Debütantentournee. Tourneedebütanten?

Wenn ich mich nicht verzählt habe, wird die DFB-Truppe in der nächsten Woche mit 5 Spielern nach Asien reisen, die ihre Premiere in der Nationalmannschaft noch vor sich haben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird zumindest der eine oder andere von ihnen tatsächlich sein Debüt feiern.

Dabei kann man trefflich darüber streiten,

  • ob es angemessen ist, Christian Träsch nach 19 Bundesligaspielen zu berufen, nachdem er für die U 21 bis dato für zu leicht befunden wurde.
  • ob Cacau in einer Reihe mit Paolo Rink zu nennen ist.
  • ob Christian Gentner nur dank einer überragenden Mannschaft temporär auf dem nötigen Niveau spielt.
  • ob Tobias Weis nur wieder berufen wurde, weil man bei der Auswahl der Nutella-Boys zu voreilig war.
  • wieso für Manuel Neuer die Regel “entweder U 21 oder Asien mit Priorität U 21” nicht gilt.

Ich selbst bin in der Tat auch eher skeptisch, was die viel zitierte Perspektive der potenziellen Debütanten in der Nationalmannschaft anbelangt – es würde mich überraschen, wenn mehr als zwei der vier Feldspieler die 10 Länderspiele voll machen. So war ich denn, als ich von der Nominierung erfuhr, auch schnell dabei, Vergleiche zu früheren Länderspieltourneen mit zweifelhaftem sportlichem Wert zu ziehen:

tweet_wasmachteigentlichErfreulicherweise habe ich damit einen kleinen Austausch weiterer Kandidaten mit @sfiebrig und @bunkinho in Gang gesetzt. Das Ganze ließ mich dann nicht mehr los, so dass ich mich ein wenig im Keller verkrochen und Länderspielstatistiken angesehen habe. Dabei habe ich mich auf Länderspielreisen mit mindestens zwei Spielen außerhalb Europas konzentriert (Weltmeisterschaften ausgenommen – deren sportliche Relevanz dürfte unstrittig sein). Und nicht vor 1950.

Bereits im Dezember 1960 war es die Nationalmannschaft der DDR, die in Tunesien und Marokko antrat und dabei Rainer Nachtigall zum ersten Tourneedebütanten machte. Insgesamt bestritt er 11 Länderspiele.

Zwei Jahre später gewann die DDR in Mali und Guinea und lud dabei zum großen Debütantenball: in Mali gaben Herbert Pankau (25), Werner Linß (2) und Helmut Stein (22) ihren Einstand, in Guinea Alfred Zulkowski (1), Heinz Hergert (1) und Eberhard Vogel (74).

Erst im Dezember 1968 reiste der DFB erstmals Lust – vermutlich zur Vorbereitung auf die WM 1970 in Mexiko trat man innerhalb weniger Tage in Brasilien, Chile und Mexiko an und ermöglichte so den Herren Michael Bella (4, nie gehört, den Namen) und Rainer Ohlhauser (1) ihr Länderspieldebüt.

Im Dezember 1969 setzte die DDR einen drauf und spielte am 8. und 19.12. gleich auf zwei Kontinenten (zugegeben: ich weiß nicht, ob man zwischendurch daheim war): im Irak debütierte Frank Ganzera (13), in Ägypten Joachim Streich (102) und Erhard Mosert (1).

Im Februar 1971 durfte es dann wieder Chile sein, wo Frank Richter (7) sich erstmals zeigte, gefolgt von gleich zwei Spielen in Uruguay, wo aber genau wie zwei Jahre später in Kolumbien und Ekuador kein Neuling zum Einsatz kam. Mag an der ernsthaften Vorbereitung auf die WM beim Klassenfeind gelegen haben, die keinen Platz für Experimente ließ – abgesehen von Hans-Bert Matoul, der im Februar 1974 in Tunesien und Algerien die ersten beiden seiner drei Länderspiele bestritt.

Vermutlich zur Vorbereitung auf Olympia 76 trat man dann im Juli 1975 zweimal in Kanada an. Hans-Ulrich Grapenthin freute sich über den ersten von 21 Einsätzen.

Die DFB-Mannschaft ging erst im Juni 1977 wieder auf Tournee, um sich auf Argentina 78 einzustimmen. Dieter Burdenski (12) musste in Argentinien und Brasilien zusehen, durfte aber in Uruguay ran und war dann auch bei der WM dabei, wenn auch ohne Einsatz.

Beim WFV wiederum konnten sich im Februar 1979 im Irak mit Bodo Rudwaleit (33) und Dirk Heyne (9, verteilt von 1979-1990!) ebenfalls zwei Torhüter ihre ersten Sporen verdienen.

Die erste sportlich gänzlich unsinnige Auslandstournee, an die ich mich aktiv erinnere, ist “Mundialito“, die sogenannte Mini-WM in Uruguay zum Jahreswechsel 1980/81, an die sich Wolfgang Dremmler (27) trotz des schwachen Abschneidens gerne erinnern dürfte, feierte er doch gegen Brasilien seinen Einstand im Nationalteam.

Im März 1982 trat man in der Vorbereitung auf Michael Schanze die WM in Spanien erneut in Brasilien und Argentinien an und konnte wieder zwei Neulinge begrüßen: Frank Mill (17) und Stefan Engels (8).

Im Februar 1985 debütierte Olaf Marschall (4+13) in Ekuador, nachdem er zuvor in Uruguay noch von der Bank aus zugesehen hatte. In der Bundesliga brillierte in jener Saison Ludwig Kögl (2). Er war die Entdeckung schlechthin, wurde zum Spieler des Jahres gewählt und im Juni 1985 mit der WM-Vorbereitungsreise nach Mexiko belohnt. Nach seinem Debüt gegen Mexiko durfte er im November noch einmal mitspielen und sah sich die WM vermutlich im Fernsehen an.

Bei der Südamerikareise vom Dezember 1987 wäre ich geneigt, vom “Debütantendebakel” zu sprechen – die Herren Franco Foda (2), Christian Hochstätter (2) und Frank “Mach et, Otze” Ordenewitz (2) bestritten dort jeweils ihre einzigen beiden Länderspiele -, wenn nicht in Brasilien auch Jürgen Klinsmann (108) debütiert hätte.

1990 gab’s dann, vielleicht nicht ganz überraschend, im Rahmen einer Kuwaitreise (Gegner: Frankreich, Kuwait) noch einige Debüts in der DDR-Nationalmannschaft, die nicht allzu nachhaltig waren: Andreas Wagenhaus (3), Matthias Maucksch (1), Hilmar Weilandt (2) und Ronny Teuber (1) traten auf und international auch bald wieder ab.

Der DFB schickte seine Botschafter im Dezember 1992 wieder einmal nach Südamerika (Brasilien, Uruguay), und auch hier gelang es den Neulingen Thomas Wolter (1), Michael Zorc (7), Martin Wagner (6) und Bruno Labbadia (2) nicht, den Grundstein für große internationale Karrieren zu legen. Im Gegensatz zu Christian Ziege, der im Juni 1993 beim “US-Cup” das erste seiner 72 Länderspiele bestritt und Karl-Heinz Pflipsen, der ebendort das einzige Mal im Nationaltrikot auflief. Außerdem: Karl-Heinz Pflipsen (1).

Wie ernst man die Vorbereitung auf die WM in den USA nahm, zeigte eine weitere kleine Tournee im Dezember 1993, bei der Dieter Eilts (31) und Stefan Kuntz (25) erstmals zum Einsatz kamen. Für die WM nutzte das alles nichts, zumal Eilts dort nicht im Kader und Kuntz nur einmal auf dem Feld war; dafür wurden beide 1996 Europameister.

Sehr unterschiedlich verliefen einige weitere Auslandstourneen Ende der 90er für die Debütanten: Jens Lehmann bestritt im Februar 98 im Oman das erste von 61 Spielen, Bernd Schneider beim Confed-Cup in Mexiko Nr. 1 von (bisher) 81. Seine Mitreisenden waren nicht so erfolgreich: Ronald Maul (2) kam danach nie mehr zum Einsatz, Heiko Gerber (2) auch nicht, Mustafa Dogan (2) noch einmal im Oktober 99. Zwischen dem Oman bzw. Saudi-Arabien und dem Confed Cup hatte im Februar 1999 noch eine USA-Reise auf dem Programm gestanden, bei der Marco Reich (1) und Michael Preetz (7) ihren Einstand gaben. Preetz erwies sich als wahre Rampensau, bestritt er doch 5 seiner 7 Länderspiele auf verschiedenen Tourneen (via @bunki).

Die bisher letzte fragwürdige Reise führte die Nationalkicker im Dezember 2004 nach Japan, Südkorea und Thailand. Patrick Owomoyela (11), Christian Schulz (3) und Marco Engelhardt (3) sind noch jung genug, um ihre Bilanz zu verbessern.

Soweit die Fakten. Die detaillierte Analyse überlasse ich gern den Herren Weis, Gentner, Träsch, Neuer und Cacau jedem, der sich dazu bemüßigt fühlt.

Über Korrekturhinweise der Betroffenen oder ihrer Anhänger freue ich mich, kann sie allerdings erst nach dem langen Wochenende umsetzen.

0 Gedanken zu „Debütantentournee. Tourneedebütanten?

    1. Danke für den Hinweis mit Wagner, da hab ich genauso geschludert wie bei mindestens einer Jahreszahl.

      Cacau ist meines Erachtens mit keinem der anderen Stürmer so richtig vergleichbar. Das könnte seine Chance sein – mich würd’s nicht überraschen.

  1. […] Debütantentournee. Tourneedebütanten? angedacht – PeopleRank: 17 – 20.05.2009 …Bernd Schneider beim Confed-Cup in Mexiko Nr. 1 von (bisher) 81. Seine Mitreisenden waren nicht so erfolgreich: Ronald Maul (2) kam danach nie mehr zum Einsatz, Heiko Gerber (2) auch nicht, Mustafa Dogan (2) noch einmal im Oktober 99. Zwischen dem Oman bzw Namen genannt : Bruno Labbadia  Christian Gentner  Christian Hochstätter  Christian Schulz  Christian Träsch  Dieter Eilts  Dirk Heyne  Franco Foda  Frank Richter  Jens Lehmann  + voten […]

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