Mandatsniederlegung

Bruno Labbadia hat es nicht leicht in diesen Tagen. Die Ergebnisse stimmen nicht, eine ästhetische Komponente ist im Spiel seiner Mannschaft nicht vorhanden, seine Verdienste werden nicht gewürdigt, die Herkunft der Mannschaft ignoriert, seine Bitte um Unterstützung durch die Fans wohl vor allem deshalb, weil sie von ihm kommt, müde belächelt, sein Kader ist nicht überwältigend, und die neuen Spieler sind eher nicht der Kategorie “Soforthilfe” zuzuordnen.

Dies sind nur einige der Punkte, die ich mir in den Tagen vor dem Spiel gegen den HSV vor Augen führte, um mich selbst ein wenig zu besänftigen. Es gelang nur sehr bedingt, und doch griff ich des Trainers Argumente vor dem Anpfiff auf, um gegenüber meinen Mitsehern den Advocatus Labbadiae zu geben. Ich äußerte so etwas wie Verständnis dafür, dass er gegen Lazio Tamas Hajnal einwechselte, dessen Spiel jenem von Alexandru Maxim möglicherweise etwas stärker ähnelt als das von Raphael Holzhauser, ließ sogar den Hinweis, eben dieser Holzhauser sei körperlich nicht bereit für drei Spiele innerhalb einer Woche, durchgehen, ohne die Frage nach dem Verantwortlichen für den körperlichen Zustand der Spieler zu stellen, und vermied lautes Gelächter ob des gerne und von vielen Seiten ausgeschöpften komischen Potenzials, das Holzhausers Einwechslung in der 93. Minute in sich barg.

Es gelang mir ohne allzu große Überwindung, darauf hinzuweisen, dass Lazio derzeit wirklich nicht der Maßstab des VfB sein könne, unabhängig davon, ob die Italiener mit ihrer ersten Elf angetreten sind, und dabei zu betonen, dass all das Negative, das in diesem “derzeit” mitschwingt, nur zum Teil dem Trainer anzulasten sei. Namen wie Mäuser, Ruf und Bobic fielen, selbst den Hinweis darauf, dass die Sache mit den “jungen Wilden” auch schon vor Labbadia und Bobic nicht mehr so recht geklappt habe, ließ ich nicht außen vor. Und verstieg mich zu der Behauptung, dass mir der VfB nicht erst seit Labbadias Wirken, sondern bereits seit Jahren nicht mehr den Eindruck vermittelt habe, fußballerisch so stark und gefestigt zu sein, dass man gegen halbwegs gut organisierte Mannschaften regelmäßig nicht nur bestehen, sondern kreative Lösungen finden könne, um sie zu schlagen.

Ob ich mit meinen Argumenten zu den Zuhörern durchdrang, weiß ich nicht. Dass ich zu mir selbst nicht so recht durchdrang, kann ich indes mit Gewissheit sagen. Ich empfinde es als gewöhnungsbedürftig, wenn Bruno Labbadia einem Journalisten, der danach fragt, ob die vielen langen Bälle von ihm so gewollt seien, die Gegenfrage stellt, ob derjenige, der ihn nun seit zwei Jahren kenne, denn selbst glaube, dass der Trainer das so wolle, in der offenkundigen Absicht, ein “Nein” zu hören. Und ich bedaure ein wenig das Ausbleiben einer Entgegnung im Sinne von:  “Offensichtlich ist das so. Oder tut die Mannschaft nicht, was Sie sagen?

Ok, das wäre billig. Und doch fällt es mir schwer, zu glauben, dass – es tut mir leid, dass ich schon wieder ihn heranziehe – Raphael Holzhauser von sich aus die Entscheidung traf, zu Spielbeginn regelmäßig sehr tiefe Positionen einzunehmen, mitunter hinter den Abwehrspielern, um von dort lange Diagonalbälle zu spielen, ehe die Verteidiger diese dann wieder selbst schlugen. Er müsse da auf die Entscheidung seiner Spieler vertrauen, oder so ähnlich, sagte Labbadia hernach, und wolle sie nicht “in den Tod reinschicken”, indem er sie zwinge, zu spielenspielenspielen, also auf besagte lange Bälle zu verzichten. Irgendwie wollte er es dann wohl doch, oder verstehe ich da was falsch?

Interessant, so eine Pressekonferenz. Die auch Klarheit darüber brachte, dass Holzhauser nicht etwa wegen der langen Bälle ausgewechselt worden war, sondern weil er, etwas verkürzt, keinen Zugriff auf das Spiel bekommen habe. Oder dass Molinaro nicht wegen der lautstarken Intervention der Zuschauer ob seiner bevorstehenden Einwechslung draußen blieb, sondern weil Harnik entgegen seiner eigenen urspünglichen Ansage doch nicht ausgewechselt werden musste. Ich will das gern glauben und hoffen, dass der VfB die nächste Stufe von deinfussballclub.stu doch noch nicht gezündet hat und die spieltaktischen Entscheidungen weiterhin denjenigen Personen obliegen, die dafür bezahlt werden. Unabhängig von der Qualität dieser Entscheidungen. (Aber ich zweifle ein bisschen.)

Vielleicht sollte ich noch sagen, dass ich nicht gut pfeifen kann. Bzw., an dieser Stelle relevanter: nicht laut. Man hätte mich also eher nicht gehört. Tatsächlich pfiff ich aber gar nicht. Ich war zu diesem Zeitpunkt längst über lautstarken Protest hinaus. Hatte mein Mandat als Advocatus Labbadiae niedergelegt. Aber wenn ich gepfiffen hätte, dann wären es Stellvertreterpfiffe gewesen. Sie hätten nicht Cristian Molinaro gegolten. Nicht einmal unbedingt dieser Auswechslung, denn ich konnte den Gedanken nachvollziehen, entweder ihn oder Boka nach vorne zu ziehen, um über links etwas zu bewegen.

Sie hätten Bruno Labbadia gegolten, für den Fußball, den er spielen lässt. Und, in meinem Fall, für sein anhaltendes Gejammer. Ich denke, mit dieser Stellvertreterregelung stehe ich keineswegs alleine da, und bin guter Dinge, dass Molinaro, ein kluger junger Mann, das sehr wohl einzuordnen weiß.

Der Umstand, dass die Zuschauer mit Blick auf Trainer und Vereinsführung noch ein wenig deutlicher wurden, erlaubt möglicherweise den Schluss, dass man ihnen diese Abstraktions- und Transferleistung nicht zutraut.

Abschließend noch kurz ein Gedanke, der mich im Lauf des Spiels befiel und bei mir blieb. Oder besser: eine Vorstellung. Ich versuche seit Mitte der ersten Halbzeit, mir vorzustellen, wie es wohl wäre, Christian Gentner in einer guten Fußballmannschaft zu sehen. In einer Mannschaft, deren Abläufe funktionieren, die taktisch auf der Höhe ist, die individuell so stark ist, dass Gentner einer von vielen guten Spielern ist und nicht der eine, der fast immer eine vernünftige Lösung findet, der mit Herzblut voranschreitet, der die langen Wege geht, das Tempo anzieht, die Linien schließt und nebenbei auch noch torgefährlich sein soll.

Gewiss, es wäre arg einfach, an dieser Stelle auf die Jahre 2009 und vor allem 2007 zu verweisen, aber als Illustration helfen sie durchaus. Schöne Vorstellung, irgendwie, für Gentner. Blöd nur, dass sie nichts mit dem VfB zu tun haben könnte.