Gewissensprüfung

Keine Sorge, ich will jetzt nicht von alten Zeiten erzählen, von damals, als wir noch eine Wehrpflicht hatten, von Glaubens- und Gewissensgründen, von konstruierten Beispielen mit bedrohten Familienangehörigen und zufällig herumliegenden Waffen. Oder von meiner Dankbarkeit gegenüber all jenen, die sich der Gewissensprüfung unterzogen und uns später Geborenen den Weg zum Zivildienst erleichterten.

Mein Gewissen wird jedes Jahr geprüft.
Jeden Herbst, um genau zu sein.

Bin ich noch immer gewillt, am Samstag der Familie stundenlang den Rücken zu kehren, um mir eine von zahlreichen Niederlagen des VfB anzusehen? Steht es nach der fünften Niederlage in 6 Spielen noch unverrückbar fest, das ich auch am nächsten Wochenende ganz selbstverständlich ins Neckarstadion gehe, um die Partie gegen eine weder überdurchschnittlich sympathische noch überdurchschnittlich attraktiv spielende Bundesligamannschaft nicht nur anzuschauen, sondern die eigene Mannschaft nach Leibeskräften (klingt irgendwie… körperlich, nicht?) zu unterstützen? Gebe ich mich erneut wochen- oder gar monatelang mit spielerisch uninspirierten Vorstellungen zufrieden, nehme reihenweise individuelle Fehler hin, und ein Abwehrverhalten, das zu häufig an eine Schülermannschaft erinnert?

Lasse ich mich einmal mehr mit dem Hinweis vertrösten, dass die Vorbereitung wegen der vielen WM-Teilnehmer so schwierig gewesen sei, ganz zu schweigen von der unglücklichen Fügung, dass man erneut potenziell entscheidende Positionen erst am Ende der Transferperiode besetzt hat? Oder anders: ignoriere ich wieder einmal meinen Eindruck, dass andere Vereine diesem Problem nicht Jahr für Jahr nahezu hilflos gegenüber stehen?

Will ich ein weiteres Jahr mit den Schultern zucken, wenn die akustische Auseinandersetzung mit dem Gegner nur selten über “Scheiß KSC”, “Ruhrpottkanacken” oder “Dortmunder Arschlöcher” hinausgeht? Wenn der zumindest ansatzweise kreative nicht plump beleidigende Versuch eines Teils der gefühlten Cannstatter Kurve, den Ruf “Stuttgarter Arschlöcher” mit “Ihr werdet nie Deutscher Meister” zu beantworten, rigoros überstimmt und in ein glorreiches “Scheiß Leverkusen” überführt wird?

Soll ich mich auch in dieser so katastrophal beginnenden Saison regelmäßig über die lokale Presse ärgern, anstatt den VfB einfach mal VfB sein zu lassen? Mich wundern, dass die Stuttgarter Zeitung bei der Aufstellung verlässlich daneben liegt, gerne auch mal gesperrte Spieler in der Startelf erwartet?

Bin ich bereit, die Versuche des Vereins, mich zur Stadionkarte zu zwingen, weiterhin hinzunehmen? Das Netz zieht sich weiter zu. Der Weg vom PSV, wo man sich noch mit (einer zunehmenden Menge) Bargeld verköstigen kann, zur Kurve ist für diese Saison gesperrt worden. Aus Sicherheitsgründen, heißt es. Anders gefragt: bin ich bereit, meine “Stadion”wurst demnächst Stunden vor dem Spiel in der Stadt zu essen, oder bleibe ich dann doch ganz daheim?

Die Antworten sind klar. Auch nach einem wahrlich verheerenden Auftritt gegen Leverkusen.

Ja, die Familie weiß das. Ja, selbstverständlich schaue ich mir auch Frankfurt an und unterstütze die Mannschaft. Nein, ich gebe mich nicht zufrieden, gehe trotzdem hin und hoffe.

Nein, ich bin entsetzt und ignoriere meinen Eindruck nicht. Aber ich gehe weiterhin hin.

Ja, ich nehme das hin. Entscheide selbst, an welchen Fangesängen ich mich beteilige. Und freue mich, wenn bei einem furchtbaren Spiel ein gänzlich unerwartetes, von mir noch nie gehörtes “Wenn wir wollen, fressen wir Euch auf!” kommt, dessen absurde Komik sich dem nicht Dabeigewesenen kaum erschließen dürfte.

Nein, ich soll nicht, aber ich tu’s. Auch hier gilt: man gibt die Hoffnung nicht auf. Und freut sich über die Positivbeispiele.

Ja, ich nehme das hin. Bin entschlossen, mich nicht kleinkriegen zu lassen. Lege aber die Hand für mich nicht ins Feuer.

Fußballclub Blau-Rot Stuttgart?

Als gestern Nachmittag Twitter-User @konni über eine für heute angekündigte Pressekonferenz des VfB informierte, schossen die Spekulationen ein wenig ins Kraut. Irgendwie klang es nicht so, als würde man “nur” den hoffentlich bevorstehenden Vertragsabschluss mit Theo Walcott Cristian Molinaro bekanntgeben wollen. Kurz ergriff mich Panik angesichts der zu meinem Bedauern auf den Spätherbst verschobenen Vertragsgespräche mit Christian Gross und des noch immer kolportierten Hamburger Bemühens um den Trainer des VfB. Allerdings würde dann wohl eher der HSV zu einer Pressekonferenz einladen, sagte ich mir, und erinnerte dann glücklicherweise die noch immer offene Frage nach dem künftigen Hauptsponsor, die wohl das Thema sein müsse.

Was sich dann insofern bestätigte, als spätestens um 19 Uhr ganz Twitter den Namen des neuen VfB-Hauptsponsors kannte: Gazi. Gazi? Ja, Gazi.

Beim abendlichen Sport, den ich mit wenig twitteraffinen Menschen betrieb, hatte ich die Info noch exklusiv; die Reaktionen reichten von bloßem ungläubigem Staunen über “Du machst Witze, oder?” bis hin zu “Ach Du Scheiße!”

Der Grund für die eher versteckte Freude liegt auf der Hand: Gazi ist seit Jahr und Tag Hauptsponsor des ehemaligen Lokalrivalen, der Stuttgarter Kickers; selbst deren Heimstatt, in dem die Reserve des VfB seit dem vergangenen Jahr aufgrund der DFB-Auflagen für die Dritte Liga ebenfalls ihre Heimspiele bestreitet, trägt den Namen “GAZi-Stadion”, die zugehörige Stadtbahnhaltestelle ebenso. Irgendwie passt das nicht, hat man den Eindruck.

Dabei sind die Kickers sind aus meiner Sicht tatsächlich nur noch, wie oben geschrieben, der _ehemalige_ Lokalrivale, dem man zuletzt Anfang der 90er Jahre auf Augenhöhe begegnete, als die Blauen ihre letzte von bislang zwei Bundesligasaisons bestritten. Einige Jahre zuvor, im Sommer 1987, hatte man gar im Finale des DFB-Pokals gestanden, doch ein früher Treffer von Dirk Kurtenbach reichte nicht – Manfred Kaltz’ Bananen taugten nicht nur als Flanken, sondern ließen sich auch recht billig um die Kickersmauer herumdrehen.* 1988/89 traf man dann erstmals in der Bundesliga auf den VfB, und ich hatte das Vergnügen, aus der Provinz in die große Stadt zu reisen, um beim 4:0 des VfB Asgeir Sigurvinsson huldigen zu dürfen. Doch das ist lange her, die Kickers haben danach stürmische Zeiten erlebt, über die es an anderer Stelle deutlich mehr und Kompetenteres zu lesen gibt. Heute nehme ich sie eher als kleinen Bruder Cousin des VfB wahr, der zuletzt noch ab und zu mit der Reserve der Roten raufen durfte, bis es auch dafür nicht mehr reichte.

Doch zurück zu Gazi. Für einen Teil der VfB-Anhänger stellt Firmenchef Garcia ein blaues Tuch dar, wie auch in dieser Umfrage der Stuttgarter Zeitung deutlich wird. Während die einen vor allem die Nähe zu den Kickers stört, sind die anderen ob der Wahl (hatte man denn noch eine?) eines nicht weit über die Stadtgrenze hinaus bekannten mittelständischen Unternehmens als Hauptsponsors entsetzt, die nicht so recht mit den eigenen Ansprüchen einher gehe.

Ich gebe zu, auch ich hege Sympathien für einen Daimler-Schriftzug im Brustring, oder Porsche, Bosch, you name it. Letztlich zählen aber die Namen auf der Rückseite der Trikots, und wenn Gazi gemeinsam mit dem nicht scheidenden ehemaligen Hauptsponsor EnBW und dem neuen Premiumpartner Fischer Dübel dafür sorgt, dass dort die richtigen stehen, kann ich gut damit leben. Andere offensichtlich auch.

Überhaupt denke ich, dass die Anhänger der Roten, wenn man nochmals auf die innerstädtische Komponente zurückkommt, das längere Ende des Seils in der Hand halten. Gazi ist jetzt halt der neue Hauptsponsor. Punkt. Er hat eine blaue Vergangenheit, nach eigenen Angaben auch eine ebensolche Gegenwart und Zukunft. Er wird zwei, drei oder auch viele Jahre die VfB-Trikots schmücken, und irgendwann wird da wieder ein anderer Name stehen. Vielleicht ein besserer, mondänerer, lukrativerer, vielleicht auch nicht. Als Anhänger der Blauen wäre meine Sorge vermutlich ungleich größer. In der Regionalliga dürfte die Schlange potenzieller Sponsoren noch ein Stückchen kürzer sein, und wenn der eigene Hauptsponsor nun bei den Großen mitspielen will, kann ich mir schon vorstellen, dass bei Fans und Verantwortlichen die eine oder andere Sorgenfalte entsteht.

Was mir allerdings wirklich Sorgen macht, ist Dr. Eduardo Garcias Nähe zu Christoph Daum. Herr Heldt, bitte verlängern sie rasch den Vertrag mit Herrn Gross!

* Mir war nicht mehr bewusst, dass Happel damals die später von Magath kultivierte Frisur trug, vgl. ca. 2:50.

Rückrunde!

In den vergangenen Jahren war es ja gerne mal so, dass man trotz großartig besetzter Hallenturniere, hochklassiger Freundschaftsspiele in Belek und einem wunderbaren Potpourri an Wechselgerüchten, das man nur unter großen Mühen in die eigens erstellte Excel-Tabelle einpflegen konnte, irgendwann ein erleichtertes “Endlich!” ausstieß, wenn das Ende der Winterpause nahte.

Dieses Jahr bin ich noch nicht mal zum Erstellen des Spreadsheets gekommen, und schon steht das heutige Aufwärmspiel zur Rückrunde vor der Tür. Wahrscheinlich hätte ich den Auftakt sogar vergessen, wenn mir nicht kurzfristig Ehre, Freude und Vergnügen zuteil geworden wären, an @dogfoods kollaborativer Rückrundenvorschau bei allesaussersport mitzuwirken.

Gemeinsam mit einigen geschätzten Bloggern und auch Nicht-Bloggern, die bei dogfood im einzelnen genannt werden, durfte ich zu einem recht umfangreichen Dokument beitragen, das ebendort in gut verdaubaren Häppchen präsentiert wird und in dem die Perspektiven jedes einzelnen Bundesligisten für die Rückrunde auf Basis von dogfood formulierter Fragen andiskutiert werden.

Die Einschätzungen zum VfB, auf die ich erwartungsgemäß mein Haupt- (wenn auch nicht einziges) Augenmerk richtete, finden sich sowohl drüben bei dogfood als auch hier. Alles weitere steht bei allesaussersport und auszugsweise in den beteiligten Blogs.

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VfB StuttgartDie Hinrunde sah nicht nur eine Entlassung von Markus Babbel, sondern auch Veränderungen in der Machtbalance. Horst Heldt wird auf einmal für seine im Sommer gefeierte Einkaufspolitik zum Problem gemacht und konnte sich bei Babbels Entlassung nicht gegen Hundt durchsetzen. Aufsichtsratschef Hundt hat durch sein Festhalten an Babbel die Leidenszeit verlängert und nun ist mit Christian Gross nicht nur ein autoritärer sondern auch machtbewusster Trainer gekommen. Ist das jetzt schon alles ausgestanden oder wird sich da noch etwas tun?

heinzkamke: In der Tat wurde Heldt im Sommer allenthalben gefeiert – zum einen, weil er Hleb geholt hat, zum anderen, weil er sich nicht von Huntelaar auf der Nase herum tanzen ließ. (Wobei diejenigen, die über Letzteres jubelten, nicht unbedingt leiser gejubelt hätten, wenn die Verpflichtung von Huntelaar gelungen wäre, aber das nur am Rande.)
Auch in den Vorjahren war durchaus Kritik an Heldts Einkaufspolitik laut geworden, insbesondere mit Blick auf die Verpflichtungen unmittelbar nach der Meisterschaft 2007: Bastürk, Gledson, Schäfer, Marica, Ewerthon. Vor der laufenden Saison hatten viele eine Nachbesserung auf der Schwachstelle links hinten erwartet, und der gesuchte torgefährliche Mittelfeldspieler wurde auch nicht verpflichtet.

Will sagen: die Kritik an Heldt kam nicht plötzlich, sondern war eine Folge der letzten Jahre. Manch einer hatte sich vor bzw. bei Babbels Entlassung gewünscht, dass Horst Heldt auch gehen müsse, anstatt erneut einen Trainer seiner Wahl installieren zu dürfen. Nun ist also Christian Gross da, und bis dato hat man wenig über das Verhältnis zwischen dem Vorstandsmitglied Sport und dem Trainer gehört. Bisweilen hört man die Meinung, Gross sei stark genug, um Heldts Kompetenzen im sportlichen Bereich zunehmend zu beschneiden und in eine Managerrolle englischer Prägung hineinzuwachsen. Wenn dann der HSV noch einmal bei Heldt anriefe…

VfB Stuttgart – Wo sind die Probleme des VfBs zu suchen? Liegt es an der Einkaufspolitik von Heldt oder an dem verunsicherten Trainer Babbel, dass die Mannschaft keine Struktur, keine Achse zu haben scheint?

heinzkamke: Die angesprochene Achse wäre im Grunde mit Lehmann – Delpierre/Tasci – Khedira/Kuzmanovic – Stürmer X vorgegeben. Im Grunde. Tatsächlich aber schwankt Tasci in seinen Leistungen und wurde dann auch noch in der Kapitänsfrage brüskiert, war die Systemfrage im Mittelfeld lange ungeklärt (möglicherweise ist sie es noch?), wurde Hleb wieder – wie schon vor seinem Ausflug in die große weite Fußballwelt – auf die 10 gehievt, und war man im Sturm nicht ansatzweise in der Lage, den Abgang von Mario Gomez zu kompensieren.

An der Defensivarbeit soll Gross intensiv gearbeitet haben, sodass die Innenverteidigung Stabilität gewinnen könnte, und im Mittelfeld ist man zumindest defensiv hervorragend besetzt. Die zentrale Frage wird weiterhin lauten, ob man in der Lage ist, sowohl aus dem Mittelfeld heraus als auch im Sturm mehr Torgefahr zu entwickeln.
Ob dieses Problem in erster Linie mit Struktur und vielleicht auch Selbstvertrauen der Mannschaft zu tun hat, oder ob man letztlich einfach die falschen Leute hat, kann man vielfältig diskutieren.

dogfood: Ein Name der bei deiner Achse fehlt, ist Hitzlsperger. Hat theoretisch jene internationale Erfahrung um sich innerhalb der Mannschaft ein Standing zu erarbeiten, aber die Hinrunde war für ihn eine Seuchensaison – auf dem Platz und außerhalb des Platzes von Babbel demoralisiert und demontiert, nicht zuletzt durch die Wegnahme der Kapitänsbinde. Ist nicht nur Lehmann in Stuttgart ein Auslaufmodell, sondern auch “The Hammer“?

heinzkamke: Meines Erachtens wird sich Hitzlsperger sehr schwer tun, im WM-Kader zu bleiben, weil er auch in der Rückrunde beim VfB einen schweren Stand hat. Ich wäre nicht gänzlich überrascht, wenn sich da auf dem Transfermarkt noch etwas täte.
Kürzlich wurde Christian Gross von der Stuttgarter Zeitung auch zu Hitzlsperger befragt:

StZ: Fragt sich nur, wo er spielen soll. Im zentralen Mittelfeld scheinen Zdravko Kuzmanovic und Sami Khedira gesetzt.
Gross: Und Christian Träsch haben wir auch noch. Er ist unheimlich wertvoll.
StZ: Für Hitzlsperger könnte es also eng werden.
Gross: Jeder bringt sich so ein, wie er will und wie er kann. Ich bin mit offenen Augen bei jedem Training dabei und versuche, mich bei der Aufstellung richtig zu entscheiden.

Wenn ich im Kaffeesatz lesen müsste, würde ich daraus eher keine Stammplatzgarantie für Hitzlsperger ableiten.

kurtspaeter: Ich gehe jede Wette ein, dass Hitzlsperger im WM-Kader steht, ob er in Stuttgart vornewegmarschiert oder nur noch die Pilonen beim Training aufstellen darf. Aber das wäre jetzt eine Diskussion über Löw und nicht über den VfB.

VfB Stuttgart – Der VfB hat bereits einen großen Kader, aber es ist von zahlreichen Neuverpflichtungen die Rede. Wo muss derart nachgebessert werden, dass man es mit dem bereits vorhandenen Kader nicht kompensieren kann?

heinzkamke: Im Wesentlichen sind fünf Problembereiche auszumachen:

  • Im Tor steht die Nachfolgeregelung von Jens Lehmann ins Haus. Ob Ulreich und Stolz die nötige Klasse haben, wird kontrovers diskutiert.
  • Links hinten ist man für die Rückrunde zumindest aktiv geworden, hat Cristian Molinaro ausgeliehen und sich anders als bei Lahm und leider auch Niedermeier (nein, der ist kein Linksverteidiger) immerhin ein Vorkaufsrecht für den Sommer sichern können.
  • In der DefensivAbwehrzentrale ist nicht abzusehen, wie es mit Tasci weitergeht. Einerseits bleibt abzuwarten, ob er seine Leistungen wieder stabilisiert, andererseits war er emotional vermutlich schon einmal stärker an den Verein gebunden als derzeit. Niedermeier ist nach wie vor nur ausgeliehen, und Boulahrouz hat sich nur selten von seiner Schokoladenseite gezeigt. Kurzfristig ist man hier zwar versorgt; zur neuen Saison ergeben sich aber viele Fragezeichen.
  • Im offensiven Mittelfeld hat man bis zum Sommer Hleb sowie Gebhart und Rudy, d.h. drei Spieler, die bisher alle nicht sonderlich torgefährlich waren. Nicht von ungefähr wollte man schon vor der Saison Milan Jovanovic und diskutiert jetzt über dynamische Spieler für die Außenpositionen (Christian Gentner sieht sich vermutlich eher nicht dort, ob Ashkan Dejagah passen würde, weiß ich nicht). Bastürk und Simak sowie Elson dürfen gehen, Hilbert und Lanig dürften ggf. auch als entbehrlich gelten.
  • Der Sturm spielt in der Rückrunde vermutlich auf Bewährung und muss sich gegenüber der Vorrunde gewaltig steigern.

medispolis: Weil ja heute mit Fromlowitz von 96 die erste “Sau” durch die Presselandschaft gejagt wird bezüglich Nachfolge von Lehmann. Gibt es irgendeinen Favoriten bei den VfB-Fans? Vorzugsweise ein junger, eher unbekannter Torwart oder sollte es schon eine größere Hausnummer mit der nötigen internationalen Erfahrung sein? (Gut, hängt vielleicht auch vom Saisonverlauf ab).

heinzkamke: Im Moment habe ich das Gefühl, dass die Fraktion derer, die in schöner Stuttgarter Tradition (“Junge Wilde”) gerne auf einen eigenen Nachwuchstorwart setzen würden, deutlicher vernehmbar ist – eine Sichtweise, die vermutlich auch mir leichter fiele, wenn ich die erste Ulreich-Phase nicht mehr so deutlich in Erinnerung hätte. Wobei man einem 19-Jährigen, zumal in der damaligen Situation, einen Mangel an Souveränität nur sehr bedingt zum Vorwurf machen kann.
Sofern man sich entscheidet, eine neue Nr. 1 (und nicht nur einen erfahrenen Ersatztorwart) zu verpflichten, würde Timo Hildebrand vermutlich auf recht viel Gegenliebe stoßen. Ich persönlich hielte den von medispolis angesprochenen Fromlowitz für eine gute Lösung, wobei dann sicher recht laut zum Ausdruck gebracht würde, dass “der doch auch nicht besser” sei als Ulreich und Stolz.

Enno: Was ist den mit Drobny? Der wird doch auch schon seit Wochen für das Stuttgarter Tor gehandelt? Er käme ablösefrei und war in der vergangenen Saison einer der besten Keeper der Liga.

heinzkamke: Ganz ehrlich: ich kann Drobny nicht einschätzen. Seine Leistungen schon, so halbwegs, aber in Stuttgart ist man ein wenig vorsichtig geworden, nachdem Raphael Schäfer vor und nach seiner Zeit großartig hielt, hier aber nie zurecht kam. Zumindest diese Gefahr dürfte bei Hildebrand geringer sein. (Gilt natürlich analog für Fromlowitz, den ich indes gerade in der Zeit von Enkes Verletzung als guten Teamplayer empfunden habe)

Mach es zu Deinem Projekt!

Leider hatte ich in der laufenden Woche nicht sehr viel Zeit, mich ausführlich mit den Geschehnissen rund um das Neckarstadion zu befassen. Immerhin gab mir die eine oder andere Fahrt in der Stadtbahn die Gelegenheit, die Berichterstattung in den hiesigen Printmedien zu verfolgen, und ich muss sagen: die Stuttgarter Zeitung hält nichts von halben Sachen. Sie hat die Entlassung von Markus Babbel zu ihrem Projekt gemacht, ohne Wenn und Aber.

Bereits am Montag war alles klar:

“Heute soll die Entlassung des Teamchefs verkündet werden.
[…] sondierte Heldt nicht erst seit gestern den Trainermarkt – und er ist fündig geworden. Die Entscheidung fällt zwischen zwei Kandidaten […]”

Am Dienstag war man noch immer guter Dinge:

“Aber die Tendenz hat sich verfestigt – Babbel muss gehen, wohl heute.”

Tags darauf wurde die Vereinsführung gerügt, die sich nicht an die Vorgaben der Presse gehalten hatte:

“Damit es in dieser turbulenten Woche beim VfB Stuttgart nicht in Vergessenheit gerät: der Tabellenvorletzte der Fußball-Bundesliga hat am Sonntag 0:4 verloren und ein desolates Bild abgegeben. In Leverkusen sind alle Kriterien erfüllt worden, die eine Entlassung von Markus Babbel gerechtfertigt hätten. […]
Dennoch hält die Vereinsführung an Markus Babbel fest. Das ist ein Fehler. […]
Der VfB braucht schnelle Hilfe, und die hätte nur ein Trainerwechsel in Aussicht gestellt.”

Am Donnerstag appellierte man dann an das Verantwortungsgefühl der “VfB-Bosse”:

“Verdammt groß ist jedenfalls nach den jüngsten Ereignissen die Chance, dass am Ende der Saison die ganze Fußballwelt […] sagen wird: So still und sympathisch ist noch kein Club abgestiegen. […]
Diese Sympathie als Maß aller Dinge ist riskant, […] ‘denn wenn es auf die Beliebtheit ankommen würde, säßen Donald Duck und die Muppets längst im Senat’. Babbel ist immer noch VfB-Trainer. […] gescheit hat darüber schon Laotse im alten China philosophiert: ‘Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut.'”

Eines ist demnach klar:
Die Stuttgarter Zeitung stellt sich ihrer Verantwortung für den VfB.

Etwas anders sieht das Herr W., der einen gar vergnüglichen Leserbrief an die StZ verfasste:

“Tja, liebe Stuttgarter Zeitung, damit es in dieser turbulenten Woche nicht in Vergessenheit gerät: Ihr habt am Montag die Entlassung von Babbel bereits als feststehend verbreitet. Das war wohl nichts. Und da hilft es auch nicht, wenn sich jetzt der Sportchef persönlich in die Bresche wirft und wortreich erklärt, wer alles den Fehler begangen hat, nicht das zu tun, was die StZ angekündigt hat. Peinlich, peinlich. Natürlich gibt es gute Argumente für eine Entlassung Babbels, aber hier handelt es sich doch nur um den schlecht kaschierten Versuch, von eigenem Versagen abzulenken. Ente bleibt Ente.”

Möglicherweise ist es gewagt, diesen Leserbrief hier ungekürzt wiederzugeben, zumal ich nicht einmal weiß, wer mich abmahnen könnte: die Zeitung (vor der ich für den Abdruck des Leserbriefes den Hut ziehe) oder Herr W., oder gar beide? Ich wage jedenfalls zu hoffen, dass sich sowohl der Autor des Briefes als auch die Zeitung, so sie sich denn hierher verirrten, zunächst freundlich an mich wenden würden, wenn ihnen das ausführliche Zitat missfiele.

Überlastungsreaktionen

Sind wir nicht alle ein bisschen überlastet? Ganz besonders überlastet sind derzeit sicherlich Sami Khedira und nun auch Serdar Tasci, die aktuell die Google-Top 10 für Überlastungsreaktion Fuß unter sich ausmachen. Die Mitspieler scheinen auch in der einen oder anderen Form überlastet, zumindest aber teilweise überfordert zu sein, und auch Horst Heldts sonntägliches Telefonat mit Jörg Wontorra lässt zumindest auf eine hohe Belastung schließen.

Markus Babbel, der als einziger Angst um seinen Job haben muss, scheint indes relativ gut mit der Last umgehen zu können. Zwar ist es sicherlich belastend, ständig ans Limit zu gehen – gerade am Mittwoch haben ihm die Spieler jedoch einen der kritischeren Punkte der vergangenen Wochen sehr leicht gemacht, wie Babbel selbst feststellte:

“Mit den Einwechslungen war es nicht schwer, Treffer zu landen.”

Mir selbst ist es gelungen, die Belastung beim Spiel in Sevilla durch einen geschickten Schachzug in Grenzen zu halten: ich habe nur die zweite Halbzeit gesehen. So blieb mir die allem Anschein nach furchtbare erste Hälfte erspart, und es fällt mir vergleichsweise leicht, eine positive Haltung einzunehmen und auf weitere Besserung zu hoffen. Auch wenn ich weiß, dass die guten Noten der Stuttgarter Nachrichten für Rudy und Celozzi ein wenig hoch gegriffen sind, ungeachtet des Rückgangs von Motivation und Spielerzahl auf Seiten der Andalusier, und im vollen Bewusstsein, dass auch in den nächsten Wochen kein echter Knipser auf dem Platz stehen dürfte, wird mein Gefühl zusehends besser.

Das hat mit Markus Babbel zu tun, der der Schönfärberei abgeschworen zu haben scheint und am Mittwoch endlich einmal Zeichen gesetzt hat mit seinen Einwechslungen; es hat aber auch mit den Spielern zu tun, die sich dann doch noch gewehrt haben, mit Leuten wie Kuzmanovic, Schieber oder Rudy, und es hat wohl auch schlichtweg damit zu tun, dass ich einfach ein Fan bin, einer, der immer an die Wende zum Besseren glaubt.

Und wenn dann irgendwann Khedira und Tasci auch nicht mehr überlastet sind….