Assistassistenten

Über Janniks Buch zur Gladbacher Nichtabstiegsrückrunde hatte ich ja schon vor geraumer Zeit berichtet, und dabei auch vorsichtig darauf hingewiesen, dass sein Blog seit einiger Zeit brach liege. Aus gutem, in diesem Fall beruflichem, Grund, hatte er eine Blogpause ausgerufen. Na ja, was sollte nach dieser Rückrunde auch noch kommen, was auch nur annähernd so spannend, mitreißend, letztlich bloggenswert sein sollte?

[Dieser Absatz ist Janniks Lesegewohnheiten gewidmet.]

Dann kam der Gladbacher Vorrundenlauf mit noch mitreißenderem Fußball, überragendem Erfolg, einigen guten Geschichten und interessanten Protagonisten, und es würde mich sehr wundern, wenn Jannik unter seiner Blogabstinenz nicht gelitten hätte wie ein, wie soll ich sagen, begossener Pudel. Schlechtes Timing, irgendwie, und natürlich hat er das Ganze längst rückgängig gemacht. Zum Glück.

Nun will ich meine derzeitige geringe Schreibfrequenz, deren Hintergrund an anderer Stelle kurz zur Sprache kam, nicht mit Janniks zeitweiligem Komplettausstieg vergleichen, und mich nicht mit ihm, aber ich klopfe mir zumindest in Sachen Timing schon ein wenig selbstverliebt auf die Schulter. Mal im Ernst: Wer hätte schon was über die erniedrigende Pokalvorführung durch die Bayern schreiben wollen? Über die als Debakel abgesprungene und letztlich als Euphemismus gelandete Niederlage in Hannover? Über die zwei Punkte, die Leverkusen hergeschenkt hat? Über den deutlichen Sieg gegen eine von allen guten Geistern verlassene Hertha, mit dem man sich nun wirklich nicht ernsthaft zu beschäftigen brauchte, oder über jenen gegen eine ohne Abwehr angetretene Freiburger Mannschaft? Am Ende hätte ich gar über Standardsituationen schreiben müssen, und das kann nun wirklich in niemandes Sinne sein. (Außerdem steht ja schon alles drüben im Brustring.)

Was ich allerdings nicht versäumen möchte: Abbitte zu leisten. Bei Sven Ulreich. Schon wieder. Nicht wegen der konstant guten Leistungen auf der Linie und im Eins-gegen-eins, das hatten wir schon. Auch nicht wegen der hohen Flanken, da sehe ich den Bedarf noch nicht. Sondern wegen seiner Scorerqualitäten. Wie oft habe ich über seine gemächliche Spieleröffnung gemeckert, an technischen Defiziten herumgemäkelt, über seine Abstöße wechselweise geschimpft und gelacht, die zu Vehs Zeiten kurz und ungenau, später dann nur noch ungenau waren.

Und dann: dieser Assistassist gegen Freiburg, der in den von mir verfolgten Medien viel zu wenig Beachtung fand. Jener lange Ball auf Harnik, den sie schon im Hinspiel intensiv geübt hatten, wobei der damalige Freiburger Linksverteidiger keiner Schülerabwehr entsprungen war, jener lange Ball also, den ich ganz selbstverständlich im Aus sah, um mich dann zum einen zu erinnern, dass er gar nicht von Niedermeier geschlagen worden war, und um zum anderen einzusehen, dass ich Martin Harniks derzeit aus gutem Grund breite Brust unterschätzt hatte, machte also dessen Weg frei zu einem Tor, das nicht nur bei manch anderem Verein, exemplarisch sei Hannover 96 genannt, den Anlass für eine mediale Zeitmessung geboten hätte, sondern das eben zudem Ulreichs ersten mir bewusst gewordenen Assistassist besiegelte.

Überhaupt sind Assistassists ja eine zu unrecht vernachlässigte Kategorie der Damen und Herren Opta, Impire, und wie sie alle heißen. Bemerkenswert, wie Ibisevic vor dem 4:1 in der Luft stand und mit seiner Verlängerung Hajnals Torvorbereitung einleitete. Ob indes auch Sakais Diagonalball vor dem 1:0 ein lupenreiner Assistassist war oder letztlich doch bloß ein Assist, wird in Fachkreisen heftig debattiert. Kann Ibisevic den Assist bekommen, obwohl er den Ball nicht berührt hat? Kann ein Durchlassen, das die Gefahr erst heraufbeschwört, als assistwürdige Leistung gelten? Ganz abgesehen von der Frage, ob Ibisevic den Ball nur versehentlich nicht getroffen hat. Natürlich ist die Antwort klar: Wenn wir das Ganze konsequent weiterdächten, könnte sich dann ja auch jemand frenetisch als Torschütze feiern lassen, nachdem und weil er sich weggeduckt hat, um einem Torerfolg nicht im Weg zu stehen. Öhm.

Überhaupt: Ibisevic. Und überhaupt: Sakai. Hatte ich bei Ersterem nicht kürzlich eher überschaubare Assistquoten (mangels verfügbarere Assistassistquoten, klar) angeführt und ihn implizit auf einen reinen Torjäger reduziert? Und dann legt er Harnik einen nach dem anderen auf – die der dann nicht verwertet. Abbitte, auch hier. Über Zweiteren hatte ich bis dato noch gar nichts geschrieben. Dabei macht es so viel Spaß, ihm zuzusehen (aber wie gesagt: Abstinenz).  Sicher, defensiv hätte es sich phasenweise auch gut in besagte Freiburger Schülerabwehr einsortieren lassen, ohne dort groß aufzufallen – den Fehler gegen Harnik vor dem 2:0 hätte ich ihm in ähnlicher Weise auch zugetraut. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass er ihn wieder ausgebügelt hätte, wäre deutlich höher gewesen. Im Vollsprint, wie immer. Irgendwie erinnert er mich an den jungen Sammy Kuffour. Nicht die Spielweise. Irgendwas anderes. Sowas wie … Begeisterung, Elan, Siegeslust?

Irgendwie ist es trotz allem schade, dass ich morgen so gut wie nichts vom Spiel beim HSV sehen kann.

375 – 163g – 91u – 121v

Vor ein paar Tagen sagte ich Herrn nedfuller, dass es mich keineswegs überraschen würde, wenn der VfB “wieder einmal” den Aufbauhelfer gäbe und einem Tabellenletzten den Weg zurück in die Tabelle ebnete. Und es ward.

Wieder einmal. Wieder einmal? Wenn man ehrlich ist, trifft das nur sehr bedingt zu. Seit der Saison 2000/01 traf der VfB 23 mal auf einen Tabellenletzten und ging in 11 Fällen als Sieger vom Platz. Sieben Unentschieden sind kein Ruhmesblatt, fünf Niederlagen ok: im Schnitt holte der VfB 1,74 Punkte pro Spiel, wenn man beim oder gegen das Schlusslicht antrat.  Deutlich besser als die gefühlte Bilanz, oder?

Gefühlt dürfte sie ohnehin bei allen schlecht sein, wie oft hört man jenes “das ist doch mal wieder typisch für [meinen Verein]!”, wenn die Mannschaft des Vertrauens gegen ein Kellerkind Punkte abgegeben hat. Klar, die Negativerlebnisse bleiben stärker im Gedächtnis haften, und doch bin ich wild entschlossen, jedem Schalker, der künftig dergleichen von sich gibt, ein feuriges “Unsinn” entgegen zu schleudern. 15 von 25 Spielen haben sie gewonnen, nur deren fünf verloren, zwei Punkte pro Spiel errungen – ein Wert, der nur von drei Vereinen getoppt wird, deren Resultate von geringem statistischen Wert sind: Mainz hat immerhin sieben Spiele gegen den Letzten absolviert und bemerkenswerte fünf gewonnen, keines verloren, 2,43 Punkte geholt; Aachen und Unterhaching mit jeweils drei Punkten aus nur einem Spiel darf man indes komplett vernachlässigen.

Interessant noch Gladbach, das von seinen 15 Spielen nur vier verlor. Weil man gar nur drei gewann, hat die Borussia als Unentschiedenkönig mit 1,13 Punkten pro Spiel den schlechtesten Wert aller aktuellen Erstligisten. Der Zweitletzte aus Köln liegt mit durchschnittlich 1,33 Punkten aus ebenfalls 15 Spielen bereits deutlich besser, gefolgt von der Hertha, die in 20 Spielen1,50 Punkte pro Spiel erreichte. Letztlich auch nicht gerade brillant, wenn man bedenkt, dass es 20 mal gegen den jeweils schwächstmöglichen Gegner ging und nur acht mal ein Sieg heraussprang. Den absolut niedrigsten Wert erreicht der KSC, dem in drei Spielen gegen das Schlusslicht kein einziges Pünktchen vergönnt war. Die 0,75 Punkte, die Cottbus durchschnittlich in acht Partien erzielte, wirken im Vergleich dazu geradezu großartig.

Dass das alles mit sehr viel Skepsis zu betrachten ist, steht außer Frage. Möglicherweise wäre es aussagekräftiger gewesen, wenn man statt des Tabellenletzten die drei Vereine auf den Abstiegsrängen betrachtet hätte, und vielleicht auch erst ab dem fünften oder gar zehnten Spieltag, weil davor die Aussagekraft der Tabelle zu gering ist, was man auch mittels einer Gewichtung hätte berücksichtigen können, von Heim- bzw. Auswärtsspielen gar nicht zu reden, und so weiter und so fort. Ungeachtet dessen:

Spiele gegen den Tabellenletzten, 08/2001 - 09/2011

Aktuelle Bundesligisten sind gelb hervorgehoben, grün und rot drücken eine mehr oder weniger willkürlich vorgenommene Kategorisierung in besonders gute oder schlechte Werte aus.

Und da die Daten nun schon einmal vorlagen, habe ich mir noch kurz die Ergebnisse der Tabellenletzten angesehen. Der 1. FC Köln, der im betrachteten Zeitraum am häufigsten mit der Laterne in der Hand antreten musste, errang in 48 Spielen im Schnitt genau einen Punkt, die Hertha lag in ihren 31 Partien sogar knapp darunter. Unter der Einpunktgrenze lagen zudem, mit etwas weniger Versuchen, Bochum (23 Spiele / 5 Siege), Sankt Pauli (18/3) der SC Freiburg (14/2) und Aachen (1/0).

Gute Bilanzen haben hier ausschließlich Mannschaften vorzuweisen, die maximal 10 Auftritte als Schlusslicht hatten. Der HSV, Hannover und der VfB gewannen je sechs von zehn Spielen, Werder (2 Spiele), Bielefeld und Dortmund (je 1) tragen eine blütenweiße Weste. Überraschen kann das natürlich nicht: wer nur sehr wenige Spiele als Letzter bestritten hat, muss nun einmal erfolgreich gewesen sein, um die rote Laterne schnell wieder abzugeben.

Spiele als Tabellenletzter, 08/2001 - 09/2011

Kommen wir zum praktischen Nutzen.

Am Sonntag empfängt das Schlusslicht aus Hamburg den FC Schalke 04. Schalke hat nur eine von jeweils fünf Partien gegen einen Tabellenletzten verloren und drei gewonnen, ist also klarer Favorit. Der HSV wiederum hat von den 10 Partien, die er als Laternenträger bestritt, 6 gewonnen, ist also ebenfalls klarer Favorit.

Na dann.

Datenquellen: fussballdaten.de, weltfussball.de
Fehlerquelle: ich 

Im Rahmen des Regelwerks (hier: Regel 16)

Ich kenne die fußballspezifischen Statistikwerte von Felix Bastians nicht en détail. Bis zum VfB-Spiel in Freiburg kannte ich sie nicht einmal ungefähr, wenn ich ehrlich bin. Dass ich mich hernach ein wenig damit befasst habe, liegt daran, dass der VfB seine Taktik offensichtlich weitgehend auf ihn zugeschnitten hatte. 54,8 % seiner Kopfballduelle hat Bastians im Verlauf der bisherigen Saison gewonnen, sagt bundesliga.de. Ob das für einen Linksverteidiger viel ist? Ich weiß es nicht. Christian Molinaro kommt auf 60 %, Christian Schulz auf knapp 70 %, Philipp Lahm liegt etwa bei 45.

Wie auch immer: es war bemerkenswert, dass Sven Ulreich jeden einzelnen Abstoß an der rechten Torraumecke ausführte, selbst in Situationen, in denen man sich einen kurzen, raschen Abstoß auf der linken Seite hätte vorstellen können, und mehr oder weniger zielsicher die Herren Harnik und Bastians anvisierte. Sicher, die Regel besagt, dass der Abstoß “von irgendeinem Punkt innerhalb des Torraums ausgeführt” werden soll, und doch erscheint es ungewöhnlich. Mag daran liegen, dass ich noch mit der alten Regel aufgewachsen bin: “Beim Abstoß wird der Ball auf diejenige Torraumecke gelegt, auf deren Seite er die Torlinie verlassen hat.” Oder daran, dass es gefühlt noch immer häufig so gehandhabt wird.

Vielleicht fiel es mir auch deshalb besonders auf, weil ich, speziell nachdem Schiedsrichter Guido Winkmann sowohl Cacau als auch Molinaro wegen Zeitspiels verwarnt hatte (bei Cacau zurecht, bei Molinaro möglicherweise in Tateinheit mit mehreren falschen Einwürfen und dennoch meines Erachtens ungerechtfertigt), bei jedem Abstoß, bei dem Ulreich ein wenig umständlich die Seite wechselte, mit einer Verwarnung rechnete. Winkmann machte jedoch keinerlei Anstalten, und möglicherweise hätte er sich damit angesichts des Regelwerks auch gar nicht so leicht getan. War diese Regel nicht dereinst geändert worden, um eine schnellere Wiederaufnahme des Spiels zu ermöglichen? Ich hätte nichts gegen die Wiedereinführung der alten Regel.

Um nicht missverstanden zu werden: ich glaube nicht, dass Ulreich so handelte, um Zeit zu schinden – andernfalls hätte der jeweilige Seitenwechsel ja auch in die andere Richtung vonstatten gehen müssen. Tatsächlich aber schien es eine klare taktische Maßgabe zu sein, dass jeder Abstoß von der rechten Torraumecke ausgeführt und auf Martin Harnik gespielt werden solle, der dann auch tatsächlich das eine oder andere Luftduell gegen Felix Bastians gewann. Ohne dass daraus torgefährliche Situationen entstanden wären, aber das ist dann ja noch einmal eine ganz andere Frage – eine Stuttgarter Variation des vom hiesigen Hausherrn gewiss überschätzten und deshalb gerne mal wieder zitierten Flo Pass‘* liegt bisher jedenfalls nicht vor.

Das derzeitige Stuttgarter Erfolgsgeheimnis scheint vielmehr ein anderes zu sein: wie bereits gegen Hannover nutzte man die erste Torchance. Dass sie in der Vorwoche bereits nach etwa 10 und diesmal erst nach 30 Minuten entstanden war, ist, hm, nun mal so. Noch interessanter erscheint mir die positive Effizienzentwicklung: anders als gegen Hannover, als man das Spiel frühzeitig hätte entscheiden können, führte in Freiburg auch die zweite Torchance unmittelbar zum Erfolg. In der 73. Minute. Überraschend, was herauskommen kann, wenn man einfach mal einen aufrückenden Außenverteidiger ins Spiel einbezieht, anstatt ihn konsequent zu ignorieren, nicht wahr, Herr Cacau? Oder Herr Okazaki? Manchmal gar Herr Kuzmanovic?

Wie Martin Harnik jenes 2:0 dann erzielt hat, war aller Ehren wert. Sehr souverän, in aller Ruhe, und allem Anschein nach auch im Wissen um die eigene Stärke, trotz zuletzt wechselhafter Leistungen. Bemerkenswert zudem die nur kurz erschütterte Gelassenheit, mit der er die Frage eines SWR-Reporters, wie es dazu komme, dass er sich als Torjäger betätigt habe, letztlich weglächelte. 17 Tore und 11 Vorlagen in der Vorsaison sind als Pflichtspielbilanz gar nicht so schlecht, meine ich.

Der VfB kam also nicht zu vielen Chancen. Und ließ am Anfang zu viele zu, auch wenn sie selten als zwingend zu kategorisieren waren. Zu leicht kamen die Freiburger zum Abschluss, zu selten gelange es, die häufig langen Bälle in die Spitze bzw. deren Verarbeitung zu unterbinden. Dass man dennoch mit einer Führung in die Pause ging, war ein wenig glücklich. Dass es Freiburg dann aber auch in der zweiten Hälfte nicht gelang, zum Ausgleich zu kommen, war einer besser organisierten Stuttgarter Defensive geschuldet. Zwar lief man von der 45. bis zur 70. Minute im Grunde nur hinterher und vergab die eine oder andere Gelegenheit eher, wie soll ich sagen, uninspiriert; den Gastgebern gelang es jedoch nie, ihr aufwändiges Spiel in Torchancen umzumünzen, was meines Erachtens ein wenig an ihnen selbst und in hohem Maß am VfB lag. (Und möglicherweise auch daran, dass Garra Dembélé erst spät ins Spiel kam.)

Die Hintergründe des verspäteten Spielbeginns waren mir übrigens zunächst nicht klar. Kurz hatte der Gedanke von mir Besitz ergriffen, dass die Verlesung aller Co-, Torwart- und Athletiktrainer des SC Freiburg bei der offiziellen Mannschaftsaufstellung mehr Zeit als geplant in Anspruch genommen hatte; nach kurzem Überlegen tat ich diesen Ansatz jedoch als unangemessen unsachlich ab.

Wäre ich indes vorab über die Verspätung informiert gewesen, hätte ich mich vor dem Stadion noch etwas länger mit @MAGsein unterhalten können. Schade.

*Wenn mich dann bitte ein kompetenter Sprachpurist (w/m) über den korrekten Umgang mit einem aus dem Englischen übernommenen und noch dazu auf s endenden Begriff im zweiten Fall aufklären könnte?

Bernd "Cacau" Harnik, der Spielversteher

Bernd war kein schlechter Fußballer, fand ich, manche hielten ihn sogar für ziemlich gut. Seiner Grenzen war er sich indes sehr klar bewusst, seitdem ihn ein Trainer mal zur Seite genommen hatte: “Bernd”, hatte er gesagt, “Bernd, Du siehst einfach zu viel auf dem Fußballplatz.” Und damit meinte er nicht, dass Bernd sich auf Nebensächlichkeiten konzentriere, auf Zuschauer und vor allem Zuschauerinnen, oder gar auf Scouts aus höheren Ligen, nein, der Trainer meinte tatsächlich, dass Bernd zu viele Facetten des Spiels wahrnehme, zu viele frei stehende Mitspieler sehe oder gar gute Gelegenheiten zu einem Angriff erkenne.

Was unsereiner als fußballerische Tugend verstehen würde, sah jener Trainer als Problem. Nicht grundsätzlich, aber eben bei Bernd. Weil er, also Bernd, zwar häufig genau wusste, wohin und wie der Ball idealerweise gespielt werden sollte; weil ihm aber auch, und das war die Krux, häufig die Fertigkeiten im Umgang mit dem Ball fehlten, um die entsprechenden Pläne auch umzusetzen. So landeten die Pässe beim Gegner, galten als einfache Fehler – auch, weil so mancher Mitspieler und/oder Zuschauer das Potenzial des Passes, so er denn planmäßig angekommen wäre gar nicht erkannte – und mancher meinte, Bernd habe das Spiel “ja überhaupt nicht verstanden”.

Als ich am Samstag Martin Harnik zusah, dachte ich gelegentlich an Bernd. Genauer: ich dachte einmal an Bernd und wurde den Gedanken danach nicht mehr los. Kennt man ja von Béla Réthy und Steffen Simon, um, ähem,  zwei exemplarische Beispiele zu nennen, dieses Phänomen, dass irgendwie alles in das vorgefasste Bild passt.

Wie auch immer, und um endlich zum Punkt zu kommen: in einigen Szenen hatte Martin Harnik meines Erachtens hervorragende Ideen – wären seine Bälle angekommen, hätte der Mitspieler freie Bahn zum Tor oder zumindest alle Voraussetzungen für einen gelungenen (und überraschenden) Spielzug gehabt. Aber sie kamen eben nicht an. Ob es sich dabei wie bei Bernd um ein Symptom einer eher grundsätzlichen Problematik handelte, möchte ich an dieser Stelle offen lassen.

Explizit zähle ich zu jenen Szenen auch den Strafeckenverschnitt, der das Neckarstadion kollektiv aufstöhnen ließ: Reingeber Cacau machte noch alles richtig, Harnik stoppte den Ball eigentlich ganz gut, wenn auch nicht tot, aber das muss ja seit einigen Jahren nicht mehr sein, doch offensichtlich hatte die Absprache mit Gentner nicht funktioniert, der mit dieser Variante nicht gerechnet hatte und bereits am Ball vorbei gelaufen war. Hä? Kannitverstan? Ja, wer’s nicht gesehen hat, weiß wohl nicht, wovon ich rede. Wer’s gesehen hat, schüttelt möglicherweise noch heute ein wenig ungläubig den Kopf. Mir hat’s ja gefallen, so grundsätzlich. Hätte sowas Barceloneskes gehabt, wenn Harniks Plan aufgegangen wäre.

Ähm, wo war ich? Ach ja, beim Spielversteher Harnik. Was ihn übrigens nicht davon abhält, gelegentlich eher die Cacau-Variante zu wählen, deren Definition von den Worten “Kopf” und “Wand” dominiert wird.

Zudem war ich bei einer der Szenen, die nicht wenige Zuschauer im Kopf hatten, als sie Christian Gentner in der zweiten Halbzeit bis zu und bei seiner Auswechslung auspfiffen. Ganz ehrlich: das verstehe ich nicht. Ich glaube nicht, dass ich mich in den vergangenen Monaten als großer Gentner-Fan hervorgetan habe, ganz im Gegenteil: ich hielt die Verpflichtung von vornherein für ein Missverständnis, was mit Gentners Spielweise, seinen Stärken und Schwächen, mit der Personalsituation beim VfB sowie mit dem fußballerischen Konzept zu tun hatte, das damals Christian Gross verfolgte (was für Bruno Labbadia analog gilt). Am Samstag hatte Gentner ein paar fürchterliche Szenen. Drei-Meter-Pässe ins Aus, zum Beispiel (der Plural ist kein Versehen). Er hatte einige wenige sehr gute Szenen, der Rest war Durchschnitt. Er spielte auf der “10”, was schon in der letzten Saison keine gute Idee gewesen war, und musste sich dort auch noch gelegentlich von Taktikchef Cacau ein Stück nach hinten schicken lassen.

Kein guter Tag. Und doch hatte ich das Gefühl, ihm einen Aufwärtstrend bescheinigen zu können. Sein Engagement stimmte, wie immer, und daneben traute er sich in der Vorwärtsbewegung endlich einmal ein wenig mehr zu. Er ging in Offensivzweikämpfe, bremst nicht bei jedem Angriff ab und ließ sich dabei sogar auf das eine oder andere Laufduell ein. Dass er in der Halbzeit wegen einer Rückenverletzung anscheinend gespritzt werden musste und nach der Pause unter Schmerzen spielte: geschenkt, das wussten die Pfeifer nicht. Und doch frage ich mich, wieso ein Spieler, dem man vieles absprechen kann, aber gewiss nicht das Engagement und die Identifikation mit dem Verein, nach einem (ja, weiteren) durchwachsenen Spiel ausgepfiffen wird. Aber vielleicht sollte ich mir solche Fragen einfach nicht stellen.

Ach ja, da war ja noch ein Spiel. Selbstläufer, sozusagen. Wenn man davon absieht, dass bis zum 2:0 jederzeit mit dem Ausgleich zu rechnen war. Binsenweisheit, klar, aber wir kennen ja die berühmten Hannoveraner 10-Sekunden-Angriffe – vor allem, wenn Abdellaoue mit an Bord ist, man frage nur mal in Sevilla nach. So aber warf sich Ulreich Ya Konan verschiedentlich heldenhaft in den Weg, nachdem ihm in der ersten Halbzeit wieder einmal ein abgewehrter Ball nach vorne abgeprallt war. Glücklicherweise war auf Tasci nicht nur in dieser Szene Verlass. Überhaupt, Tasci: ich kann mich an keine Szene der noch jungen Saison erinnern, in der er ausgerutscht wäre. Kvist tut das verlässlich mindestens einmal pro Spiel, am Samstag waren es, wenn ich mich nicht irre, sogar zwei Situationen, und Maza rutschte diesmal zwar nicht aus, rechtfertigte aber mit einem kritischen Ballverlust den Ruf, dass er kein Rastelli und gerne mal im Spielaufbau für einen Bock gut sei. Aber dann ist ja der UlleUlleUlle da. Und der Serdar.

Kvist und Kuzmanovic hatten das Spiel im Mittelfeld jederzeit im Griff, wobei die Aufgabenverteilung deutlich klarer und auch zielführender war (oder umgesetzt wurde?) als in den Spielen zuvor. Kuzmanovic, der, wenn ich ihn recht verstanden habe, seine Freundin Verlobte im Mai nehmen wird, agierte deutlich weiter vorne, und auch wenn man sich in der einen oder anderen Szene eine etwas raschere Rückwärtsbewegung gewünscht hätte, tat das dem Stuttgarter Spiel sehr gut. Zwar übertrieb er mitunter das Spiel mit hohen, geschnippelten Bällen, die ganz entfernt an Thomas Hitzlsperger erinnerten und eigentlich, zumindest in dieser Fülle, maximal bis in die Bezirksliga funktionieren sollten;aber wenn künftig immer vier oder fünf dabei sind, die echte Gefahr heraufbeschwören und mindestens ein Tor einleiten, kann ich, meiner Vorliebe für flache, scharfe Bälle (die er auch kann) zum Trotz, ganz gut damit umgehen.

Ob es Zufall oder taktische Vorgabe war, dass Okazaki vergleichsweise oft in zentraler Position auftauchte, so wie beim 1:0, weiß ich nicht. Aber es gefällt mir. Und er gefällt mir dort, wie schon des Öfteren unzählige Male gesagt, wesentlich besser – auch weil sein Zusammenspiel mit Molinaro auf der Außenbahn schlichtweg nicht vorhanden ist.

Wenn ich das Spiel grundsätzlich bewerten sollte, würde ich sagen, dass es eine deutliche Steigerung zur letzten Partie darstellte, weil zum einen die Zahl der Fehler weiter verringert und das Spiel nach vorne ein wenig zwingender und dank Kuzmanovic überraschender wurde. Gleichzeitig ließ der VfB wiederum einige zu billige Torchancen zu und vergaß seinerseits vorne, den berühmten Sack zuzumachen. Aber die Tendenz stimmt.

Und da jetzt auch noch Gebhart dabei ist…

 

Hey, das geht ab! Wir feiern die ganze Nacht!

In den letzten Monaten habe ich den einen oder anderen Artikel über die Menschen gelesen, die bei verschiedenen Vereinen für die Stadionmusik verantwortlich zeichnen. Die Stadion-DJs (ich weiß nicht, ob sie mit dieser Bezeichnung einverstanden wären) werden dabei zumeist sehr liebevoll dargestellt, vielleicht schwingt auch ein wenig Neid mit, ihre kreative, teilweise subtile und weitgehend unabhängige Musikauswahl wird gewürdigt.

Über den VfB Stuttgart habe ich einen solchen Text noch nicht gelesen. Dabei schien man in dieser Saison durchaus auf einem Weg zu sein, den ich ein Stück weit mitgehen konnte. Dieser Eindruck hat sich am Samstag nach dem den Klassenerhalt bringenden Spiel gegen Hannover 96 rasch verflüchtigt.

Hey, das geht ab. Wir feiern die ganze Nacht. Na bravo. Die ganze Nacht feiern wir jenen Klassenerhalt, von dem Fredi Bobic völlig zurecht sagte, dass er kein Grund zum Feiern sei. Dabei will ich gar nicht in Abrede stellen, dass man, wenn die Ewartungshaltung nur weit genug gesenkt ist, natürlich alles feiern kann. Ich selbst habe nach dem Spiel auch noch das eine oder andere Erleichterungsgetränk zu mir genommen, und ich gönne den Beteiligten durchaus, dass sie nach einer sehr schwierigen Saison tatsächlich feiern, das Schlimmste abgewendet zu haben.

Aber muss man das in die Welt hinaus schreien? Vor allem aber: muss man das so in die Welt hinaus schreien? Mit einem Extended Ballermann Party Medley Mix? Darf man die einheimischen Zuschauer durch ein Fegefeuer der Peinlichkeiten schicken? Was sollen die Gäste aus Hannover denken? Insbesondere darüber, dass gar nicht so wenige VfB-Fans mitgesungen haben?

Vielleicht liege ich aber völlig falsch. Möglicherweise hat sich der Musikant vielmehr eine Gehaltserhöhung verdient, indem er unmittelbar nach Spielschluss, und damit auch in jener Phase, in der Teile der Cannstatter Kurve mit einem Spruchband zum Ausdruck brachten, dass mit dem Klassenerhalt keineswegs der Zeitpunkt für eitel Sonnenschein gekommen sei, anhaltenden und nicht nur die Ohren betäubenden Lärm produzierte. Wer will schon im Zeitpunkt des sportlichen Triumphes das Risiko eingehen, das Fernsehen, oder gar die Haupttribüne, könnte falsche Signale aufnehmen?

Signale, die damit zu tun haben könnten, dass die Anhänger gar nicht so glücklich darüber sind, dass “ihr” Verein in Gutsherrenart geführt wird. Oder damit, wie der Aufsichtsrat auf Kritik reagiert. Es verlangt schon ein gehöriges Maß an Chuzpe,  auf mehrere voneinander unabhängige Demokratisierungsansätze aus dem Mitgliederkreis zu reagieren, indem man jemanden aus den eigenen Reihen als Statthalter installiert. Entschuldigung, installieren will.

Ich kenne Herrn Mäuser nicht, vielleicht ist er überragend qualifiziert, trotz der kolportierten Nähe zu Herrn Professor Hundt. Aber ich möchte nicht, dass er der neue Präsident wird. Eben wegen dieser Nähe zum Aufsichtsratsvorsitzenden. Dem Vernehmen nach soll der Herr Professor ja auch Gespräche mit der Opposition geführt haben, mit der Aktion VfB 2011 und mit Björn Seemann. Nach reiflicher Überlegung scheint er dann doch zu dem Schluss gekommen zu sein, dass sein Kandidat am besten geeignet ist. Nun ja.

Wenn mir nun jemand entgegnen möchte, dass Fußballvereine Wirtschaftsakteure seine und keine basisdemokratischen Kaffeekränzchen, so gebe ich ihm recht. Ihr auch. Ich befürworte entscheidungsfähige und entscheidungsstarke Führungsgremien, möchte eine kompetente sportliche Leitung mit einem Plan, der auch gerne mal im Widerspruch zu den Wünschen der Fans stehen darf, wenn es das große Ganze erfordert. Ich bin bereit, der Führung zu vertrauen, dass sie ihr Geld verdient und mit meinem Geld im Sinne des Vereins verantwortungsvoll umgeht. Aber so ein kleines bisschen Demokratie wäre halt doch ganz schön, nicht wahr? Dieses Gefühl, dass den Mitgliedern Optionen präsentiert und vielleicht sogar zur Wahl gestellt werden, wäre irgendwie – hilfreich.

Oh, eigentlich wollte ich gar nicht über die grundsätzlichen Probleme beim VfB schreiben. Ich weiß gar nicht, wie das geschehen konnte. Vielleicht hängt es ja damit zusammen, dass Herrn Professor Hundt nachgesagt wird, er hege gewisse Sympathien für Herrn Daum und hätte ihn im Herbst gerne beim VfB untergebracht. Wer weiß, wenn man damals schon einen anderen Präsidenten gehabt hätte, wär’s vielleicht realisierbar gewesen.

Zum Spiel selbst gibt’s aus meiner Sicht nicht viel zu sagen. Außer vielleicht, dass Shinji Okazaki seinem Denkgefängnis entfliehen konnte. Oder dass Martin Harnik selbst als Verstolperer noch Assists zustande bringt. Dass der vergessen geglaubte No-Look-Diagonalpass ins Niemandsland doch noch nicht ausgerottet ist (in der Hoffnung, dass er keine taktische Maßgabe des Trainers war, wofür angesichts der Häufung manches spräche). Dass Sven Ulreich am 33. Spieltag das taktische Mittel “Abwurf” für sich entdeckte. Dass sich der Ehrenpräsident nicht die Ehre gab, verdiente Mitarbeiter zu verabschieden. Egal. Das Spiel war nicht gut, in der ersten Halbzeit sogar richtig schlecht, phasenweise spielte auch Not gegen Elend. Wie dem auch sei: Klassenerhalt. Wir feiern die ganze Nacht.

Am kommenden Samstag geht’s also für den VfB selbst um nichts mehr, für den Gegner durchaus. Der eine oder andere Fan spekuliert darauf, nachdem es schon nicht geklappt hatte, den Kampf um Platz 3 zu Ungunsten der Bayern zu beeinflusssen, ihnen wenigstens Platz 2 zu verwehren. Mir ist das zwar egal, aber ich kann die innneren Kämpfe vieler Fans in diesen Tagen verstehen. Schließlich habe ich vor einigen Wochen mit einem hoffnungslosen Optimisten gewettet, dass es dem VfB nicht gelingen werde, den SC Freiburg noch zu überholen. Nun muss ich also abwägen, ob ich lieber Platz 7 oder ein Abendessen will. Oder, um das Ganze weniger auf mich selbst als vielmehr auf nicht wenige Fußballfans zu beziehen: ist es mir wichtig, dass der VfB die TSG Hoffenheim noch überholt, wenn diese dafür gegen Wolfsburg verlieren müsste? Konfliktreich, so ein letzter Spieltag. Von den Trainerentlassungsdilemmata der Herren Holzhäuser und Keller gar nicht zu reden.

À propos Trainerentlassungen: ich könnte nächste Saison ohne. 30 Punkte reichen zwar nicht ganz an die Serien der vorigen Spielzeiten hin, aber von 12 auf mindestens 42 ist ein Wort (ja, mehrere), das Respekt und eine faire Chance verdient. Auch für den Sportdirektor, wie ich finde. Meinetwegen mit Vorstandsmitglied Hansi Müller, von dem ich nicht weiß, wie intensiv er sich in den letzten Jahren mit dem Fußballgeschäft auseinandergesetzt hat. Bei Guido Buchwald ist mir das egal. Er hat in Degerloch etwas aufgebaut und ich gönne ihm von Herzen, zu gegebener Zeit auch die Früchte seiner Arbeit vor Ort ernten zu dürfen.

Zum Schluss noch ein persönlicher Wunsch.