Christian Gross, so sagt man, legt Wert auf starke Außenpositionen im Mittelfeld, und dabei insbesondere auf Schnelligkeit und Dynamik -womit er genau meinen Geschmack trifft. Als der Trainer beim gestrigen Spiel des VfB gegen Borussia Dortmund Mitte der zweiten Halbzeit die linke Position mit einem zwar dynamischen Spieler besetzte, der allerdings aus dem Spiel heraus nicht einmal mit seinem stärkeren rechten Fuß als Flankengeber zu brillieren weiß, und rechts einen großartigen zentralen Mittelfeldspieler brachte, bei dessen Stärken selbst dem wohlwollenden Zuschauer nicht sofort Stichworte wie Schnelligkeit und Dynamik einfallen (ganz abgesehen von der Frage, wie groß seine Begeisterung für diese Position ist), begann ich tatsächlich kurz am Trainer, seinem taktischen Konzept und seinen Wechseln zu zweifeln. Ich Unwürdiger!
Der linke Hilbert hatte zwar seine üblichen Stockfehler; er bereitete aber auch ein Tor wunderbar vor, war wie immer ein Vorbild an Laufbereitschaft und tanzte seinen Gegenspieler einmal im Strafraum aus, dass es eine Freude war. Sein letztes vergleichbares Dribbling auf Rechtsaußen liegt sehr lange zurück. Dort indes zeigte Kuzmanovic, dass man mit einer guten Technik, strategischem Geschick und einem Auge für die Mitspieler auch ohne augenfällige Sprinterqualitäten auf der Außenposition glänzen kann. Wenn man dann noch in der Lage ist, einen Freistoß durch die von drei Mitspielern gerissene Lücke durch die Mauer zu schießen, dann kann man Stadionsprecher Christian Pitschmann schon mal das Wort Weltklasse in den Mund nehmen. Kurz bevor er der schreibenden Zunft die Schlagzeile “Kloppo verkloppt” ans Herz legte, übrigens.
Gut gemacht, Herr Gross. Als sehr positiv empfand ich auch des Trainers Zurückhaltung bei der Bewertung des Spiels:
Die vielen Ballverluste und Fehlpässe waren in der Tat frappierend. Das mag zum Teil an der aggressiven Balloberung auf beiden Seiten gelegen haben; teilweise fehlte aber auch schlichtweg die Ruhe, in der einen oder anderen Situation wohl auch das technische Vermögen, den Ball in den eigenen Reihen zu behalten. Seitens des VfB widersetzte sich vornehmlich der um Struktur bemühte Sami Khedira jenem Aktionismus, der in viel zu vielen überhasteten, zum Teil auch von vornherein aussichtslosen Bällen in die Spitze resultierte. Insbesondere Stefano Celozzi, der defensiv sehr stark agierte, spielte den Dortmundern zahlreiche Bälle in die Füße und Köpfe.
Interessanterweise sind die Reaktionen auf das Spiel ansonsten sehr positiv ausgefallen, wie der geschätzte Kollege vom Brustring bei seinem Blick durch die Nachberichterstattung auf verschiedenen Kanälen festgestellt hat. Keine Frage: Engagement und Laufbereitschaft haben auf beiden Seiten gestimmt, auch das eine oder andere fußballerische Glanzlicht war zu sehen. Zudem hat der VfB einen großen Siegeswillen gezeigt und zum Spielende hin endlich einmal die sich bietenden Chancen konsequent genutzt. Dennoch würde ich es, man lese und staune, dieses Mal eher mit dem Kicker halten:
“Spielnote 3,5, extrem zerfahren mit vielen Fehlern, lebte von der Dramaturgie.”
Noch einen Tick kritischer sahen das Ganze einige meiner Stadionnachbarn. Sätze wie “Die sollen endlich mal nach vorne spielen und nicht um Gegentreffer betteln!”, “Das ist ja fußballerisch noch schlechter als unter Babbel.” oder “So langsam bewegt sich das Spiel auf Regionalliganiveau zu.” waren, wenn auch nicht nicht in ihrer Schärfe, so doch in der Grundaussage repräsentativ.
Sei es, wie es sei. Auf jeden Fall geht der VfB weiter gestärkt aus diesem Spiel hervor, auch weil man ein kritisches Spiel, das zu kippen drohte, doch noch gewonnen und dabei erstmals seit dem zweiten Spieltag vier Treffer erzielt hat. Die eingespielte Formation bewährt sich, von der Bank kommt Qualität nach, die Stürmer treffen weiter, über Träsch und Khedira will ich gar nicht reden, und das nötige Selbstvertrauen, um demnächst auch spielerisch noch zwingender aufzutreten, wächst weiter. Nun gilt es, auf dem Boden zu bleiben, wobei ich auch in dieser Hinsicht, wie oben bereits angedeutet, viel Vertrauen in Christian Gross setze.
Übrigens will ich mir, trotz des erneuten Sieges, immer noch nicht Gagelmann wünschen. Meines Erachtens hat er einfach nicht die nötige Klasse. Das dürften mit Blick auf das gestrige Spiel beide Seiten so sehen.
Abschließend noch ein paar Worte zu den Stuttgarter Transferaktivitäten. Vier Mittelfeldspieler (Simak, Bastürk, Hitzlsperger, Elson) in einer Transferperiode abzugeben, noch dazu im Winter, und keinerlei Ersatz zu verpflichten, ist in der Tat ungewöhnlich. Während sich bei Simak und Bastürk alle mir bekannten Beobachter in ihrer Bewertung einig sind, vernimmt man bei Elson, dessen Gehaltszahlungen die Vereinsfinanzen nicht allzu sehr belasten dürften und der immer wieder für großartige Momente gut war, und bei Hitzlsperger, den mancher gerne als Back-Backup behalten würde, unterschiedliche Meinungen.
Ich selbst hatte beide Transfers für richtig. Beide Spieler haben nach aktuellem Stand unter Christian Gross keine Chance, und in beiden Fällen stimme ich mit ihm überein. Die klassische Spielmacherposition, die sich für Elson anbietet, dürfte beim VfB auf absehbare Zeit nicht vergeben werden, und für die Außenpositionen ist er zu langsam. Gute Freistöße und Eckbälle reichen nicht aus. Bei Hitzlsperger ist die Situation insofern vergleichbar, als auch er nach meiner Wahrnehmung über außen nicht den Anforderungen des Trainers entspricht. Seine Lieblingsposition, die “Sechs”, ist – anders als bei Elson – zwar vorgesehen, sogar doppelt; er hat dort aber drei der derzeit besten Stuttgarter vor sich und nur wenig Aussichten, in die Mannschaft zu rutschen.
Dass er vor diesem Hintergrund an sein persönliches Fortkommen (sprich: die Nominierung für die WM) denkt und der Verein ihm in dieser Situation keine Steine in den Weg legt, halte ich für richtig, von beiden Seiten. Den in Sport im Dritten vorgebrachten Egoismusvorwurf kann ich nicht in Ansätzen teilen. Die ebenfalls dort geäußerte Einschätzung, er werde sich auch im italienischen Abstiegskampf schwer tun, sich bei Joachim Löw zu empfehlen, indes schon. Nur: wo waren die Alternativen?
Abseits der rein sportlichen Komponente bedaure ich den Abgang von Thomas Hitzlsperger sehr. Er hat sich in seiner nicht ganz einfachen Anfangsphase stets loyal und unheimlich professionell gezeigt, und den VfB seit 2005 immer hervorragend repräsentiert. Überhaupt steht er dem Typus Fußballspieler sehr gut zu Gesicht, nicht nur wegen seine Engagements als Störungsmelder – inwieweit Letzteres mit den tifosi Laziali harmoniert, wird man sehen. Ich wünsche ihm in jeder Hinsicht viel Glück und Erfolg.
Und natürlich muss ganz zum Schluss dann doch noch einmal das sportliche Ausrufezeichen herhalten, das Thomas Hitzlsperger in seiner Zeit beim VfB gesetzt hat:
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