„Der Dings ist halt auch alt, der Dings, der mit den langen Haaren, bei den Italienern. Für den war das Turnier zu lang.“
(Genau, der Chefanalytiker vom letzten Mal hat wieder gesprochen.)
Bei mir persönlich hat das Endspiel ja eher unerwartete Assoziationen hervorgerufen, die gleichwohl in die Jahreszeit passen. Ich dachte an die Tour de France. An die Ära Armstrong, um genauer zu sein, die Ära Indurain habe ich nicht mehr im Detail präsent, die von Bernard Hinault noch etwas weniger, auch wenn Laurent Fignons Brille einen kleinen Platz in meinem Herzen hat, und noch weiter reicht meine Erinnerung schlichtweg nicht zurück.
Dieser Armstrong, dessen umfassende sportmedizinische Betreuung ich an dieser Stelle sträflicherweise einmal völlig außer Acht lassen möchte (man will ja auch nicht vor ein amerikanisches Gericht gezerrt werden), der anfangs in erster Linie eine großartige Geschichte zu bieten hatte, erweckte in späteren Jahren mitunter den Eindruck, nicht mehr ganz der Herr im Hause zu sein. Man glaubte, vermutlich zurecht, Schwächen ausgemacht zu haben, vielerorts hoffte man eben darauf, was nicht nur an eigenen Ambitionen lag, sondern auch an einer gewissen Sättigung – die einzelne gar Armstrong selbst unterstellen wollten. Mitunter fiel der Begriff „Langeweile“.
So hoffte man also, dass besagte Schwächen keine eingebildeten seien, wartete auf jene Tage, an denen es „drauf ankommen“ sollte, wenn die ganz Großen unter sich wären. Und ja, selbst dort konnte er nicht immer von Beginn an überzeugen, die Hoffnungen der Herausforderer wuchsen, die ersten Abgesänge wurden angestimmt, Nachrufe verfasst, es lebe der König!
Und dann beschleunigte er. Eine sowohl individuell als auch im Verbund als auch taktisch überragende Mannschaft zeigte dem vermeintlichen Kronprinzen – häufig war es Rudis Sohn, gelegentlich auch Birillo –, wie stark er tatsächlich war, wenn er herausgefordert wurde. Individuell. Taktisch. Souverän. Auf Zug fahrend.
Aber irgendwann haben sie ihn dann ja doch gepackt.
(Allerdings weder Rudis Sohn noch Birillo. Von der Justiz ganz zu schweigen.)
Naja, genug der schiefen Bilder. Auch jener von Balljungen und Tränen.
(Und zur Sicherheit: Es liegt mir sehr fern, der spanischen Nationalmannschaft den Ruch von Dopingmissbrauch anzuheften. Zumindest nicht näher als bei jeder anderen Fußnallmannschaft.)
Dafür noch ein paar Gedankenfetzen für den Sohn:
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Finale! Mein erstes, da war mir dann auch die Gesellschaft egal. Der Sieger eigentlich auch, aber weil mich alle Welt nach meinen Tipps und Präferenzen frug, gab ich die Fragen so lange an meinen Vater weiter, bis er seinen Favoriten preisgab: Spanien. Der also auch meiner war. Obwohl ich von den Italienern viel mehr Spieler kannte und auch erkannte: Buffon, Balotelli, Cassano, auch Pirlo. Von den Spaniern war indes nicht viel bei mir hängen geblieben. Waren wohl zu langweilig gewesen. Anders als die Finaleröffnungszeremonie, übrigens.
3:1 hatte ich getippt, und lange sah es gut aus. Das 1:0 hatten wir aus technischen Gründen (Acer!) erst in der Wiederholung gesehen; Béla Réthy war es möglicherweise ähnlich ergangen, zumindest wäre das eine Erklärung dafür, dass er das 1:0 während des Spiels in seiner persönlichen Hot Rotation laufen ließ und bei jedem Anschauen noch eine Spur euphorischer wurde. Was dann analog für Treffer Nummer zwei galt.
Dass Italien mit 10 Spielern zu Ende spielen musste, war gemein. Ich unterstützte den Aufruf meines Vaters, dass all diejenigen, die sich wenige Wochen zuvor für eine Generalamnestie nach Champions-League-Halbfinals ausgesprochen hatten, nun bitte auch für zusätzliche Härtefalleinwechslungen in EM-Endspielen eintreten mögen. (Ironie war damals noch nicht so mein Ding.)
Meine erste EM war eine Schau! Sammelkarten, Livespiele bis tief in die Nacht, auswendig gelernte Spielpläne, anhaltende Fragen an meine Eltern, bei welcher der 31 Paarungen sie welche Mannschaft bevorzugt hätten (einschließlich Hinweisen auf Widersprüche und Inkongruenzen), mein erstes DFB-Shirt, Einführung in die Tabellenkalkulation unter besonderer Beachtung direkter Vergleiche, vertiefte Betrachtungen ukrainischer und polnischer Landkarten, und … und … und. Grandios!
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Schön, wenn’s dem Nachwuchs gefallen hat. Mir auch. Neue Trends konnte ich nicht allzu viele ausmachen. Und bei dem einen, der mir wirklich aufgefallen ist, weiß ich nicht, ob er tatsächlich neu ist. Und wie nachhaltig er ist.
Also werde ich mir im Lauf der kommenden Bundesligasaison sehr genau ansehen, ob Spieler, die zum Einwurf bereit stehen und dann doch einem anderen den Vortritt lassen, den Ball auch dort stets achtlos bis verächtlich zu Boden fallen lassen, anstatt ihn in die ausgestreckte Hand des Mitspielers zu legen. (Die wirklich wichtigen Dinge.)