Liegengebliebenes und Aufgewärmtes

Die Nachspielzeit lief bereits, als Kai Dittmann berichtete, wie Sven Ulreich vor einem Stuttgarter Eckball Blickkontakt zu seinem Trainer gesucht habe, um von diesem ein Signal zu erhalten, ob er mit nach vorne eilen dürfe, solle, könne, müsse. Schließlich lag man in Augsburg zurück, nachdem man lange einen “Big Point” vor Augen gehabt und viel für dessen Zustandekommen getan hatte. Sollte das alles vergebens gewesen sein?

Es ist nicht überliefert, ob Stevens Ulreich eine Absage erteilte oder ob der Blickkontakt gar nicht erst zustande kam. Sehr wohl überliefert ist indes die Reaktion des älteren Herrn in meiner Fußballkneipe, der Dittmanns Ausführungen unzweideutig kommentierte: “Was will der denn da vorne? Da fällt er bloß über die eigenen Füße.”  Die ungeteilte Liebe der Fans ist ihm im Lauf der Jahre wohl ein bisschen abhandengekommen.

Mein gequältes Lächeln signalisierte Zustimmung. Wehmütig denke ich regelmäßig an jene Zeit zurück, als jemand, vielleicht war es Eberhard Trautner, Timo Hildebrand Regionalliganiveau als Feldspieler attestierte. Das mag einem gewissen Überschwang geschuldet gewesen sein, zumal die Regional- damals die dritte Liga war, aber es lässt erahnen, worum es geht: Fußball. Und dessen grundlegende Techniken.

Auf Timo Hildebrand folgte mit Raphael Schäfer ein fußballtechnischer Antipode, und dass Schäfer dem jungen Ulreich auf Augenhöhe begegnete, kann man gerne als hübsche Randnotiz mit inhaltlicher Relevanz heranziehen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Oder anders: Sven Ulreichs Erfolgsaussichten im gegnerischen Strafraum vermute ich eher im Bereich von Oliver Kahn als von Jens Lehmann.

Aber daran lag es am Samstag nicht. Ulreich hat keine Hohle geschlagen, nicht im Dribbling den Ball verloren oder ihn sich selbst hinter die Linie geworfen. Und vermutlich entspränge es nicht nur einer sehr freien, sondern vielmehr einer boshaften Interpretation, Huub Stevens zu unterstellen, er habe den Blickkontakt mit Ulreich vermieden, weil er ihm nichts ins Gesicht sehen, weil er ihn nicht mehr sehen wollte nach zwei Gegentoren, die ihn zumindest nicht zum strahlenden Helden werden ließen. “Tapsig” wäre eine Beschreibung, die mir beim 1:0 in den Sinn käme, “unentschlossen” beim 2:1.

So läuft’s halt manchmal, und ja, es passt – daraus habe ich hier nie ein Hehl gemacht –  in mein Bild des jungen Mannes, das Bild eines durchschnittlichen Bundesligatorwarts mit großen Stärken, aber auch unübersehbaren und bis dato offenbar nicht auszumerzenden Schwächen. Und gewiss, es ist wohlfeil, jetzt darauf zurückzukommen. Schließlich hätte Ginczek ja auch einfach vor der Pause das 1:2 erzielen können. Hätte der eine oder andere die Chance gehabt, nach der Pause nachzulegen. Hätten vor dem 2:1 nicht alle stehen zu bleiben brauchen, während die Augsburger nachsetzten. Hätte sich Niedermeier einfach mal auf das sportliche Duell mit Bobadilla konzentrieren dürfen. Stimmt alles. Und hilft nichts.

Chance verpasst, hieß es allenthalben. Weil alle für den VfB gespielt hatten, es im Fall des HSV sogar danach noch taten. Aber eben auch: es ist nichts kaputtgegangen. Anders als von Giovane Elber vermutet, hat der VfB es nach wie vor komplett selbst in der Hand, die Klasse zu halten. Wenn er die verbleibenden fünf oder sieben Spiele gewinnt, können sich die anderen auf den Kopf stellen oder meinetwegen auch jeden einzelnen Schiedsrichter kaufen – es reicht nicht. Nun ist mir klar, dass weder der VfB sämtliche Spiele gewinnen noch irgendjemand einen Schiedsrichter schmieren wird, aber mein Gedanke dürfte klar sein: man hat es selbst in der Hand. Das ist weitaus mehr, als ich vor vier oder fünf Wochen erwartete.

Grade mal zwei Wochen ist es her, dass mich ein befreundeter Fan von Hannover 96 frug, ob ich “denn noch Hoffnung auf den Klassenverbleib des VfB” hätte. “Überraschenderweise ist meine Hoffnung deutlich größer als vor ein psar (sic!) Wochen”, antwortete ich. Daran hat sich nichts geändert, und ich weiß bis heute nicht, woran es gelegen hatte. Wir waren uns einig, dass nicht nur ein erneutes Schneckenrennen am Horizont dräue, sondern dass auch die B-Noten der einzelnen Schnecken durch die Bank verheerend seien, und doch war meine Zuversicht zurückgekehrt. “Trotz oder wegen Huub?” wollte er wissen, und ich konnte oder wollte es nicht beantworten: “Mit Huub.”

Meine Zuversicht ist ungebrochen, was vielleicht auch damit zu tun hat, dass beim VfB zwischenzeitlich Bewegung in die B-Note kam. Blöd nur, dass man sich davon nichts kaufen kann. Also zumindest nicht in Augsburg. In den Heimspielen sah das zuletzt, allen vorangegangenen Eindrücken zum Trotz, anders aus. Man spielte nicht nur anständig, sondern zog die A-Note gleich mit hoch, traf das Tor und punktete. Da konnten nicht mal die Wechselfehler was dagegen ausrichten.

Wechselfehler? Ok, ich sag’s, wie’s ist. Die Wechselfehler sind eigentlich durch. Hab ich schon vor Wochen drüber geschrieben. Zumindest angefangen. Und nie veröffentlicht. Jetzt liegt’s halt noch hier so rum und ist mir im Weg, also raus damit:

Vor zwei fünf Tagen Wochen gegen Frankfurt wollte Huub Stevens zur Pause wechseln. Ich kann das nicht mit Gewissheit sagen, aber alles andere würde mich sehr wundern. Oriol Romeu wärmte sich ernsthaft auf, ohne Eckle, ohne Jonglageübungen mit dem Ball auf der Schulter, sondern so richtig, mit ohne lange Hose und erhöhtem Tempo. Der Grund lag auf der Hand: Geoffroy Serey Dié, von dem die Wikipedien aller Länder, und nicht nur die, behaupten, er schreibe sich ohne Aigu, was ich aber bis zum endgültig erbrachten Beweis nicht mit meinem Sprachgefühl vereinbaren kann, hatte sich vor der Pause mit langem Atem um eine Verwarnung beworben und war in der 42. Minute endlich erfolgreich gewesen, würde also mit einer mehr als verdienten gelben Karte und einem deutlichen Eintrag im Notizblock des Schiedsrichters in die zweite Hälfte gehen, käme Romeu nicht zur Pause.

Ich unterhielt mich mit ein paar Umstehenden über die bevorstehende Auswechslung und war ehrlich gesagt etwas überrascht, dass sie diese eher nicht befürworteten. Zu wichtig schien Diés Aggressivität für das VfB-Spiel, um freiwillig auf ihn zu verzichten. Auch seine ärgerliche Angewohnheit, seine Mitspieler auch in engen Räumen und ohne Not gerne mal auf Knie-, Hüft- oder Schulterhöhe anzuspielen, tat da keinen Abbruch. Hoffnungsträger!

So ähnlich sah das dann wohl auch der Trainer. Er überlegte es sich in der Kabine noch einmal, dürfte seinem Königstransfer ins Gewissen geredet und ihn vor einer weiteren auch nur annähernd gelbwürdigen Aktion gewarnt haben, und ließ ihn auf dem Feld. Fünf Minuten später stellte er sich im Zweikampf ungeschickt an, verzichtete dann auf bissige Rückeroberungsbemühungen und war zum wiederholten Male an einem Gegentor beteiligt.

Stevens reagierte, nahm Dié nun doch vom Feld – und wurde ausgepfiffen. Um mich herum beklagten Zeitgenossinnen und Zeitgenossen, dass er doch nicht seinen auffälligsten, aggressivsten, besten, was auch immer, Mann vom Platz nehmen könne, Sie wissen schon, und ich frug mich, frage mich in der einen oder anderen stillen Minute noch immer, ob ich bis dahin vielleicht einfach ein anderes Spiel gesehen hatte.

In diesem meinem Spiel also schien der Trainer schlichtweg vercoacht zu haben, und wieder einmal sollte sich zeigen, dass ich keine Ahnung habe. Die Mannschaft hatte den Rückstand gebraucht, entwickelte plötzlich Torgefahr, Romeu spielte stark und Daniel Ginczek hob völlig unerwartet doch noch in der laufenden Saison den Fuß von der Bremse. Gewiss, Kopfballduell wird er auch auf absehbare Zeit keines gewinnen, aber er ist ja jung und kann noch wachsen.

Beim nächsten Heimspiel, gegen Bremen, wollte Huub Stevens wiederum wechseln. Ich kann das mit Gewissheit sagen, die medialen Regenbogengeschichten waren voll davon. Martin Harnik sollte nach zwei sehr unglücklichen Situationen vom Feld, vermutlich auch nach gewohnt engagiertem Spiel, aber das kann ich wiederum nicht mit Gewissheit sagen, weil ich das Spiel aus familiären Gründen verpasste. Immerhin war es diesmal eine unserer leichtesten Übungen gewesen, meine Karte an den Mann zu bekommen, schließlich hatte ich oft genug vom verpassten 4:4 gegen Bremen mi drei Bordon-Treffern erzählt. Mein Vertreter dürfte auch bei der diesjährigen Auflage mit dem Gebotenen nicht ganz unzufrieden gewesen sein.

Geboten wurde eben auch, um den Faden wieder aufzunehmen, der neuerliche Verzicht auf eine Auswechslung. Timo Werner stand bereit, dann bereitete Harnik den Führungstreffer vor, Stevens überlegte es sich anders und ließ Harnik auf dem Feld. Bis ihn der Schiedsrichter runterschickte. Und Bremen in Überzahl ausglich. Vercoacht, schon wieder.

Und wieder hatte ich keine Ahnung. Die Mannschaft hatte den Ausgleich gebraucht, entwickelte plötzlich Torgefahr, Daniel Ginczek ließ den Fuß von der Bremse und traf nochmals. Gewiss, Kopfballduell wird er auch auf absehbare Zeit keines gewinnen, aber er ist ja jung und kann noch wachsen.

Gegen Augsburg beging der Trainer leider keinen derartigen Wechselfehler. Aber am Wochenende steht ja wieder ein Heimspiel an. Und ich bin erneut familiär verhindert. Beste Voraussetzungen also.

 

 

Ach so, Wechselfehler ist ja noch so ein Stichwort. Domenico Tedesco geht nach Hoffenheim. Vermutlich ist der Wechsel für ihn kein Fehler. Man scheint ihm dort seine Wertschätzung etwas konkreter zum Ausdruck gebracht zu haben, als sich der VfB dazu in der Lage sah. Von welchen Kategorien wir auch immer reden mögen.

Andreas Hinkel, Tedescos Co-Trainer in der U17, scheint man auch nicht uneingeschränkt wertzuschätzen. Zur neuen Saison sind sie also beide weg, der eine in Hoffenheim, der andere sonst wo, und Rainer Adrion entblödet sich nicht, in einem beispielgebenden Blabla-Interview darauf hinzuweisen, dass die Türen für Hinkel weiterhin offen seien.

Kommunizieren wie Karl-Heinz Rummenigge. Es ist zum Heulen.

Bleierne Todesser, die ihr Lachen verkauft hatten

[Inhaltlich irrelevante Nach- und Vorbemerkung: Ich hätte in der Überschrift, wie weiter unten im Text gehandhabt, beim Begriff “Death Eater” bleiben sollen, anstatt mich auf die akustische Erinnerung an einen Fernsehabend zu verlassen: zunächst stand hier Totesser, die oder der URL spricht noch Bände.]

Samstag, 17 Uhr 30, so ungefähr. Die Cannstatter Kurve leerte sich ganz allmählich, das Gemurmel auf den Treppenabgängen ertönte komplett in Dur, an der einen oder anderen Ecke wurden Gesänge angestimmt, die weder Beleidigungen noch Fäkalien enthielten, auch keine Forderungen nach der Freisetzung einzelner Führungskräfte, sondern zuallererst Freude zum Ausdruck brachten, vielleicht auch ein wenig Genugtuung, gepaart mit übermütigen Einschätzungen zur Rückkehr des VfB. Schön.

Und so ungewohnt. Wäre ich poetisch veranlagt, spräche ich wohl von einem bleiernen Mantel, der sich seit geraumer Zeit über das Neckarstadion gelegt und alle Freude erstickt zu haben schien, und der nun, nach einem biederen 1:0 gegen Hannover 96, wie weggeblasen war.

Ja, um einen solchen Mantel wegzublasen, bedarf es eines sehr starken Atems oder eines besonders schiefen Bildes. Und vor allem einer Reihe von Faktoren, die über das reine Ergebnis hinausgehen. Wobei bereits der Umstand, dass es gelang, eine Führung zu verteidigen, beziehungsweise dass es möglich war, eine Schlussphase ohne Gegentreffer zu überstehen, obwohl man sich große Mühe gegeben hatte, ihn doch noch einzustecken, einem Meilenstein gleichkam.

Man hatte gesehen, dass der VfB in der Lage war, gegen einen Gast, der die Ankündigung seines Sportdirektors, mit einem Punkt zufrieden zu sein, mit viel Leben füllte, dennoch alle drei Punkte einzubehalten. Dies war, abseits aller taktischen Winkelzüge, nicht zuletzt einer insgesamt zupackenderen Leistung als in den Heimspielen zuvor geschuldet, und einer augenscheinlichen Entschlossenheit, das Spiel gewinnen zu wollen, die eine ihrer Symbolfiguren in Filip Kostic fand.

Vermutlich taugt auch Thorsten Kirschbaum zur Symbolfigur, wiewohl der von ihm ersetzte Sven Ulreich eher nicht im Ruch steht, nicht entschlossen genug um die Punkte gekämpft zu haben. Gewiss, die Formulierung „nicht entschlossen genug“ mag nach dem Dortmunder Ausgleich vom vergangenen Mittwoch an der einen oder anderen Stelle gefallen sein und zählte noch zu den wohlmeinenderen, aber das ist wohl eher eine kleine ironische Wendung des Schicksals.

Es war nicht das erste Mal gewesen, dass Ulreich bei einer Hereingabe schlecht aussah, und diesmal hatte die Situation nicht nur besonders unglücklich ausgesehen, sondern sich auch als besonders folgenreich erwiesen: sowohl für die Mannschaft als auch für ihn selbst, der bereits in den Wochen zuvor vom Trainer angezählt worden war, von der gemeinsamen Historie nicht zu reden.

Ich mache keinen Hehl daraus – alles andere ließe sich auch niemandem vermitteln, der oder die hier annähernd regelmäßig mitliest und meine Vorbehalte gegen Sven Ulreich kennt –, dass ich Vehs Entscheidung begrüßt habe, ohne aber genau zu wissen, was wir von Kirschbaum zu erwarten haben, über die Eindrücke aus einer Handvoll Spielen hinaus. Heute sind wir schlauer, wenigstens ein bisschen: der Neue hat solide gespielt, kurz vor Schluss eine Matchwinnerparade gezeigt, die, da habe ich keine Zweifel, auch Ulreich hinbekommen hätte, und er stand weiter vorn.

Was ganz gut in das Argumentationsmuster von Typen wie mir passt, die Ulreich fußballerische Schwächen ankreiden, die auch nach Jahren noch nicht ausgemerzt sind, begleitet von Defiziten in Sachen Gedankenschnelligkeit und Entscheidungsfindung, die uns immer wieder kollektiv aufstöhnen lassen, wenn die Möglichkeit, das Spiel von hinten heraus schnell zu machen, ungenutzt bleibt und wir uns fragen, was Ulreich eigentlich in den zwei Jahren gemacht hat, in denen er Jens Lehmann aus nächster Nähe studieren durfte.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben: auch Kirschbaum tat das am Samstag nicht. Was in diesem Fall schlichtweg daran lag, dass sich nur selten (nie?) überhaupt die Option auftat, gegnerische Angriffe abzufangen und eine schnelle eigene Offensivaktion einzuleiten. Es fiel lediglich auf, dass er in der Regel, so redeten wir uns das zumindest ein, etwa 10-15 Meter weiter im Feld stand als Ulreich, aktiver am Spiel teilnehmen zu wollen schien, aber wie gesagt: es passte halt auch ganz gut in unser Narrativ.

Was indes nicht ganz so gut passte, oder eben doch, je nachdem, wie man gestrickt ist: die Einstiegsfrage des Kurzinterviews mit Sven Ulreich, das im Stadionheft zum Spiel veröffentlicht wurde:

„Hallo Ulle, der Saisonstart ist nicht nach Wunsch verlaufen. An welchen Hebeln ist nun anzusetzen?“

Faust. Auge. Realsatire?

Als recht hübsche Realsatire empfand ich auch den Moment, als sich ein Stuttgarter beim Einwurf nicht sonderlich beeilte und sich der Gast darüber empörte. Jener Gast, der seit Mitte der ersten Halbzeit jede Gelegenheit genutzt zu haben schien, sich etwas länger auf den Boden zu legen und die Uhr herunterlaufen zu lassen, und der nun seine Strategie ein bisschen ändern musste. Ich gebe zu: ich schmunzelte, lachte gar. Ob das schon unter Häme läuft, die ich sonst so gerne kritisiere? Vielleicht.

Vielleicht war’s aber auch nur ein großer Selbstbetrug. Vielleicht lachte ich schlichtweg hysterisch, weil mich die Fahrlässigkeit entsetzte, mit der der VfB den Gast ins Spiel kommen ließ, der zuvor in überzeugender Art und Weise die Basisstrategie gegen den VfB verfolgt hatte: Räume eng machen, gut verschieben, den Stuttgartern den Ball überlassen und zusehen, wie sie scheitern. Irgendwann die eigenen Räume nutzen, in Führung gehen, gewinnen.

Ich weiß nicht, wie bewusst die VfB-Spieler dazu übergingen, einen Schritt weiter zurückzuweichen, etwas weniger Mut zu zeigen, das Heft des Handelns weitgehend aus der Hand zu geben. Eine gute Idee war es auf jeden Fall nicht. Um nicht falsch verstanden zu werden: auch in der ersten Halbzeit hatte der VfB kein Feuerwerk abgebrannt.

Immerhin hatte ich aber den Eindruck, dass die Kurz- und Querpässe, derer man sich mangels größerer Lücken in der Hannoveraner Defensive behalf, einige Zeit lang schneller, druckvoller, entschlossener gespielt wurden als zuletzt und so den Gast stärker forderten. Der Mut, in die gelegentlich entstehenden kleinen Lücken zu stoßen, war dabei noch nicht sonderlich ausgeprägt, aber das mag auch viel mit dem nicht so sehr vorhandenen Selbstvertrauen zu tun haben.

Weiter oben hatte ich von mehreren Faktoren gesprochen, die dazu führten, dass man gegen Hannover nicht nur drei Punkte holte, sondern dass vor allem auch eine ganz andere Stimmung im und später um das Stadion herum herrschte. Nicht mehr so, als sei der gesamte Neckarpark von Death Eaters heimgesucht worden. Nun möchte ich keineswegs behaupten, Fredi Bobic sei irgendwann auf die schiefe Bahn und die falsche Seite geraten, praktiziere dunkle Magie und habe nur willfährige Genossen um sich versammelt, oder höchstens zum Teil.

Dass aber der unter der Woche vollzogene Schritt zur befreiten Stimmung auf den Rängen beitrug, dürfte auch von jenen, die nicht nur den Stil, sondern auch die Trennung an sich für kritikwürdig halten, nur schwer verneint werden können. Ganz wesentlich beitrug, wenn man mich früge.

„I don’t want anyone to lose their job“, so oder ähnlich sagt es Barry Glendenning, ich zitierte ihn gelegentlich in anderem Kontext, regelmäßig bei „Football weekly“, und ich sehe mich in aller Regel nicken. Grundsätzlich gilt das auch für Fredi Bobic. Dennoch brachte die Cannstatter Kurve (genauer: das dortige Commando) mein Empfinden ganz gut auf den Punkt: „Fredi, es war Zeit zu geh’n!“, ergänzt um den Dank für seine Verdienste und seine Treue. Passt.

Gerne würde ich mich an dieser Stelle Armin Veh anschließen, der am Mittwoch seine Zuversicht zum Ausdruck brachte, dass Bobic gewiss seinen Weg als Manager machen werde; allein: ich glaube es nicht. Ich glaube noch nicht einmal, dass man mit Bobic, wie Veh ebenfalls sagte, die vier Punkte aus den letzten beiden Spielen geholt hätte. Vielleicht will ich es auch nur nicht glauben.

Dass man sich die Trennung von Bobic anders hätte vorstellen können, steht außer Frage. Früher, vielleicht, nach dem Klassenerhalt zum Beispiel, oder auch später, einen Tag, und auf jeden Fall so, dass man all jenen, die mangelnden Stil unterstellten, nicht ebenso zähneknirschend wie überzeugt zustimmen hätte müssen. Ob die Entlassung letztlich telefonisch erfolgt ist oder doch erst im persönlichen Gespräch, weiß ich nicht, und auch nicht, ob der Unterschied im vorliegenden Fall letztlich doch nur eine Marginalie wäre. Peinlich ist es allemal.

In den ersten Tagen nach der Entlassung hatte ich den Stil kritisiert, grundsätzlich aber gelobt, dass die Vereinsführung getroffene Entscheidungen auch dann konsequent umsetzt, wenn der Zeitpunkt ungewöhnlich oder gar falsch erscheint. Der Begriff “Überzeugungstäter“ war in meinem Kopf herumgeschwirrt, wie möglicherweise auch in dem von Armin Veh.

Da mittlerweile jedoch relativ klar scheint, dass die handelnden Personen de facto von mindestens einem ganz besonders wichtig(tuend)en Menschen zu diesem raschen Schritt gedrängt wurden, der sein Wissen nicht für sich behalten konnte oder wollte, bin ich, abseits der inhaltlichen Entscheidung, in erster Linie verärgert. Ich möchte weiterhin über die kommunikativen Auswüchse der Aufsichtsräte anderer Vereine lachen können, ohne ständig an den Balken im eigenen Auge zu denken.

Und nun, wie geht es weiter? Mir gefällt, dass Bernd Wahler an Ralf Rangnick denkt. Aber ich mag es ja auch, wenn er von der Champions League redet, irgendwie. Illusionen machen das Leben rosarot.

Tatsächlich habe ich das Gefühl, dass wir uns derzeit auf dem Sportdirektorenmarkt in einer Situation befinden, wie wir sie jahrzehntelang bei den Trainern erlebt haben: bloß nicht außerhalb des Karussells denken! Vielleicht liegt das auch nur an mir, der ich keine Ahnung vom Sportdirektorengeschäft und –markt habe. Allein: den anderen TeilnehmerInnen an der öffentlichen Diskussion scheint es ganz ähnlich zu gehen.

Ich habe keine Ahnung, wer es könnte, und vor allem: wer es gut könnte. Natürlich ist der Name Rangnick attraktiv. War er Ende der Neunziger übrigens auch, wir erinnern uns. Ich weiß noch nicht einmal, wer es nicht könnte. Vielleicht wäre Jens Todt ja ein guter, auch wenn ich es a priori nicht glaube. Oder Bruno Hübner, frisurunabhängig. Vielleicht wartet Christian Heidel ja nur auf die Gelegenheit, sich außerhalb von Mainz zu beweisen, wer weiß? (Ich habe eine Vermutung.)

Und womöglich wäre eine Doppelspitze aus Guido Buchwald und Thomas Berthold das Nonplusultra, beraten von Uwe und Hansi Müller. Auch hier habe ich eine Vermutung. Letztlich aber keine Ahnung vom Sportdirektorengeschäft. Hoffentlich hat sie Herr Wahler. Oder die Menschen, mit denen er sich berät.

Falsche Weichenstellung in den Achtzigern

Am Samstag sprach ich mit meinem Freund Thomas. Eigentlich heißt er gar nicht Thomas, das ist eher so ein fußballbezogener Ehrenname, tut aber auch nichts weiter zur Sache. Wir telefonieren nicht allzu oft, ein paarmal im Jahr, wenn überhaupt, und sprechen über großen und kleinen Fußball – im Idealfall über ein gemeinsam zu bestreitendes Spiel oder Turnier –, ein bisschen über die Familie und gelegentlich über Autos. Weil er sich da auskennt und ich nicht. Über Alkohol reden wir nie, wie er am Samstag nicht ohne Bedauern in der Stimme feststellte. Da kenne ich mich noch weniger aus als mit Autos.

In der Tat verabredeten wir auch am Samstag ein gemeinsames Spiel, irgendwann im Sommer, kleiner Fußball also, und kamen dann nicht umhin, kurz über dessen große Variante zu reden, über seine Hoffnung auf einen Freiburger Sieg, über die unmittelbar bevorstehenden Spiele der Nürnberger und der Braunschweiger, und auch über die freitägliche Punkteteilung in Hannover, die zu jenem Zeitpunkt aus Stuttgarter Sicht noch nicht so recht einzuordnen war.

Und während ich noch im Verborgenen sinnierte, wie es hatte dazu kommen können, dass der gemeine VfB-Fan erneut am drittletzten Spieltag zwischen Hoffen und Bangen die Spiele der anderen Abstiegskandidaten verfolgen musste, und wann und wie beim VfB alles den Bach hinunter gegangen war, nahm Thomas die Schuppen von meinen Augen: die Schuld liege bei Helmut Roleder.

Dem oder der gemeinen Mitlesenden mag diese Erklärung nicht auf Anhieb genügen; wer indes wie ich das eine oder andere Jahr mit ihm, Thomas, nicht Helmut, die Kabine teilte, weiß um die Schüsse von der Strafraumlinie, die Roleder ihm im Dutzend in den Winkel setzte. Ihm, dem hoffnungsvollen Nachwuchstorhüter aus der Provinz, damals, Mitte der Achtziger. So fuhr er wieder heim und kickte weiterhin mit meinesgleichen.

Jene Demut, die Roleder ihn damals lehrte, hat sich indes zwischenzeitlich wieder verflüchtigt. Und so ließ er mich am Samstag wissen, dass alles anders gekommen wäre, hätte man ihn nicht so schnöde abserviert, damals. Meine Worte, nicht seine.

Möglicherweise hätte er 1992 als Nachwuchshüter auf der Bank gesessen und Jovica Simanić in eine Unterhaltung verwickelt, die Herr Daum nicht zu unterbrechen gewagt hätte. Oder 2003 als alter Fahrensmann Meiras Eigentor gegen Chelsea verhindert und am letzten Spieltag in Leverkusen 0:0 gespielt. Manuel Fischer, jetzt schon als Torwarttrainer und guter Geist, an die Hand genommen und auf den rechten Weg geführt. Und 2011 wäre er vermutlich an Roleders statt gegen Gerd E. Mäuser angetreten, hätte dessen Wahlergebnis pulverisiert und ihn lächelnd nach Kroatien geschickt.

Oder so ähnlich. Auf jeden Fall wäre alles gut geworden. Hannover hätte man am Freitag deutlich geschlagen und so dem Spiel vom kommenden Wochenende die Brisanz genommen, weil Wolfsburg dem VfB den Champions-League-Platz auch rechnerisch nicht mehr hätte streitig machen können.

Dass es, zumindest aus Stuttgarter Sicht, auch in der jetzigen Situation nicht mehr brisant sei, hört man an der einen oder anderen Ecke, insbesondere zwischen den Zeilen. Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll. Zu oft haben sich im Lauf der Saison zu viele Blätter gewendet. Oder, ehrlicher ausgedrückt, meine Einschätzungen als völlig realitätsfremd erwiesen. So zum Beispiel jene vom 4. Spieltag, als ich das Braunschweiger Spiel vor Ort in Hamburg sah und den Aufsteiger als schlichtweg nicht konkurrenzfähig betrachtete. Tatsächlich begegnet er nicht nur dem buckligen HSV längst auf Augenhöhe.

Von der spätsommerlichen, auch noch herbstlichen Gewissheit, dass der VfB nicht in die Abstiegszone gerate, will ich gar nicht reden. Wohl aber von der Überzeugung, dass der Club mit Verbeek die Kurve bekommen habe und sich relativ souverän in den gesicherten Tabellenbereich hineinbewegen werde. Dass Slomka den HSV noch weit nach oben führen werde (erneut geblendet von einem Besuch im Volkspark, diesmal beim 3:0 gegen Dortmund). Oder davon, dass Freiburg sich nicht mehr berappeln werde. Dass Hannover ohne jeden Zweifel nun doch durchgereicht und hinter dem Nachbarn landen werde. Und wie sollte der VfB sich retten, wenn er in den letzten vier Spielen gegen drei der damals ersten vier Mannschaften spielen würde?

All das war falsch, und so bleibt nur zu hoffen, dass auch die im letzten Satz implizit geäußerte These bereits am Wochenende widerlegt wird. Wenn sich das Blatt nicht doch noch einmal wendet. Der Gedanke, am letzten Spieltag auf einen Punktgewinn der möglicherweise bereits fix auf Platz sieben stehenden Mainzer gegen den HSV hoffen zu müssen, oder aber auf einen des VfB in München, ist kein schöner. Und seien wir ehrlich: bei HSV-Bayern am Samstag ist nun wahrlich alles möglich. Binsenweisheit, eh klar, aber wer will gerade jetzt einschätzen, ob sich der FC Bayern gegen den HSV mit Toren abreagiert oder apathisch über den Platz spaziert.

Es ist ebenso wohlfeil wie ehrlich, zuzugeben, dass ich an dieser Stelle unwillkürlich und ungeplant an einzelne ungenannte Münchner Spieler dachte. Ein bitterer Abend war das heute, gestern, wann auch immer dieser Text online geht, also am Dienstag halt. Ein bitterer Abend für Xabi Alonso, dem ich das verpasste Finale wahrlich nicht gönne, und ein bitteres europäisches Ende einer phasenweise brillanten, ja begeisternden Saison für den FC Bayern. Noch vor wenigen Wochen hätte ich nicht für möglich gehalten, dass der Titelverteidiger chancenlos ausscheiden würde, und noch zu Beginn des Rückspiels hätte ich fünf Tore Differenz in diesem Halbfinale wohl als unvorstellbar bezeichnet.

Noch zu Spielbeginn schien mir allerdings auch unvorstellbar, dass ich neunzig Minuten später den Hut vor Pepe, jenem Pepe, dessen Verhalten auf dem Platz ich seit Jahr und Tag für verachtenswert halte, ziehen würde, der das Spiel nicht entschieden hat, gewiss, der mich aber nachhaltig beeindruckt hat, indem er seinen Fuß immer noch irgendwie dazwischen bekam, fast wie Martin bei mir im Mittwochskick, wenn er einen guten Tag hat, aber der hat auch verdammt lange Beine.

Am Ende (na ja, fast) eines wieder einmal ohne roten Faden mäandernden Beitrages darf ich vielleicht noch einmal auf einen etwas älteren, etwas weniger mäandernden Text verweisen, der der geschätzte Herr @lizaswelt über die Maßen gelobt und drüben bei Fokus Fussball als Fußballblogbeitrag des Monats März vorgeschlagen hat.

Die Abstimmung läuft noch, Siegchancen habe ich völlig zurecht keine mehr, aber vielleicht möchte der eine oder die andere geneigte Mitlesende noch ein paar tolle Texte durchlesen bzw. anhören und eine Präferenz zum Ausdruck bringen. Ersteres geht noch länger und ist meines Erachtens auch wichtiger, Letzteres nur noch bis Mittwoch, 30. 4., 18 Uhr. Und ist auch wichtig, klar, weil es Fokus Fussball unterstützt, irgendwie.

Und ganz am Ende dann doch noch die nagende Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Cacau den nicht reingemacht hat.

Die Uerdingen-Uebertreibung

Die Bundesliga-Saison läuft noch, hörte ich. Es fallen tatsächlich auch noch einige relevante Entscheidungen, und ja, ich werde sie interessiert verfolgen. Ich werde auch ins Neckarstadion gehen, um dem VfB gegen irgendeinen Gegner, möglicherweise ist es Mainz, zuzuschauen. Ok, ich weiß, dass es Mainz ist, mir war nur grade nach einer billigen, Effekt heischenden (wohl aber nicht erzielenden) Illustration meines sehr überschaubaren Interesses an den verbleibenden (jenes in Gelsenkirchen zählte bereits dazu) Bundesligaspielen des VfB in dieser Saison. Vom Schalke-Spiel habe ich noch nicht einmal die Tore gesehen.

Nun könnte man einwenden, die Spiele seien allein deshalb interessant, weil es ja für alle Spieler darum gehe, so auch öffentlich von Trainer und Sportvorstand propagiert, sich für das Pokalfinale zu empfehlen. Was voraussetzen würde, dass es tatsächlich einen Konkurrenzkampf gibt. Tatsächlich suche ich gegenwärtig noch nach der Startelfposition, die nicht vergeben ist. Rechts hinten vielleicht?

Letztlich ist es ja ohnehin egal, wer gegen die übermächtigen Tripleaspiranten aus München aufläuft, hört man. Denkt man auch selbst. Manchmal. Meist. Aber gegen so ein bisschen Hoffnung ist ja nichts einzuwenden, kann und will man sich nicht einmal wehren, und Strohhalme sind schnell gefunden:

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Der Reihe nach: Trainer Baade wünscht einigen VfB-Anhängern ein längeres Vergnügen als jenes, das er selbst (obschon Nicht-Vereinsanhänger, d. Red.) im Jahr 2011 mit Meiderich hatte. Er geht allerdings von einer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit aus, was sich mit meiner Erwartungshaltung zu decken scheint. Martyn interveniert und verweist auf ein geschichtliches Vorbild: Bayer Uerdingen, vermutlich im Jahr 1985 (Sie wissen schon, wie auch in meiner Reaktion angedeutet: Wolfgang Schäfer, Pokal im Bett, undsoweiterundsofort).

Richtig interessant wird es in dem Moment, als Trainer Baade die Vergleichbarkeit bestätigt. Beinahe, fügt er fast ein wenig verschämt hinzu, und der gemeine Stuttgarter Anhänger interpretiert seine Relativierung dahingehend, dass der VfB, ein Traditionsverein und in diesem Jahrtausend einer der regelmäßigsten deutschen Europapokalteilnehmer, dann ja doch nicht auf ganz so verlorenem Posten stehe wie das mittlerweile ungefähr siebzehntklassige Bayer Uerdingen damals, ein Plastikverein von Bayers Gnaden, dessen anhaltende öffentliche Bekanntheit sich nahezu ausschließlich aus zwei Spielen speist, von denen das eine eben genannt wurde und das zweite sich bereits in den Köpfen der Mitlesenden eingenistet hat.

So zumindest meine Interpretation der Baade’schen Einschränkung, seiner Höflichkeit eingedenk. Möglicherweise meinte er es aber auch ganz anders. Möglicherweise gelang es ihm, die Stuttgarter Fans glauben zu machen, er bewerte die Chancen ihrer Mannschaft höher als die damaligen Uerdinger Aussichten, obwohl er eigentlich, die Fakten vor Augen, das Gegenteil meinte. Sicherlich wusste er, im Gegensatz zu den verblendeten VfB-Anhängern wie Martyn und mir selbst, dass Bayer Uerdingen zu jener Zeit wesentlich näher an den Bayern dran war, als es sich der VfB heute auch nur erträumen könnte:

Zum Zeitpunkt des Pokalfinales 2013 wird der VfB in der Liga rund 10 Plätze und mindestens 43 Punkte (maximal 49) hinter den Bayern liegen. Bayer Uerdingen lag damals – übrigens beim ersten Finale im sogenannten deutschen Wembley und zugleich dem letzten, so ich mich nicht vertan habe, das vor dem letzten Bundesligaspieltag stattfand – auf Platz 5, also 4 Ränge und 10 Punkte hinter dem Finalgegner, von denen letztere auch bei Umrechnung gemäß der 3-Punkte-Regel nur auf 15 anwachsen. Kein Vergleich zum VfB, wenn man ehrlich ist.

Momentaufnahme? Ja, wie immer. Aber nicht nur. Im Folgejahr, das Bayer mit einem 1:0-Sieg gegen den FC Bayern begann, belegte die Mannschaft am Saisonende Rang 3, 4(6) Punkte hinter dem Meister aus München, und scheiterte im Halbfinale des Europapokals der Pokalsieger an Atlético Madrid. Durchaus ehrenvoll, was gewiss auch für den FC Bayern gilt, der im Viertelfinale des Landesmeisterpokals gegen Anderlecht und den jungen Enzo Scifo den Kürzeren zog. Klingt aber – meiner eigenen anderslautenden Erinnerung zum Trotz – irgendwie so, als sei man sich sportlich damals annähernd auf Augenhöhe begegnet, zumal auch noch niemand das Bedürfnis verspürte, von spanisch-schottischen Verhältnissen zu sprechen.

Quintessenz: Uerdingen taugt nicht als Referenz. Mit viel Wohlwollen vielleicht als Strohhalm. Bleibt also die Frage, wo man die von Martyn angesprochene Hoffnung in der Geschichte des DFB-Pokals suchen und vielleicht doch noch finden soll.

Ich hab das dann mal übernommen, wenn auch eingeschränkt: seit der Gründungssaison der Bundesliga, weiter habe ich der Vergleichbarkeit wegen nicht zurückgeblickt, gewann in immerhin 15 Fällen die in der regulären Saison (kleine Ungenauigkeit: am Saisonende, nicht zwingend zum Zeitpunkt des Finales) schlechter platzierte oder unterklassige Mannschaft, angefangen gleich 1964 in Stuttgart, als der Bundesligasiebte 1860 gegen den Dritten (nach 3-Punkte-Zählung sogar Zweiten) aus Frankfurt, der 13 Punkte (3er) mehr erzielt hatte, siegreich blieb.

Mit dem heutigen Platzierungs-, Punkt und Leistungsunterschied zwischen den beiden Finalisten scheint so ein Ergebnis indes nur schwer vergleichbar zu sein, nicht einmal »(beinahe)«. Lediglich zweimal gelang es einer Mannschaft, die in der Bundesliga 20 oder mehr Punkte Rückstand auf ihren Finalgegner hatte, diesen dann tatsächlich zu besiegen: 1999 lag Werder Bremen (fast hätte ich gesagt: aus heutiger Sicht kaum vorstellbar, um mich dann doch kurz der aktuellen Tabelle zu besinnen) als 13. satte 40 Punkte hinter dem Meister aus München, den es im Elfmeterschießen besiegte, und, tja, der frischgebackene Meister aus Stuttgart war im Jahr 2007 dem 5 Plätze und 22 Punkte hinter ihm eingelaufenen 1. FC Nürnberg nicht gewachsen. 1989 lag Pokalsieger Dortmund immerhin noch 13 Punkte und 4 Ränge hinter Finalgegner Bremen, 1996 schlug Absteiger Kaiserslautern im Finale den um 9 Plätze und (nur!) 12 Punkte besseren KSC.

Eine Sonderrolle nehmen schließlich, die gemeine Leserin wird die Protestnote bereits formuliert haben, noch die beiden Finale ein, bei denen ein unterklassiger Verein siegreich vom Platz ging: 1970 schlug Regionalligist (und Bundesliga-Aufsteiger) Offenbach den Bundesliga-Vierten aus Köln. Mit etwas Wohlwollen kann man von einer Differenz von 15 Rängen reden [Nachtrag: war alles anders, wie Trainer Baade in den Kommentaren erklärt.], bei den Punkten wird es dann gänzlich unseriös. Gleiches gilt im Falle von Hannover 96, das 1992 als fünfter der 2. Liga Nord den 13. der ersten Liga, Borussia Mönchengladbach, im Elfmeterschießen schlug. Aufsteiger aus der 2. Liga Nord war in jener Saison, genau, Bayer Uerdingen.

Was das nun für den VfB heißt? Man weiß es nicht. Oder zumindest ich nicht. Aber man könnte sich an Werder 1999 orientieren. Oder an, honi soit qui mal y pense, den beiden Zweitligisten.

Und dann erinnern wir uns, wie so oft in kritischen Situationen, des Buches von den Elf Freunden, in dem Heini, Matze und die anderen vor ihrem eigenen großen Spiel alte Ergebnislisten wälzten, um sich einen vergleichbaren Außenseitersieg zum Vorbild zu nehmen. Dass der letztlich für passend befundene 3:0-Sieg der Düsseldorfer Fortuna gegen Schalke im 33er Meisterschaftsfinale aus einer Zeit stammte, in der die Kräfteverhältnisse noch etwas andere gewesen waren, musste man ihnen ja nicht auf die Nase binden. Und es half.

Also doch unsere Hoffnung: Bayer Uerdingen!

Variabilität

“Das hätte ich im Leben nicht gedacht, dass hier zur Pause so eine entspannte Stimmung herrschen würde”, sagte ich zu meinem Nebenmann. Zum Nebenmann meines Sohnes, um genau zu sein, der nun auch endlich seine erste Stadionniederlage erlebt hat. “Endlich” deshalb, weil man ja nicht früh genug erfahren kann, was ein Dasein als Fußballfan so mit sich bringt. Für einen umfassenden Eindruck hatte ich mir ja eigentlich noch Nacktkontrollen gewünscht; diesbezüglich scheint jedoch die symbolträchtige Pilotphase beim Marktführer noch nicht abgeschlossen zu sein. Es ist also davon auszugehen, dass noch ein paar Wochen ins Land ziehen, ehe man sich hierzustadte anschließt.

Die entspannte Pausenstimmung hatte ich mir übrigens deshalb nicht vorstellen können, weil ich Hannover als laufstarke, unangenehme, im besten Sinne solide und nicht zuletzt torgefährliche Mannschaft eingeschätzt hatte, letztlich also als all das, was in der ersten Halbzeit statt ihrer der VfB verkörperte – weshalb er auch, dem Spielverlauf angemessen, mit 2:0 führte.

So ließ ich mich neben der Entspanntheitsaussage auch noch zu der im stillen Kämmerlein meiner Fußballseele geäußerten These hinreißen, dass der VfB mit Kuzmanovic und ohne Kvist in der Offensive variabler agieren und im besten Fall den – seinerseits für seine offensiven Qualitäten bekannten – Gegner vom eigenen Tor fernhalten könne. Sehr fern, im Idealfall.

Nach dem Spiel vertrat ich dann mir selbst gegenüber etwas kleinlaut die Position, dass man ohne Kvist auch in der Abwehr variabler sei. Anders als zu Saisonbeginn bei den Bayern, wo man den Eindruck gewinnen konnte, immer wieder das selbe Tor zu sehen, war das Ganze gegen Hannover etwas vielseitiger. Zwar war die linke Abwehrseite meist involviert (und durfte Rechtsaußen Stindl dreimal als Vorbereiter in Aktion treten), aber insgesamt war dann doch die gesamte Defensivarbeit unorganisiert, war auch niemand da, der sich dafür verantwortlich fühlte, den zur Pause eingewechselten Jan Schlaudraff gelegentlich durch etwas körperliche Nähe daran zu hindern, das Spiel komplett in die Hand zu nehmen – mit dem Ergebnis, dass dieser an allen vier Gästetoren beteiligt war. Ich wage zu bezweifeln, dass ihm das gegen den unvariabel nach hinten spielenden Kvist gelungen wäre.

Natürlich wäre es deutlich zu kurz gesprungen, allein Kuzmanovic die Schuld zu geben und Kvist zu lobpreisen. Zu viel lief in der zweiten Halbzeit aus dem Ruder. Vor allem aber, und da stimme ich Bruno Labbadia ausdrücklich zu, zeigte sich die Mannschaft nicht mehr so lauf-, einsatz- und spielfreudig wie zuvor. Ob sie nicht mehr konnte oder nicht mehr wollte, kann ich nicht seriös beurteilen; mich beschlich allerdings der Verdacht, dass sie die Halbzeit ähnlich entspannt verbracht hatte wie ich.

Oder sogar entspannter. Vermutlich hatten die Spieler nämlich gar keinen Sechsjährigen dabei, der plötzlich und unerwartet, wie das bei jungen Leuten halt mitunter so ist, furchtbar dringend seine Notdurft verrichten musste und dessen Panik ob der üblichen Halbzeitschlange in kürzester Zeit auch vom Vater Besitz ergriff. Aber lassen wir das. (Ging gut.)

Kann René Adler eigentlich mit flachen, scharfen Hereingaben von der Seite umgehen? Falls dem so sein sollte, wäre das ein Erklärungsansatz. Von oder für Herrn Löw, meine ich. Oder er, also Adler, hat eine Abwehr, die eben diese Hereingaben unterbindet. Hülfe auch.

Kamke junior will übrigens weiterhin mit ins Stadion, ungeachtet seiner negativen Tendenz. Siege seien ihm zwar lieber, sagt er, aber eine gewisse Variabilität legt er durchaus an den Tag. Bleibt zu hoffen, dass sie in Sachen Verein nicht gilt. Zumindest nicht, solange er seine Füße unter meinen Tisch … ach, lassen wir das.