danger

Als wir erstmals gemeinsam auf einem Fußballplatz standen, war ich elf Jahre alt, elfeinhalb, um genau zu sein. Er war ein wenig älter, gerade noch 13, vielleicht schon 14 – sein Geburtsdatum lag kurz nach dem Stichtag, im August vermutlich, vielleicht auch erst im September. Seine kräftige Statur fiel ins Auge, zudem war er recht groß, trug das Haar etwas länger, und der leichte Flaum, der bereits seine Oberlippe bedeckte, galt uns als Ausweis seiner Männlichkeit. Virilität kannten wir noch nicht. Dass seine Kumpels, und bald auch wir, ihn “danger” nannten, passte ins Bild, in sein eigenes vielleicht noch besser als in unseres. Dass dieser Heldenname nicht nur auf die von ihm ausgehende Gefahr hinwies, sondern auch mit seinem Familiennamen zu tun hatte, soll an dieser Stelle nicht weiter von Belang sein.

In der bevorstehenden Saison würden wir gemeinsam in der C-Jugend des Nachbardorfes – seines Heimatortes – spielen. Gewiss, der Altersunterschied war ein bisschen größer als vorgesehen, doch so war es eben bei uns auf dem Land: Es gab nicht genügend Kinder, um alle Jugendmannschaften abzudecken, schon gar nicht in jedem Ort; und so wurden meine drei Freunde und ich, wiewohl eigentlich noch D-jugendlich, in die dortige C-Jugend gesteckt. Dort zogen wir uns ganz achtbar aus der Affäre, und wäre ich jetzt bei meinen Eltern, so könnte ich die einzelnen Ergebnisse, Aufstellungen, Torschützen und natürlich die wöchentlich in der Lokalzeitung veröffentlichten Tabellen einer Kiste auf dem Dachboden entnehmen.

Dass danger bei den Aufzeichnungen zu den Torschützen ganz vorne rangierte, versteht sich von selbst. Wie gesagt, er war groß und kräftig, den meisten seiner Mit- und Gegenspieler körperlich deutlich überlegen. Zwar ging er nicht als Athlet im engeren Sinne durch; doch verstand er es in bemerkenswerter Art und Weise, sein Gesäß stets so zwischen Ball und Gegner zu bringen, dass er mit seinem linken Fuß relativ ungehindert zum Abschluss kam. Einem linken Fuß, in dem ein Huf sondergleichen steckte, wie ich vermutlich nicht explizit zu betonen brauche.

Die Spielzeit schlossen wir im vorderen Mittelfeld ab und belohnten uns kurz darauf mit der ersten Abschlussfahrt unseres, zumindest meines Fußballerlebens. Wir packten eine Handvoll Zelte auf unsere Räder in das Auto eines unserer Väter, radelten mit dem Trainer ein bisschen durch die Lande und verbrachten schließlich ein langes Wochenende in der Sommerfrische. Wie es sich für eine Fußballmannschaft gehört, hatten wir uns natürlich auch einen Gegner angelacht, mit dem wir uns vor Ort messen wollten.

Im Gegensatz zu uns lief die örtliche C-Jugend bereits mit der Mannschaft für die neue Saison auf, das heißt ohne ihre dangers und sonstigen alten Herren, was einerseits unsere Aussichten verbesserte, andererseits auch ein bisschen unangenehm war.

Und unangenehm wurde es in der Tat. Wir gewannen 9:0, die Tore erzielten danger, danger, danger, danger, danger, danger, danger, danger und schließlich danger. Ich selbst hatte zwei Torchancen, die erste bei 0:0, die zweite nach dem siebten oder achten Tor, und beide Male vergab ich kläglich. Ja, ich weiß das noch. Es war mir unglaublich peinlich. Ok, auch die zwei Chancen, vor allem aber die Gesamtsituation.

Dem Trainer ging es wohl ähnlich, was seinen Teil dazu beigetragen haben dürfte, dass er seine Verantwortung für die ihm anvertrauten Kinder an diesem Abend etwas ernster nahm und dort, wo er zuvor das eine oder andere Mal nicht ganz so genau hingesehen hatte, nunmehr Alkohol wie Nikotin streng auf den Index setzte. Danger und mich focht das nicht an – ich interessierte mich nicht dafür, er fand Mittel und Wege. Virilität, Coolnessfaktor, Sie wissen schon.

In den Folgejahren trennten sich unsere fußballerischen Wege wieder. Die Spielgemeinschaft wurde um einen weiteren Nachbarort erweitert, und so konnte jeder in der seinem Alter entsprechenden Jugendmannschaft spielen. Natürlich traf ich ihn dennoch regelmäßig, häufig auf irgendeinem Fußballplatz, kickend wie zusehend, gelegentlich im Schulbus, sommers öfter im Strandbad.

Irgendwann im nächsten oder übernächsten Sommer erzählte er beim Baden, dass er gerade mit einem Kumpel daheim im Garten zelte, ob ich nicht auch kommen wolle – war damals en vogue, hatte ich auch mit einigen meiner Freunde bereits gemacht. Meine Eltern fanden die Idee nicht ganz so prickelnd, zweieinhalb Jahre Altersunterschied sind in dieser Kohorte dann ja doch von Relevanz, ließen mich aber letztlich von dannen ziehen.

Bei der Ankunft wusste ich, was ich zu tun hatte: Zelt bewundern und beziehen, die dicke Luft im Zelt beklagen, kurz den Eltern guten Tag sagen. Äh. “Wieso willst Du denn meiner Mutter guten Tag sagen?” Vermutlich sagte ich etwas von Anstand und so gelernt und was weiß ich. “Na gut, da geht’s rein, dann links, in der Küche wird sie sein.” Ich also rein, guten Tag gesagt, ziemlich viele Fragezeichen in ihren Augen gesehen, wieder raus. Kurz danach wurde danger ins Haus gerufen, draußen hörte man ein paar lautere Gesprächsfetzen, wer das denn jetzt schon wieder sei und was das solle, und irgendwann kam mein Gastgeber so mittelviril wieder heraus.

Nee, nee, ich solle nicht gehen, meinte er, wie ich denn überhaupt auf die Idee komme, und dann kickten wir noch ein bisschen auf dem Bolzplatz um die Ecke, gingen zeitig zu Bett, uneins über die fragwürdige These, dass es ja wohl nicht so eine gute Idee gewesen sei, unbedingt guten Tag sagen zu wollen, und am nächsten Morgen machte ich mich doch eher zeitig auf dem Weg, um im wohlbehüteten Zuhause noch ein Frühstück abzubekommen.

In den nächsten Jahren trafen wir uns zunehmend seltener, unsere Interessen drifteten weiter auseinander, auch altersbedingt, aber es gab ja noch den Fußball. Andere fanden ihn irgendwann nicht mehr so spannend und beendeten ihre Karrieren in jungen Jahren, doch danger und ich blieben dabei, und als er im zweiten A-Jugend-Jahr, also unmittelbar vor dem Weg in den Erwachsenenfußball, weiterhin als Mittelstürmer auf dem Platz stand, war die Personaldecke meist recht dünn – also griff man auf B-Jugendliche zurück.

Und so hatte ich das Vergnügen, noch einmal eine Saison lang aus großer Nähe zuzusehen, wie er sein Gesäß zwischen Ball und Gegner und den Ball dann nicht selten ins Tor brachte. Die körperliche Überlegenheit war nicht mehr so ausgeprägt, die Fitness noch ein bisschen weniger, aber die Sache mit dem Torabschluss, die kann man ja nur bedingt lernen. Ich spielte auf der Zehn und kannte seine Vorlieben ganz gut, und so hatten wir eine letzte ziemlich schöne und torreiche Saison zusammen, die wir weit über unseren Möglichkeiten abschlossen.

Im Jahr darauf waren wir erstmals Gegner, als die aktiven Mannschaften unserer Dörfer in einem der seltenen Pflichtspiel-Derbys aufeinandertrafen – ich als jugendlicher Fan der einen, er auf der Bank der anderen. Die einen waren der erklärte Meisterschaftsfavorit, die anderen motiviert. Kurz vor Schluss wurde er beim Stand von 2:4 eingewechselt, jemand verkürzte, ich warnte, man müsse auf den danger aufpassen, aber er war ja grade erst aus der Jugend gekommen, was wollte er da mit seinem Gesäß anfangen gegen unsere gestandenen Verteidiger?

In der 89. gab es einen Freistoß aus halbrechter Position, ca. 20 Meter vor dem Tor, und natürlich kam, was kommen musste – der linke Huf, Sie wissen schon. Genau ins Kreuzeck. Ein Stürmer, der seine Freude ballackesk herausschrie, der dem scheinbar überlegenen Nachbarn einen Punkt entrissen und es seinem Trainer mal so richtig gezeigt hatte.

Leider dürfte das sein größter Moment als aktiver Spieler geblieben sein; später spielte er meist in der zweiten Mannschaft, unterste Liga, wechselte irgendwann noch den Verein, ebenfalls unterste Liga, dann verlor ich die Spur.

Ich selbst war in der Zwischenzeit weggezogen und nur noch seltener in der Gegend, und als ich ihn ein paar Jahre später bei einem Nacht-Fußballturnier auf der Tribüne sitzen sah, unterhielten wir uns kurz, ohne einander viel zu sagen zu haben. Ich frug ihn, wieso er nicht mitspiele, wiewohl offensichtlich war, dass sich sein körperlicher Gesamtzustand keineswegs verbessert hatte, er erzählte etwas von Verletzungen und keiner rechten Lust und wichtigeren Dingen. Er musste dann los, wir verabschiedeten uns, bis bald mal.

Das liegt 20 Jahre zurück, danach haben wir uns nie mehr getroffen. Ein- oder zweimal hörte ich von alten Bekannten noch etwas über ihn, er hatte sich die Hörner in mancherlei Hinsicht ein bisschen abgestoßen, später gründete er eine kleine Familie, Fußball spiele er wohl nicht mehr.

Neulich habe ich erfahren, dass er vor einigen Jahren einer heimtückischen Krankheit erlegen ist, und seither denke ich viel an damals, an danger, an seinen linken Huf und den Flaum auf der Oberlippe, an sein Lederarmband, an die anderen und wie es ihnen wohl so geht. Und ich hoffe, dass er vor seinem so verdammt frühen Tod einige schöne und zufriedene Jahre hatte.

Infallibilitas arbitri*

Wir stellen uns das ja schon ziemlich einfach vor, ne?

“Felix, der war nicht drin”, sagt der eine.
“Ok, Stefan, dann halt nicht”, antwortet der andere, und gut is.

Dabei übersehen wir die wahren Klippen. Die nicht darin bestehen, dass man Angst hat, Mannschaftskeile zu bekommen, weil man die Prämie hergeschenkt hat, oder auch in irgendwelchen formalen oder karrierewunschbedingten Hürden, die einen davon abhalten, die getroffene Entscheidung zu revidieren.

Nein, lassen Sie es sich von jemandem sagen, der eigene Phantomtorschützenerfahrung gesammelt hat: das Problem ist die Infallibilität. Oder war es, damals, Mitte der Achtziger.

Ich spielte mein erstes Jahr in der B-Jugend und dort eine ganz gute Rolle, und wie es dann halt so ist in der Provinz, wo die Kader eng und die Wege weit sind, durfte ich des Öfteren Doppelspieltage einlegen, samstags in der B-, sonntags in der A-Jugend – wobei “durfte” meine Sichtweise war, die beiden Trainer sahen eher ein “musste”: der eine, weil er aus welchen Gründen auch immer meinte, mich oben zu brauchen, der andere, wohl der Vernünftigste von uns dreien, weil er fand, dass es mir auf Dauer nicht gut tun könne, und dass es zunächst reiche, samstags zu spielen.

Was dann mitunter zu der von außen betrachtet amüsanten Konstellation führte, dass der Samstagstrainer entschied, am Sonntag nicht mich (und, um der Wahrheit die Ehre zu geben, den einen oder anderen Mitspieler), sondern ohne weitere Abstimmung einen oder mehrere Mannschaftskollegen zum Treffpunkt der A-Jugend zu schicken, die nicht zwingend die gleichen Positionen besetzen konnten. Was wiederum mich nicht in jedem einzelnen Fall davon abhielt, sonntags dennoch mit gepackter Kicktasche … ach, lassen wir das, zu spät für Geständnisse, und der B-Jugendtrainer liest eh nicht mit.

Genug des Vorgeplänkels. Wochentags war das Ganze unproblematisch, und so fieberte ich dem mittwöchlichen Kräftemessen mit der A-Jugend aus dem Nachbarort entgegen, genauer gesagt mit dem Nachbarort des Nachbarorts, da ja die A-Jugend selbst schon im Nachbarort kickte, im Rahmen einer Spielgemeinschaft. Sie wissen, was ich meine, nicht wahr? Im Übrigen waren sie auch Tabellennachbarn.

Das Spiel, ein Prestigeduell, sozusagen, begann denkbar schlecht, wir gerieten nach wenigen Minuten in Rückstand, fingen uns dann aber und erspielten uns eine deutliche Überlegenheit, die sich jedoch nicht in Toren ausdrückte. Nach einer guten halben Stunde wehrte der gegnerische Torwart einen Ball zur Seite ab, ich hatte aufgepasst und schoss aus ziemlich spitzem Winkel nach. Der Ball bewegte sich nahezu parallel zur Tor(aus)linie in Richtung des langen Pfostens und hätte diesen nach meinem Dafürhalten wohl auch getroffen.

Ob er von dort den Weg ins Tor gefunden hätte, werden wir nie erfahren, alldieweil** der gegnerische Libero (sic!) dem Treiben ein Ende bereitete und das Leder (sic!) aus der Gefahrenzone schlug. So weit, so gut. Wenn man davon absieht, dass der Schiedsrichter auf Tor entschied.

Der Gegner konnte es nicht glauben, wir auch nicht, ich begann, über einen Wahrnehmungsfehler meinerseits zu sinnieren, der gegnerische Libero erhöhte die Intensität seiner Proteste, was dem Schiedsrichter als Indiz für deren mögliche Berechtigung gelten hätte können, ich ließ mich von den Mitspielern feiern, die ersten Gegner frugen mich, eigene Wahrnehmungsfehler in Betracht ziehend, ob er wirklich drin gewesen sei, die Mitspieler stimmten ein, der Libero redete auf den Schiedsrichter ein, während dieser ostentativ den Ball auf den Anstoßpunkt legte.

Für mich war – nach Rücksprache mit dem Kapitän – der Punkt gekommen, der Wahrhaftigkeit Genüge zu tun und den Schiedsrichter auf seinen Irrtum hinzuweisen, was sich ungefähr folgendermaßen gestaltete:

“Herr Schiedsrichter, ich glaube, der Ball war nicht drin.”
“Ich schon”
“Nein, Herr Schiedsrichter, ich bin mir sicher, dass er nicht drin war.”
“Unsinn, der war drin.”
“Aber ich war doch viel näher dran als Sie, ich hab’s genau gesehen.”
“Wenn Du jetzt nicht aufhörst, gibt’s gelb. Hier entscheide immer noch ich.”
“Aber …”

Der Libero konnte nicht so recht glauben, was er da hörte, wurde noch ein wenig vehementer und flog vom Platz.

Unmittelbar nach der Pause gelang mir das, was man gerne mal einen Sonntagsschuss nennt (“am Mittwoch”, wie Fernsehreporter in jenen Tagen gerne mal hinzufügten, wenn es sich anbot, und es bot sich häufig an, samstags, damals, als Sonntagsspiele und damit Sonntagsschüsse den Amateuren und einzelnen Zweitligaspielen vorbehalten waren), möglicherweise der sonnigste Sonntagsschuss meiner gesamten aktiven Fußballzeit, aus 25 Metern, Pfosten und Latte berührend und diesmal auch unzweifelhaft die Torlinie überquerend. 2:1.

Mit einem dezimierten und irgendwie auch desillusionierten Gegner gestaltete sich die zweite Halbzeit eher einseitig, wir gewannen 6:1, und wenn ich es nicht schon vorher gewusst hatte, so war mir doch spätestens jetzt eines klar:
der Schiedsrichter hat immer recht.

* Korrekturen sind willkommen und erwünscht.
Mein Latinum hat ein paar Jahre auf dem Buckel.

** Auszug aus einem privaten Twitteraustausch nach Veröffentlichung des vorliegenden Textes:

Er: “… es geziemt sich nicht, alldieweil kausal einzusetzen.”
Ich: “Ich weiß. Deshalb tat ich es. Einfach, weil ich Lust dazu hatte. Ernsthaft. Aber danke.”
Er: “Dein Humor im vorsätzlich falschen Einsatz bildungsprahlerischer Vokabeln lässt mich ratlos zurück.”
Ich: “Ich finde alldieweil ja alles andere als bildungsprahlerisch. Oder falls doch, dann kontraproduktiv.”

Zugegeben: Mich lassen meine Launen manchmal auch ratlos zurück.

♫ Nimm uns mit, Kapitän, auf die Reise ♫

Als ich erstmals Kapitän wurde, war Sascha Hehn noch nicht mal Steward. Es war in der D-Jugend – eine E-Jugend, in der ich eigentlich hätte spielen sollen, hatten wir nicht. Dass ich dennoch zum Spielführer (Kapitän sagte bei uns niemand, vielleicht war das Meer zu weit entfernt) gewählt wurde, war zum einen die Folge einiger Zufälle, zum anderen Grund genug, beim vermeintlich designierten Kapitän, unserem Torwart und Mannschaftsältesten, für ein wenig Verdruss zu sorgen. Dabei hätte ich die Binde gar nicht gebraucht, sondern hätte in jedem Fall Verantwortung blablabla. Quatsch. Natürlich war ich stolz wie Oskar. Zumal ja auch der literarische Heini Kamke wenige Wochen zuvor erstmals als Kapitän aufgetreten war. Aus meiner subjektiven Lesersicht.

Also staubte ich eine abgelegte Spielführerbinde meines Vaters ab, bat Mama darum, sie passend zu machen, und ließ mich in ein paar Geheimnisse einweihen. “Immer links tragen!”, zum Beispiel, und was man da so rufen musste, vor und nach dem Spiel. Bei den Elf Freunden hatte ich gelernt, dass der Spielführer auch gerne mal die Vorgaben des Trainers eigenmächtig über den Haufen warf, aber so weit schienen meine Pflichten in den 80er Jahren nicht mehr zu gehen.

Im Lauf der Jahre durfte ich immer mal wieder, vermutlich liegt die Wahrheit näher bei immer als bei mal oder wieder, die Binde tragen – in der B-Jugend war es eine leuchtend gelbe, vermutlich stand elho drauf. Natürlich hätte ich auch ohne sie Verantwortung blablabla. Sascha Hehn war zu jener Zeit bestenfalls Freizeitkapitän, der im Golf Cabrio leider nicht mit Schwester Christa, sondern doch nur mit Anja Kruse (was heißt hier nur?!) oder Ilona Grübel zum Segeln fuhr, strebte aber parallel eine Karriere als erster Offizier an.

Beim Erwachsenenfußball ergab sich, wiederum eher zufällig, recht bald die Situation, dass einige “gestandene” Spieler aus verschiedensten Gründen nicht mehr zum Einsatz kamen und ich plötzlich die Binde am Arm trug. Zu jener Zeit aber begab es sich, dass der Trainer, wie mir im Vertrauen zugetragen wurde, während des Spiels einige schwächere Aktionen meinerseits (und das waren sie, keine Frage!) in einen direkten Zusammenhang mit der Armbürde brachte – woraufhin ich sie vor dem nächsten Spiel ohne Angabe von Gründen und, klar, schweren Herzens abgab. Revoluzzer, der ich war. Dabei hätte ich selbstverständlich auch ohne die Binde Verantwortung blablabla. Sascha Hehn befand sich inmitten einer Umschulung zum Gynäkologen, und meine Leistungen wurden auch ohne zur Schau getragene Sonderrolle nicht besser.

Ein halbes Fußballerleben später, irgendwie war ich wieder an die Binde gekommen, war ich berufsbedingt selten vor Ort und reiste in der Regel nur zu den Spielen an, was sich auch zur nächsten Saison fortzusetzen schien. So wurde dann in meiner Abwesenheit der Spielführer gewählt: zu meiner größten Verblüffung wurde es ein anderer. Pfft. Ok, im Ernst: Natürlich musste das so sein, war richtig und, nun ja, alternativlos. Und doch spürte ich, selbst in diesem eindeutigen Fall, irgendwo ein ganz leichtes Ziehen, einem zumachenden Muskel nicht unähnlich. Ungeachtet des Umstands, dass ich selbstredend auch ohne Binde Verantwortung blablabla.

Martin Harnik war, anders als der jüngst beförderte Sascha Hehn, gar kein Kapitän. Er war nur Mitglied des Stuttgarter Mannschaftsrates. Nun heißt es, die Mitspieler hätten ihn nicht wiedergewählt. Ich bedauere das. Nicht weil ich das Gremium für wichtig halten würde, zumal ich weiß, dass Harnik auch ohne Amt Verantwortung blablabla. Dass er in Interviews kluge Dinge sagen, sich nur selten hinter Allgemeinplätzen verstecken, Problembereiche als solche erkennen und gegebenenfalls benennen wird.

Dennoch: so ein klein wenig habe ich doch Sorge, dass er sich zurückgesetzt fühlen könnte. Sich in einer Zeit, in der es für ihn sportlich eher mittelprächtig läuft, vielleicht in seiner ersten wirklich schwierigen Phase in Stuttgart, nach unten ziehen lässt. Nachdem nicht zuletzt er zu denjenigen gehört haben soll, die im Herbst eine von der Mannschaft herbeigeführte Trendwende abseits des Platzes zumindest initiiert haben.

Ich bin überzeugt, dass die Sorge grundlos ist. Eigentlich. Zumal er selbst sich schon klar geäußert haben soll. Schreibt zumindest die große Zeitung, die wir alle kennen, aber aus guten Gründen nicht zitieren wollen. (Dass ich es in diesem Fall indirekt doch tue, liegt daran, dass ich @jens_nagler bei Twitter als verlässliche Quelle kennengelernt habe.)

Dennoch ist sie da, diese Sorge. Als ganz leichtes Ziehen, einem zumachenden Muskel nicht unähnlich.

(Und dann denke ich etwas grundsätzlicher über den Verein nach und habe Bilder von Zerrungen über Faser- und Bündel- bis hin zu Muskelrissen vor Augen. Aber das nur am Rande.)

Rote? Gelbe? (Grüne? Blaue?)

Die erste Halbzeit war dann doch eher mau. Lag vielleicht am Spiel unter der Woche, das einige noch in den Köpfen hatten. So war man zwar durchaus feldüberlegen, zwingende Torchancen ergaben sich indes nur sehr selten; vielmehr hätte der Gegner mit seinem ersten ernst zu nehmenden Angriff beinahe die Führung erzielt.

Spaß hatte ich trotzdem. Die Sonne schien, das Fahrradwetter hatte ich genutzt, am Schlienz gab’s eine rote Wurst, und letztlich war es doch nur eine Frage der Zeit, bis die U19 des VfB gegen den Nürnberger Nachwuchs zielstrebiger agieren und das eine oder andere Tor erzielen würde. In der Zwischenzeit begnügte ich mich damit,dem Spiel von Joshua Kimmich zuzusehen. Könnte ich immer wieder stundenlang tun. Und mich nebenbei, auch das in schöner Regelmäßigkeit, mit der Frage beschäftigen, ob Robin Yalcin nicht doch der kleine Bruder von Serdar Tasci ist, oder ein Cousin, oder zumindest ein Bruder im Geiste in Bewegung und Eleganz.

In der 48., 49. und 53. Minute fielen die ersten drei Treffer, am Ende stand’s 5:0. Die VfB-Junioren hatten sich in der Kabine wohl des Spielziels erinnert, der Club-Nachwuchs half ihnen ein wenig. Schön.

Also radelte ich guter Dinge weiter zur Fußballkneipe meines Vertrauens, um den Erwachsenen zuzusehen. Und wurde nicht enttäuscht. Starke Defensivleistung, vorne hätte man sich in der einen oder anderen Situation etwas mehr Übersicht gewünscht, aber letztlich war das sehr ordentlich, und wenn man hinterfragt, wieso der Meister wieder nicht gewonnen hat, dann könnte das auch damit zu tun gehabt haben, dass er auf einen Gegner traf, den man nicht mal eben im Vorbeigehen schlägt. Ging an der einen oder anderen Stelle ein wenig unter, fand ich.

Vor dem Spiel hatte ich mich per Twitter kurz mit BVB-Fan @surfin_bird ausgetauscht, der den VfB, rein von der Aufstellung her, zurückhaltender erwartet hatte:

Meine Antwort, der VfB richte sich nicht nach dem Gegner, lag irgendwo zwischen Überschwang und Übermut, und doch finde ich es gut und richtig, bei seinen Leisten zu bleiben. Man hätte natürlich hinten auch mit einer Dreierkette … ach, vielleicht doch nicht.

Was ich mich aber wirklich frage: Besteht ein Widerspruch zwischen dem Streben, das eigene System durchzuziehen und zu -setzen auf der einen und dem aktuell nicht mehr ganz so laut vernehmbaren – das EM-Halbfinale mag eine Teilschuld daran tragen – Ruf nach einem gegnerabhängigen Matchplan, der zum Teil, man denke an Thomas Tuchels erste Mainzer Saison, teilweise stark variierende Aufstellungen hervorbringt, auf der anderen Seite? Ich glaube nicht. Zumindest keiner, der sich nicht auflösen ließe.

Holzhauser. Kann ich nicht unkommentiert lassen, nachdem ich in den letzten Wochen ja fast ausschließlich über ihn geschrieben hatte. Ich hätte gelb gegeben. Und glaube, besten Gewissens sagen zu können, dass ich dies analog auch so sehen würde, hieße der Übeltäter Sebastian Kehl (Gute Besserung!), Neven Subotic oder, was weiß ich, Max Kruse, Marcel Schäfer, Miroslav Klose, Maik Franz.

Weil ich, und es ist einerseits Zufall, überrascht mich andererseits aber auch nicht, dass Jürgen Klopp da eine im Grundsatz ähnliche Meinung vertritt,  kein Verfechter der Linie bin, wonach ein Treffer mit dem Arm im Luftkampf grundsätzlich rot sein muss, sondern vielmehr, analog zu Schiedsrichter Zwayer, einen bewussten Schlag suche. Und bei Holzhauser nicht fand.

Nun bin ich aber kein Schiedsrichter und kenne erst recht nicht deren Anweisungen, die sich noch dazu – so hieß es zumindest im Sportstudio – im Lauf der letzten Jahre verschiedentlich verändert haben sollen (Nachtrag: Das entsprechende Zitat aus dem Sportstudio habe ich bisher nicht mehr gefunden. Entweder bildete ich es mir komplett ein – was mich ein wenig überraschen würde –, oder es entstammt einer anderen Sportsendung. Zudem widerspricht, wie drüben bei Collinas Erben nachzulesen, ein DFB-Schiedsrichter der Darstellung, die Anweisungen hätten sich verändert.), und vielleicht ist meine Einschätzung einfach objektiv falsch, weil ich die Regeln nicht gut genug kenne. Subjektiv ist aus meiner Sicht gelb ok; ich verstehe indes durchaus, dass und weshalb andere darin eine rote Karte erkennen.

Dass diese Leute dann ihre Rotforderung in Scharen auf Lewandowski und dessen Arm in Niedermeiers Gesicht ausdehnten, kann ich vor diesem Hintergrund ebenfalls nachvollziehen; ich selbst wäre dort mit einem bloßen Foulpfiff zufrieden gewesen, möglicherweise ergänzt um eine gelbe Karte. Ibisevic hätte ich im Übrigen vom Platz gestellt, mindestens mit gelb-rot. Sein Schlag gegen Schmelzer war aus meiner Sicht zwar nicht sonderlich hart, aber bewusst gesetzt.

Dass man all das anders sehen kann, versteht sich von selbst, sagte ich ja auch bereits. Ob man es anders sehen muss, kann ich nicht recht einschätzen – und harre gespannt der Einschätzung von Collinas Erben.

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Nachtrag: Mittlerweile hat sich ein – berufener – Erbe Collinas geäußert, und zu meiner angenehmen Überraschung scheint mein Regelverständnis gar nicht so falsch zu sein. Dass wir bei Holzhauser dennoch zu unterschiedlichen Bewertungen gelangen, liegt nach meinem Verständnis letztlich daran, dass er im Gegensatz zu mir einen Schlag erkennt. Fair enough. Bei Ibisevic sind wir uns allem Anschein nach völlig einig, zu Lewandowski sagt er nichts.
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Die Bewertung von Holzhausers sportlicher Leistung hatte sich meines Erachtens nach der besagten Szene erübrigt. Insofern überraschte es mich ein wenig, dass Bruno Labbadia ihn so lange auf dem Feld ließ – nicht aus Sorge, er könne beim nächsten Foul vom Platz fliegen, dafür ist die Zahl seiner Fouls im Normalfall zu gering, bzw. hatte er, in diesem Fall rein quantitativ gesprochen, sein Soll in Dortmund mit dem einen Foul bereits erfüllt, sondern einfach deshalb, weil er meines Erachtens mit dem Foul aus dem Spiel gefallen war, ungeachtet eines schönen und Gefahr bringenden Doppelpasses, den er noch zustande brachte.

Aber vielleicht dachte der Trainer, dieser nachwuchsfördernde Psychologe, ja auch, dass der Junge da einfach mal durch muss. Bemerkenswerte Randnotiz übrigens, mit welcher Selbstverständlichkeit Sky-Reporter Kai Dittmann die Lesart übernahm und verbreitete, wonach Labbadia der einzige gewesen sei, der zu Saisonbeginn noch an Holzhauser geglaubt habe.

Was ich noch fragen wollte: Wieso zupft Mario Götze so häufig sein Trikot zurecht? Ich kenne das so bisher nur von Frauen, die etwas zu kurze Röcke tragen. Oder von mir, wenn ich das Gefühl habe, aus einem Shirt herausgewachsen zu sein. Dabei bin ich doch meist derjenige, der bei Twitter jenen widerspricht, die Götze unterstellen, nicht durchtrainiert zu sein. Etwas verwirrt: ich.

Ach, und natürlich wüsste ich gern, wer Sven Ulreich geraten hat, als Fürsprecher seiner selbst aufzutreten. Brillante Idee, findet der Bundestrainer bestimmt auch.

Vatersohnfußballwochenende

Ein langes Fußballwochenende liegt hinter uns. Klar, das tut es meist, bei uns allen, aber aktuell erlaube ich mir, das in erster Linie auf meinen Sohn und mich zu beziehen. Ein Vater-Sohn-Fußballwochenende, quasi, das am Donnerstag mit dem Europapokaldebüt des jungen Mannes begann.

Der Gegner hieß Steaua Bukarest, und natürlich war das Neckarstadion gegen den ehemaligen Europapokalsieger – wer erinnert sich nicht an den Helden von Sevilla, Helmuth Duckadam ? – komplett nahezu halb nicht einmal zu einem Drittel ausverkauft, sondern trist und leer. Was immerhin den in diesem Fall positiven Nebeneffekt hatte, dass ich mich mit meinem Sohn etwas näher ans Spielfeld setzen (ja, setzen) konnte und er nicht wieder auf einem wackligen Klappstuhl versuchen musste, sich um die Vorderleute herumzuwinden. Was zum Zeitpunkt des Führungstreffers noch der Fall gewesen war, der ja schon nach vier Minuten fiel. Also unmittelbar vor dem Ausgleich, den zu beschreiben (der junge Mann muss ja viele Reize verarbeiten und lässt sich gerne mal die Geschehnisse auf dem Feld nacherzählen) mir körperliche Schmerzen verursachte. Ganz grundsätzlich, und vielleicht noch ein bisschen mehr, weil es nicht zuletzt Sakai betraf.

Ansonsten vermittelte das Spiel einen schönen Vorgeschmack dessen, was mich an den folgenden Tagen erwarten sollte, sah man doch zwei Mannschaften, die sich fernab taktischer Zwänge und ohne Abwehrreihen zeitweise darauf beschränkten, einen abgefangenen Ball entweder am Fuß oder per Luftpost so lange und unstrukturiert in die entgegengesetzte Richtung zu bewegen, bis wieder der umgekehrte Effekt eintrat. Die Kopfbewegungen der an den Geraden positionierten Zuschauer mögen an Tennis erinnert haben. Leider war die Zahl der unforced errors verdammt hoch.

Der junge Mann war’s trotzdem zufrieden, zudem kennt er nun die Bedeutung der Fans für den Verein und weiß um die Vor- und Nachteile wie auch um die Bedeutung der einzelnen Tribünenbereiche. Nach meinen subjektiven Kriterien, wie es sich gehört.

Tags darauf setzte sich der von allen taktischen Zwängen befreite Fußball dahingehend fort, dass Kamke junior zu seinem ersten offiziellen Fußballtraining ging, um sich dort eben jenem zu widmen. Dieser Premiere war eine nicht ganz leichte Geburt vorausgegangen. Vier oder fünf Elternpaare, eine Großstadt, zahlreiche Fußballvereine, unzählige Termineinschränkungen, umfassende Internetrecherchen, beeindruckende Excelsheets, Sie wissen schon.

Letztlich ging der junge Mann am Freitag allein – d.h. ohne seine Freunde, aber natürlich mit dem den jugendlichen Übungsleitern gegenüber betont nonchalant auftretenden Vater – zum Training, bei einem Verein, dem der besagte Vater in gewisser Weise verbunden ist, und alles war gut. Der Nachwuchsspieler, der weder als Jahrhunderttalent noch als übertrieben mutig und kontaktfreudig gilt, machte völlig selbstverständlich mit, schlug sich wacker, hatte riesigen Spaß und konnte dies auch dem aus der Ferne zusehenden, meist aber in den eigenen Kick mit der etwas jüngeren Tochter vertieften Erziehungsberechtigten vermitteln.

Was dann dazu führte, dass besagter Vater (moi), als die Trainer den Sohn lobten und gemeinsam mit diesem die Frage stellten, ob er, der Sohn, denn bereits tags darauf beim Verbandsspieltag mitwirken könne und dürfe, nichts dagegen haben konnte. Aus einem Informationsdefizit heraus. Schließlich war ich noch in meinen eigenen Erfahrungen als Jugendtrainer verhaftet, damals, als die F-Jugend – als ob es bei uns in der Provinz Bambini gegeben hätte – samstags um zwei eine Dreiviertelstunde lang spielte. (Zudem brauchte man damals Spielerpässe und Vereinsmitgliedschaften, aber das nur am Rande.)

“Schön, also bis morgen früh um acht” war demnach auch nicht ganz die Reaktion, die ich nach meiner Zusage erwartet hatte. Dass es zudem bis zum frühen Nachmittag dauern sollte, war dann auch schon egal – bye-bye, Barcamp Stuttgart, aber was tut man nicht alles als engagierter TennisFußballvater. Also bereitete ich den frisch gebackenen Bambino schonend darauf vor, dass er damit rechnen müsse, relativ viel Zeit an der Seitenlinie zu verbringen, alldieweil seine Mitspieler ja schon länger dabei seien, mehr geübt hättn, besser wüssten, wie so ein Spiel ablaufe, und so weiter, aber was will man einem “Wieso? Ich bin doch auch gut!” schon entgegensetzen?

Und tatsächlich durfte er im ersten Spiel von Beginn an auflaufen, was möglicherweise seiner Größe und einem Mangel an Innenverteidigern zuzuschreiben war. Quatsch, die Positionen beschränken sich bei nur vier Feldspielern dann doch eher auf “vorne” und “hinten”, vielleicht ergänzt um “links” und “rechts”, was beim einen oder der anderen allerdings bereits zu Verwirrung führen dürfte.

Wie auch immer: der junge Mann ist groß gewachsen, halbwegs schusskräftig und sehr engagiert, sodass man sich seitens der Trainer wohl eine gewisse defensive Stabilität versprochen hatte, zumal er durchaus in der Lage ist, sich je nach Spielsituation auch als abkippender Sechser in einem recht fluiden Gesamtsystem zurechtzufinden. Sagt der träumende Vater. Am Rande des Spielfelds hörte ich von einer Spielermutter oder -tante, dass das Spiel strukturierter ablaufe, als sie sich das gedacht hatte, und stimmte ihr, mich des donnerstäglichen Europapokalabends erinnernd, uneingeschränkt zu.

Insgesamt verlief der in Turnierform ausgetragene Spieltag, betrachtet man nur die Ergebnistafel, nicht allzu erfolgreich. Vier Niederlagen standen eher wenige Siege entgegen, doch immerhin traf man in der letzten Partie – gegen den stärksten Gegner – zweimal, sodass die Null nicht nur hinten, sondern auch vorne nicht stand. Der Spielfreude aller Jungs (zu meiner Überraschung war kein Mädchen dabei) tat der vermeintlich überschaubare Erfolg keinen Abbruch, Schuldzuweisungen gab es keine, die Trainer sitzen nach wie vor fest im Sattel, Kamke junior freute sich wie Bolle über angemessene Spielanteile und die Vielzahl an Toren, die er im Lauf des Tages – also zwischen den Spielen – erzielt hatte, gelegentlich auch alleine spielend, aber egal. Bewegung, Freude am Spiel, Fußballbegeisterung – Vaterherz, was willst Du mehr?

Und während der Vater am Nachmittag doch noch ein wenig zum Barcamp ging, löste der Sohn endlich die letztjährige Stecktabelle auf, nicht ohne dabei ein Infografikmassaker zu denEuropapokal-, Auf- und Abstiegsregelungen anzurichten, das ausschnittsweise so aussah:

… und gänzlich ohne väterliches Zutun den VfB (und den HSV) einerseits sowie die Bayern und Borussia Dortmund andererseits an entgegengesetzten Enden der Tabelle positionierte.

Wiederum einen Tag später hatte der VfB Gelegenheit, zum Erreichen der dargestellten Tabellensituation beizutragen, was indes nur bedingt gelang. Vater und Sohn pendelten zwischen Videotext, Livetickern und dem einen oder anderen animierten russischen Standbild, frugen sich, wo Holzhauser sei – schließlich steht er, wiederum ohne bewusstes väterliches Zutun, ganz selbstverständlich in jeder Aufstellung des Sohnes –, räumten aber eine deutliche Aufstellungs- wie auch Leistungssteigerung gegenüber den vorhergehenden Spielen ein.

Die Sache mit Niedermeier, der in Kinderaugen mit seinem Bandenjubel vom Donnerstag deutlich an Profil gewonnen hatte, war erneut eine schöne Geschichte, auch wenn Kamke senior nur bedingt versteht, was da gerade passiert. Über Jahre hinweg wurde er vielerorts, auch von mir, sportlich durchaus kritisch gesehen, nicht zuletzt der Spieleröffnung wegen, häufig aber als solider dritter Mann geschätzt. Mit Maza, in der Vorsaison ebenfalls ein anständiger dritter Mann, aber eben auch kein Top-Innenverteidiger, bei dem vor allem die Verlässlichkeit in Sachen “grobe, potenziell spielentscheidende Schnitzer” ins Auge sticht, liefert er sich seit einem guten Jahr ein Duell auf Augenhöhe.

Dass er sich zu Saisonbeginn hinten anstellen musste, kam ein wenig überraschend, wurde aber mit Trainings- und Vorbereitungseindrücken hinreichend begründet. Unglücklich für ihn, sicherlich, vielleicht auch bedauerlich fürs Mannschaftsklima, aber ein “Schlag ins Gesicht” sieht anders aus. Öffentlicher Widerspruch neutraler wie auch dem VfB wohlgesinnter Beobachter hielt sich in Grenzen.

Nun machte Niedermeier also seinem Ärger Luft, mehrfach, öffentlich, und sah sich von einer Welle der Solidarität getragen. Es bedarf keiner ausgeprägten Neigung zu freier Interpretation, um die Nachtigall trapsen zu hören. Der Schorsch, das ist ein Kerl! Der muckt gegen den Trainer auf, den wir alle nicht mehr so gerne hier sehen wollen. Weil er die jungen Spieler nicht einsetzt. Weil er Hajnal immer noch spielen lässt. Weil er sich nicht gegen die Stuttgarter-Weg-Farce durchsetzen kann. Weil die Mannschaft unansehnlich spielt, und dann noch nicht einmal erfolgreich. Weil wir einen anderen Anspruch haben. Der Schorsch ist gegen den Trainer, wir sind gegen den Trainer, und jetzt kommt irgendwas mit dem Feind meines Feindes.

Mich ärgert das alles auch. Hajnal, der Umgang mit den jungen Spielern, die Spielweise, die Kaderzusammenstellung, you name it. Aber ich bin auch der festen Überzeugung, dass sich kein Arbeitgeber wiederholte öffentliche Kritik in dieser Form gefallen lassen kann, und, wenn ich ehrlich bin, erst recht kein “Ich fühle mich davon nicht angesprochen” als Reaktion auf eine deutliche Ermahnung.

Ich schätze Niedermeier als Typen, mir gefallen sein Engagement und seine Identifikation, ich jubelte ihm damals gegen Wolfsburg und auch jetzt gegen Bukarest oder Bremen zu – unabhängig davon, dass ich die taktische Maßnahme nicht allzu weit vom Armutszeugnis entfernt verorte –, aber ich bin eben auch der Meinung, dass er froh sein muss (und wir mit ihm), dass er zuletzt überhaupt im Kader sein konnte.

Dass sich indes der Sportdirektor gezwungen sah, sich an die Seite des Trainers zu stellen und diesem somit den Rücken zu stärken, ist nicht zuletzt Niedermeiers Verdienst.

Die Kamkes haben ihn dennoch gefeiert. Und Cacau. Traoré.