.

Freitags um 19 Uhr war Anpfiff in der Baseball-Bundesliga. Gibt es beim Baseball einen Anpfiff? Eher nicht, ne? Wir kamen ein bisschen zu spät, insofern ist meine Unwissenheit durch Abwesenheit gedeckt, aber während des Spiels sollte es ja Hinweise dazu gegeben haben, ob irgendjemand auf diesem Spielfeld oder an dessen Rand eine Pfeife bei sich trug. Allein: ich weiß es nicht. War vermutlich zu sehr damit beschäftigt, die Anzeigetafel zu entschlüsseln, und als das rudimentär geglückt war, konzentrierte ich mich auf das Ratespiel, ob ein Wurf nun Strike oder Ball gewesen sei – sofern ich die Fachterminologie richtig gedeutet habe. Meine durchschnittliche Quote lag im Bereich von “Willkür”.

So richtig zog uns das Ganze nicht in seinen Bann, was sicherlich zum Teil an der mangelnden Vorbereitung lag. Zum Teil aber, so mein Eindruck, könnte es auch daran gelegen haben, dass der Anteil der nicht geschlagenen oder nicht getroffenen Bälle für den Geschmack von Leuten, die eine gewisse Affinität zu Rückschlagsportarten haben, deutlich zu hoch war. Was die Frage aufwarf, ob diese geringe Schlag- bzw. Trefferquote sportartimmanent ist oder doch eher am hiesigen Spielniveau liegt. Die angebotenen Burger trösteten nur bedingt über Enttäuschung und Ungewissheit hinweg.

Gleichwohl schafften es die Mannschaften aus Mainz und Mannheim (wie verbreitet ist in der Baseballszene eigentlich der Begriff Derby?), uns zum Ende hin sehr wohl zu stärkerer Anteilnahme zu bewegen. Nachdem die Gastgeber lange Zeit deutlich geführt hatten, gelang den Monnemern im letzten Inning dessen, was ich als Fußballsozialisierter wohl als die reguläre Spielzeit bezeichnen würde, etwas überraschend doch noch der Ausgleich. Das letzte halbe Inning hatte es dann in sich: die Trefferquote war mittlerweile ansehnlich, und doch wollte den Mainzern der siegbringende Run zunächst nicht gelingen.

Dass es schließlich der letzte Batter war, der doch noch den Sieg brachte, ist zunächst, so ich die Regeln in Grundzügen korrekt verstanden habe, etwa so überraschend, wie wenn beim Fußball der Schütze des Golden Goals letztlich auch das Spiel entscheidet, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich hatte aber den Eindruck, ohne genau mitgezählt zu haben, dass – um im Bild zu bleiben – dieses Golden Goal ungefähr in der 119. Minute gefallen war, und zwar, weil der Torhüter einen Ball durch die Hand kugeln ließ. Aber ich habe keine Ahnung vom Torwartspiel.

Den weiteren Abend verbrachten wir in Wiesbaden, und wenn ich es versäumt hatte, vor Ort ansässige Twittergrößinnen und –größen vorab zu kontaktieren, so lag es nicht zuletzt daran, dass ich mir dessen gar nicht so recht bewusst gewesen war. Selbst die Fahrt zum (immerhin: nicht von mir gebuchten) Hotel zog sich ein wenig in die Länge, weil das Navigationssystem schlichtweg nicht in der Lage war, meine Angabe dahingehend zu interpretieren, dass ich nicht, wie eingegeben, die XY-Straße in Mainz gemeint hatte, sondern jene gleichen Namens in Wiesbaden.

Der Samstag begann recht früh. Ist unter uns Dressurreitern gang und gäbe. Um 7 ging’s los, in Bierstadt, und wiederum verpassten wir den Anpfiff. Zudem gab es keine Anzeigetafel, anhand derer wir Rückschlüsse auf das Regelwerk hätten ziehen können. Stattdessen beschränkten wir uns auf den einen oder anderen ebenso fachkundigen wie, zugegeben, völlig kontextunabhängigen und zart gehauchten Kommentar (“Was für eine Piaffe!”, “Sehr sauber, diese Traversale”, oder was uns die Herren Isenbart et al sonst halt so nahe gebracht hatten) und bemühten uns, über die fehlenden Reiterstiefel hinaus nicht weiter negativ aufzufallen.

Letztlich scheiterten aber sämtliche Bemühungen, uns in das Milieu einzufühlen, an dem Umstand, dass kein Ball im Spiel war – der Aufbruch war demnach ein baldiger, wenn auch, logisch, in erster Linie dem engen Zeitplan geschuldeter. Travolta war ein bisschen glücklich, dass er den auf unser Geheiß hin zuvor nicht im Auto zurückgelassenen, sondern mit zur Anlage gebrachten Skihelm nicht zum Einsatz zu bringen gezwungen worden war.

Nachdem wir den Ausflug in die Reitszene überstanden hatten, ohne uns allzu sehr zum Affen oder gar zum Feindbild gemacht zu haben – unsere gedämpft geführte Unterhaltung war ohne abschätzige Blicke oder gar Murren geduldet worden, und auch die zwar dezente, aber doch augenscheinlich irgendeinem Exotikfaktor geschuldete Fotografiererei blieb unkommentiert –, wartete nun ein weiteres, vielleicht noch (?) konservativeres Umfeld auf uns, das die diesbezüglichen Erwartungen dann auch erfüllen sollte.

Der Anpfiff war für 10 Uhr vorgesehen, natürlich kamen wir zu spät, und unsere Ankunft wurde registriert. Aus heutiger Perspektive kann ich leider nicht mit Gewissheit sagen, ob auch die Sportlerinnen und Sportler ihr Treiben unterbrachen, um unseren zögerlich beschrittenen Weg vom Eingang bis in die Nähe des Spielfeldes mit wachem Blick zu begleiten; die offensichtlich Verantwortlichen ließen ihre Augen indes nicht von uns. Falls sich jemand an Greiders Ankunft im finsteren Tal erinnert: genau so.

Unser Zögern wurde dann in der Tat bemerkt, wenn auch nicht auf die eigene Waswollendiedennhierhaltung bezogen, sondern vermutlich auf eine grundsätzliche (erhoffte?) Unsicherheit der Neuankömmlinge zurückgeführt. Ein leicht bärtiger Herr, den ich rasch als den Wortführer der Brenner-Buben ausgemacht hatte, trat uns entgegen und frug in geübter Freundlichkeit, ob man uns denn wohl helfen könne.

Die Antwort, dass wir gerne ein bisschen zuschauen würden, hatte nicht die erwartete Frage nach Ausweispapieren zur Folge, und da die Tribüne sowohl gähnend leer als auch von unserer Position aus einzusehen war, kam auch kein Hinweis auf ein ausverkauftes Haus in Frage. Also durften wir mit den rasch erworbenen Getränken (schließlich wollten wir guten Willen demonstrieren) Platz nehmen und konzentrierten uns auf den Sport.

Gleichzeitig galt es, den eigenen Dokumentationsansprüchen gerecht zu werden, sodass wir uns – und gewiss auch, zum Teil, die Akteure – auf zwei oder drei Schnappschüssen festhielten. Wenige Sekunden später stand Brenner vor uns: “Darf ich fragen, was Sie da tun? Wieso machen Sie Fotos? Wenn ich spielen würde, wäre mir das nicht recht.” Oder so ähnlich. Auch ein Anpfiff.

Ich kann nicht beurteilen, ob er Sorge um die Privatsphäre der Sportlerinnen und Sportler hatte. Ob wir aus seiner Sicht Presseakkreditierungen gebraucht hätten. Ob die Sponsoren ein striktes Regiment führen. Ob man einfach einen Vorwand suchte, um uns wieder loszuwerden. Wie auch immer: es gelang. Wir zogen rasch wieder ab, hatten nicht einmal unsere Fantas leergetrunken. Hätte man natürlich auch vorher ahnen können, dass es nicht so einfach sein würde, mal eben so mir nichts, dir nichts in die Beachvolleyballszene einzutauchen.

Vielleicht lag es ja auch nur an den schlechten Erfahrungen, die man mit mittelalten Spannern gemacht hat, die Spaß daran haben, über Bekleidungsquadratzentimeterbeschränkungen zu witzeln und die nebenher ein paar schicke Fotos schießen und teilen. Oder so. Was allerdings – ganz davon abgesehen, dass die Bekleidung der SpielerInnen tendenziell nach Freizeitsport aussah – bei einem offiziellen Ranglistenturnier irgendwie seltsam anmuten würde.

Egal. Gingen wir halt nach nebenan, zu den Leichtathletik-Vereinsmeisterschaften, wo sich gerade ein paar ungefähr Sechsjährige beim Schlagballweitwurf maßen. Und wir bleiben durften. Wenn auch nicht so lange wollten.

Dabei hatte ich mich auf Oestrich-Winkel gefreut. Ich weiß nicht einmal recht, wieso mir der Ortsname ein Begriff ist, aber vielleicht kennt die gemeine Leserin ja auch dieses Gefühl wohliger Wärme, das sich in einem ausbreitet, wenn man einen Ort besucht, den man zwar noch nie bereist hatte, der einem aber, aus welchen Gründen auch immer, eine große Vertrautheit vermittelt.

Häufig entstammt diese Nähe übrigens den Staumeldungen im Radiodienst, wie ich jüngst wieder einmal feststellen durfte, als ich von Odelzhausen in Richtung Adelzhausen fuhr. Alternativ: Karlsruhe-Rüppurr-Ettlingen (Bitte fragen Sie nicht nach der Interpunktion, ich bin ahnungslos). Öhm, Verzeihung. Zurück zum Sport.

Next stop: Moret-Triathlon. Der von vornherein die Alternative zum Beachvolleyball gewesen war, letztlich aber in der Planung der vermeintlich größeren und, nun ja, spaßigeren Aktivität der Strandsportart hatte weichen müssen. Tja. Die kurzfristige Planänderung ließ sich zwar realisieren; die Athleten waren jedoch mit dem Rad unterwegs, und am Fahrerlager tat sich so wenig, dass noch nicht einmal die Bratwürste fertig waren. Womit wir zugeben müssen, diesen Ground, genau wie beim Schlagballweitwurf, nur als halbgehoppt abhaken zu können.

Das sollte beim nächsten Ereignis anders werden: Handball. Länderspiel. Sogar ein Qualifikationsspiel. Dumm nur, dass die deutsche Mannschaft unter der Woche in Montenegro verloren und es nun nicht mehr selbst in der Hand hatte, sich für die EM zu qualifizieren. Die Partie fand in Aschaffenburg statt, in der Heimstatt des TV Großwallstadt, dessen sportliche Situation an dieser Stelle nicht weiter thematisiert zu werden braucht. Weil allerdings für das DHB-Team nach wie vor die Chance zur Qualifikation bestand, hatte sich der Bayerische Rundfunk zu einer Live-Übertragung entschlossen, sodass die Partie vorverlegt wurde und wir uns fünf Minuten vor dem Anpfiff noch im hinteren Bereich einer etwa 30 Meter langen Schlage tummelten.

Was für Travolta in diesem Moment bestenfalls sekundär war. Zwar war es ihm anhand der Farben und Trikots zahlreicher Menschen um uns herum bereits gelungen, als nächstes Ereignis ein Länderspiel auszumachen; doch erst durch intensive Bemühungen und unauffälliges Auf-die-Tickets-anderer-Menschen-Gucken konnte er kurz vor Betreten der Halle auch die Sportart identifizieren.

Die Spannung des Spiels speiste sich dann weitgehend aus der Frage, ob Patrick Groetzki seinen früh erworbenen Vorsprung in der Torschützenliste würde bewahren können. Kevin Schmidt und speziell der für Groetzki zur Pause gekommene Johannes Sellin rückten zunehmend näher, und ich persönlich vermute noch immer, dass Groetzki und Sellin eine Wette laufen hatten. Zahlreiche jugendliche Fans (ich möchte die Freikartenfrage nicht stellen) sorgten für Stimmung, wir drei Eventfans stimmten selbstverständlich mit ein, der deutliche Sieg gelang, die Qualifikation nicht.

Bemerkenswert übrigens, wie viele Zuschauer offensichtlich gespannt auf die Durchsage des Stadionsprechers, eines korrekten Herrn mit gelegentlichen emotionalen Einsprengseln, warteten – hatten diese vermutlich handballbegeisterten Menschen ernsthaft davon abgesehen, zwischenzeitlich ihre Telefone zum Ausgang in Tschechien zu befragen?

Nach dieser tiefen Enttäuschung im großen internationalen Sport bedurfte es der Besinnung auf etwas Ursprünglicheres, Echtes, Kleines, Regionales, auf ehrlichen Sport, bei dem nicht alle wissen, dass die eine, bereits qualifizierte Mannschaft ihr letztes und für andere sehr wohl noch relevantes Spiel ohnehin verlieren würde, und entschieden uns überraschend für: Handball. Feldhandball, um genau zu sein, in Birkenau, nicht allzu weit von Heidelberg entfernt.

Ein Turnier, oben auf dem Berg, Jugend und Erwachsene, und alle Erwartungen wurden erfüllt: guter Sport, Jeder-kennt-jeden-Atmosphäre fernab irgendwelcher Beachvolleyballeliten (Verzeihung, möglicherweise tue ich den Brenner-Buben ein bisschen unrecht), selbstgebackener Kuchen, ursprüngliche Urinale, Bratwürste, etwas Exotik durch Gyros, faire Preise, alle paar Minuten gleich vier Anpfiffe, und die freie Auswahl, ob man sich kurz zur Verköstigung auf einer Bierbank niederlässt oder doch lieber wieder dem sportlichen Treiben widmet. Meist taten wir beides. Fühlte sich ein bisschen an wie daheim. Und früher.

Der Samstag war mittlerweile fast vorbei, die Unterkunft in Heidelberg wartete, Travolta war zunehmend von der Sorge gezeichnet, sein 7er Eisen auch an diesem Wochenende nicht zum Einsatz bringen zu dürfen. Und dann: Touristenprogramm. Fotos auf der Brücke (Vorhängeschloss hatten wir keines dabei), Essen in der Steingasse, Urlauberoutfit. Und eine etwas angestaubte, charmante Unterkunft, die vermutlich im Lonely Planet als Geheimtipp gilt. Zu Recht, allein des Frühstücks im Innenhof wegen.

Sonntag. Und Travolta wollte endlich Sport treiben. Wir zogen kurz in Erwägung, ihn doch noch zum Philippsburger Festungslauf anzumelden, entschieden uns dann aber zur Weiterfahrt nach, Sie ahnten es, Karlsruhe-Rüppurr-Ettlingen. Oder eben nicht. Rüppurr und Ettlingen sind nämlich Wettbewerber in der zweiten Bundesliga.

Die Sportart ließen wir zunächst noch offen, und als Travolta bei 30 Grad Celsius nicht nur das Vereinsheim des Skiclubs Ettlingen erblickte, sondern auch noch aufgefordert wurde, sich etwas Bequemes anzuziehen, wurde er dann doch etwas unruhiger, als er zugeben mochte. Die auf der Einladung abgebildeten Skisprunganfänger hatten möglicherweise Wirkung gezeigt.

Also gingen wir zum Ort des Geschehens und, nun ja, sahen den Tennisdamen zu. Travoltas Outfit wirkte ein wenig deplatziert: wer will schon Menschen in Sportkleidung sehen, wenn man als Zuschauer stattdessen auch in schicken Glitzerfummeln oder Segelschuhen brillieren kann?

Das Ganze war sportlich sehr ansprechend, nebenbei konnte man Ranglistenpositionen googeln und verpasste Karrieren nachlesen, sich kurz an die Fitnessdebatten zu Zeiten der Damen Graf und Sánchez-Vicario oder auch Martínez erinnert fühlen. Travolta ließ sich dazu hinreißen, die im Vergleich zu anderen besuchten Ereignissen hohe sportliche Qualität hervorzuheben, die dann ja auch das Zuschauen zum größeren Vergnügen mache, oder so ähnlich.

Also fuhren wir die gut 50 Kilometer nach Kleinglattbach. Zur Relegation. Zwischen dem SC Hohenhaslach und dem TASV Hessigheim, dessen “Traum von der Kreisliga A” weiterleben sollte. Fußball also. Auf höchstem Niveau. Das Beste zum Schluss. Rechtzeitig zum Anpfiff. Und so entspannt. Weder zum einen noch zum anderen Verein bestand irgendeine Bindung, noch nicht einmal die Ortsnamen hatte ich je zuvor gehört.

Doch plötzlich konnten wir mitreden. Fachsimpeln. Mit den Einheimischen ins Gespräch kommen. Über den technisch starken, aber nicht ganz durchtrainierten Zehner der einen und den durchtrainierten, aber technisch nicht ganz so starken Kapitän der anderen debattieren, uns über die Roten aufregen, die es versäumt hatten, das Spiel zu entscheiden, und uns freuen, dass der kreativste Spieler der Weißen (Grauen?) den möglicherweise diskussionswürdigen Elfmeter zum Ausgleich herausholte.

Und uns furchtbar darüber ärgern, dass wir nach Ablauf der regulären Spielzeit von dannen ziehen mussten, ohne die Entscheidung, die dann tatsächlich nicht in der Verlängerung, sondern erst im Elfmeterschießen fallen sollte, miterleben zu können. Blöde Zugverbindungen. Blöder Zeitplan. Blöder altersbedingter Mangel an Flexibilität. Das war schließlich Fußball!

Egal. Schön war’s. Beim nächsten Mal ist Luigi dran. Wird ein Mörderwochenende.

Rückblicksvorbereitungsstichworte (VII)

„Der Dings ist halt auch alt, der Dings, der mit den langen Haaren, bei den Italienern. Für den war das Turnier zu lang.“

(Genau, der Chefanalytiker vom letzten Mal hat wieder gesprochen.)

Bei mir persönlich hat das Endspiel ja eher unerwartete Assoziationen hervorgerufen, die gleichwohl in die Jahreszeit passen. Ich dachte an die Tour de France. An die Ära Armstrong, um genauer zu sein, die Ära Indurain habe ich nicht mehr im Detail präsent, die von Bernard Hinault noch etwas weniger, auch wenn Laurent Fignons Brille einen kleinen Platz in meinem Herzen hat, und noch weiter reicht meine Erinnerung schlichtweg nicht zurück.

Dieser Armstrong, dessen umfassende sportmedizinische Betreuung ich an dieser Stelle sträflicherweise einmal völlig außer Acht lassen möchte (man will ja auch nicht vor ein amerikanisches Gericht gezerrt werden), der anfangs in erster Linie eine großartige Geschichte zu bieten hatte, erweckte in späteren Jahren mitunter den Eindruck, nicht mehr ganz der Herr im Hause zu sein. Man glaubte, vermutlich zurecht, Schwächen ausgemacht zu haben, vielerorts hoffte man eben darauf, was nicht nur an eigenen Ambitionen lag, sondern auch an einer gewissen Sättigung – die einzelne gar Armstrong selbst unterstellen wollten. Mitunter fiel der Begriff „Langeweile“.

So hoffte man also, dass besagte Schwächen keine eingebildeten seien, wartete auf jene Tage, an denen es „drauf ankommen“ sollte, wenn die ganz Großen unter sich wären. Und ja, selbst dort konnte er nicht immer von Beginn an überzeugen, die Hoffnungen der Herausforderer wuchsen, die ersten Abgesänge wurden angestimmt, Nachrufe verfasst, es lebe der König!

Und dann beschleunigte er. Eine sowohl individuell als auch im Verbund als auch taktisch überragende Mannschaft zeigte dem vermeintlichen Kronprinzen – häufig war es Rudis Sohn, gelegentlich auch Birillo –, wie stark er tatsächlich war, wenn er herausgefordert wurde. Individuell. Taktisch. Souverän. Auf Zug fahrend.

Aber irgendwann haben sie ihn dann ja doch gepackt.
(Allerdings weder Rudis Sohn noch Birillo. Von der Justiz ganz zu schweigen.)

Naja, genug der schiefen Bilder. Auch jener von Balljungen und Tränen.

(Und zur Sicherheit: Es liegt mir sehr fern, der spanischen Nationalmannschaft den Ruch von Dopingmissbrauch anzuheften. Zumindest nicht näher als bei jeder anderen Fußnallmannschaft.)

Dafür noch ein paar Gedankenfetzen für den Sohn:

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Finale! Mein erstes, da war mir dann auch die Gesellschaft egal. Der Sieger eigentlich auch, aber weil mich alle Welt nach meinen Tipps und Präferenzen frug, gab ich die Fragen so lange an meinen Vater weiter, bis er seinen Favoriten preisgab: Spanien. Der also auch meiner war. Obwohl ich von den Italienern viel mehr Spieler kannte und auch erkannte: Buffon, Balotelli, Cassano, auch Pirlo. Von den Spaniern war indes nicht viel bei mir hängen geblieben. Waren wohl zu langweilig gewesen. Anders als die Finaleröffnungszeremonie, übrigens.

3:1 hatte ich getippt, und lange sah es gut aus. Das 1:0 hatten wir aus technischen Gründen (Acer!) erst in der Wiederholung gesehen; Béla Réthy war es möglicherweise ähnlich ergangen, zumindest wäre das eine Erklärung dafür, dass er das 1:0 während des Spiels in seiner persönlichen Hot Rotation laufen ließ und bei jedem Anschauen noch eine Spur euphorischer wurde. Was dann analog für Treffer Nummer zwei galt.

Dass Italien mit 10 Spielern zu Ende spielen musste, war gemein. Ich unterstützte den Aufruf meines Vaters, dass all diejenigen, die sich wenige Wochen zuvor für eine Generalamnestie nach Champions-League-Halbfinals ausgesprochen hatten, nun bitte auch für zusätzliche Härtefalleinwechslungen in EM-Endspielen eintreten mögen. (Ironie war damals noch nicht so mein Ding.)

Meine erste EM war eine Schau! Sammelkarten, Livespiele bis tief in die Nacht, auswendig gelernte Spielpläne, anhaltende Fragen an meine Eltern, bei welcher der 31 Paarungen sie welche Mannschaft bevorzugt hätten (einschließlich Hinweisen auf Widersprüche und Inkongruenzen), mein erstes DFB-Shirt, Einführung in die Tabellenkalkulation unter besonderer Beachtung direkter Vergleiche, vertiefte Betrachtungen ukrainischer und polnischer Landkarten, und … und … und. Grandios!

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Schön, wenn’s dem Nachwuchs gefallen hat. Mir auch. Neue Trends konnte ich nicht allzu viele ausmachen. Und bei dem einen, der mir wirklich aufgefallen ist, weiß ich nicht, ob er tatsächlich neu ist. Und wie nachhaltig er ist.

Also werde ich mir im Lauf der kommenden Bundesligasaison sehr genau ansehen, ob Spieler, die zum Einwurf bereit stehen und dann doch einem anderen den Vortritt lassen, den Ball auch dort stets achtlos bis verächtlich zu Boden fallen lassen, anstatt ihn in die ausgestreckte Hand des Mitspielers zu legen. (Die wirklich wichtigen Dinge.)