Der VfB Stuttgart wird also Deutscher Meister, heißt es.
Allenthalben pfeifen und zwitschern sie es jetzt von den Dächern. In Blogs und Zeitungen gilt das Ganze bereits als abgemacht, und auf allen Kanälen muss darf kann man Vergleiche zum Stuttgarter Meisterjahr 2007 anhören, ansehen und lesen. Der VfB habe einen Lauf, zudem keinen Druck, verfüge über einen Trainer mit dem Sieger-Gen, könne auf den besten deutschen Stürmer bauen, in der Mannschaft stimme es sowieso, und und und….
Ja, auch ich freue mich enorm über die Entwicklung der letzten Monate, und für ein bisschen Euphorie bin ich absolut zu haben. Sollte der VfB am Samstag gegen die Frankfurter Eintracht gewinnen, werde ich ganz bestimmt in den Chor derer einstimmen, die “Deutscher Meister wird nur der VfB” brüllen.
Aber dann werde ich heim gehen, mir die Sportschau ansehen, mich über den Sieg und die günstige Tabellensituation freuen und “Schön, ein weiterer Schritt zur Qualifikation für einen internationalen Wettbewerb” denken. Vermutlich würde ich mich dabei sogar mit einem Sieg der vor dem VfB liegenden Bayern bestens arrangieren können, der die bedrohlich aufkommenden Schalker in Schach hielte.
Der Vergleich zum Jahr 2007, so sehr er sich aufgrund der letzten Wochen aufdrängen mag, ist weit überzogen. Dass er nicht ausbleiben kann, versteht sich allein deshalb von selbst, weil kein “Experte” Gefahr laufen will, sich ein zweites Mal vom vermeintlichen Überraschungsmeister aus Stuttgart an der Nase herum führen zu lassen. Da kann es sicher nicht schaden, vor dem VfB zu warnen oder sich gar mit einer gewagten Prognose aus dem Fenster zu lehnen, die man im Nachhinein leicht als Überschwang abtun kann.
Vergleicht man jedoch die heutige Situation mit der vor zwei Jahren, so wird deutlich, dass die Ausgangsposition heute ungleich schwieriger ist:
Punkte:
Vor zwei Jahren hatte man nach dem 28. Spieltag einen Rückstand von 4 Punkten auf den Tabellenführer, 2 auf den Zweiten, und stand seinerseits 2 Punkte vor Platz 4. Alle anderen waren abgeschlagen.
Heute liegt der VfB 6 Punkte hinter dem Ersten, je 3 hinter Platz 2 und 3, und einen Punkt hinter dem Vierten. Von hinten drohen zwei weitere Gegner, die ihrerseits einen sogenannten Lauf haben; der Kampf gegen Letztere ist für die Meisterfrage allerdings irrelevant.
Um es mit einer ungewöhnlichen und wohl auch fragwürdigen Rechnung auf den Punkt zu bringen: 2007 musste der VfB auf seine Konkurrenten insgesamt 6 Punkte gut machen, dieses Jahr sind es deren 13.
Gegner:
Vor zwei Jahren hatte man es mit Werder und Schalke sowie zunächst noch mit den Bayern zu tun. Die Bayern erlebten für ihre Verhältnisse eine desaströse Saison, hatten im Lauf der Saison einen seltsamen Trainerwechsel und das Karriereende von Sebastian Deisler hinter sich gebracht und waren weit von den eigenen Ansprüchen entfernt. Blieben Schalke und Werder. Während die Bremer von vielen als sehr stabil und folglich als künftiger Meister eingeschätzt wurden, lag bei Schalke doch immer ein Hauch von 2001 und das Wissen, dass sie in der Bundesliga schon mehrfach kurz vor Toreschluss gescheitert waren, in der Luft.
2009 hat man es mit Wolfsburg, Bayern, dem HSV und der Hertha zu tun. Während ich im Grunde überzeugt bin, dass der VfB an der Hertha vorbeiziehen wird, erscheinen mir die drei anderen zu stark bzw. zu gefestigt, um alle drei noch zu überholen. Nun ist “gefestigt” sicher kein Attribut, das man den Bayern derzeit auf Anhieb verleihen würde – zu wechselhaft waren ihre Leistungen im Lauf der Saison. Gleichzeitig verfügen sie aber über so viel individuelle Klasse, dass ich mir einen derben Einbruch noch nicht vorzustellen vermag. Den HSV und Wolfsburg würde ich indes absolut als gefestigt bezeichnen. Die letzten Spiele der Niedersachsen haben gezeigt, dass sie -ähnlich wie der VfB 2007 gegen Hannover, in Gladbach oder in Bochum- auch die Spiele gewinnen, bei denen man leicht ins falsche Fahrwasser geraten könnte. Wenn man nicht diese fantastische Offensive hätte. Auch der HSV hat, nicht zuletzt in seinen Uefa-Cup-Spielen, mehr als einmal bewiesen, dass er sich nur ganz schwer die Butter vom Brot nehmen lässt. Und im Gegensatz zu Wolfsburg sind die Hamburger mit Blick auf die Bundesligaspitze auch keine heurigen Hasen.
Restprogramm:
Im Jahr 2007 hatten alle drei Titelaspiranten auf dem Papier ein vergleichsweise leichtes Restprogramm. Der VfB hatte am 30. Spieltag noch ein Kräftemessen mit den Bayern; die anderen Gegner hießen Hannover, Gladbach, Mainz, Bochum und Cottbus. Auch die Bremer Gegner schienen nicht unschlagbar. Allerdings musste man 4 der letzten 6 Spiele auf des Gegners Platz bestreiten. Das größte Problem für Schalke bestand darin, dass man noch zwei Derbys vor der Brust hatte: beide auswärts, und beide gingen letztlich auch verloren.
Dieses Jahr hat es der VfB als einziger der 5 Bewerber in den letzten 6 Spielen noch mit zwei direkten Konkurrenten zu tun (Vor- oder Nachteil?) und bestreitet seine beiden letzten Auswärtsspielen bei Schalke und den Bayern. Was ebensowenig ein Spaziergang werden dürfte wie Herthas 4 Auswärtsspiele. Auch Wolfsburg wird sich bei seinen Fahrten nach Hoffenheim, Dortmund und Bremen auf starke Gegenwehr gefasst machen müssen. Der HSV muss neben dem Heimspiel gegen die Hertha zwar noch nach Dortmund und Bremen reisen; die Abschlussserie Bochum (H) – Köln (H) – Frankfurt (A) dürfte die Hamburger Anhänger indes zuversichtlich stimmen. Bleiben die Bayern, die mit vier Heimspielen und Gastspielen in Cottbus und Hoffenheim nicht allzusehr hadern dürften.
Insgesamt haben meines Erachtens zwei der drei vor dem VfB platzierten Mannschaften (Bayern und der HSV) ein deutlich leichteres Restprogramm. Jenes von Wolfsburg erscheint zwar deftig; ich könnte mir jedoch vorstellen, dass sie es in ihren letzten drei Partien allesamt mit Gegnern zu tun haben, für die es um nichts mehr geht: Dortmund (?), Hannover und Bremen.
Fazit:
Alles in allem bin ich der Überzeugung, dass sich Geschichte nicht wiederholen wird, zumindest nicht mit dem selben Protagonisten – dann schon eher mit einem Überraschungsmeister Wolfsburg und seinem Rückrundenlauf. Wobei ich Wert auf die Feststellung lege, dass der Titel “Überraschungs-” oder gar “Zufallsmeister” für mich eine Beleidigung der Mannschaft ist, die nach 34 Spieltagen ganz oben steht, egal wie sie heißt.
Für den VfB halte ich die Plätze 3-5 für wahrscheinlich, mit etwas Glück Platz 2, wenn’s dumm läuft Rang 6. Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich auf die 4 setzen.