Tom Hanks, die Schwester und ich.

Es muss wohl an den Bildern aus Cannes und dem Hype um Christoph Waltz liegen, dass ich in diesen Tagen mehr als einmal an “meine” schönste spannendste interessanteste Oscarverleihung zurück gedacht habe.

Im Frühjahr 1995 verbrachte ich die Semesterferien bei meiner damaligen Freundin in Irland, die zu dieser Zeit bei ihrer großen Schwester wohnte – einer irischen großen Schwester mit ausgeprägtem Beschützerinneninstinkt, übrigens.

Ende März stand die Oscarverleihung an, und alle Diskussionen drehten sich um die Aufteilung der Trophäen zwischen den großen Favoriten Forrest Gump und Pulp Fiction. Die Schwester konzentrierte sich dabei in besonderem Maße auf den Preis für den besten Hauptdarsteller: unter den Nominierten war Tom Hanks, der bereits im Vorjahr für seine Rolle in Philadelphia ausgezeichnet worden war – und in seiner Dankesrede wohl nicht ganz ihren Geschmack getroffen hatte, wie mir sehr rasch klar wurde.

Offensichtlich hatte er zu vielen Menschen gedankt, zu sehr auf die Tränendrüse gedrückt, seine Frau zu überschwänglich gepriesen, kurz: war wohl zu sehr Tom Hanks gewesen. Tatsächlich ist jene Rede noch heute insbesondere deshalb in Erinnerung, weil Hanks die Homosexualität seines ehemaligen Schauspiellehrers und eines Mitschülers öffentlich machte, nicht aber als besonders schlechte Dankesrede.

Wie auch immer: die Schwester bereitete sich und mich tagelang auf den GAU vor, dass Hanks möglicherweise noch einmal gewinnen und eine ähnlich pathetische Rede halten könne, ich würde es dann schon sehen. Es kam also, wie es kommen musste: Sein Name wurde genannt, er ging zur Bühne und begann zu reden. Nach gefühlten zwei Sekunden fiel ihm die Schwester ins Wort:

“Da, seht Ihr? Er tut es schon wieder! Tom Hanks, hör auf! Gleich dankt er seiner Frau, Ihr werdet sehen! Und dann kommt bestimmt auch wieder dieses ‘God bless America’. […] Schleimer!”

[Gedächtnisprotokoll, sinngemäß übersetzt]

Als sie sich wieder beruhigt hatte, wandte sie sich mir triumphierenden Blickes zu:

“Siehst Du, ich hab’s Dir gesagt!
War das nicht fürchterlich?”

Worauf ich wahrheitsgemäß antwortete:

“Sorry, ich hab nicht verstanden, was er sagte.”

Also frug sie, welchen Teil bzw. welche Wörter ich denn nicht verstanden hätte. An dieser Stelle wäre ich wohl noch unbeschadet aus der Nummer heraus gekommen. Ich hätte sie bitten können, mir seine Rede noch einmal sinngemäß zu übersetzen, um dann vermutlich grundsätzliche Zustimmung mit gewissen Einschränkungen zu signalisieren. Stattdessen gab ich dem Teufelchen nach, das auf meiner Schulter Platz genommen hatte:

“Nein, ich konnte einfach nicht hören, was er sagt.”

Stille. Nachdenken. Groschen fällt.
Dann Wutausbruch und nachhaltig gestörtes Verhältnis.